Populistische Teufelskreise
Ist wettbewerblicher Föderalismus ein Gegenmittel?

„Populism has had as many incarnations as it has had provocations, but its constant ingredient has been resentment, and hence whininess. Populism does not wax in tranquil times; it is a cathartic response to serious problems. But it always wanes because it never seems serious as a solution.” (George Will)

Wir leben in Zeiten des Populismus. Er ist in Europa weiter auf dem Vormarsch. Noch haben die „rechten“ mehr Zulauf als die „linken“ Populisten (hier). Bei Wahlen schneiden sie gut ab. Immer öfter lassen sie „alte“ Volksparteien hinter sich. Diese laufen Gefahr, zerrieben zu werden. In einigen Ländern sind die Populisten an der Regierung beteiligt, in anderen dominieren sie sogar die Regierung. Die „alten“ Volksparteien ahmen in ihrer Not die Populisten nach. In ihren Wahlprogrammen finden sich immer öfter anti-marktwirtschaftliche, fremdenfeindliche und national-soziale Elemente. Der Lauf, den die Populisten gegenwärtig haben, ist erstaunlich. Populismus verstärkt die wirtschaftliche Unsicherheit und verschreckt Investitionen. Das tut der wirtschaftlichen Entwicklung nicht gut. Die politische Strafe müsste eigentlich spätestens bei den nächsten Wahlen erfolgen. Tut sie aber nicht. Wirtschaftliche Misserfolge populistischer Politik werden weiter erfolgreich dem politischen Establishment in die Schuhe geschoben. Offensichtlich gelingt es den Populisten immer wieder, bei den Wählern den Glauben zu stärken, dass Medien voreingenommen sind, Experten falsch liegen und Fakten keine Fakten sind (hier).  Der Teufelskreis von politischer Unzufriedenheit, wachsendem Populismus, noch mehr Unzufriedenheit und galoppierendem Populismus bleibt intakt, zumindest vorläufig.

Treiber des Populismus

Der „linke“ und „rechte“ Populismus werden von vielen Faktoren getrieben. Strukturwandel, Ungleichheiten, Zuwanderung und Souveränitätsverluste dominieren. Diese Faktoren wirken verhängnisvoll zusammen und erhalten die populistische Dynamik. Ein wichtiges Element der Unzufriedenheit mit den wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten sind aufbrechende Ungleichheiten, inter-personell und inter-regional. Technologische Entwicklungen, Globalisierung und institutioneller Wandel verstärken die inter-personelle Ungleichheit. Ein spezifischer technischer Fortschritt und weltweit offene Märkte meinen es nicht gut mit einfacher Arbeit. Aber auch arbeitsmarktpolitische Institutionen zerbröseln, Gewerkschaften verlieren an Macht, staatliche Regulierungen erodieren. Leidtragende sind vor allem wenig qualifizierte Arbeitnehmer. Aber auch die (untere) Mittelschicht leidet. Sie fürchtet ebenfalls, in den wirtschaftlichen und sozialen Abwärtssog zu geraten. Das ist der Kern der Wähler der Populisten. Sie sind nicht oder gering qualifiziert, sie fürchten weiteren sozialen Abstieg und haben ihren Arbeitsplatz im industriellen Sektor schon verloren oder müssen damit rechnen, ihn in absehbarer Zeit noch zu verlieren.

Diese Entwicklung wird durch Migration verstärkt. Zuwanderung verstärkt den Druck auf den heimischen Arbeitsmärkten. Das ist bei einfacher Arbeit offensichtlich. Zuwandernde, gering qualifizierte Arbeitnehmer sind meist Substitute zu den einheimischen Arbeitnehmern. Das höhere Arbeitsangebot verstärkt den Druck auf den Arbeitsmärkten. Entweder die Löhne sinken oder die Arbeitslosigkeit steigt an, wenn etwa (gesetzliche) Mindestlöhne existieren. So oder so, einheimische Arbeitnehmer verlieren. Das ist bei (hoch) qualifizierten Zuwanderern anders. Viele dieser Arbeitnehmer sind Komplemente zu qualifizierten Einheimischen. Der Druck auf die Löhne wird durch höhere Produktivitäten überkompensiert, wenn nicht kurz- so doch mittelfristig. Einheimische qualifizierte Arbeitnehmer stellen sich durch qualifizierte Zuwanderung im allgemeinen besser. Die Flüchtlingsströme ab dem Jahr 2015 haben die Befürchtungen gering qualifizierter Arbeitnehmer in den Einwanderungsländern verstärkt, weiter unter die Räder zu geraten. Der Widerstand war und ist groß. Die „alten“ Volksparteien nahmen diese Sorgen nicht sonderlich ernst. Populistische Parteien, vor allem „rechte“ haben von dieser Entwicklung profitiert.

Aber auch die wachsende inter-regionale Ungleichheit treibt populistischen Parteien immer neue Wähler zu. Schon seit längerem ist in den Ländern eine regionale Divergenz zu beobachten. Die Regionen driften eher auseinander als aufeinander zu. Ein wichtiger Grund ist der Prozess der regionalen Agglomeration. Sinkende Transaktionskosten und steigende Skalenerträge tragen mit dazu bei, dass sich Zentren wirtschaftlich stärker von der Peripherie trennen. Einige (periphere) Regionen werden von der wirtschaftlichen Entwicklung abgehängt, andere (zentrale) Regionen erleben einen ungeahnten Aufschwung. Abgehängte Regionen leiden unter fehlenden Arbeitsplätzen, höherer Arbeitslosigkeit und stagnierenden (schrumpfenden) Einkommen. Die regionale Divergenz wird durch „Superstar-Unternehmen“ verstärkt. Solche Unternehmen bieten die interessantesten Tätigkeiten, die besten Arbeitsbedingungen und die höchste Entlohnung. Sie siedeln sich in den Zentren an, nicht in der Peripherie. Interessant sind sie für (hoch) qualifizierte Arbeitnehmer. Einfache Arbeit profitiert von dieser Entwicklung nicht. Abgehängte periphere Regionen mit gering qualifizierten Arbeitnehmern bilden den Nährboden für populistische Parteien.

Zentralistische Politikstrukturen

Ein erster Blick auf den Erfolg populistischer Parteien zeigt eine auffällige Entwicklung in den verschiedenen Ländern. Es scheint, dass überall dort, wo die föderale Ordnung zentralistisch ausgelegt ist, populistische Parteien besonders stark sind. Das gilt für Frankreich (Rassemblement National), es trifft für Italien (Lega, Cinque Stelle) zu, es ist im Vereinigten Königreich (UKIP, Brexit) der Fall und es ist auch in Österreich (FPÖ) nicht anders. Aber auch in Osteuropa, wie etwa Ungarn (Fidesz) oder Polen (PiS), scheint dieses zentralistisch-populistische Muster zu gelten. Auf der anderen Seite scheinen wettbewerblicher organisierte föderale Ordnungen weniger anfällig für populistische Entwicklungen. Die Schweiz ist das beste Beispiel. Ob dies auch für Deutschland gilt, wird sich zeigen. Deutschland ist zwar formal föderalistisch organisiert. Faktisch sind die Handlungsspielräume von Bundesländer und Kommunen allerdings gering und sie sinken weiter, auch weil die Länder sie öfter gegen Geld an den Bund verhökern. Es herrscht ein kooperativer Pseudo-Föderalismus. Die Erfolge der AfD in Ostdeutschland mit seinen inter-personellen und inter-regionalen Verwerfungen aber zentralistischen föderalen Strukturen bestätigen das Muster.

Warum scheint ein zentraler Staatsaufbau populistische Entwicklungen zu begünstigen? Wirtschaftliche Entwicklungen sind nicht homogen, sie verlaufen (oft) heterogen. Individuen werden unterschiedlich getroffen, Regionen geht es nicht anders, Länder ebenso. Die einen gewinnen, andere verlieren. Alles über einen Kamm zu scheren, wird der Situation nicht gerecht. Notwendig sind größere individuelle, regionale und nationale Handlungsspielräume. Die Entwicklung der letzten Jahrzehnte ist geprägt von einer gewissen Vereinheitlichung. Offene Güter- und Faktormärkte haben mit dazu beigetragen, Druck auf heterogene nationale Regulierungen auszuüben. Heterogene, für den nationalen Einzelfall passende Institutionen wurden geschleift und vereinheitlicht. International tätige wirtschaftliche Akteure haben stärker standardisierte und harmonisierte Gesetze und Vorschriften gefordert. Die Politik hat diesem Druck teilweise nachgegeben. Staaten haben in Verträgen viele Regulierungen standardisiert und harmonisiert. Das führte zu einem Verlust an nationaler (wirtschafts-)politischer Souveränität. Die Populisten beklagen oft, dass in Europa nationale Souveränität an die EU abgetreten wurde. Und sie stoßen auf Zustimmung bei Wählern.

Diese Tendenz zur Zentralisierung der (Wirtschafts-)Politik ist allerdings seit langem auch auf nationaler Ebene zu beobachten. Der Wunsch nach gleichwertigen Lebensverhältnissen ist überall in Nationalstaaten verbreitet. Allerdings wird in Europa viel Wert darauf gelegt, sie über einheitliche Regulierungen, eine zentrale Wirtschaftspolitik und über inter-regionale Umverteilung zu verwirklichen. Das ist etwa in den USA anders. Dort sollen eher mobile Arbeit und mobiles Kapital die inter-regionalen Unterschiede einebnen. Der europäische Weg hat aber einen Nachteil. Die Wirtschafts-, Arbeitsmarkt-, Sozial- und Finanzpolitik schert die Regionen oft über einen Kamm. Es ist kaum möglich, differenziert auf die regionalen Unterschiede zu reagieren. Das gilt für die Institutionen der Arbeitsmarktpolitik ebenso wie für die der Sozialpolitik. Gesetzliche Mindestlöhne sind etwa in Deutschland überall gleich, die Leistungen der Grundsicherung unterscheiden sich regional kaum. Das wäre aber notwendig, um auf die spezifischen regionalen Unterschiede auf den Arbeitsmärkten adäquat reagieren zu können. Es mangelt deshalb oft auch an regionaler und kommunaler (wirtschafts)politischer Souveränität. Das ist für Populisten ein gefundenes Fressen.

Mehr wettbewerblicher Föderalismus

Der Populismus in Europa wird auch von einem Mangel an Souveränität getrieben. Das gilt für die europäische, nationale, regionale und kommunale Ebene. Wenn sich Dinge örtlich ungleich entwickeln, macht es wenig Sinn, sie alle über einen Kamm zu scheren. Das führt nur zu Frust bei den Wählern. Notwendig ist eine Politik, die sich an den unterschiedlichen Gegebenheiten vor Ort orientiert. Das macht eine klare vertikale Verteilung der Kompetenzen notwendig. Wichtige Anhaltspunkte liefert die Theorie des fiskalischen Föderalismus (hier). Auf europäischer Ebene sollte nur über Dinge entschieden werden, die für alle Beteiligten einen Mehrwert schaffen. Das sind nur einige wenige öffentliche Güter. Alles andere ist besser auf nachgeordneten Ebenen aufgehoben. Vieles hat weiter seinen Platz auf nationaler Ebene. Das meiste allerdings sollte in einer immer wohlhabenderen Welt wachsender Heterogenitäten auf regionaler, viel mehr noch auf kommunaler Ebene gelöst werden. Auf diesen dezentralen Ebenen gelingt es der Politik besser, die individuellen Präferenzen der Bürger zu treffen. Die Unzufriedenheit mit (wirtschafts)politischen Entscheidungen ist geringer. Der Frust, der gegenwärtig die Populisten stärkt, ist geringer.

Wer populistische Entwicklungen hemmen will, sollte dafür Sorge tragen, die zentralistische Politik in Europa und den Nationalstaaten zu begrenzen und die individuellen, regionalen und nationalen Handlungsspielräume wieder zu stärken. Der Harvard-Ökonom Raghuram Rajan glaubt, dass inter-personelle und inter-regionale Ungleichheiten wichtige Treiber des Populismus sind. Er weist darauf hin, dass zentralistische Entscheidungen keine Lösung, sondern das Problem sind. Bessere Ergebnisse seien nur zu erwarten, wenn mehr auf dezentralerer Ebene entschieden wird[1]. Dem kann man nur zustimmen. Bundesländer, Regionen und Kommunen müssen mehr autonome Handlungsspielräume erhalten. Das gilt für die Aufgaben, die Ausgaben und die Einnahmen. Die vielfältige Verflechtung von Kompetenzen muss abgebaut, eigene Finanzierungsquellen müssen erschlossen, die Beistandspflichten der Anderen auf Notfälle beschränkt werden. Mindestens so wichtig ist allerdings, viel mehr institutionelle Experimente auf dezentraler Ebene zu wagen (hier). Bundesländer, Regionen und Kommunen müssen von festen (bundes)einheitlichen Standards abweichen können. Das wäre auf dem weiten Feld des Arbeits-, Sozial- und Wirtschaftsrechts denkbar.

Eine stärker dezentral ausgestaltete föderale Ordnung spielt in Zeiten von Migrationsströmen eine weitere wichtige Rolle. Die Flüchtlingsströme nach Europa sind ein wichtiger Auslöser populistischer Tendenzen. Unter den Einheimischen ist die Angst weit verbreitet, dass mit der massenhaften Zuwanderung Beziehungen, Normen und Vertrauen in der Gesellschaft erodieren. Der „soziale Kitt“, der sie zusammenhält, wird porös. Diese Angst ist nicht ganz unbegründet. Internationale Erfahrungen zeigen, mehr Mobilität bricht die Homogenität der Bevölkerung auf. Die Zuwanderung vergrößert die Heterogenität noch. Beziehungen, Normen und Vertrauen werden brüchiger. Dezentrale Lösungen können dem entgegenwirken. Auf regionaler und kommunaler Ebene sind die Bindungen der Menschen stärker. Es ist auch leichter möglich, unterschiedliche Einstellungen zu Werten zu entschärfen. Damit wird neues Vertrauen geschaffen. Ohne Integration wird das Sozialkapital weiter erodieren (hier). Der beste Weg der Integration ist die Beschäftigung. Flexible Arbeitsmärkte sind ein wichtiges Element. Die Weichen dafür können auch auf dezentraler Ebene gestellt werden. Mehr Handlungsspielräume auf regionaler und kommunaler Ebene können helfen, die Erosion von Bindungen, Normen und Vertrauen zu verlangsamen.

Fazit

Die Pilze des Populismus sprießen in Europa und anderswo, der „rechte“ wächst noch stärker als der „linke“. Populisten stellen zwar oft die richtigen Fragen, haben aber selten die richtigen Antworten. Eine richtige Frage ist die nach der verlorenen Souveränität. Es ist unbestritten, Europa ist auf manchen Feldern zu weit gegangen. Der Trend zur Zentralisierung steht im Gegensatz zu den heterogenen Präferenzen der Bürger. National unterschiedliche Vorstellungen kommen oft zu kurz. Das führt zu Frust und nichts Gutem, oft zu populistischen Fehlentwicklungen. Es ist nicht Europa allein. Auch auf nationaler Ebene werden heterogene Präferenzen über einen Kamm geschoren. Es dominieren zentrale Lösungen. Beide, europäische und nationale Zentralisierung, begünstigen den Populismus. Wer ihn wirksam bekämpfen will, muss stärker dezentral agieren. Angesagt sind mehr Kompetenzen auf regionaler und kommunaler Ebene. Das führt Handlung und Haftung wieder zusammen, stärkt marktliche Lösungen, erhöht die Souveränität und stützt den Gemeinschaftssinn der Bürger. Der Lohn ist weniger Trittbrettfahrerverhalten, mehr Beschäftigung, weniger inter-regionale Ungleichheit und mehr Sozialkapital. Alles das stabilisiert die marktwirtschaftliche Ordnung. Der populistische Teufelskreis wird unterbrochen. 

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[1] Vgl. Raghuram Rajan, The Third Pillar. How Markets and the State leave the Community behind. Penguin Press. New York 2019

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