Sanktionen schwächen die Wirtschaft des betroffenen Ziellandes. Das bedeutet aber nicht, dass sie auch immer und notwendigerweise das Regime schwächen. Viele autokratische Regierungen leben mit Sanktionen recht gut, relativ stabil und vor allem erstaunlich lange, wie zum Beispiel die Regime von Fidel Castro in Kuba, Saddam Hussein im Irak, Bashar al-Assad in Syrien, dem Kim-Clan in Nordkorea oder den Mullas im Iran zeigen.
Sanktionen verändern sowohl den wirtschaftlichen Spielraum des sanktionierten Regimes, wie auch jenen der Bürger sowie – falls in nennenswertem Ausmaß vorhanden – der Opposition. Eine Reihe von ökonomischen Mechanismen spielen dabei eine fundamentale Rolle.
Stabil trotz Sanktionen
Sanktionen in Form einer Einschränkung der Importmöglichkeiten des sanktionierten Landes erhöhen dort die Knappheit. Das macht die entsprechenden Produkte und ihre Alternativen oft deutlich teurer. Die Einschränkung von Importmöglichkeiten wirkt dementsprechend ähnlich wie Protektionismus. Bekanntlich hat Protektionismus im Regelfall negative Folgen für die freie Wirtschaft und führt zu vielen Verlierern. Doch es gibt auch Profiteure. Die Profiteure sind jene, die aus den höheren Preisen der knapp gewordenen Güter sowie ihrer Alternativen Gewinn schlagen können. Oft werden die Alternativen von dem Regime nahestehenden Kreisen produziert und die Inlandsproduktion wird vom Regime mitkontrolliert, womit beide durchaus zu den Profiteuren gehören können. In Kuba war das Castro-Regime nach Jahrzehnten mit Sanktionen fest im Sattel und kontrollierte große Teile der Produktion – gleiches gilt im Iran für die Revolutionsgarden.
Die Verknappung aufgrund von Sanktionen kann eine Rationierung der betreffenden Produkte und ihrer Nachprodukte notwendig machen. Die Verwaltung der Knappheit und die Verteilung der noch vorhandenen Güter übernimmt das Regime nur allzu gerne. Dadurch kann es „Kollaboration“ erzwingen. Regimetreue Kreise werden bei der Verteilung bevorzugt behandelt, regimekritische Geschäftsleute gehen dagegen leer ausgehen lässt. Die Möglichkeit der Verteilung der wenigen verbleibenden Güter kann dementsprechend als Machtinstrument missbraucht werden.
Sanktionen bewirken Ausweichbewegungen in Form von Aktivitäten, die dem Schmuggelwesen ähneln. Das Schmuggelwesen fällt regimenahen Gruppen oft leichter als gewöhnlichen Geschäftsleuten. Während das Ausland das Schmuggelwesen zu unterbinden sucht, damit die Sanktionen möglichst eingehalten werden, versucht das Regime das Schmuggelwesen zu kontrollieren und die Gewinne daraus abzuschöpfen. So häufte das Baath-Regime unter Saddam Hussein Milliarden an Petrodollars während der Zeit der Irak-Sanktionen an.
Der Abzug ausländischer Unternehmen und Investoren aufgrund von Sanktionen führt zum Verkauf von deren Beteiligungen. Im Regelfall ist der Abzug für die betreffenden Unternehmen mit einem Verlust verbunden, weil sich schnelle Verkäufe nur zu tiefen Preisen realisieren lassen. Über die notwendigen Geldmittel zum Kauf der zu Schleuderpreisen offerierten Beteiligungen verfügen eher regimenahe Gruppierungen. Teilweise enteignen die sanktionierten Regime die noch vorhandenen ausländischen Unternehmen, was wegen der Krise auf wenig Widerstand stößt.
Könnte es nicht sein, dass sich die Bürger im sanktionierten Land aufgrund der hohen Kosten gegen das Regime erheben? Das ist möglich, aber nicht besonders wahrscheinlich. Politischer Widerstand gegen ein autokratisches Regime ist ein öffentliches Gut: Die Kosten des Widerstands tragen jene, die sich engagieren, der Nutzen des Widerstands kommt allen zugute. Die Anreize, zu opponieren sind daher klein und eine gut organisierte politische Opposition wäre notwendig. In einer Krise kommt hinzu, dass das Regime jede oppositionelle Regung noch stärker unterdrückt als sonst. Darüber hinaus folgt auf ein autokratisches Regime leider nur selten eine demokratische, bürgerorientierte Regierung. Und ein mögliches Machtvakuum mit dem verbundenen Chaos nach einem Umsturz ist für die Bevölkerung oft noch schlimmer als die wirtschaftliche Verarmung aufgrund von Sanktionen.
Neben diesen ökonomischen Mechanismen könnten bei Sanktionen auch gewisse „psychologische“ Effekte eine Rolle spielen. Zwar beobachten die Bürger im sanktionierten Staat, dass die wirtschaftliche Lage schlechter wird. Aber das bedeutet nicht notwendigerweise, dass sie dies als Beweis für das Versagen ihrer Regierung sehen. Manche könnten Sanktionen auch als „Beweis“ dafür verstehen, dass das Regime tatsächlich recht hat und es um einen kollektiven Kampf gegen das Ausland geht. Die Regimepropaganda liefert für eine solche Interpretation allzu gerne Unterstützung.
Warum trotzdem sanktionieren?
Trotzdem können Wirtschaftssanktionen sinnvoll sein. Je stärker sie ausfallen, desto mehr schwächen sie die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Ziellandes. Diese Schwächung kann das militärische Potential reduzieren. Auf das Aggressionspotential wirken Sanktionen allerdings im Regelfall nicht kurzfristig, denn die Waffen für bestehende Aggressionen sind ja bereits vorhanden. Mittel- und längerfristig kann sich die vom Regime ausgehende Gefahr reduzieren oder auf angrenzende, schwächere Länder begrenzen lassen. Darüber hinaus können Sanktionen als ein Signal verstanden werden, dass freie, demokratische Länder bereit sind, Kosten einzugehen, um sich und ihre Werte zu verteidigen.
Hinweis: Eine modifizierte und gekürzte Version dieses Beitrags erschien am 12. März 2022 in der Wiener Zeitung.
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2 Antworten auf „Wie Sanktionen ein Regime stärken können“