Cameron spricht aus, was schon lange stimmt: Die EU ist bestreitbar

In den Standorten der globalisierten Welt sind die institutionellen und konstitutionellen Arrangements international bestreitbar: Sie müssen sich im Wettbewerb um die mobilen Ressourcen weltweit bewähren. Mit anderen Worten: Sie müssen international wettbewerbsfähig sein. Der Test auf ihre Wettbewerbsfähigkeit gelingt am besten, wenn die Märkte offen sind. Denn nur bei offenem Marktzugang wird die dem Wettbewerb inhärente Effizienz wirksam, die zum Beispiel durch die bekanntlich von Hirschman präzisierten Verhaltensalternativen exit, voice und loyalty ausgelöst wird. Sie sind es, die in der realen Welt als beste Indikatoren aufzeigen, was die Bürger, die Unternehmer,  die Arbeitnehmer, die Manager, die Kapitaldisponenten, die Steuerzahler, die Künstler, Schauspieler und alle Anderen von den institutionellen und konstitutionellen Regeln halten, die die politischen Entscheider als verbindliche Rahmenbedingungen fixieren und für unumstößlich und zumeist für ewig gültig erklären, wie dies die Reaktionen der Europa-Politiker auf die EU-Rede des britischen Premierministers Cameron dokumentieren.

Cameron hat in seiner Rede alle drei Verhaltensalternativen in den Fokus genommen. Exit: Er droht mit dem potentiellen Austritt Großbritanniens aus der EU auf der Basis eines zukünftigen Referendums, falls die Fehlentwicklungen in der EU nicht korrigiert werden. Voice: Er erhebt seine Stimme zum Protest gegen die zunehmende Zentralisierung, Harmonisierung und Umverteilung in der EU, die dem traditionellen britischen Verständnis von freier Marktwirtschaft, freiem Handel, Eigenverantwortung und schlankem Staat entgegenlaufen. Loyalty: Er preist die Freiheiten des EU-Binnenmarktes, und indem er das tut, dokumentiert er zugleich Großbritanniens Loyalität zur EU, wenn diese die britische Antipathie gegenüber einem den Binnenmarkt überregulierenden politischen Überbau korrigierend aufnimmt und zum Beispiel die Renationalisierung von vielen EU-Kompetenzen zur Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips akzeptiert.

Mit dieser Rede hat Cameron der EU einen großen Dienst erwiesen, weil er ihre institutionellen Arrangements weltöffentlich und höchst vernehmlich für bestreitbar erklärte: EU-intern bestreitbar durch den Wettbewerb der divergierenden Finalitätsvorstellungen der Mitgliedsländer und der sie implizierenden konstitutionellen Infrastrukturen. Und von außerhalb der EU, also EU-extern, bestreitbar durch die divergierenden Wettbewerbsfähigkeiten der Länder dieser Welt, mit denen die EU sich messen lassen muß.

Man sollte hoffen, daß Cameron weitere Mitstreiter bekommt, die die angemaßte Selbstgewißheit in Bezug auf die Unbestreitbarkeit der offiziellen Europa-Politik öffentlich an den Pranger stellen. Zentral dabei ist die Einsicht, daß die zunehmende Harmonisierung und Zentralisierung von Politikfeldern im Verbund mit der expansiven Philosophie der Umverteilung und Haftungssozialisierung in der EU den institutionellen Wettbewerb im Integrationsraum Europa ausschaltet und damit das Institut der Bestreitbarkeit abschafft.

Das Ergebnis solcher Politik ist immer dasselbe: institutionelle Sklerose. Sie macht die EU nicht stärker, sondern schwächer, weil sklerotische Institutionen innerhalb der EU wohlstandsmindernd sind und nach außen dem internationalen dynamischen Institutionenwettbewerb (aus Asien, USA, Südamerika) dauerhaft nicht standhalten können. Je mehr der EU-interne Kritikwettbewerb politisch abgeblockt wird, desto schärfer wirken die Bestreitbarkeitsmechanismen, die von außerhalb auf die EU einwirken..

Die von Cameron geforderte Renationalisierung bestimmter EU-zentralisierter Politikbereiche schwimmt gegen den politisch korrekten Strom, der sich insbesondere in Deutschland als „Renaissance des doch hoffentlich überwundenen Nationalismus“ ausformt. Diese Sicht der Dinge verstellt den Blick auf das EU-vertraglich kodifizierte Prinzip der Subsidiarität, das im Kern dem nüchternen Prinzip der komparativen Wettbewerbsvorteile in Bezug auf Bürgernähe und Aktivitätskosten entspricht: Wenn in der EU eine Kommune, eine Region oder ein Land komparative Kostenvorteile in der Gestaltung spezieller Politikbereiche gegenüber der EU-Zentrale besitzt, ist eine Zurückübertragung von der Zentrale auf die jeweils wettbewerbsfähigste institutionelle Ebene sinnvoll. In diesem Sinne ist das Subsidiaritätsprinzip ein zentrales Institut der vertikalen institutionellen Bestreitbarkeit im Mehrebenensystem der EU und ist das glatte Gegenteil von einer rückschrittlichen Entwicklung der EU zu nationalstaatlichen Segmentierungen, die den europäischen Integrationsprozeß hemmen.

Oberflächliche Negativreaktionen auf die Cameron-Rede, wie sie in der EU-offiziellen politischen Klasse zu vernehmen sind, zeigen, daß sich entgegen dieser Erkenntnis die EU-Politikkartelle gegen innovative interne und externe Bestreitbarkeitsoffensiven dennoch zu festigen versuchen. Kurzfristig mag diese Strategie scheinbar erfolgreich sein, langfristig ist sie wegen ihrer hohen Opportunitätskosten der institutionellen Protektion zu teuer, um unter dem Druck des Institutionenwettbewerbs von außerhalb der EU Bestand zu haben. Es wird wohl bald mehr Camerons geben in der EU.

2 Antworten auf „Cameron spricht aus, was schon lange stimmt: Die EU ist bestreitbar“

  1. Wer ist eigentlich David Cameron ? Der hat bestimmt schon lange die Shorts auf den Euro ausgepackt. Schlingel, dieser … .

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert