Wie sich wieder einmal, anlässlich des Papstbesuchs in Deutschland, gezeigt hat, hält die EKD offensichtlich noch weniger als Papst Benedict XVI. von manchen bewährten Paradigmen der Ökonomik: Die Vertreter der EKD buhlen um das Entgegenkommen des Papstes hinsichtlich seiner Bereitschaft zur Überwindung der Differenzen zwischen Katholizismus und Protestantismus im Rahmen der theologischen Ökumene. Theologische Differenziertheit soll durch Einheitlichkeit ersetzt werden, die Spaltung der Christenheit müsse überwunden werden, nicht zuletzt um das Christentum gegenüber anderen Religionen der Welt zu „stärken“. Der Papst hat sich, wie wir beobachten konnten, dem evangelischen Ansinnen mehr als deutlich verweigert, stattdessen aber, offensichtlich aufgrund paradigmatisch größerer Nähe, den Orthodoxen Hoffnungen auf mehr Einheitlichkeit gemacht.
Es war bekanntlich Martin Luther, der – in der Hirschmanschen Ökonomik gesprochen – den Mut zunächst zur theologischen voice-option („Thesenanschlag“) aufbrachte und damit die vorgeschriebene loyalty-position verließ, um schließlich die geistliche exit-option zu wählen, für die ihn die kirchlich und weltlich Mächtigen mit Aktivitäten der Lebensbedrohung straften. Wie alle Exit-Optionen, so eröffnete auch das Luthersche Ausbrechen aus den damals herrschenden Dogmen der katholischen Glaubenspräskriptionen den Dialog, den Streit, den Kontrapunkt, also den Wettbewerb im Theologischen.
Exit-Optionen mit ihrem institutionellen Sezessionscharakter unterlaufen die Macht der geistlich (und weltlich) Mächtigen, sie stimulieren den Wettbewerb in der theologischen Handlungs-und Ideenwelt, den viele – beileibe nicht alle – Gläubige als fruchtbar empfinden, weil er deren individuelle Entscheidungsfreiheit zur Ablehnung oder Akzeptanz alternativer theologischer Paradigmen gewährleistet. Das ist, wie die massiven Austrittswellen (Exit-Optionen) katholischer – aber auch evangelischer – Kirchenmittglieder aus ihrer Glaubensorganisation ja zeigen, keine reine Theorie, sondern Realität. Es scheint, als atomisiere sich die Glaubenswelt der Individuen zunehmend.
Das entspricht ganz der weltlichen Entwicklung von Zivilgesellschaften, die die Bürgerakzeptanz von politischen und geistlichen Obrigkeiten grundsätzlich nicht vom historisch geprägten Hierarchiedenken mit mehr oder weniger anmaßendem Absolutheitsanspruch der Wahrheit ableiten, sondern von den überzeugenden geistlichen und politischen Leistungen der Obrigkeitsakteure gegenüber den Bürgern. Es scheint, als entwickele sich in den christlichen Kirchen – auch, aber sichtbar zögerlicher, in der katholischen – ein ähnliches relativierendes Hierarchieverständnis in Glaubensdingen. Und wenn die EKD gegenüber der katholischen Kirche, und keineswegs umgekehrt, sich dieser Entwicklung durch „mehr Ökumene“ einer institutionell ausgehandelten geistlichen Harmonisierung von Katholischem und Protestantischem entgegenstellen will, dann geht sie geradewegs in die rückwärtsorientierte Richtung. Ihr auffälliges Buhlen um mehr Einheitlichkeit mindert die kreative Differenziertheit in den Köpfen ihrer Gläubigen. Katholisch mag und soll katholisch bleiben, Protestantisch mag und soll protestantisch bleiben und Andere mögen und sollen anders bleiben: Die Menschen haben die geistliche Wahl, diese indiziert die „Freiheit zu Gott“, von der ja Benedict so pointiert spricht.
Und da diese Freiheit dem gegenwärtigen harmonisierungsaffinen theologischen Ökumenestreben der EKD grundsätzlich widerspricht, soll man die EKD ruhig mit dem Wettbewerbsgedanken konfrontieren, der ja in Kirchenkreisen vorurteilsbedingt so unbeliebt ist, aber doch durch Martin Luthers Einlassungen vor bald 500 Jahren so glaubens-innovativ und kirchen-effektiv in die damalige Monopolorganisation des Glaubens hineingetragen wurde. Des Luthers Hinwendung zum fundamental-ökumenefremden geistlichen Wettbewerb und zur kirchen-institutionellen Exit-Option verdankt das Evangelische seine Existenz.
Organisierte Glaubensmonopole geben zwar vielen Menschen noch heute geistlichen Halt und Lebenshilfe. Aber für zunehmend viele Menschen nimmt die Faszination der Freiheit offensichtlich zu, sich kirchlich vorgeschriebenen Dogmen (zum Beispiel für gemischt-christliche Ehepaare, für wiederverheiratete Geschiedene usw.) durch Exit-Optionen der Nichtbeachtung zu entziehen und sich gegebenenfalls anderen Glaubensinstitutionen anzuschließen. Der Wettbewerb bewegt (auch) die Glaubenswelt, er hat es in der Geschichte des Christentums schon immer getan, aber die gegenwärtige Sehnsucht nach harmonisierender theologischer Ökumene behindert ihn. Sie trägt den Keim zur geistlichen Sklerose in sich.
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Wettbewerb ist ein Instrument zur Steigerung von Effizienz und Leistung. Doch wie ist diese hier zu taxieren? Befriedigung der Konsumenteninteressen? Minimierung der Kirchensteuer? In kirchlichen Fragen geht es aber nicht darum, was dem Konsumenten, dem Kirchgänger gefällt. Es geht darum, ob die Kirche nach Gottes Willen gestaltet ist. Auch ein funktionierender Wettbewerb kann uns hierüber keine Auskunft geben. Entscheidend ist einzig die Erkenntnis über Gottes Willen. Die ist sicher nicht einfach zu finden, aber die Anzahl der Kircheneintritte entscheidet ja nicht über die Frage, was richtig ist. Eine Sache erscheint mir aber als wahr: Gott will die Einheit der Kriche. Zur Frage der Ökumene findet sich etwa im Epheserbrief (Kap. 4, 4): „Befleißigt euch, die Einheit des Geistes zu bewahren durch das Band des Friedens: Ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen worden seid in einer Hoffnung eurer Berufung!“ Sicher, die Einheit des Leibes ist nicht möglich ohne gemeinsame Überzeugungen. Und sie darf auch nicht um den Preis der Mißachtung seines Willens vollzogen werden. Aber von vornherein auf die Trennung des Leibes zu setzen, kann m. E. erst recht nicht der Wille Gottes sein.
Die Ökumene würde als Kartell nicht nur den geistigen Wettbewerb innerhalb der Religion verhindern.
Sie würde sehr schnell den säkularen Staat unterbuttern.
Es ist schon bemerkenswert, wie schon jetzt stark religiöse Christen ein erstaunliches Maß an Verständnis für den Islam aufbringen, sogar für Aspekte, die unserer Kultur strikt zuwider laufen (Frauenrechte).
[Beispiele für das Verständnis oder gar die Bewunderung islamischer Glaubensintensität bei einigen katholischen Theologen/Soziologen habe ich am Rande meines Blogpostings „Vorkämpfer der Finsternis: Wissenschaftsskandal um Studie über Zwangsverheiratungen oder: Wie Ideologen und Legastheniker Ministerin Schröder kritisieren“ (http://beltwild.blogspot.com/2011/12/vorkampfer-der-finsternis.html) entdeckt und erwähnt.]
Würde mich nicht wundern, wenn es eines fernen Tages (und dann, ja nach demographischer Entwicklung, vielleicht sogar unter moslemischer Führung) zu einem Bündnis des Katholizismus (evtl. auch evangelischer Eiferer) mit dem Islam gegen unseren säkularen Staat und unsere säkulare Gesellschaft kommen sollte.