Die FDP marginalisiert sich

Zur Zeit steht es mit dem politisch organisierten Liberalismus in Deutschland nicht zum Besten. Die Umfragen sagen es: Die FDP krebst momentan zwischen zwei und vier Prozent herum, allzu wenig, um wenigstens wieder in die Parlamente zu kommen, geschweige denn als Koalitionspartner auch zukünftig gefragt zu sein. Im Bund scheint eine kompaßlose CDU einer orientierungslosen FDP die Atemluft fast widerstandslos zu verdünnen. Und dies wohl mit Kalkül, denn der nächste Koalitionspartner der CDU, wenn sie ihn denn auf ihrem Wege der sichtbar inhaltsoffenen links-grün gefärbten Beliebigkeit auswählen könnte, heißt wohl nicht wieder FDP: Aus dem ersehnten Traumpartner ist offenbar ein anhänglich-lästiger Quälgeist geworden.

Aber Geister, wenn sie der politisch korrekten Politikrichtung widerstehen, sind oft genug der paradigmatische Hecht im politischen Karpfenteich. Denn politische Korrektheit ist die Inkarnation der Freiheitsberaubung, der Freiheitsbeschneidung des Denkens und des politischen Handelns. Verordnete politische Korrektheit ist die Sache der Mächtigen und Paternalisten, die den Widerspruch, den Kontrapunkt, den Ideenwettbewerb fürchten wie der Teufel das Weihwasser. Freiwillig akzeptierte politische Korrektheit ist die Heimat der Ängstlichen, der Ideenlosen und Ideologen, der karrieresüchtigen Anpasser und Kopierer, aber nicht der freien Bürger und Staatsmänner, sondern der dienstbaren Untertanen und wiederwahlgierigen Politiker. Politische Korrektheit ist deshalb der Feind des Liberalen. So denkt eine durchaus identifizierbare Menge von Wahlbürgern, wenn auch sicher nicht die Majorität.

Und wo steht da die FDP? In einer Zeit, in der die großen politischen Parteien in Deutschland um „die Mitte“ buhlen, die den Medianwähler als Mehrheitsbeschaffer für das politisch vermeintlich Korrekte im Blick haben will, fehlt ihr offensichtlich der Mut, davon sichtbar abzuweichen. Ihr politisches Produktportfolio erscheint als kaum unterscheidbares Anhängsel ihres größeren Koalitionspartners. Und selbst wenn einzelne politische Produkte der FDP sich inhaltlich tatsächlich von denen der CDU absetzen, bemerkt es die Öffentlichkeit kaum – vor allem wohl deshalb nicht, weil die Liberalen den Koalitionskontrapunkt nicht genügend wagen, wohl aus Angst vor der eigenen Courage, den vermeintlichen Medianwähler der sogenannten politischen Mitte und somit die gegenwärtige Duldung als Koalitionspartner oder gar die erneute Wahl zum Koalitionspartner zu verlieren. Oder weil sie das parteipolitische Marketinghandwerk für das öffentliche Politikangebot an ihre potentiellen Wähler nicht genügend effektiv beherrschen.

Das Liberale hat in Deutschland traditionell einen nur begrenzten Resonanzboden. Wahlarithmetisch bewegt er sich längerfristig im Korridor wohl zwischen sechs bis neun Prozent. Alles Andere darüber hat etwas mit temporärem Wahl-Overshooting zu tun. Der Medianwähler als Mehrheitsbeschaffer ist für eine liberale Partei in Deutschland mithin strategisch gar nicht relevant. Deshalb darf der kleinere Koalitionspartner FDP, um zu überleben, der medianwählerorientierten Politikrichtung des großen Partners CDU nicht bedingungslos folgen und auch nicht andere Parteien im grün-sozialen Terrain kopieren wollen.

Natürlich gelingt es der FDP mal, mehr als 14 Prozent zu erreichen, aber das war eben nur ein kurzfristiges Überschießen, welches damals zur Bundestagswahl bekanntlich vor allem dem Abdriften der CDU-Programmatik aus der Akzeptanz von Teilen ihrer durchaus liberal orientierten Stammwählerschaft geschuldet war, die die damalige Oppositionspartei FDP mit nachvollziehbarer Berechtigung als liberales Auffangbecken betrachtete. Da hat die liberale Oppositionspartei programmatisch offensichtlich alles richtig gemacht. Der gegenwärtigen Koalitionspartei FDP ist diese Funktion als liberale Fluchtburg für gewöhnlich konkurrierende Parteigänger, aber auch als verläßliche Heimat für traditionell liberal Wählende aufgrund mittlerweile eigener programmatischer Kompaßlosigkeit gründlich abhanden gekommen. Auch wenn klar ist, daß Oppositionsprogrammatik und Regierungshandeln in Koalitionskompromissen keine hundertprozentigen Schnittmengen sein können, sollte die programmatische Positionierung der FDP nicht in einem Ausmaß unkenntlich werden, daß ihr liberales Etikett mit der Lupe gesucht werden muß. Daß dies nun der Fall ist, zeigen die gegenwärtigen Umfragen unzweideutig.

Um wieder in den Korridor ihres traditionellen Resonanzbodens  von sechs bis neun Prozent (mehr können und werden es ja gar nicht sein!) einzumünden, müßten die Liberalen den Mut zum signifikanten Koalitionskontrapunkt für öffentlichkeitswirksam wichtige politische Produkte demonstrieren, die nicht auf die politische Korrektheit der Majorität bei Wahrung des Koalitionsfriedens, sondern auf die Wiedergewinnung von sechs bis neun Prozent des Wählerpotentials abzielen. Was das inhaltlich heißt?

Zunächst einmal gilt es, die liberalen Defizite in der gegenwärtigen Koalitionsprogrammatik zu identifizieren, von denen hier nur vier exemplarisch genannt werden sollen: Beschäftigungspolitik, Sozialpolitik, Energiepolitik, Europapolitik. In all diesen Bereichen werden liberale Grundpositionen in der Regierungspolitik zunehmend verschüttet: Der staatlich-konstruktivistische Politikapproach dominiert immer stärker und verdrängt, der mehrheitssuchenden politischen Korrektheit entsprechend, marktwirtschaftliche Gegenpositionen. Und die FDP, so nimmt man es jedenfalls wahr, mischt dabei kräftig mit, oft genug runzelt sie allenfalls die Stirn und guckt einflußlos ganz böse auf den Koalitionspartner.

In der Beschäftigungspolitik gilt es, den Resonanzboden von sechs bis neun Prozent der Wähler vor allem in der neuerlichen Mindestlohndebatte pointiert durch Aufklärung zum Schwingen zu bringen: Mindestlöhne sind entweder ineffektiv und also überflüssig, wenn sie zu niedrig bzw. produktivitätsorientiert fixiert sind, oder sie sind arbeitsplatzvernichtend und schattenwirtschaftsfördernd, wenn sie oberhalb der Produktivitätsorientierung liegen. Sachliche Aufklärung muß das Bollwerk der Liberalen gegen die populistische Forderung sein, jedermann müsse doch einen Lohn bekommen, von dem er und seine Familie leben könnten. Der hier relevante Unterschied zwischen Leistungslohn und Soziallohn und die Tatsache, daß kein Unternehmen dauerhaft Soziallöhne zahlen kann und wird, die über den Leistungslöhnen liegen, sollte als mutiges Herausstellungsmerkmal für liberale Beschäftigungspolitik dem anzupeilenden Sechs-bis-neun-Prozent-Wähler-Resonanzboden leicht vermittelbar sein.

In der Sozialpolitik bedeutet liberal, das politisch korrekte Gutmenschentum nicht mit guter Politik von Menschen zu verwechseln. Gutmenschenpolitik fokussiert das Soziale primär auf Umverteilung, Gutpolitik von Menschen baut auf effiziente institutionelle Anreize zur Stimulierung individueller  Leistung. In diesem Sinne ist Marktwirtschaft für sich bereits sozial. Und was ist mit der „Sozialen Gerechtigkeit“, deren Fehlen, nicht nur in den Talkshows, allenthalben beklagt wird und deren Realisierung offenbar nie gelingt? Man kann sie in ihrer normativen Unbestimmtheit, wie Hayek, als Wieselwort des politischen Marketings bezeichnen. Aber wenn man sie im politischen Handeln doch ernst nimmt, dann ist Umverteilung zwar auch ein relevanter, aber keineswegs dominierender Teil liberaler Sozialpolitik, weil sie prinzipiell ein anreizineffizientes Institut darstellt. Ist es tatsächlich allzu mutig, wenn die Regierungsliberalen wenigstens für eine Sechs-bis-neun- Prozent-Wählerschaft gegen den politisch korrekten Gutmenschenstrom die Umverteilung gegenüber der Eigenleistung öffentlich abwerten und darauf hinweisen, daß das „Soziale“ in seiner umverteilenden Übertreibung eine Marktwirtschaft lähmt und ruinieren kann?

In der Energiepolitik stellen sich die Liberalen, nach der Energiewende, als treue Anhänger einer CDU-Blitzaktion wahlstrategisch geplanter Umsteuerung dar, deren rationale Basis in der Ausnutzung der emotionalen Überhitzung der Mehrheitswahlbürger durch den japanischen Atomunfall lag. Diese Energiewende wird allerdings, das zeigen die Umfragen, von rund 70 Prozent der Wahlbevölkerung befürwortet, 30 Prozent sind dagegen oder indifferent. Für medianwähler- und ideologieorientierte Parteien ist das ein gefundenes Fressen. Ist das der Grund, weshalb auch die Liberalen gegenüber dem Sechs-bis-neun-Prozent-Wählerpotential, das gewiß eine beachtliche Schnittmenge mit den 30 Prozent Nicht-Befürwortern besitzt, nicht mutig genug sind, deutlich auszusprechen, welche gewaltigen Energieversorgungskonsequenzen eine solche politisch-hastige Blitzaktion generiert, die zudem das Zukunftsvertrauen in die Verläßlichkeit staatlichen Handelns grundlegend erschüttert?  Und das atomtechnische Know-how, das Forschungspotential sowie den technischen Fortschritt in der Atomnutzung als Standortfaktor aus dem Lande vertreibt, um sie anderswo in der Welt zu etablieren? Unabhängig vom Für und Wider in der Debatte um die Nutzung der Kernenergie, die von Ideologien, Emotionen und Interessen alles Andere als frei ist, sollte sich die Programmatik der Liberalen öffentlich und nicht timide zu mehr Ratio in der Energiepolitik bekennen, die Emotion und Ideologie in den Hintergrund drängt.

In der Europapolitik positioniert sich die FDP nicht einheitlich. Es gibt den innerparteilichen Streit zwischen dem Bundesvorstand als treuem Anhängsel der von der Kanzlerin vorgegebenen Linie der Rettungsschirmphilosophie für den Euro in vielfältigen und sich hastig ändernden Varianten einerseits und der dieser Rettungsrichtung entgegengesetzten Gruppe um den Abgeordneten Schäffler andererseits. Wie immer der Streit in der Mitgliederbefragung ausgeht, er ehrt die liberale Partei, weil ein solcher innerparteilicher Diskurs liberalem Selbstverständnis zutiefst entspricht, obwohl er offensichtlich vom Bundesvorstand mit keiner Sympathie begleitet wird. In diesem Streit geht es, komprimiert gesagt, darum, ob die deutsche Europapolitik einer der Rettungsschirmphilosophie inhärenten Vergemeinschaftung von Staatsschulden in der Euro-Zone zustimmt und zudem der EZB die Finanzierung von Staatsschulden erlaubt oder sogar zuweist. Dahinter steht die grundlegende Frage, ob das die Schuldeneigenverantwortung und Haftung der Staaten einfordernde Beistandsverbot des Maastricht- und nunmehr Lissabon-Vertrags (Art. 125) über die Schuldenvergemeinschaftung von einer Haftungsgemeinschaft abgelöst werden soll. Es geht zudem um eine immer stärkere Transformation der Euro-Zone und der EU in einen durch zentralisierte Institutionen („Wirtschaftsregierung“) aktiv gesteuerten Integrationsraum.

Schuldenvergemeinschaftung und Haftungsunion stehen einem liberalen Programm, als deren zentrales Markenzeichen traditionell die Eigenverantwortung und also die Eigenhaftung gilt, diametral entgegen. Dasselbe gilt für die Funktion einer Zentralbank, die im Politikprogramm, das man liberal nennen kann, mit mehr als guten Gründen keine Verwischung zwischen Geld- und Fiskalpolitik erlaubt. Schließlich ist der Trend zur zunehmenden institutionellen Zentralisierung innerhalb der EU alles Andere als liberal, weil es dem Grundprinzip der dezentralen Subsidiarität widerspricht, einem fundamental liberalen Prinzip, das ja seit Maastricht auch EU-vertraglich kodifiziert worden ist.

Deshalb wird es hohe Zeit, daß sich die FDP europapolitisch besinnt und nicht in falscher Koalitionstreue oder aus Furcht, als europafeindlich zu gelten, alle liberalen Grundpositionen aufgibt. Die besseren Europäer sind nicht die Rettungsschirmeuropäer, es sind die Eigenverantwortungseuropäer. Da die Rettungsschirmpolitik nach allen Umfragen in Deutschland nicht mehrheitsfähig ist, müßte es für die FDP hier ein Leichtes sein, mindestens ihren Sechs-bis-neun-Prozent-Resonanzboden in eine Schwingung zu versetzen, die von der (europa)politischen Korrektheit aller anderen Parteien im Bundestag abweicht. Denn die gegenwärtige Rettungsschirmphilosophie, die Deutschland bereits heute mit einer Haftungssumme von rund 560(!) Milliarden Euro belegt, wird die Euro-Zone nicht „retten“, sondern sie in die Erosion treiben. Die verantwortlichen Regierungsliberalen, die diesen Weg aktiv befürworten und mitgehen, müßten dann heute schon oder müssen bald den Wahlbürgern Rechenschaft darüber ablegen, in welcher Weise die auf den Bundeshaushalt und also auf die Steuerzahler der Gegenwart und Zukunft zukommenden Belastungen verarbeitet werden sollen und welche politische Eigenverantwortung sie als Liberale dafür tragen, daß all dies so gekommen ist.

Die FDP marginalisiert sich zunehmend, wenn ihr im Regierungshandeln ihre traditionelle Programmatik abhanden kommt. Manche sagen, sie sei dann überflüssig.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Eine Antwort auf „Die FDP marginalisiert sich“

  1. Wenn die FDP eine Programmpartei wäre, lägen Sie mit Ihrer Kritik richtig.

    Versteht man die FDP aber als das, was sie wirklich ist: Eine Interessenvertretung der Ärzte und Apotheker, und im übrigen eine Partei, die ihre weitere Klientel aus Handwerker, Freiberuflern und kleinen Unternehmern mit Worthülsen bedient, mit ihren Taten aber (aus welchen Gründen auch immer) die Interessen der Großindustrie und der Finanzwirtschaft bedient, dann versteht man auch, warum die Parteiführung die Chance einer Rettung der Partei durch konsequente europolitische Ehrlichkeit verspielt.

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