Gastbeitrag
Sicherung des Fachkräftepotenzials: ein Thema auch für die Wirtschaft

Für den deutschen Arbeitsmarkt sehen längerfristig viele schwarz.[1] Es besteht die Sorge, dass infolge der Demografie, aber auch bedingt durch Versäumnisse der Bildungspolitik qualifizierte Arbeitskräfte zunehmend knapp werden. Die Bedenken sind umso größer, als der Fachkräftebedarf in einer auf höherwertige Güter und Dienste spezialisierten Wirtschaft im globalen Wettbewerb weiter steigen wird. Noch besteht aber die Möglichkeit gegenzusteuern. Dazu bedarf es erheblicher Anstrengungen von Bürgern, Staat und Wirtschaft.

Verbände und Institutionen der Wirtschaft klagen seit geraumer Zeit über erhebliche Engpässe bei der Fachkräfteversorgung. Im Fokus stehen dabei meist technische Berufe bzw. MINT-Berufe (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik bzw. Ingenieurbereiche). So errechnete das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) für den Herbst 2012 eine MINT-Fachkräftelücke von 120.000 Personen.[2] Besonders groß sind die Engpässe demnach im Bereich der Ingenieurberufe Maschinen- und Fahrzeugtechnik. Der Mangel an Fachkräften betrifft Umfragen des DIHT zufolge nicht nur Akademiker. Vielmehr melden Unternehmen für eine breite Palette gewerblich-technischer Berufe und bekanntermaßen im Pflegebereich besondere Schwierigkeiten bei der Stellenbesetzung.

Sind dies nur Vorboten weit größerer Probleme in kommenden Jahren? Dafür spricht einiges. So dürfte der Bedarf an Fachkräften weiter steigen. Darauf deuten sowohl der intensive globale Wettbewerb hin, der angesichts weiter laufender Aufholprozesse in wichtigen Schwellenländern zu erwarten ist, als auch der anhaltende Strukturwandel hin zu arbeitsintensiveren Dienstleistungen etwa für Unternehmen oder in der Gesundheitswirtschaft. Zudem wirkt der demografische Wandel, der durch die seit vier Jahrzehnten anhaltend niedrige Geburtenrate und die steigende Lebenserwartung getrieben wird, nachhaltig auf den Arbeitsmarkt durch. Die verfügbaren Arbeitskräfte werden älter und ihre Zahl geht tendenziell zurück. Dieser Prozess wird durch das Altern der geburtenstarken Jahrgänge akzentuiert. Vor allem wenn die Babyboom-Generation ab Mitte des kommenden Jahrzehnts altersbedingt aus dem Arbeitsmarkt austritt, ist dort mit größeren Verwerfungen zu rechnen. Um bis zu 6,5 Millionen Personen bzw. rd. 15% könnte das Angebot an Arbeitskräften demografisch bedingt bis 2030 sinken.

Freilich hängt vieles davon ab, wie sich Erwerbsverhalten und Zuwanderung entwickeln. Ohne Aufwind von diesen Seiten droht der Arbeitsmarkt tatsächlich einzuknicken. Hingegen könnte der Markt noch längere Zeit relativ stabil bleiben, wenn hier vorhandene Potenziale genutzt werden. Das zeigt schon ein Blick zurück. Bereits in den vergangenen beiden Jahrzehnten nahm die Bevölkerung im Erwerbsalter von 15 bis 64 Jahren um insgesamt 2,1% ab. Gleichwohl stieg die Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte um 4,7%. Dahinter steht ein deutlicher Anstieg der Erwerbsbeteiligung von Älteren und von Frauen. So ist die Erwerbsquote der 55- bis 64-Jährigen von 37,6% im Jahr 2000 auf fast 60% 2011 gestiegen. In demselben Zeitraum nahm die Erwerbsquote der Frauen von 58,1% auf 67,6% zu.

Beschäftigungsquoten
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Deutschland bewegt sich damit inzwischen sowohl bei der Erwerbstätigkeit der Älteren als auch bei jener der Frauen deutlich über dem Durchschnitt der Industrieländer von 54,4% bzw. 56,7%. Gleichwohl besteht hier noch Luft nach oben. Wenn Deutschland bei der Erwerbsneigung der Älteren und der Frauen in den kommenden Jahren jeweils zu den hier besten Ländern aufschließen würde, könnte der Rückgang der Arbeitskräftezahl wesentlich gebremst werden. So liegen in Schweden und der Schweiz die entsprechenden Quoten für die Älteren noch um bis zu 10 Prozentpunkte und für die Frauen um bis zu 5 Prozentpunkte höher als in Deutschland. Zudem könnten längere (Jahres-)Arbeitszeiten drohender Arbeitskräfteknappheit entgegenwirken. Mit 1413 Stunden pro Jahr (2011) arbeiten die Beschäftigten in Deutschland im Durchschnitt alljährlich viele Stunden weniger als etwa in Schweden (1644), Großbritannien (1625) oder selbst Frankreich (1476). Darüber hinaus gilt es, der drohenden Fachkräftelücke durch eine Offensive zur Qualifikation und Arbeitsmarktintegration der zu vielen unzureichend qualifizierten und nicht adäquat beschäftigten jüngeren Menschen zu begegnen.

Während die demografisch bedingte zahlenmäßige Schrumpfung des Arbeitskräfteangebots zumindest deutlich begrenzt werden kann, lässt sich die Alterung der Arbeitskräfte u.a. wegen des großen Gewichts der älter werdenden Babyboom-Generation nicht aufhalten. Der Prozess des Alterns der Belegschaften ist bereits im Gang. Waren 1991 noch 56,5% aller Erwerbspersonen (Erwerbstätige und Arbeitslose) jünger als 40 Jahre so sind es derzeit nur noch rd. 42%. Spiegelbildlich dazu ist der Anteil der Erwerbspersonen im Alter von 40 und darüber auf rd. 58% gestiegen. Dabei herrscht bei den 55- bis 64-Jährigen seit geraumer Zeit besondere Dynamik. Der Anteil dieser Altersgruppe an allen Erwerbstätigen nahm um fast 4 Prozentpunkte auf 15,6% zu. Dies resultiert vor allem aus der gestiegenen Erwerbsbeteiligung.

Auf die Bürger im Erwerbsfähigkeitsalter dürften weiterhin erhebliche Anpassungserfordernisse zukommen. Themen wie lebenslanges Lernen, berufliche Flexibilität und räumliche Mobilität auch jenseits der Jugendjahre, stärkere Knappheitsorientierung von Löhnen und Gehältern zugunsten tendenziell höherer Entlohnung der Jüngeren sowie späterer Ausstieg aus dem Erwerbsleben werden seit geraumer Zeit debattiert. Manches bewegt sich bereits in Richtung der Erfordernisse, wie die steigenden Erwerbsquoten Älterer zeigen. Aber die entsprechenden Trends müssen weiter laufen, wenn die alternde Gesellschaft breiten Wohlstand sichern will.

Dazu bedarf es passender staatlicher Rahmenbedingungen. Hier zeigt sich ebenfalls ein gemischtes Bild. So spiegelt der Anstieg der Erwerbsquoten der über 55-Jährigen wesentlich auch den konsequenten Abbau von Begünstigungen des Vorruhestandes wider. Noch zu Beginn der letzten Dekade bot der Staat über die Arbeitslosen- und die Rentenversicherung verschiedene, großzügig geförderte Wege in den Vorruhestand. Inzwischen sind diese weitgehend geschlossen und ein vorzeitiger Bezug einer gesetzlichen Rente ist nur noch für kleiner werdende Beschäftigtenkreise und dies auch nur unter Inkaufnahme erheblicher Rentenabschläge möglich. Und die schrittweise Anhebung des gesetzlichen Rentenalters auf 67 Jahre erhöht das Kräfteangebot ebenfalls. Freilich werden die Rentenabschläge von 3,6% pro Jahr des vorzeitigen Ruhestands immer wieder als zu gering kritisiert. Im gegenwärtigen Umfeld extrem niedriger Zinsen dürfte diese Kritik jedoch fehlgehen.

Im Gegensatz dazu hat die Steuerpolitik in den letzten Jahren wenig getan, um die Arbeitsanreize zu stärken. Nach wie vor bleibt in Deutschland einem ledigen Durchschnittsverdiener nach Abzug von Steuern und Abgaben kaum die Hälfte dessen, was sein Arbeitgeber an Arbeitskosten aufwenden muss. Je mehr die Nettoentgelte durch Steuern und Abgaben mit Steuercharakter nach unten gedrückt werden, desto mehr gewinnt aber für Ältere der Vorruhestand an Attraktivität. Die überfällige Anpassung der Lohn- und Einkommensteuer (Stichwort Korrektur der „kalten Progression“) sollte schon deswegen nicht weiter auf die lange Bank geschoben werden.

Entsprechende Steuerpolitik gehört zum Pflichtprogramm des Staates. Um die Erwerbsbeteiligung insbesondere der Frauen weiter zu fördern, wären es u.a. aber auch hilfreich die Infrastruktur an Betreuungseinrichtungen und Ganztagesschulen weiter auszubauen – auch im Zusammenwirken mit privaten Initiativen. Schließlich – und das kann hier nur erwähnt werden –  bedarf es auch weiterer Reformen der Einwanderungspolitik. Zuwanderung kann einen wichtigen Beitrag zur Sicherung des Angebots an Arbeitskräften leisten.

Der Wandel am Arbeitsmarkt fordert aber auch die Wirtschaft heraus. Die Unternehmen müssen sich auf einen harten Wettbewerb um junge Talente einstellen. Und sie müssen beachten, dass das Potenzial an Arbeitskräften internationaler, älter und weiblicher wird. Die Unternehmen sind darauf aber nur bedingt vorbereitet.

Nach wie vor tun sich viele Unternehmen etwa bei der Talentsuche im Ausland, insbesondere auch in Ländern außerhalb der EU schwer. So beklagte das Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) kürzlich, dass die neue Blue Card, die seit Sommer 2012 einen erleichterten Zugang für Fachkräfte aus solchen Ländern ermöglicht, noch kaum genutzt werde (bis dato kaum mehr als 1000 Nutzer). Die OECD wies unlängst ebenfalls auf die geringe Zuwanderung von Arbeitskräften von außerhalb der EU nach Deutschland hin. Deutsche Unternehmen stellen pro Jahr nur etwa 25.000 Arbeitsmigranten aus solchen Drittländern ein, was nur 0,02% der Bevölkerung entspricht. In Großbritannien, Irland und Dänemark liegt der entsprechende Anteil fünf bis zehnmal höher.

Ein anderer kritischer Punkt ist die Weiterbildung. Dieses Thema haben zwar viele Firmen auf ihren Radar. In der Praxis hängen Weiterbildungsaktivitäten aber signifikant von der Betriebsgröße ab. So nahmen 2010 in großen Betrieben immerhin rund die Hälfte der Beschäftigten an betrieblicher Weiterbildung teil. In Kleinbetrieben waren es hingegen nur 28%. Mehr noch scheint bei der Weiterbildung Älterer im Argen zu liegen. Daten von Eurostat zufolge beteiligen sich in Deutschland nur knapp 4% der über 55-jährigen Erwerbstätigen an Weiterbildungsmaßnahmen und damit weit weniger als etwa in den skandinavischen Ländern (rund 20%).

Maßnahmen zur Erhaltung der Arbeitsfähigkeit
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Bei der Anpassung von Arbeitsabläufen und Arbeitsplätzen an älter werdende Belegschaften besteht vor allem im Mittelstand ebenfalls noch Nachholbedarf. Das zeigt eine Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Nur 12% der Betriebe mit einem bis 19 Beschäftigten weisen demnach Maßnahmen für ältere Mitarbeiter aus. In der nachfolgenden Größenklasse bis 99 Beschäftigten sind es gut 40%. Erst in Betrieben mit über 100 Mitarbeitern sind Maßnahmen wie Einbeziehung Älterer in die Weiterbildung, Gesundheitsförderung, altersgemischte Teams, eine besondere Ausstattung von Arbeitsplätzen oder spezifische Leistungs- und Arbeitsanforderungen weit verbreitet (über 70%). So sieht der jüngst publizierte zweite Fortschrittsreport „Altersgerechte Arbeitswelt“ der Bundesregierung „… noch erhebliches Potenzial für eine alters- und alternsgerechte Arbeitsgestaltung in den Betrieben.“[3]



Fußnoten

[1] Vgl. zum Folgenden auch Bräuninger, Dieter (2013). Mittelstand und Demografie. Der Handlungsdruck steigt. Deutsche Bank Research. Aktuelle Themen 25. März 2013.

[2]Institut der deutschen Wirtschaft (Hrsg.) (2012). MINT-Herbstreport 2012. Berufliche MINT-Qualifikationen stärken.

[3]Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.) (2013). Fortschrittsreport „Altersgerechte Arbeitswelt“, Ausgabe 2: „Altersgerechte Arbeitsgestaltung“. Berlin.

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