Vielleicht sollte man sich ein Cluster wie ein engmaschiges Fischernetz vorstellen. An den Stellen im Netz, wo die Fäden fest zusammen gezurrt sind und die Knotenpunkte sehr nahe beieinander liegen, bleibt am meisten Beute hängen. Dort, wo die Verbindungen ausgeleiert sind oder sich sogar schon erste Löcher auftun, geht ein Teil des potenziellen Fangs flöten, was sich negativ auf Umsatz und Gewinn auswirkt. Übertragen auf die Ökonomie sind diejenigen Unternehmen besonders erfolgreich, die regionale und enge Kooperationen mit anderen Unternehmen und Forschungs-einrichtungen eingehen. Dagegen entwickeln sich lokal isolierte Unternehmen am Markt schwächer.
Drei Marshall’sche Lokalisationsvorteile
Das muss natürlich nicht zwangsläufig so sein. In der empirischen Literatur gibt es indes einen breiten Konsens darüber, dass Lokalisationsvorteile in der Realität existieren, wenn auch die gewählte Methode und das Ausmaß sehr stark schwanken. Eine enge Verflechtung mit Zulieferern, Produzenten und Kunden, ein größerer Markt für spezialisierte Arbeitskräfte und Wissensspillovers sind für die Undurchlässigkeit des Netzes die entscheidenden Stellschrauben.
Für Auflösungserscheinungen sorgen dagegen Ballungsnachteile wie eine höhere Verkehrsbelastung oder steigende Grundstückspreise, weshalb es eine optimale Clustergröße gibt, die von Branche zu Branche und Region zu Region variieren kann. Die drei Lokalisationsvorteile werden auf Marshall zurückgeführt, der bereits vor über 100 Jahren in englischen Industrievierteln funktionierende Unternehmensnetzwerke beobachtet hat, in denen ein Rädchen ins andere griff.
Noch heute aktuelle Beispiele für natürlich gewachsene Cluster finden sich in der Schuh- und Textilindustrie in Norditalien und im Automobilbereich in Baden-Württemberg. In Hochtechnologie-branchen wie dem Maschinenbau oder der Biotechnologie dürfte zirkulierendes Wissen – ausgelöst durch Arbeitsplatzwechsel und gemeinsame Forschungsprojekte – der dominierende Clustervorteil sein, in der Schuh- und Textilindustrie sind es wohl eher die über viele Jahre gewachsenen Zulieferer- und Abnehmerbeziehungen.
Erfolg in einer globalisierten Welt
Gemein sind solchen funktionierenden Unternehmensnetzwerken die Umsetzung von regionalen Innovationspotenzialen in dauerhafte Wertschöpfung und der Erfolg in einer globalisierten Welt. So konnten sich die italienischen Schuhproduzenten lange Zeit gegen die Billighersteller aus Fernost behaupten, auch die deutschen Maschinenbauer sind in vielen Segmenten Weltmarktführer. Das sind Vorzeige-Beispiele.
Aber ballen sich tatsächlich alle Unternehmen einer Volkswirtschaft in optimaler Weise? Haben die bestehenden Cluster flächendeckend die ideale Größe? Oder bringen die Unternehmen durch freiwillige Kooperationen nur eine suboptimale Menge zustande? Die Politik geht offensichtlich von zu wenigen Clusterbildungen in der Wirtschaft aus, anders sind die vielen Clusterinitiativen nicht zu erklären, die seit den neunziger Jahren wie Pilze aus dem Boden schießen – in Deutschland und Europa genau wie in den USA.
Im Januar 2012 werden die Gewinner der dritten Auflage des Spitzencluster-Wettbewerbs des Bundesministeriums für Bildung und Forschung bekanntgegeben. Kürzlich hat das BMBF die elf Finalisten veröffentlicht, darunter Cluster aus den unterschiedlichsten Branchen und Regionen. Auch die Landesregierungen unterhalten zahlreiche solcher Programme, etwa der Freistaat Bayern mit der Cluster-Offensive, deren selbsterklärtes Ziel es ist, 19 Kompetenzfelder zu fördern und Unternehmen, Hochschulen, Forschungseinrichtungen, Dienstleister und Geldgeber miteinander zu vernetzen.
Fließender Übergang von Forschung zu Entwicklung
Solange sich die Förderung auf den vorwettbewerblichen Bereich beschränkt und technologieneutral erfolgt, ist dagegen nichts einzuwenden. Das Problem ist nur, dass der Übergang von der Forschung zur industriellen Entwicklung häufig fließend ist. „Die Trennschärfe, die in der Literatur behauptet wird, gibt es in der Praxis nicht“, sagt VDMA-Präsident Thomas Lindner in einem Interview, das in der Oktober-Ausgabe der Fachzeitschrift WiSt erscheint.
Je näher der Markt rückt, desto größer ist die Gefahr von Diskriminierung, Mitnahmeeffekten und Wettbewerbsverzerrungen durch eine staatliche Clusterförderung. Zudem gilt genau wie bei anderen Erscheinungsformen einer modernen Industriepolitik: Wer weiß schon, ob die dominierende Technologie eines Clusters von heute auch morgen noch gefragt sein wird?
Natürlich ist auch die Privatwirtschaft nicht allwissend, aber genau darin liegen die Chancen eines jeden unternehmerisch handelnden Wirtschaftssubjekts, wie Lindner im WiSt-Interview betont: „Es ist Kernaufgabe und Kernkompetenz eines Unternehmens, in die Zukunft zu investieren und dann auch Gewinne zu erzielen beziehungsweise das unternehmerische Risiko zu tragen.“
FuE-Kooperationen auf dem Vormarsch
Für den wirtschaftlichen Erfolg gehen zunehmend mehr Unternehmen intensive Kooperationen mit der regionalen Konkurrenz ein, auch und gerade in sehr sensiblen Bereichen wie der Forschung und Entwicklung. Hinweise auf Marktineffizienzen bei der Clusterbildung gibt es dabei kaum, das zeigt unter anderem eine 2009 durchgeführte Umfrage unter den deutschen Maschinen- und Anlagenbauern. Es wird vielfach kooperiert, Schlüsseltechnologien finden so gut wie immer bereits im Produktionsprozess Anwendung. Auch regional scheinen die Unternehmen so geballt zu sein, wie es aus volkswirtschaftlicher Sicht optimal ist. Von einem breiten Marktversagen bei der Clusterbildung kann also keine Rede sein.
Fazit
Deshalb sollte der Staat nur den Nährboden für solche Netzwerke bereiten, etwa durch Investitionen in Bildung und Grundlagenforschung. Der Auf- und Ausbau von Clusterstrukturen aber muss den Unternehmen selbst vorbehalten sein, weil sie am besten ihre Bedürfnisse abschätzen können und zum Scheitern verurteile Kooperationen und Projekte von vornherein nicht eingehen. Verheißungsvollen Verbunden werden sie dagegen von sich aus offen gegenüber stehen. Denn mit funktionierenden Clusterstrukturen werden sich auch in Zukunft dicke Fische an Land ziehen lassen.
- BücherMarkt
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