Gastbeitrag:
Ver.di und die Deutsche Post AG: Eine unheilige Allianz gegen den Wettbewerb

Die Tarifautonomie in Deutschland ist eine heilige Kuh. Und prinzipiell gibt es auch durchaus gute Argumente dafür, dass man eine kollektive Interessenvertretung auf Arbeitnehmerseite und Arbeitgeberseite zulässt. So lassen sich Transaktionskosten sparen und ggf. auch der soziale Frieden sichern. Vergessen wird in der Debatte um die Tarifautonomie aber manchmal, dass es nicht nur eine positive Koalitionsfreiheit gibt, d.h. das Recht eine Gewerkschaft oder einen Arbeitgeberverband zu gründen oder einer Gewerkschaft oder einem Arbeitgeberverband beizutreten und kollektive Verträge auszuhandeln. Darüber hinaus gibt es nämlich auch die sog. negative Koalitionsfreiheit, also das Recht von einzelnen oder auch Kollektiven, einem Tarifvertrag fernzubleiben. Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz schützt nämlich neben der Freiheit des Einzelnen, eine Vereinigung zur Wahrung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu gründen oder ihr beizutreten auch das Recht, einer solchen Vereinigung fernzubleiben oder sie zu verlassen.

Durch das Entsendegesetz und Allgemeinverbindlicherklärungen von Tarifverträgen wird diese negative Koalitionsfreiheit eingeschränkt. Es wird einzelnen und auch Kollektiven verwehrt, von Tarifverträgen „nach unten“ abzuweichen. Das Bundesverfassungsgericht hat am 18.7.2000 entschieden, dass durch Erstreckung von Regelungen des Mindestlohn-Tarifvertrags auf Arbeitgeber, die keiner den Tarifvertrag abschließenden Partei angehören, diese negative Koalitionsfreiheit nicht verletzt wird. Die Rechtsprechung zum sog. Günstigkeitsprinzip verbietet zudem, zur Absicherung des eigenen Arbeitsplatzes einen geringeren Lohn zu akzeptieren. Diese Maßnahmen haben dazu beigetragen, die Marktmacht der DGB-Gewerkschaften auf dem Markt für die Vertretung von Arbeitnehmerinteressen zu zementieren und den Marktzutritt alternativer Gewerkschaften erheblich zu behindern. Die etablierten Gewerkschaften verhalten sich hier nicht anders als die ehemaligen Monopolisten Bahn, Telekom und Post.

Mit einem dieser Monopolisten, der Deutschen Post AG, hat ver.di jetzt eine Allianz zur Verhinderung von Wettbewerb geschmiedet. Auf dem Arbeitsmarkt soll die Konkurrenz für ver.di im Bereich der Postbeschäftigten verhindert werden, auf dem Postmarkt soll die Konkurrenz der Deutschen Post AG abgewürgt. Dieser Vertrag zu Lasten dritter hat allein das Ziel, Wettbewerb auszuschalten, der Missbrauch des Arbeitsrechts hat hier eine neue Qualität erreicht. Erneut stellen sich die beiden Frage, (a) ab wann die negative Koalitionsfreiheit als schützenswert angesehen wird und (b) ob es überhaupt irgendeine Grenze des Schutzes bestehender Koalitionen gibt, selbst wenn die Interessen von Verbrauchern und Wettbewerbern so massiv beeinträchtigt werden.

In den USA hat der oberste Gerichtshof diese Frage bereits vor über 40 Jahren beantwortet und geurteilt, dass die Ausnahme der Tarifautonomie vom allgemeinen Wettbewerbsrecht nicht völlig unbegrenzt ist. Es gibt zumindest in den USA eine Grenze, und zwar genau dort, wo eine Gewerkschaft mit einem Teil der Arbeitgeberschaft Verträge zu Lasten dritter Unternehmen schließt, um diese im Wettbewerb zu behindern, z.B. durch das Festlegen allgemein verbindlicher Mindestlöhne. Im konkret vor dem Supreme Court verhandelten Fall, United Mine Workers vs. Pennington, war die amerikanische Gewerkschaft der United Mine Workers im Jahr 1950 mit den großen amerikanischen Kohleproduzenten übereingekommen, von allen Unternehmen denselben Mindestlohn zu verlangen, um die kleinen, weniger produktiven Unternehmen – so wie das von James M. Pennington – aus dem Markt zu drängen.

Dieser so genannte Pennington-Fall ist von Oliver Williamson 1968 im Quarterly Journal of Economics ausführlich analysiert worden. Wie Williamson zeigt, können Mindestlöhne als effektive Markteintrittsbarriere genutzt werden, sofern sich die betroffenen Unternehmen in ihrer Produktivität hinreichend unterscheiden. Die produktiven Unternehmen sind dann bereit, höhere Löhne zu zahlen, um den Wettbewerb auf den Produktmärkten auszubremsen. Während produktive Unternehmen auch bei hohen Löhnen profitabel arbeiten können, gilt dies nicht für weniger produktive Unternehmen. Weniger produktiv sind typischerweise Marktneulinge. Uwe Pauly, Christian Wey und ich haben 2001 in einem Aufsatz im International Review of Law and Economics die deutsche Allgemeinverbindlicherklärung ähnlich analysiert.

Die Parallelen zum momentan zu beobachtenden Verhalten der Deutschen Post AG und von ver.di sind offensichtlich. Um die Konkurrenz auf den zukünftig liberalisierten Postmärkten zu schwächen, werden den Wettbewerbern Steine in Form hoher Mindestlöhne in den Weg gelegt. Dass die neuen Wettbewerber zunächst weniger produktiv sind als die Deutsche Post AG liegt auf der Hand. Ganz plastisch: Während die Briefträger der Deutschen Post AG und der Konkurrenz nahezu denselben Weg zurücklegen, kann der Briefträger der Deutschen Post AG in jeden Briefkasten eines Hochhauses mehrere Briefe einwerfen. Die Briefträger der Konkurrenten hingegen werfen zunächst nur in sehr wenige Briefkästen dieses Hochhauses überhaupt einen Brief ein. Der Mindestlohn führt dazu, dass der Lohnkostenanteil pro Brief bei der Konkurrenz trotz der höheren Löhne der Deutschen Post AG wesentlich höher ist, die Liberalisierung der Postmärkte wird so im Keim erstickt.

Die Monopolgewinner sind zum einen die Angestellten der Deutschen Post AG und ihre Gewerkschaft ver.di, welche gerade bei der Deutschen Post AG einen sehr hohen Organisationsgrad aufweist. Zum anderen zählen die Aktionäre der Deutschen Post AG zu den Gewinnern, in starkem Maße also der Finanzminister, da die Deutschen Post AG noch immer überwiegend in Staatsbesitz ist. Verlierer sind vor allem die deutschen Verbraucher. Ihre Interessen werden nicht berücksichtigt.

Was die Wettbewerber der Deutschen Post AG betrifft, ist die Analyse diffiziler, da nicht alle Wettbewerber gleichermaßen auf der Verliererseite stehen. Im Gegenteil: Für die größeren Wettbewerber ist ein gewisser Mindestlohn sogar vorteilhaft. Da die großen Wettbewerber schon eine gewisse Produktivität erreicht haben, ist ein gewisser Mindestlohn für sie tragbar. Wirklich Leidtragende sind neben den Verbrauchern die kleinen und mittleren Konkurrenten, die die geringste Produktivität aufweisen. Sie können sich den Mindestlohn nicht leisten und werden aus dem Markt ausscheiden. Bei einem gemäßigten Mindestlohn wird ein Oligopol aus der Deutschen Post AG und wenigen größeren Konkurrenten bleiben, die durch den Mindestlohn vor weiterem Markteintritt geschützt werden.

Insofern kann die antikompetitive Wirkung eines Mindestlohns auf dem Postmarkt auch nicht dadurch geheilt werden, dass ein Mindestlohntarifvertrag unter Mitwirkung der großen Wettbewerber ausgehandelt wird, wie zum Teil gefordert wird. Auch wenn das daraus resultierende Oligopol besser ist als ein Monopol, so wird dadurch der Wettbewerb doch eingeschränkt.

Tarifverträge können durch den Bundesminister für Arbeit nur dann als allgemein verbindlich erklärt werden, sofern dies im öffentlichen Interesse geboten erscheint. Was das öffentliche Interesse sein soll, ist nicht näher definiert. Nötig ist lediglich das Einvernehmen der organisierten Arbeitnehmer- und Arbeitgeberschaft, so dass die Interessen der davon betroffenen Verbraucher ebenso wie die kleinerer Unternehmen sowie zukünftiger Wettbewerber zunächst unberücksichtigt bleiben. Hier liegt ein klassischer Fall von Staatsversagen vor, der durch die mangelnde Repräsentanz bestimmter Gruppen hervorgerufen wird.

Um die Möglichkeit eines antikompetitiven und verbraucherfeindlichen Missbrauchs von Mindestlöhnen zu unterbinden, sollte nicht nur das Einvernehmen von DGB und Arbeitgeberverband eingeholt werden, sondern ebenso das des Bundeskartellamts. Zumindest sollte dem Bundeskartellamt ein Anhörungsrecht eingeräumt werden, bevor ein Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt werden kann, sei es durch eine Allgemeinverbindlicherklärung oder durch eine andere rechtliche Konstruktion wie z.B. das Entsendegesetz. Gerade in Zeiten, in denen sich die Wettbewerbspolitik immer stärker an den Auswirkungen auf die Verbraucher ausrichtet, könnte das Bundeskartellamt als Hüter des Wettbewerbs dafür mit Sorge tragen, dass eine Allgemeinverbindlicherklärung nicht missbraucht wird, um den Wettbewerb auszubremsen, sondern wirklich im öffentlichen Interesse liegt, welches eben auch die berechtigten Anliegen von Wettbewerbern und Verbrauchern beinhalten sollte.

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