Die Hypo Real Estate Bank (HRE) wäre längst pleite, wenn es mit rechten Dingen zuginge. Geht es aber nicht. So wurden ihre Aktien am 26. März 2009 zu einem Preis von immerhin 1,16 € an der Börse gehandelt. Bei gut 211 Mio. Aktien summiert sich das für die gesamte Bank auf immerhin 245 Mio. €. Das war der Marktwert eines Unternehmens, welches nur durch staatliche Zuschüsse von bisher 90 Mrd. € vor dem Zusammenbruch bewahrt werden konnte – Ende offen. Aber wie ist es möglich, dass ein solches Unternehmen überhaupt noch mit einem positiven Marktwert gehandelt wird? Die Antwort ergibt sich unmittelbar, wenn man sich den Staat wegdenkt. Hätte dieser nämlich kein Geld eingeschossen und hätte er darüber hinaus nicht ein unbedingtes Rettungsversprechen für die HRE abgegeben, dann wären die Aktien der HRE heute wertlos. Nun ist es weitgehend unbestritten, dass es zur Rettung der HRE keine Alternative gab. Denn ein Zahlungsausfall der Bank würde seine Gläubiger mit in den Abgrund reißen, mit unabsehbaren Folgen für die Volkswirtschaft. Dabei ist die HRE nur das augenblicklich prominenteste Beispiel für Banken, die ohne staatliche Hilfe nicht überlebensfähig sind.
Aber folgt aus dem Zwang zur Rettung der Banken durch den Staat, dass dieser auch die Aktionäre und vielleicht auch das glücklose Management von Unternehmen subventionieren muss, welche nach gängigen Maßstäben längst pleite wären? Diese Frage mag zu populistisch klingen, als dass man sie stellen möchte. Aber daraus folgt leider nicht, dass sie unbedeutend ist. Und deshalb wird man sie stellen müssen. Aus ökonomischer Perspektive steht auch nicht der Aspekt im Vordergrund, ob es gerecht ist, wenn Kapitalgeber und Manager eines erfolglosen Unternehmens subventioniert werden. Auch darüber könnte man sinnvoll streiten, ohne gleich abzugleiten auf das Niveau von Plasberg, Will und wie sie alle heißen. Dennoch soll das hier nicht der Punkt sein. Vielmehr geht es um den Einfluss solcher Subventionen auf das Verhalten der Beteiligten, und zwar so: Übernimmt der Staat das Risiko des unternehmerischen Geschäftes, dann löst das den Anreiz aus, zu viele Risiken einzugehen. Es gehört zu den zentralen Funktionen von Unternehmen und ihren Kapitalgebern, Risiken zu übernehmen. Teilweise kann man Risiken durch das Gesetz der großen Zahl vernichten, und das machen vor allem Versicherungen. Aber es verbleiben auch Risiken, die sich nicht vernichten lassen und die jemand schultern muss. Unternehmer und Anleger übernehmen solche Risiken, und zum Ausgleich dafür werden sie für ihre Leistungen in der Regel besser bezahlt als ein durchschnittlicher Arbeitnehmer. Anders gewendet bekommen sie eine Risikoprämie dafür, dass sie im Falle des Falles einen Teil ihrer Rendite, ihres Arbeitseinkommens oder sogar ihres Vermögens verlieren – und das nicht nur bei offenkundigen Fehlentscheidungen, sondern auch schlicht durch Pech. Das ist wie bei einem Bundesliga-Fußballer, der durch Verletzung dauerhaft ausfällt, oder einem berühmten Sänger, dem plötzlich die Stimme versagt. Sie alle verdienen oft sehr viel mehr als ein normaler Arbeitnehmer, aber im Gegenzug müssen sie auch ein größeres Risiko in Kauf nehmen.
Weiß man aber, dass der Staat am Ende doch die Verluste übernimmt, dann funktioniert das alles nicht mehr. Denn dann können alle Beteiligten voll auf Risiko spielen, die Manager, die Anleger und auch die Fußballer und Sänger. Ja, es ist dann sogar ihre beste Strategie, das höchste Risiko einzugehen. Denn hohes Risiko ist in der Regel auch mit hohen Gewinnen verbunden. Bei Unternehmen, die unter Wettbewerb stehen, bedeutet das Vertrauen in die Übernahme von Verlusten durch den Staat sogar: Wer die Strategie des höchsten Risikos nicht verfolgt, wird im Wettbewerb schlechter dastehen als die anderen. Denn die risikofreudige Konkurrenz wird die attraktiveren Konditionen für Kapitalgeber und Kunden bieten können, wird sie alle abwerben und das risikoscheue Unternehmen am Ende leer ausgehen lassen. Es kann unter solchen Bedingungen sogar passieren, dass gerade jene Unternehmen pleite gehen, welche in guter kaufmännischer Tradition das unternehmerische Risiko seriös einkalkulieren. Das wäre dann die krasseste Form der Bestrafung gewünschten Verhaltens. Weil dies nicht sein darf, gehört die privatrechtliche Haftung für unternehmerische Risiken zu den zentralen Bausteinen des marktwirtschaftlichen Steuerungsmechanismus. Nimmt man diesen Baustein heraus, dann stimmt sogleich das ganze Gefüge nicht mehr.
Aber ausgerechnet in der Finanzbranche, da wo der Steuerungsmechanismus der Risikoübernahme durch Haftung geradezu im Zentrum des Geschehens steht, ausgerechnet da nun sieht sich der Staat gezwungen, den Unternehmen das Risiko abzunehmen. Denn Banken sind systemisch miteinander verflochten, und daher kann man das Insolvenzrecht nicht in der Weise anwenden, wie es gerade in dieser Branche von entscheidender Bedeutung wäre. Das war auch schon vor der Krise bekannt und konnte in jedem Lehrbuch über das Bankwesen nachgelesen werden. Aber wir alle haben uns gleich in zweifacher Weise an der Tragweite des Problems vorbeigeschummelt: Erstens haben wir darin nur so etwas wie einen Schönheitsfehler im Umfeld der Banken und Kapitalmärkte gesehen, während es sich in Wahrheit um einen kapitalen ordnungspolitischen Konstruktionsmangel handelt; und zweitens haben wir geglaubt, das ganze mit Hilfe von Regulierungen in den Griff zu bekommen.
Ersteres ist heute unbestritten. Da sich aber niemand imstande sieht, den ordnungspolitischen Konstruktionsmangel zu beheben, stürzen sich alle auf den zweiten Aspekt, die Regulierung, und zwar so: Wenn der Konstruktionsmangel nicht wegzubekommen ist und wenn die bestehenden Regulierungen nicht ausgereicht haben, dann muss eben mehr Regulierung her. Leider ist dieser Schluss zu simpel, um hilfreich zu sein. Neulich wunderte sich ein Bankenrechtler in einem Grußwort an eine Gruppe von Ökonomen über seine Erfahrung, dass Banken angesichts einer verschärften Regulierung nicht alles daran setzten, den Geist dieser verschärften Regulierungen umzusetzen, sondern ihre Mitarbeiter im Gegenteil damit beauftragten, Wege zu ihrer legalen Umgehung zu finden. Anders als der Bankenrechtler wunderten sich die anwesenden Ökonomen nicht. Denn zum Bestand der ökonomischen Theorie gehört es heute, dass Regulierungen anreizkompatibel sein müssen. Das bedeutet schlicht, dass es im Interesse der Regulierten sein muss, sich im Sinne der Regulierungen zu verhalten. Wenn aber jene ökonomisch bestraft werden, welche sich im Sinne der Regulierungen verhalten, während jene belohnt werden, die findig genug sind, um die Regulierungen zu umgehen, dann sind diese Regulierungen nicht anreizkompatibel. Das genau ist der Fall, wenn der Staat den Banken das Risiko ihres Geschäfts abnimmt. Denn dann ist es nicht mehr in deren Interesse, Regulierungen zur Begrenzung des Risikos im Bankgeschäft ihrem Geiste nach umzusetzen. Vielmehr liegt es in deren Interesse, diese Regulierungen zu umgehen.
Damit gelangen wir unmittelbar zu der Gretchenfrage: Wie kann der Staat den Kollaps systemrelevanter Banken verhindern, ohne den Managern und Aktionären dieser Banken ihr ganz persönliches Risiko abzunehmen? Abstrakt formuliert lautet die Antwort so: Er muss die Rettung der Bank von der Rettung der Position der Bankvorstände und Bankaktionäre abtrennen. Wie aber soll das gehen? Gehen wir der Reihe nach vor. Ausgangspunkt sei eine systemisch relevante Bank, welche in eine ausweglose Situation geraten ist – eine Situation, in der nur staatliche Subventionen den Zusammenbruch der Bank verhindern können. Gäbe es den ordnungspolitischen Konstruktionsmangel nicht, so würde die Bank in Konkurs gehen. Für die Aktionäre bedeutete dies, dass alle Aktien ihren Wert verlören. Ihr Marktwert an der Börse fiele im Zweifel auf null. Für die Vorstände bedeutete es, dass ihre Verträge mit der Bank gegenstandslos würden. Das Insolvenzrecht räumt zwar den Ansprüchen der Arbeitnehmer relativ hohe Schutzrechte ein. Das gilt aber nicht oder nur sehr bedingt für Vorstände. Daher wären deren Ansprüche mit dem Konkurs ihrer Bank in ähnlicher Weise dahin wie jene der Aktionäre. So wäre es im gewöhnlichen Konkursfall.
Nun kann der Staat die Bank aber nicht in Konkurs schicken. Darin liegt der Konstruktionsfehler begründet, den es zu heilen gilt. Und das könnte so gehen: Sobald klar ist, dass die Bank ohne staatliche Hilfe zahlungsunfähig werden wird und keine privatwirtschaftliche Rettung mehr möglich ist, werden ihre Aktiva auf einen Sonderfonds übertragen und die Bank wird neu gegründet. Juristisch geht die alte Bank damit unter, und es entfallen sämtliche Ansprüche des Vorstandes sowie der Aktionäre an die Bank. Zugleich übernimmt der staatliche Fonds alle übrigen Verbindlichkeiten der Bank mit dem Ziel, eine systemische Kettenreaktion zu verhindern. Im Zuge der Neugründung wird die Bank wieder mit einem Vorstand versehen. Dieser kann durchaus auch der alte sein, es hängt davon ab, welche Rolle dieser im Zusammenhang mit dem Zusammenbruch gespielt hat. Denn es gibt zwei Reinformen von Gründen für eine Firmenpleite: Unfähigkeit oder Pech. War es im konkreten Falle Pech, so gibt es keinen Grund, den alten Vorstand nicht wieder zu berufen. Spielten aber gravierende Managementfehler eine Rolle, so liegt es nahe, andere Manager mit dem Job zu betrauen. Der springende Punkt ist aber: In jedem Falle würde der alte Vorstand ebenso wie die Aktionäre zunächst alle Ansprüche aus seinen ursprünglichen Verträgen mit der untergegangenen Bank verlieren. Genau so würde es im Ergebnis bei einem Konkurs auch kommen, und zwar unabhängig davon, ob die Ursache der Pleite in Managementfehlern oder einfach in unglücklichen Umständen zu suchen ist.
Zugegeben: Das Ganze klingt nach Enteignung, sogar nach Verfassungsbruch, und Juristen mögen das sogar so finden. Aber ökonomisch betrachtet ist das glatte Gegenteil der Fall. Denn wenn man es so macht, dann sehen sich Management und Aktionäre wieder präzise demselben Risiko ausgesetzt wie dem eines Unternehmens, welches im Falle seines Scheiterns regulär in ein Konkursverfahren geschickt wird. Kommt es zur Insolvenz, so werden die Aktien im einen wie im anderen Falle wertlos und die vertraglichen Ansprüche des Managements an die Bank werden gegenstandslos. Wäre man im Falle der HRE so verfahren, so hätten deren Aktien heute einen Marktwert von null, wie im Falle der Insolvenz. Und dann müsste man auch nicht mit dem Hauptaktionär über die Übernahmemodi verhandeln. Das wäre auch richtig so, denn auch unter den Bedingungen eines normalen Konkursverfahrens hätte es für ihn nichts zu verhandeln gegeben. So gesehen war es gerade ordnungspolitisch gesehen unbegründet, dass die FDP im Zusammenhang mit der möglichen Enteignung der HRE-Aktionäre sozialistische Umtriebe gewittert hat. Denn zumindest ökonomisch betrachtet kann man nichts enteignen, wo nichts ist (zugegeben: Juristisch mag man das anders sehen). Mehr noch: Es dürfte schwer fallen, sich unter Berufung auf ordnungspolitische Prinzipien für den Wertbestandsschutz von Aktien eines Unternehmens stark zu machen, welches nur mit vielen Milliarden an Steuermitteln vor dem Zusammenbruch bewahrt wurde. Zieht man hingegen die hier vorgeschlagenen Konsequenzen, so würde die ökonomische Wertlosigkeit der betreffenden Bankaktien unmittelbar an der Börse sichtbar. Damit wäre übrigens mit einem Schlag auch den politischen Bauernfängern der Wind aus den Segeln genommen. Denn es gäbe keine Großaktionäre mehr, die auf Kosten der Steuerzahler den Wert ihrer Aktien zu retten versuchen. Auch gäbe es keine Bonuszahlungen, Gehaltsforderungen oder sonstige Ansprüche von Managern mehr, über die man sich in den üblichen Talkshows ereifern könnte. Lediglich die Kettenreaktion wäre abgewendet, welche mit einem üblichen Konkursverfahren losgetreten worden wäre.
Das Wichtigste aber wäre dies: Weil künftig jeder Aktionär und jedes Vorstandsmitglied einer Bank immer mit genau jenen Konsequenzen zu rechnen hätte wie sie für andere Unternehmen im Falle der Insolvenz auch gelten, werden sie in normalen Zeiten das Risiko ihres Geschäfts wieder mit einkalkulieren; und zwar ganz von allein, aus wohl verstandenem Eigeninteresse. Das Haftungsprinzip wäre wieder installiert und der ordnungspolitische Konstruktionsmangel der jetzigen Struktur wäre überwunden.
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Ein Fehler ist aber anzunehmen. Es ginge nicht auf dem normalen Konkursweg. Dann hätten wir zusätzlich das Regulativ, daß Gläubiger mit dem Ausfall der Schuldner kalkulieren müssten. Also kurz ich kannn nicht sehen warum es bei Finanzinstitutionen nicht genauswo wie bei anderen „Firmen“ gehen sollte
Speziell ist die Frage erlaubt:
„. Da sich aber niemand imstande sieht, den ordnungspolitischen Konstruktionsmangel zu beheben, “
Warum? Nur wegen irgendwelchen Verflechtungen? Nun dann kann ich ja auch argumentieren eine große Autofirma darf man nicht Pleite gehen lassen wegen Ihrer Zulieferer. Das soll es aber ok sein und bei Geldinstituten die mit „Geld“ als Produkt handeln nicht?