Es kann nicht immer nur um Europas Staatsschuldenkrise gehen, man muß sich zur Abwechslung auch einmal erfreulicheren Themen zuwenden. Herzinfarkten zum Beispiel. Oder genauer gesagt: steigenden Überlebensraten von Patienten, die einen Herzinfarkt erlitten haben.
Diese scheinbar doch sehr speziellen Überlebensraten dienen nur als Stellvertreter. Sie werden in der Literatur häufig als Qualitätsindikator für die Gesundheitsversorgung insgesamt eingesetzt. Der Grund dafür ist, daß es sich hier um ein relativ manipulationsresistentes Krankheitsbild handelt: Patienten kommen als Notfälle und müssen versorgt werden. Bei vielen anderen Krankheiten könnten Überlebensraten manipuliert werden, etwa indem besonders problematische Fälle abgelehnt und an andere Krankenhäuser verwiesen werden.
Eine kürzlich im Economic Journal erschienene Studie (*) von Zack Cooper und Koautoren liefert nun starke empirische Unterstützung für die These, daß Wettbewerb zwischen Krankenhäusern die Qualität der Versorgung von Patienten verbessert. Untersucht wird der britische National Health Service (NHS). Hierzu muß man wissen, daß – entgegen kontinentalen Vorurteilen über das angeblich sehr marktliberale Britannien – das britische Gesundheitswesen vom Staat dominiert wird. Jeder Einwohner Großbritanniens hat automatisch ein Anrecht auf kostenlose Gesundheitsversorgung im steuerfinanzierten NHS. Das System war außerdem über lange Zeit quasi-planwirtschaftlich organisiert. Die Patienten wurden beispielsweise an ein Krankenhaus überwiesen, das die stationäre Versorgung in einer Region jeweils als Monopolist leistete. Es gab daher lange keinerlei Wettbewerb der Krankenhäuser um Patienten.
Erst im Jahr 2006 erhielten die Patienten das Recht, frei das Krankenhaus zu wählen, in dem sie behandelt werden wollten. Die Krankenhäuser ihrerseits erhielten Fallpauschalen für jeden behandelten Patienten. Sind diese Pauschalen etwas höher als kostendeckend, so entsteht unmittelbar ein Anreiz für die Krankenhäuser, in einen Wettbewerb um Patienten einzutreten. Außerdem wurde seitens des NHS versucht, die Transparenz des Marktes zu erhöhen indem im Internet Informationen über Qualitätsindikatoren aller Krankenhäuser bereitgestellt wurden. Patienten können sich also zu Grenzkosten nahe Null mit Informationen versorgen.
Cooper und Koautoren können nun einerseits die Zeit vor dem Politikwechsel und die Zeit nach dem Politikwechsel vergleichen um herauszufinden, ob Wettbewerb einen Einfluß auf die Sterblichkeitsraten nach Herzinfarkten hat. Das reicht aber noch nicht. Schließlich könnte es in dieser Zeit auch medizinischen Fortschritt gegeben haben, der einen Einfluß auf die Überlebensrate gehabt hätte. Daher konstruieren sie eine Reihe unterschiedlicher Indizes für die Wettbewerbsintensität in einzelnen regionalen Märkten. Dies erlaubt es ihnen herauszufinden, ob auf eine landesweit einheitliche institutionelle Variation regional – je nach Wettbewerbsintensität – unterschiedlich reagiert wird. Die wichtigsten Resultate der Studie sind für alle diese verschiedenen Maße der Wettbewerbsintensität robust.
Wie sehen die Resultate nun aus? Es ist eindeutig, daß eine höhere Wettbewerbsintensität zwischen Krankenhäusern in einer Region mit einer geringeren Sterblichkeitsrate bei Herzinfarkten verbunden ist. Konkret sind landesweit etwa 300 Patienten pro Jahr weniger als Folge eines Herzinfarktes gestorben, als es ohne die Einführung von Wettbewerb in der stationären Versorgung der Fall gewesen wäre. Das klingt nach einer zwar erfreulichen, aber eher geringen Zahl. Man muß jedoch bedenken, daß es hier tatsächlich nur um Fälle von Herzinfarkten geht, deren Überlebensraten als Qualitätsindikator dienen. Es ist also zu erwarten, daß Patienten mit ganz anderen Krankheitsbildern ebenfalls von einer qualitativ besseren Versorgung profitiert haben.
Nun gibt es natürlich einen offensichtlichen Einwand: Herzinfarktpatienten werden sich selten im Notfall an den Computer setzen und NHS-Qualitätsindikatoren studieren, sie werden vielmehr einfach als Notfall ins nächste Krankenhaus eingeliefert. Gerade um Infarktpatienten wird es daher wohl keinen direkten Wettbewerb geben. Indirekt aber eben doch: Krankenhäuser wissen, daß Infarkt-Überlebensraten als Qualitätsindikator dienen und haben daher einen Anreiz, hier zu investieren auch um ganz anderen Patienten ein Qualitätssignal zu senden. Und es gibt vermutlich positive Externalitäten: Wenn für Patienten, die sich bewußt ihren Behandlungort aussuchen können die Qualität der Versorgung verbessert wird, dann profitieren auch Notfälle davon. Gerade dies läßt aber vermuten, daß für andere Krankheitsbilder die direkten positiven Effekte des Wettbewerbs auf die Behandlungsqualität wohl noch größer sind.
Eine Einschränkung muß man zum Schluß allerdings noch machen: So wie der Wettbewerb im NHS organisiert ist, handelt es sich um einen reinen Qualitätswettbewerb. Der Preis ist in Form von Fallpauschalen fixiert, echten Preiswettbewerb kann es nicht geben. Von Cooper und Koautoren zitierte Studien, die sich mit anderen gesundheitspolitischen Experimenten befassen, in denen auch Preiswettbewerb möglich war, deuten darauf hin, daß ein intensiver Preiswettbewerb zwischen Krankenhäusern eher negative Effekte auf die Behandlungsqualität hat. Man muß sich im Gesundheitswesen also genau überlegen, wie man den Wettbewerb organisiert und den Markt gestaltet. Die gelegentlich in politischen Diskussionen auch hierzulande gehörte Behauptung, daß Wettbewerb zwischen Krankenhäusern generell die Qualität der Versorgung beeinträchtige ist vor dem Hintergrund dieser Studie aber völlig unhaltbar.
(*) Zack Cooper, Stephen Gibbons, Simon Jones und Alistair McGuire. Does Hospital Competition Save Lives? Evidence from the English NHS Patient Choice Reforms, Economic Journal 121 (2011), S. F228-F260.
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