Gastbeitrag
Eine Handelsverschwörung gegen die USA?

Donald Trump will Leistungsbilanzdefizite nicht länger akzeptieren – und könnte hart gegen Deutschland vorgehen. Doch sind die überhaupt ein Problem? Und was kann der Präsident wirklich dagegen tun? Vier Antworten.

Der neue Präsident der Vereinigten Staaten zeigt sich in seiner ersten Amtswoche hyperaktiv. Die Medien werden zu Feinden erklärt, die Mauer muss her, den Klimawandel gibt es nicht, die transpazifische Partnerschaft (TPP) soll rückgängig gemacht und Chicago von kriminellen Elementen gesäubert werden, die Gesundheitspolitik wird auf den Kopf gestellt. Noch nicht auf die Agenda hat es die Leistungsbilanz geschafft – irgendetwas muss ja noch für die zweite Arbeitswoche übrigbleiben.

Dabei hat die Bundesbank doch eine ordentliche Vorlage für einen neuen kernigen Tweet (wie wäre es mit „Crooked Europeans dump their bloody exports – will kill them all“) geliefert. In ihrem jüngsten Monatsbericht hat sie dargelegt, dass die Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) zu einer Abwertung des Euros gegenüber dem US-Dollar beigetragen haben. Nun fürchten viele Beobachter, dass die neue US-Administration die Europäer und vor allem die Deutschen wegen ihres Leistungsbilanzüberschusses attackieren werden.

Protektionistische Maßnahmen drohten, so die Befürchtung. Der Präsident der Vereinigten Staaten hat ja bereits deutlich geäußert, dass er bilaterale Handelsbilanzdefizite nicht länger akzeptieren will. Damit zeigt er wiederum ein enormes Unverständnis für gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge und gefährdet die amerikanische Volkswirtschaft.

Die Begründung dieser These ist am einfachsten mittels der Beantwortung der folgenden vier Fragen zu leisten.

Erstens: Ist ein Leistungsbilanzdefizit im Grundsatz ein Problem?
Zweitens: Was sagen uns bilaterale Leistungsbilanzüberschüsse?
Drittens: Sorgt eine Abwertung automatisch für Leistungsbilanzüberschüsse?
Viertens: Kann man die Leistungsbilanz mit Hilfe von Zöllen oder Importverboten ausgleichen?

Die Antworten auf diese Fragen hängen natürlich eng zusammen. Wenn es erstrebenswert ist, eine aktive Leistungsbilanz aufzuweisen, müsste man in der Tat Maßnahmen zu ihrer Aktivierung, also einem Überschuss, ergreifen. Die Merkantilisten haben dies geglaubt, ein Glaube, der auch heute noch viele Anhänger, vor allem in der Politik, aber auch in den Medien und sogar in der Wissenschaft hat.

Ganz oben auf Trumps To-Do-Liste stehen die Ungleichgewichte im internationalen Handel. Doch Vorsicht: Strafzölle sind kein geeignetes Instrument, um Ungleichgewichte im internationalen Handel zu bekämpfen.

Um die erste Frage zu beantworten, muss man deshalb auf die Gründe für ein Leistungsbilanzdefizit eingehen. Wie kommt ein Leistungsbilanzdefizit zustande? Es hilft zur Beantwortung dieser Frage sehr, sich die Logik der Zahlungsbilanz näher anzusehen. Die Leistungsbilanz hängt spiegelbildlich an der Kapitalbilanz, das ergibt sich aus der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Das Volkseinkommen kann entweder gespart oder konsumiert werden, so sagt es die Verwendungsrechnung. Die alternative Entstehungsrechnung addiert die Komponenten der Entstehung, das heißt Konsumnachfrage, Investitionsnachfrage und Exportnachfrage, und zieht die Importe davon ab. Drückt man diese simplen Rechnungen in Gleichungsform aus und zieht eine Gleichung von der anderen ab, so ergibt sich eine Identität:

Export – Importe = Ersparnis – Investition.

Mit anderen Worten. Der Leistungsbilanzüberschuss entspricht einem Kapitalbilanzdefizit (zuzüglich der Veränderung der Währungsreserven) oder ein Defizit in der Leistungsbilanz entspricht einem Überschuss an Nettokapitalströmen. Daran lässt sich nichts ändern.

US-Sparquote traditionell sehr niedrig

Somit wird die Leistungsbilanz von vier Aggregaten beeinflusst: Exporten, Importen, Ersparnis und Investitionen. Diese sind natürlich ebenfalls voneinander abhängig. Wenn also die Bevölkerung systematisch mehr investiert, als sie spart – beispielsweise, weil sie jung ist und viele Arbeitsplätze (durch komplementäres Kapital) benötigt – wird das Land ein Leistungsbilanzdefizit aufweisen, und zwar zu seinem Vorteil.

Der Mechanismus der Anpassung von den Kapitalströmen zu den Güterströmen findet über den Wechselkurs statt: Kapitalzuflüsse werten die heimische Währung auf, wodurch heimische Exporte verteuert und Importe verbilligt werden; die Leistungsbilanz passiviert sich. Wenn dasselbe – junge – Land aber einen Leistungsbilanzüberschuss hat, hat dies im Regelfall die Ursache, dass zu wenige Investitionen vorgenommen werden und zu wenige Arbeitsplätze entstehen. Ein Leistungsbilanzüberschuss ist abzulehnen.

Die USA sind im Grundsatz ein solches Land. Die Bevölkerung ist relativ jung, der Altersmedian, das heißt das Alter, das die Hälfte der Bevölkerung in zwei gleich große Hälften teilt, ist 38 Jahre (in Deutschland ist der Altersmedian 46,2 Jahre). Vor 10 Jahren waren die USA aber noch jünger, so dass die Logik sich demnächst umkehren dürfte.

Darüber hinaus ist die US-Sparquote traditionell sehr niedrig. Um die Staatsschulde und Investitionen zu finanzieren, muss das Land Kapital importieren. Sollte die Mauer wirklich von Mexiko bezahlt werden, wird das Leistungsbilanzdefizit der USA um die Baukosten steigen, weil der Kapitalzufluss aus Mexiko den Peso abwertet und den Dollar aufwerten lässt. Der Präsident würde darin vermutlich dann mexikanisches Dumping sehen! Auch ein schuldenfinanziertes Infrastrukturprogramm dürfte – sofern mit Anleihen im Ausland finanziert – der US-Wirtschaft durch die damit verbundene Aufwertung schaden und das Leistungsbilanzdefizit erhöhen. Insofern ist das amerikanische Gejammer über das Leistungsbilanzdefizit grundsätzlich zu kurz gedacht.

Es gibt aber auch eine (von zahlreichen) anderen Logiken: Wenn Exporte des Auslandes relativ zu heimischen Gütern besser oder billiger werden, weil die Bürger eines Landes diese Güter kaufen wollen und sich dafür im Ausland verschulden, ist die Bewertung eines Leistungsbilanzdefizits nicht so positiv, vor allem dann, wenn die relative Verbesserung der ausländischen Waren einer absoluten Verschlechterung oder Verteuerung heimischer Produkte folgt (zum Beispiel nach Inflation). Andererseits bewirkt gerade Inflation häufig Kapitalflucht und damit einen Leistungsbilanzüberschuss, der aber ebenfalls nicht positiv zu bewerten ist. Insofern kann die Frage nach der normativen Bewertung eines Leistungsbilanzsaldos nicht eindeutig beantwortet werden: Es kommt eben darauf an.

Wesentlich deutlicher ist die Antwort auf die zweite Frage. Bilaterale Salden sind irrelevant. Man stelle sich einmal zur Illustration vor, sämtlich japanische Autos, die in Deutschland verkauft werden, werden über Bremerhaven eingeführt. Die Stadt weist ein starkes Handelsbilanzdefizit mit Japan auf; wohl kaum ein Problem. Die Autos werden weiterverkauft nach Baden-Württemberg und Bayern. Beide Bundesländer liefern vermutlich Waren für einen geringeren Wert nach Bremerhaven, als sie Autos von dort beziehen – sie weisen jeweils ein bilaterales Defizit mit Bremerhaven auf. Wie jeder sieht, ist auch dies kein Problem. Die Welt ist vernetzt, und bilaterale Defizite eines Industrielandes hier (z.B. mit Ölländern) werden durch bilaterale Überschüsse dort (z.B. mit Schwellenländern mit hoher Nachfrage nach Investitionsgütern) ausgeglichen.

Automatische Leistungsbilanzüberschüsse?

Kommen wir drittens zu einer unterbewerteten Währung. Kann diese automatisch Leistungsbilanzüberschüsse erzeugen? Die Antwort darauf hängt von vielen Faktoren ab, zum einen von der Nachfrage nach heimischen Exportgütern im Ausland: Steigt diese nach einer Abwertung drastische, wird die eigene Währung sogleich wieder aufwerten. Der Effekt ist klein. Wenn die Abwertung durch die Notenpresse stimuliert ist (wie im europäischen Fall), wird es entweder Inflation geben mit der Folge, dass die Produkte im abwertenden Land teurer und damit auch im Ausland weniger wettbewerbsfähig werden – der Effekt ist dahin.

Oder aber die Sparer exportieren ihr Kapital wegen der sinkenden Realverzinsung. Dann kommt es tatsächlich zum Leistungsbilanzüberschuss im Abwertungsland. Sinn macht er nur, wenn dort Vollbeschäftigung und herrscht und Neuinvestitionen unnötig sind. Dann aber bräuchte man die Abwertung gar nicht, weil die Exportgüter sich dann ohnehin gut verkaufen. Vor diesem Hintergrund ist eine Stimulierung der Exporte durch Abwertung eine riskante Maßnahme, die langfristig wesentlich mehr schadet als nützt.

Kann man eine Leistungsbilanzdefizit viertens mit Handelspolitik bekämpfen? Beim bilateralen Defizit macht es gar keinen Sinn, man verteuert nur unsinnig die Importe, die ja vielfach – gerade im amerikanischen Fall – Vorprodukte sind. Die USA haben damit schon in den 1980er Jahren negative Erfahrungen gemacht, als japanische Halbleiter mit Quoten versehen wurden, um die US-Halbleiterindustrie zu schützen. Getroffen wurde damit vor allem die US-Computerindustrie, die wegen der verteuerten Vorprodukte an preislicher Wettbewerbsfähigkeit verlor. Überhaupt sorgen Importschranken bei unveränderter Ersparnis und Investition im Inland über eine Aufwertung der heimischen Währung nur dafür, dass die Exporte in gleicher Höhe zurückgehen, der Saldo der Leistungsbilanz bleibt gleich!

Man sieht, die Leistungsbilanz ist weder einfach zu interpretieren noch ihr Saldo leicht zu ändern. Sicher richtig ist, dass das US-Leistungsbilanzdefizit kaum nachhaltig ist, solange sich der Staat weiter so stark verschuldet, ohne in die öffentliche Infrastruktur zu investieren. Fest steht auch, dass das Defizit nicht in Mexico-City, Peking oder Berlin als eine Verschwörung geplant wurde. Es liegt einzig in der Verantwortung der Amerikaner. Wenn sie mehr sparen, reduziert sich ihr Leistungsbilanzdefizit. Kaufen Sie weniger mexikanische Autos, bleibt es gleich. Gleiches gilt für den Umgang der US-Administration mit der deutschen Industrie. Protektionsmaßnahmen reduzieren weder das US-Defizit noch den deutschen Überschuss, der durch mehr Investitionen hierzulande sicherlich gesenkt werden kann und sollte. Das aber ist nicht das Thema des US-Präsidenten.

Hinweis: Der Beitrag erschien am 27. Januar 2017 in der Wirtschaftswoche.

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