Vetternwirtschaft und Populismus
Ein Übel kommt selten allein

„Crony capitalism is essentially a condition in which… public officials are giving favours to people in the private sector in payment of political favours.” (Alan Greenspan)

Die Diskussion um Populismus ist in vollem Gang. Überall in Europa gewinnen „linke“ und „rechte“ populistische Parteien an Boden. Ihre Themen werden öffentlich stärker beachtet. Ihre Stimmenanteile bei Wahlen nehmen zu. Immer öfter sind sie auf kommunaler, regionaler und nationaler Ebene an Regierungen beteiligt. Und die etablierten Parteien der linken und rechten Mitte biedern sich bei den Populisten an. Sie kollaborieren mit ihnen oder kopieren ihre Inhalte. Warum der Populismus auf dem Vormarsch ist, bleibt umstritten. Struktureller Wandel, wachsende Ungleichheit, steigende Zuwanderung und zentralistische Tendenzen sind wichtige Triebfedern. Eine treibende Kraft dürfte aber auch die wuchernde Vetternwirtschaft („crony capitalism“) sein. Sie begünstigt das ökonomische und politische Establishment, das rote Tuch aller Populisten, „linken“ und „rechten“. Wer Populismus bekämpfen will, muss nicht nur die sozialen Folgen des Strukturwandels und der Ungleichheit abmildern. Er muss auch für eine verstärkte Integration der Migranten sorgen, für mehr regionale Autonomie eintreten und die Vetternwirtschaft bekämpfen.

Diskussion um Populismus

Die Diskussion um Populismus ist bizarr. Der Begriff hat sich zum politischen Kampfbegriff entwickelt. Etablierte Parteien vermitteln den Eindruck, wer eine andere Meinung vertrete, agiere populistisch. Es ist umstritten, was Populismus ist. Populisten behaupten, die Gesellschaft falle auseinander, ökonomisch, politisch und sozio-kulturell. Die Eliten stopften sich die Taschen auf Kosten des „kleinen Mannes“ voll. Der Wille des Volkes werde grob missachtet. Populisten geben vor, für das „einfache“ Volk gegen das „Establishment“ zu kämpfen. Eine Partei ist allerdings nicht schon populistisch, weil sie gegen das gesellschaftliche, politische und ökonomische Establishment kämpft. Der Kampf ist vielmehr ein Zeichen von Wettbewerb auf politischen Märkten. Mehr Wettbewerb trägt mit dazu bei, diskretionäre Handlungsspielräume der etablierten Parteien zu verengen. Das schränkt den Ausbeutungsspielraum der politisch Mächtigen gegenüber den Bürgern ein. Also: Wer den Mächtigen misstraut und sie kritisiert ist noch kein Populist.

Ein Politiker wird erst dann zum Populisten, wenn er sich den Antipluralismus auf die Fahnen schreibt. Jan-Werner Müller, ein deutscher Politikwissenschaftler in Princeton, hat es so formuliert (hier): „Sie (die Populisten NB) behaupten stets auf die eine oder andere Weise, nur sie verträten, was von ihrer Seite häufig als „das wahre Volk“ oder als die „schweigende Mehrheit“ bezeichnet wird.“ Aus diesem Alleinvertretungsanspruch folge zweierlei: Zum einen werden Mitbewerber um die Macht grundsätzlich als illegitim abqualifiziert. Zum anderen wird suggeriert, dass Bürger, die ihre Meinung zum „wahren Volk“ nicht teilen, gar nicht zum Volk gehören. Das hat Konsequenzen für die Demokratie. Wer zum „wahren Volk“ gehört, bestimmt die Mehrheit. Die Mehrheit des „wahren Volkes“ ist absolut. Minderheitenrechte sind nur legitim, wenn eine Mehrheit sie billigt. Damit können Teile des Volkes als „unecht“ klassifiziert werden. In Verbindung mit der latenten Fremdenfeindlichkeit der Populisten wird die Minderheit der Migranten oft ihr erstes Opfer.

Der Populismus hat in Europa viele Gesichter. Er tritt in einer „linken“ und „rechten“ Variante auf. Vor allem im europäischen Süden dominiert der Linkspopulismus. Im nördlichen Europa ist der Rechtspopulismus heimisch (hier). Den „linken“ Populisten ist vor allem die (neoliberale) Globalisierung ein Dorn im Auge. Sie kämpfen gegen die Freizügigkeit des Kapitals und den freien Handel mit Gütern. Demgegenüber stören sich die „rechten“ Populisten des Nordens an der Personenfreizügigkeit in Europa. Dabei ist im westlichen und östlichen Europa die Arbeitsmigration ein Stein des Anstoßes. Die Angst vor einem Verlust an Arbeitsplätzen für die Einheimischen geht um. Im kontinentalen und nördlichen Europa wendet man sich gegen Fluchtmigration. Es wird eine Einwanderung in den Sozialstaat befürchtet. Alles in allem ist der europäische Populismus vielfältig und heterogen. Wie man es auch dreht und wendet, haben die Populisten in Europa dreierlei gemeinsam: Sie sind anti-marktwirtschaftlich, fremdenfeindlich und national-sozial (hier).

Elemente der Vetternwirtschaft

Der Kampf gegen die Mächtigen macht Politiker noch nicht zu Populisten. Das Problem ist der Antipluralismus von Parteien mit anti-marktwirtschaftlichen, fremdenfeindlichen und national-sozialen Tendenzen. Für anti-pluralistische (populistische) Gruppierungen ist das „Establishment“ ein rotes Tuch. Damit punkten sie im politischen Wettbewerb. Alles was die Eliten stärkt, verschafft ihnen Wettbewerbsvorteile und fördert den Populismus. Dazu zählt auch die verbreitete Vetternwirtschaft. Unternehmen überleben nur, wenn sie Gewinne erzielen. Allerdings führen viele Wege nach Rom. Die einen versuchen auf den ökonomischen Märkten, die Nachfrage von ihren Produkten zu überzeugen. Preis, Qualität und neue Güter und Dienstleistungen sind wichtige Parameter im Wettbewerb. Andere versuchen auf den politischen Märkten, mit der Politik ins Geschäft zu kommen. Sie jagen Renten nach, die von Politikern geschaffen werden. Staatliche Eingriffe beschränken den Zugang zu den ökonomischen Märkten. Insider profitieren, andere werden ausgesperrt.

In marktwirtschaftlichen Ordnungen sollen Spielregeln (private Eigentumsrechte, individuelle Vertragsfreiheit und freier Marktzugang) sicherstellen, die knappen Ressourcen effizient einzusetzen. Tatsächlich besteht aber politisch eine inhärente Tendenz, das marktliche institutionelle Arrangement zu sabotieren. Vetternwirtschaft ist eine Variante. Es geht weniger darum, wirtschaftliche Erfolge auf (fairen) ökonomischen Märkten zu erzielen. Gespielt wird immer öfter auf politischen Märkten. Die (privaten) Spieler setzen darauf, das (marktliche) Spiel zu manipulieren. Die Politik soll helfen. Und sie tut es. Regulierer, Gesetzgeber und Regierungen bevorzugen gezielt einzelne Unternehmen, meist unter dem Vorwand des „Gemeinwohls“. Staatliche Haftungsübernahmen (Sanierungen mit Steuergeldern), Subventionen (hier), Monopole, Zugänge zu nicht ausgeschriebenen Verträgen, Preiskontrollen, bevorzugte steuerliche Behandlung, Schutzzölle, billigere staatliche Kredite sind nur einige der vielen Elemente der Günstlingswirtschaft (hier).

Die Politiker gewähren die Vergünstigungen an einzelne Unternehmen und Branchen nicht aus altruistischen Gründen. Oft spielen familiäre Beziehungen zwischen Politikern und rentensuchenden Unternehmen eine Rolle. Das gilt vor allem für den „crony capitalism“ lateinamerikanischer Staaten. Viel öfter haben allerdings in hoch entwickelten Ländern die Politiker handfeste eigene Interessen. Die Wahlkämpfe werden immer teurer, es werden mehr finanzielle Mittel benötigt. Die Gegenleistung der begünstigten rentensuchenden Unternehmen an Politiker und politische Parteien sind hohe Spenden und andere Unterstützungsleistungen im Wahlkampf. Und noch etwas erhoffen sich Politiker immer öfter, wenn sie einzelne Unternehmen unterstützen: Eine gut bezahlte Position nach der politischen Karriere in den Unternehmen, die sie in ihrer Zeit als Politiker unterstützt haben. Die Beispiele von Politikern, die nach dem Karriereende gut bezahlt in den Unternehmen unterkommen, die sie vorher reguliert und begünstigt haben, sind Legion trotz Abkühlphase.

Vetternwirtschaft und Populismus

In einem System der Vetternwirtschaft verteilt die Politik mehr oder weniger offen Privilegien nach Gutsherrenart an etablierte Unternehmen. Sie verschafft ihnen geldwerte Vorteile gegenüber ihren Konkurrenten. Kleinere und mittlere Unternehmen, vor allem aber Newcomer werden benachteiligt, große Unternehmen begünstigt. Die „Großen‘“ haben noch einen weiteren Vorteil. Auch in einer Vetternwirtschaft kann niemand sicher sein, dass er morgen noch zu den Begünstigten zählt. Andere Unternehmen können ihm bei den Privilegien den Rang ablaufen. Das schrumpft die Netto-Erträge aus „rent-seeking“. Kostspielige Lobby-Aktivitäten sind dauerhaft notwendig. In diesem Wettrennen um Privilegien haben wieder große Unternehmen komparative Vorteile. Der eigentliche Gewinner dieses Wettrennens ist aber die Politik. Wie man es auch dreht und wendet, Vetternwirtschaft begünstigt das unternehmerische und politische „Establishment“. Das ist aber das rote Tuch der Populisten. Mit ihm gehen sie bei den Wählern auf Stimmenfang, oft erfolgreich.

Alle Varianten von Günstlingswirtschaft treiben den Populismus. Sie schaffen Zustände, die von großen Teilen der Bevölkerung als unfair empfunden werden. Bestimmte Unternehmen und spezifische Gruppen werden privilegiert. Andere müssen die Kosten der (intransparenten) vetternwirtschaftlichen Vereinbarungen zwischen Politik und Unternehmen tragen. Die Leidtragenden sind die Steuerzahler. Sie müssen die Finanzierung stemmen, obwohl sie nicht bevorzugt behandelt werden. Vetternwirtschaften verteilen massiv um, von der breiten Masse der Steuerzahler zu einer kleinen Gruppe von (unternehmerischen) Begünstigten. Die Einkommens- und Vermögensverteilung wird (noch) ungleicher. Günstlingswirtschaften treiben die wirtschaftliche Ungleichheit. Das ökonomische Establishment profitiert. Linke und rechte Populisten nutzen die wachsende Ungleichheit, die durch Vetternwirtschaft verstärkt wird. Sie werben erfolgreich für ihre halbgaren (wirtschafts)politischen Vorstellungen. Das vermindert die wirtschaftliche Effizienz weiter.

Hat der Populismus politisch erst einmal Fuß gefasst, wirkt er wie ein Brandbeschleuniger für die Vetternwirtschaft. Die anti-marktwirtschaftlichen, fremdenfeindlichen und national-sozialen Einstellungen der Populisten drängen regelgebundene marktliche Lösungen immer mehr an den Rand. Die Spielregeln auf den Märkten werden nach Gutdünken angepasst. Diskretionäre politische Entscheidungen gewinnen an Gewicht. Die Vetternwirtschaft erfährt eine neue Blüte. Insider werden Outsidern vorgezogen. Strukturen werden konserviert, der Strukturwandel wird gehemmt. Wettbewerb wird beschränkt, Kartelle werden bevorzugt. Merkantilismus dominiert Freihandel. Inländische Arbeitsmärkte werden stärker abgeschottet, ausländische Arbeitnehmer und Unternehmen diskriminiert. Die Arbeitsmigration wird behindert. Der Sozialchauvinismus gewinnt an Boden. Das alles ist weder effizient noch gerecht. Ob sich populistische Parteien stabilisieren oder ökonomische Ineffizienzen und Ungerechtigkeiten ihnen über kurz oder lang politisch den Boden entziehen, ist umstritten.

Kampf gegen Vetternwirtschaft

Populismus ist politisch gefährlich und ökonomisch schädlich. Vetternwirtschaft begünstigt Populismus. Erfolge im Kampf gegen die Günstlingswirtschaft schmälern die Wahlaussichten der Populisten. Nur, was hilft gegen die Klientelpolitik? Das Problem der Privilegien-Wirtschaft entsteht auf politischen Märkten. Es tritt mit oder ohne Populismus auf. Der Populismus verschärft es allerdings. Es liegt nahe, die Lösung auf den Politik-Märkten zu suchen. Ein Vorschlag, politische Märkte funktionsfähiger zu machen, ist mehr Transparenz. Populismus mag zwar kurzfristig wirtschaftlich kaum Konsequenzen für eine Mehrheit der Wähler haben. Und die Günstlinge gewinnen. Längerfristig stellt sich allerdings eine Mehrheit der Bevölkerung auf alle Fälle schlechter, der Wohlstand sinkt. Transparentere politische Märkte können helfen, mögliche informatorische Defizite der Wähler aufzudecken. Das sollte eigentlich ausreichen, eine Mehrheit der Wähler zu bewegen, populistische Parteien abzuwählen. Damit würde auch die Vetternwirtschaft eingedampft.

Die Erfahrung zeigt allerdings, Populismus kann hartnäckig sein. Viele lateinamerikanische Länder können ein Lied davon singen. Simon Johnson, der MIT-Ökonom, verweist auf einen Teufelskreis. Populistische Politik mache alles schlechter. Und weil dies der Fall sei, steige die Unterstützung für die Populisten, zumindest kurzfristig (hier). Die lateinamerikanische Erfahrung zeigt allerdings auch, irgendwann ist der Spuk vorbei. Wer nicht solange warten will, könnte auch an den ökonomischen Märkten ansetzen. Gelänge es, die Märkte zu liberalisieren, ginge es auch der Vetternwirtschaft an den Kragen. Das ist allerdings leichter gesagt als getan. Möglich ist das nur bei einem adäquaten Ordnungsrahmen. Darüber entscheiden aber die politischen Entscheidungsträger. Nur wenn er effizient ist, sind die Märkte funktionsfähiger, die spezifischen Privilegien fallen. Die langen Erfahrungen mit Subventionen und Regulierungen zeigen allerdings, dass dies eher nicht der Fall ist. Wir werden also weiterhin mit der Vetternwirtschaft leben müssen.

Es ist schwer, die vetternwirtschaftlichen Bausteine des Populismus zu destabilisieren. Politische Märkte sind und bleiben unvollkommen. Sie eröffnen politischen Entscheidungsträgern diskretionäre Handlungsspielräume. Der Druck offener ökonomischer Märkte kann sich nur schwer entfalten. Politiker verhindern auf nationaler und internationaler Ebene einen effizienten ordnungspolitischen Rahmen. Ganz verloren ist allerdings die Schlacht gegen Vetternwirtschaft und Populismus noch nicht. Die Bürger könnten Druck aufbauen. Den Lobbyisten ist daran gelegen, Vetternwirtschaft möglichst zentral zu organisieren, wenn es geht auch über nationale Ländergrenzen hinweg. Damit ist der institutionelle Wettbewerb ausgeschalten. Die Jagd nach Renten kann ungehindert stattfinden. Dieser Entwicklung wäre ein Riegel vorgeschoben, wenn die Bürger auf (wirtschafts)politische Dezentralisierung drängen würden. Mehr nationale, regionale und kommunale Souveränität wären das Ziel. Wettbewerblicher Föderalismus wäre das adäquate Mittel der Wahl.

Fazit

Eine populistische Welle schwappt über Europa. „Linke“ und „rechte“ Populisten gewinnen an Unterstützung, sitzen fast überall in den Parlamenten, kollaborieren öfter mit „Altparteien“ und mischen in vielen Regierungen mit. Die treibenden Kräfte dieser Entwicklung sind vielfältig. Ein schnellerer Strukturwandel, wachsende Ungleichheit, steigende Migration und eine zunehmende Entnationalisierung spielen eine Rolle. Die Eliten sind das Ziel, auf das sich Populisten im politischen Wettbewerb einschießen. Mit der wuchernden Vetternwirtschaft servieren die „alten“ Parteien den Populisten ein weiteres Argument gegen das Establishment auf dem Silbertablett. Die Klientelwirtschaft bereitet den Humus, auf dem Populismus prächtig gedeiht. Der Kampf gegen die Günstlingswirtschaft verspricht eine doppelte Dividende. Er schrumpft die Vetternwirtschaft und deren Kosten für die Gesellschaft. Und er entzieht dem anti-pluralen Populismus den Boden, auf dem er seine anti-marktwirtschaftliche, fremdenfeindliche und national-soziale Politik betreibt. Es wird höchste Zeit, der ineffizienten und ungerechten Vetternwirtschaft ein Ende zu bereiten.

Blog-Beiträge zum Populismus:

Norbert Berthold: Populistische Teufelskreise. Ist wettbewerblicher Föderalismus ein Gegenmittel?

Norbert Berthold: Die Integration und der Populismus. Wohin treibt die Europäische Union?

Norbert Berthold: Antikapitalistisch, fremdenfeindlich und nationalsozial. Was hilft gegen Populisten?

2 Antworten auf „Vetternwirtschaft und Populismus
Ein Übel kommt selten allein

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