Mehr Wettbewerb durch Entflechtung der Energiekonzerne?

Die EU-Kommission sorgt sich um den Wettbewerb auf dem deutschen Strommarkt. Und dies nicht ohne Grund. Denn trotz der Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts zum 29. April 1998, die insbesondere auf eine Öffnung der Gebietsmonopole der Energieversor-gungsunternehmen abzielte, wird der Markt immer noch durch oligopolhafte Strukturen geprägt. Nachdem alle mühevollen Gesetzesänderungen und Regulierungsmaßnahmen wenig gefruchtet haben, möchte die EU-Kommission jetzt mit einer großen Keule den Wettbewerb erzwingen – der Keule der zwangsweisen Entflechtung der Energieerzeugung von der Energieverteilung. Auf den ersten Blick mag dieser Vorstoß einleuchtend erscheinen, doch bei näherem Hinsehen ergeben sich fundamentale Zweifel an der Wirksamkeit und Angemessenheit der vorgeschlagenen Maßnahmen.

Als Voraussetzung für funktionsfähigen Wettbewerb hält die EU-Kommission die Existenz mehrerer voneinander unabhängiger Unternehmen sowohl bei der Erzeugung als auch bei der Verteilung von Strom für notwendig. In Deutschland wird die Stromerzeugung stattdessen von vier großen Konzernen bestimmt (E.ON, RWE, Vattenfall, EnBW), die in verschiedenen Regionen Deutschlands quasi als Alleinanbieter auftreten. Daneben gibt es eine Vielzahl kleinerer Anbieter, die oftmals aus ehemaligen kommunalen Versorgern hervorgegangen sind, doch für den Wettbewerb im Strommarkt spielen sie keine prägende Rolle. Seitdem die EnBW ihre Strategie, mit gelb gefärbtem Strom den Hecht im Karpfenteich der anderen Konzerne zu spielen, weitgehend aufgegeben hat, herrscht im deutschen Strommarkt die Ruhe des engen Oligopols.

Dieses Oligopol der Energieerzeuger verfügt zudem über große Teile des Stromnetzes, das die Grundlage darstellt für die regionalen Marktabgrenzungen zwischen den verschiedenen Anbietern. Zwar ist es seit April 1998 schrittweise ermöglicht worden, auch über die Übertragungs- und Verteilernetze der Konkurrenten Strom an die Endkunden zu liefern. Doch dafür sind die Anbieter auf die Durchleitung des von ihnen gelieferten Stroms durch fremde Netze angewiesen. Diese Durchleitung kann durch prohibitiv hohe Durchleitungsentgelte oder durch technische Schikanen der Netzbetreiber stark behindert werden. Die EU-Kommission bemängelt, dass dadurch nicht nur der Wettbewerb zwischen den etablierten Stromanbietern behindert wird, sondern auch potentielle Konkurrenten aus dem In- und Ausland vom Markt ferngehalten werden.

Eigentlich ist es Aufgabe der Bundesnetzagentur, derartige Wettbewerbsbehinderungen zu unterbinden. Aber die EU-Kommission – und nicht nur sie – hat den Eindruck, dass die Regulierung nicht wirksam genug war, um hinreichende Voraussetzungen für funktionsfähigen Wettbewerb zu schaffen. Deshalb schlägt sie vor, die Stromerzeuger und die Netzbetreiber zwangsweise zu entflechten. Falls solch eine Enteignung am Widerstand der Mitgliedstaaten scheitern sollte, schlägt sie ersatzweise vor, das Eigentum an den Netzen bei den Stromerzeugern zu belassen, aber ihren Betrieb einem unabhängigen Treuhänder zu übertragen. Ob die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen den Wettbewerb tatsächlich fördern würden, ist allerdings keineswegs sicher.

Fragt man einen Industrieökonomen, was schlimmer sei als ein Monopol, so lautet die Antwort: zwei Monopole. Zur Erläuterung kann folgendes Gedankenexperiment dienen. Ein vor- und ein nachgelagerter Markt seien von jeweils einem Unternehmen beherrscht. Das Unternehmen aus dem vorgelagerten Markt erhebt für die von ihm gelieferten Vorleistungen Monopolpreise. Das Untenehmen im nachgelagerten Markt stellt für die von ihm gelieferten Endprodukte ebenfalls eine Monopolpreiskalkulation an, in die die Vorleistungen zu Monopolpreisen eingehen. Wenn nun die beiden Monopolisten fusionieren, dann werden bei der Preiskalkulation für die Endprodukte die Vorleistungen zu ihren tatsächlichen Knappheitspreisen berücksichtigt. Im Vergleich zur Situation zuvor werden deshalb die Endproduktpreise sinken, und die Absatzmengen und die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt werden steigen. Dies ist das aus der Industrieökonomik wohlbekannte Problem der Monopolketten bzw. der doppelten Marginalisierung.

Das Gedankenexperiment ist natürlich insofern unrealistisch, als es von der staatlichen Regulierung der Energiemärkte abstrahiert. Doch so wird klar, dass die Wettbewerbsverhältnisse im Energiemarkt nicht von den Eigentumsverhältnissen bei Kraftwerken und Stromnetzen abhängen, sondern von deren Regulierung. Bei der Frage, ob die aus Brüssel vorgeschlagene Entflechtung zu mehr Wettbewerb führen würde, geht es also im Kern um die Frage, ob entflochtene Netze leichter reguliert werden können als integrierte Netze.

Besser kontrollierbar würde sicherlich die Kostenkalkulation der Netzbetreiber. Zwar sind die Energieversorger schon seit dem Jahre 2006 zu einer Entflechtung ihrer internen Rechnungslegung verpflichtet. Darüber hinaus werden die Unternehmen in Kürze gezwungen sein, ihre Übertragungsnetzbetreiber als rechtlich selbständiges Unternehmen zu organisieren (legal unbundling). Dennoch wären bei einer vollständigen eigentumsrechtlichen Entflechtung (ownership unbundling) die Möglichkeiten zu Quersubventionierungen zwischen Kraftwerks- und Netzbetrieb sowie zur verzerrten Zurechnungen von Gemeinkosten deutlich geringer. Dadurch hätte die Bundesnetzagentur erheblich bessere Möglichkeiten, die Durchleitungspreise regulatorisch auf die Grenzkosten (incl. „fairer Rendite“) herunter zu drücken, wodurch die statische Effizienz im gesamten Energiebereich aller Voraussicht nach erhöht würde.

Völlig ungeklärt ist dagegen, wie in einem solchen Regime die dynamische Effizienz sichergestellt werden soll, d.h. nach welchen Kriterien über Art und Umfang von Investitionen in neue Infrastruktur entschieden werden soll. Bei integrierten Netzen werden diese Entscheidungen von den Kraftwerksbetreibern getroffen, und es ist natürlich keineswegs sicher, dass deren Entscheidungen volkswirtschaftlich effizient sind. Doch zumindest dürfte die betriebswirtschaftliche Effizienz gewährleistet sein. Bei entflochtenen Netzen mit regulatorischen Auflagen zum Netzausbau dagegen wäre nicht einmal dies sichergestellt. Alternativ könnte die Bundesnetzagentur die Investitionsentscheidungen auch vollständig den unabhängigen Netzbetreibern überlassen. Doch dann träte wiederum das oben geschilderte Problem der doppelten Marginalisierung auf, d.h. die Netzbetreiber würden die Netzkapazitäten künstlich verknappen, um eine möglichst hohe Rendite aus der Durchleitung zu erzielen.

Angesichts der unsicheren Wettbewerbswirkungen erscheint es als kaum vertretbar, derart massiv wie mit einer Entflechtung in die Eigentumsrechte der Energiekonzerne einzugreifen. Auch die von der EU-Kommission ersatzweise vorgeschlagene Bewirtschaftung der Stromnetze durch einen unabhängigen Treuhänder schneidet in dieser Hinsicht nicht viel besser ab. Denn auch er müsste regulatorisch überwacht werden, damit er sich nicht als Monopolist gebärdet. Und bei ihm wären die Entscheidungen zum Netzausbau endgültig kaum noch von einem planwirtschaftlichen System zu unterscheiden. Schließlich würde die zwangsweise Übertragung der Verfügungsrechte über alle Netze an einen einzigen Treuhänder völlig ausschließen, dass sich zwischen den verschiedenen Netzen vielleicht doch noch ein Wettbewerb entwickeln könnte. Wenn der Weg in das Treuhändermodell erst einmal beschritten wird, ist der Weg zu funktionsfähigem Wettbewerb zwischen den Netzen wohl für alle Zukunft verbaut.

Wer mehr Wettbewerb im Energiebereich will – und dafür gibt es gute Gründe –, der kommt an einer Optimierung der Regulierung nicht vorbei. Die jüngsten Vorschläge aus Brüssel sind wenig geeignet, diese Optimierung voranzutreiben.

Henning Klodt

3 Antworten auf „Mehr Wettbewerb durch Entflechtung der Energiekonzerne?“

  1. Wir wissen also nun, was Herr Klodt nicht will (keine Entflechtung, aber auch keine Beibehaltung der Situation, wegen der Monopolrente), aber was will Herr Klodt konkret? Er spricht nebulös vo einer „Optimierung der Regulierung“. Es wäre schon interessant zu wissen, wie er sich diese genau vorstellt.

  2. Das Thema des Wettbewerbs im Strohmmarkt wird m.E. in der Öffentlichkeit recht unaufrichtig diskutiert. Tatsache ist doch, dass die Energiekonzerne heute tatsächlich in einem viel härteren Wettbewerb stehen, als früher. (Wie kommt der Autor eigentlich darauf, dass Yello nicht mehr aktiv wäre? Im Gegenteil, inzwischen sind ja noch neue Billiganbieter wie „E“ hinzugekommen.) Es wurden daher grosse Anstrengungen unternommen, die Erzeugerpreise zu senken (es kann ja nicht wegdiskutiert werden, dass auch die Kosten der Energieträger ständig ansteigen).
    Gleichzeitig langt jedoch Vater Staat mit beiden Händen bei den Energiepreisen zu. Wenn die Gier des Staates etwas gezügelt wäre, wären die Strompreise Deutschlands im europäischen Vergleich sehr niedrig.
    Wann diskutiert die Öffentlichkeit also endlich mal über den Skandal staatlicher Selbstbedienung im Energiemarkt – statt über immer nur weitere Regulierungen und Entstellungen dieses Marktes?

    http://www.eon-special.com/special/graphics/131_staatsanteil.gif

  3. „Tatsache ist doch, dass die Energiekonzerne heute tatsächlich in einem viel härteren Wettbewerb stehen, als früher.“ -> wie kommt der Christian eigentlich darauf? Deutschland ist aufgeteilt in Anbietersektoren, Meldungen nach sollen Preisabsprachen und Manipulationen an der Strombörse stattfinden und die kleinen „Wettbewerber“ haben eine Nieschenfunktion, fast wie eine Alibifunktion der freien Marktwirtschaft.
    Rechnen Sie, Christian, doch mal selber aus, wie in Ihrem Gebiet bei z.B. 3500 kWh/a die Anbietersituation aussieht ( der Fairness halber sollten Sie die erstjährigen Sondervergünstigungen rauslassen). Da sind 5-10% drin, Ende.

    Ihre „Billiganbieter“, ein Traumgebäude, das die Politiker gern vor sich hertragen, weil sie selber die Nutznießer sind!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert