Deutschland ist das China der Euro-Zone

Seit Jahren schon steht China wegen seiner Wechselkurspolitik international am Pranger. Insbesondere – aber nicht nur – die Amerikaner kritisieren die strategische Unterbewertung des chinesischen Renminbi (RMB).  Und dies zurecht, denn sie stellt eine Wechselkursprotektion dar, weil die Unterbewertung der heimischen Währung wie eine Subventionierung der chinesischen Exporte und eine Besteuerung der chinesischen Importe wirkt mit der Folge politisch verzerrter Außenhandelssalden: China exportiere zu viel und importiere zu wenig, heißt der Vorwurf. International verlangt wird, dass China seine Wechselkursprotektion der Unterbewertung durch eine nominale Aufwertung des RMB abbaue, um die Ungleichgewichte im Außenhandel zu reduzieren. Inzwischen hat China eine graduelle Aufwertung eingeleitet, wenngleich die signifikante Unterbewertung des RMB nicht beseitigt wurde: Sie wird zwischen 10 und 25 % geschätzt, je nachdem, welches theoretische Wechselkursmodell, welche Wechselkursvariante (nominaler, realer, effektiver etc. Wechselkurs) und welche Datenbasis zugrundegelegt wird. China betreibt also nach wie vor eine über den Wechselkurs unterbewertungsstrategisch angelegte Handelspolitik. Neben dem Argument, dass diese Politik die Akkumulation von Währungsreserven der Bank of China befördert, liegt eine der Begründungen für diese Protektionspolitik, dass eine Aufwertung des RMB zu Exporteinbußen führen und über diese eine kontraktive Entwicklung in Bezug auf Wachstum und Beschäftigung in China auslösen würden.

Deutschland wird, was den Außenhandelssaldo betrifft, international – aber vor allem in der Euro-Zone – mit ähnlicher Kritik konfrontiert: Der deutsche Exportüberschuss sei zu hoch, das zu exportlastige deutsche „Geschäftsmodell“ schädige die Krisenländer in der Euro-Zone, indem es ihnen deren Importüberschüsse geradezu aufzwinge. Im Gegensatz zur Kritik an Chinas wechselkursstrategischer Exportförderung fokussiert sich die Kritik an Deutschlands Exportüberschüssen nicht am Wechselkurs, sondern primär an den relativ „zu niedrigen“ Lohnstückkosten in Deutschland, die eine relativ „zu hohe“ Wettbewerbsfähigkeit erzeugten. Im Kern propagiert die Majorität der Euro-Mitglieder den Abbau der deutschen Exportüberschüsse durch Maßnahmen des „raising rival`s costs“, ohne dabei das entscheidende Problem in den Fokus zu nehmen: die Unterbewertung des „deutschen“ Euro-Wechselkurses.

Dieser „deutschen“ Unterbewertung stehen Überbewertungen des „Euro der Krisenländer“ gegenüber, weil die Wettbewerbsfähigkeiten der Euro-Mitglieder sich innerhalb der Euro-Zone unterschiedlich entwickelt haben. Man kann das an der Entwicklung der realen Wechselkurse ablesen. Die Unterbewertung des „deutschen“ Euro liegt vermutlich zwischen 15 und 20 % und hat damit wohl ein ähnliches Ausmaß wie das des chinesischen RMB. Die deutschen Exporte werden mithin über den zu niedrigen Euro-Wechselkurs implizit subventioniert, die Importe entsprechend implizit besteuert. Wie bei China profitiert die deutsche Exportindustrie mithin von einer politisch angelegten Wechselkursprotektion. Der Unterschied ist allerdings, dass Deutschland keine Souveränität mehr über seinen eigenen Wechselkurs besitzt, die Protektionswirkung auf den deutschen Außenhandel also Euro-systembedingt angelegt ist, die sich der nationalen Beseitigung entzieht. Die generell  berechtigte Kritik an handelsverzerrender Wechselkursprotektion trifft – anders als bei China – also nicht Deutschland, sondern muss sich auf das unbedingte Festkursarrangement der Euro-Zone fokussieren, das die nationalen Euro-Wechselkurse nominal stets bei 1:1 fixiert, obwohl sich die realen Wechselkurse auseinander entwickeln.

Diese durch Wechselkursprotektion erzeugte Exportsubventionierung ist – ähnlich wie in China –  für die deutsche Exportindustrie erfreulich, und deshalb ist deren Euphorie über die Einführung des Euro und sind deren Warnungen vor einem Auseinanderbrechen der Euro-Zone auch besonders groß. Wer profitiert nicht gern von Subventionen, die andere bezahlen? Die deutschen Exporteure malen im Einklang mit den deutschen Euro-Politikern den Teufel an die Wand: Ohne den Euro würde Deutschland massiv aufwerten müssen, was der deutschen Volkswirtschaft großen Schaden zufüge. Dabei wird völlig verdrängt, dass Deutschland in allen Währungsarragements der Nachkriegszeit schon immer ein „Aufwertungsland“ gewesen ist und die Exportindustrie seit Bretton-Woods und danach die kumulierten DM-Aufwertungen von mehr als 200 % nicht nur verkraftet, sondern stets als herausfordernde „Produktivitätspeitsche“ in erhöhte Wettbewerbsfähigkeit transformiert hat. Die deutschen Exporteure und die deutschen und europäischen Euro-Rettungspolitiker reden heute dem Euro-Wechselkursprotektionismus das Wort, klagen aber zugleich denselben Protektionismus Chinas mit Recht international an. Das ist auffällig inkonsequent.

Auch wenn der Anschein das Gegenteil verspricht, ist festzustellen, dass Wechselkursprotektion durch Unterbewertung nicht nur die internationalen Handelsströme verzerrt, sondern zudem im Inland gesamtwirtschaftlich wohlstandsmindernd wirkt. Denn erstens wird jedes Exportgut zu billig verkauft und jedes Importgut zu teuer gekauft. Wohlstand wird mithin durch Ressourcentransfer über den Außenhandel ans Ausland „verschenkt“. Zweitens wird die heimische Produktionsstruktur verzerrt: Die Export- und Importsubstitutionsindustrie sind zu groß, die Importindustrie ist zu klein. Eine wohlstandsmindernde Ressourcenfehlallokation mit den entsprechenden Veränderungen der relativen Preise innerhalb des Landes ist die Folge. Zudem befördert die Währungsunterbewertung eines stabilitätsorientierten Landes dessen Inflationsimport aus einem inflationsaffinen Auslandsumfeld.

Schließlich aber gibt es einen wohlstandswirksamen Unterschied zwischen dem wechselkursinduzierten Protektionismus Chinas und Euro-Deutschlands: Während der Exportüberschuss Chinas sich letztlich in erhöhten Währungsreserven der Bank of China in Gestalt marktfähiger Assets (z. B. US-Dollar) niederschlägt, generiert der deutsche Exportüberschuss über das TARGET-Abrechnungssystem zunehmend Forderungen der Deutschen Bundesbank auf die Europäische Zentralbank, die keine marktfähig handelbaren Vermögenswerte repräsentieren. Damit verschenkt Deutschland seinen Überschuss. Dieser wohlstandsmindernde Effekt wird durch die Währungsunterbewertung des „deutschen“ Euro noch verstärkt.

Fazit: Die Euro-Rettungseuropäer sollten sich über die negativen Protektionswirkungen des Fixkurssystems Euro-Zone im Klaren sein, wenn sie zugleich und zurecht die Wechselkursprotektion Chinas anklagen. Sie werden dann erkennen müssen, dass Deutschland – neben den anderen Exportüberschussländern der Euro-Zone mit Aufwertungsbedarf – durch den Euro in eine Protektionspolitik getrieben wird, die systembedingt angelegt ist und deren negative Folgen denen der Wechselkursprotektion Chinas ähneln. Das Fatale an allen expandierenden und explodierenden Rettungsschirmarrangements „zur Rettung des Euro“ liegt darin, dass sie alle negativen Wirkungen der Wechselkursprotektion in Europa konservieren, also eben auch „retten“. China kann sich für diese Protektionsvorlage bedanken und wird sich die europäische Kritik an seiner Wechselkurspolitik zunehmend verbitten.

8 Antworten auf „Deutschland ist das China der Euro-Zone“

  1. Während China Dollar akkumuliert…. „generiert der deutsche Exportüberschuss über das TARGET-Abrechnungssystem zunehmend Forderungen der Deutschen Bundesbank auf die Europäische Zentralbank, die keine marktfähig handelbaren Vermögenswerte repräsentieren. Damit verschenkt Deutschland seinen Überschuss.“
    Dies ist ein bewusste Überzeichnung, der Wert alle Schuldverschreibungen ist ohnehin abhängig von dem Willen des Schuldners sie zu bedienen. Nun mag das Target System ohne explizite Fälligkeit dieser Ansprüche etwas eher dazu verführen diese verfallen zu lassen, jedoch sind sie vom Charakter her eindeutig einer Schuld sehr ähnlich und so wie diese werden sie auch betrachtet und bedient werden.

  2. Sehr interessante und treffende Analyse. Die Konsequenzen sind allerdings umstritten. Eine Position ist folgende:

    Um die systematischen Unter- und Überbewertungen in Europa auszugleichen, muss es zu einer Annäherung der nationalen Inflationsraten kommen (die in der EWU immer weiter divergiert sind). Eine Hauptdeterminante hierbei sind die Lohnstückkosten, die sich über die Löhne gemessen an der Produktivität bestimmen. In den südeuropäischen Peripherieländern müssen die Lohnstückkosten sinken, diese Länder müssen also produktiver werden und/oder Löhne senken, was bereits geschieht.
    Nun ist Wettbewerbsfähigkeit aber immer ein relatives Konzept. Es können nie alle Länder wettbewerbsfähiger werden, sondern immer nur im Verhältnis (bzw. auf Kosten) anderer Länder. Den Peripheriestaaten ist es somit nicht möglich ihre Wettbewerbsfähigkeit signifikant zu verbessern, wenn die Kernstaaten (vor allem Deutschland) unvermindert wettbewerbsfähig bleiben wollen bzw. ihre Wettbewerbsfähigkeit noch weiter steigern wollen.
    Im Umkehrschluss muss die von Ihnen richtig diagnostizierte systematische Unterbewertung deutscher Produkte also durch höhere Lohnstückkosten in Deutschland ausgeglichen werden. Da eine Verringerung der Produktivität wenig sinnvoll erscheint, bleibt nur eine signifikante Steigerung der Löhne in Deutschland, die mittlerweile eine Mehrheit der Ökonomen in Deutschland für richtig hält. Dies würde den „wohlstandsmindernden“ Effekt in Deutschland ausgleichen, über erhöhte Binnennachfrage womöglich weiteren Wohlstand generieren, und schließlich auch den Anpassungsprozess in der europäischen Peripherie erleichtern.
    Was sagen Sie dazu, Herr Schäfer?

  3. Erhellender, aufklärender Aufsatz. Danke Herr Schäfer.
    Ähnlich: D. Spethmann
    http://www.eurospethmann.de/index.htm

    Ich bin ökonomischer und finanzwissenschaftlicher Laie. Warum nennen Sie die chinesischen Währungsreserven „marktfähige Assets“? Diese Formulierung verstehe ich nicht. Welchen Status haben die von einer Volkswirtschaft angesammelten Zahlungsbilanzüberschüsse überhaupt und im allgemeinen? Kann z.B. die chinesische Regierung über das Geld frei verfügen? Haben die Chinesen mit diesen Überschüssen ihre Auslandsinvestitionen (z.B. Abbaurechte von Bodenschätze in Südamerika und Afrika) bezahlt? Wenn ja, wie geht das technisch vor sich? Weist die chinesische Regierung die chinesische Nationalbank an: „Wir brauchen 100 Milliarden Dollar für Investitionen in Chile. Liebe Bank, überweise den Betrag auf die Konten des Außenhandelsministeriums.“ Oder wie geht das?
    Anders gefragt: Wie werden Zahlungsbilanzüberschüsse wohlstandssteigernd wirksam?

    Bakwahn
    Hamburg Bangkok Düsseldorf

  4. Zwei interessante Kommentare.
    Zunächst zu Euro-Retter: Das ist die Crux, die feste Wechselkurse zwischen Ländern heftig divergierender Wettbewerbsfähigkeiten implizieren. Die Anpassungslösung kann nicht in der Strategie des „raising rivals`costs“ liegen, sondern allein in dessen genauem Gegenteil. Nicht der Leistungs- und also Wettbewerbsstärkere sollte seine Position verschlechtern, sondern der Schwächere sollte stärker werden: Rauf mit der Produktivität, runter mit den der Produktivität davongelaufenden Löhnen. Wenn das nicht geht oder politisch nicht gewollt wird, ist die Wechselkursxierung problematisch. Allgemein: Nicht die relativ erfolgreichen Nordländer der Euro-Zone, sondern die Krisenländer des Südens, die fundamentale Prinzipien erfolgreicher Wirtschaftspolitik in der Hoffnung auf Transferzahlungen mißachten, sind das Problem.

  5. Sodann zu Bakwahn: Die chinesischen Währungsreserven bestehen aus Forderungen auf ausländische Staaten (z.B. US-Anleihen), Zentralbanken (US-Dollar, Euro etc.) und andere Institutionen. Sie werden auf Märkten gehandelt, sind also marktfähige Assets. Die chinesische People`s Bank of China ist eine vom Staat abhängige Zentralbank, die in der Tat auf Weisung der Regierung dem von Ihnen skizzierten Auslands-Überweisungsmodus unterliegt.

  6. Ausgezeichnete Analyse, Herr Schäfer!

    China könnte heute mehr oder weniger problemlos Assets für seine US-Dollar-Reserven kaufen, beispielsweise Rohstoffe, Gold, Aktien oder ähnliches. Sie haben es korrekt geschrieben, die Dollar-Reserven werden am Markt gehandelt. Von den TargetII-Salden kann sich Deutschland nichts kaufen. Das ist der Unterschied!

    Und zu dem Argument, dass Deutschland nur die Löhne anheben müsste. Das ist die fürchterliche, aber im Kleinen leider scheinbar schlüssige Argumentation von Heiner Flassbeck und Konsorten. Wo soll das hinführen? Zu einem Wettlauf, wer bezahlt die höchsten Löhne? Wohlstand steigern heißt mit weniger(!) Aufwand (und dazu gehören auch Löhne) viel produzieren!

    Die Verteilungsgerechtigkeit innerhalb von Deutschland zwischen Unternehmern und Arbeitnehmern muss separat vom marktwirtschaftlichen Prinzip abgehandelt werden und steht auf einem ganz anderen Blatt. Man kann und muss Unternehmensgewinne besteuern, Lohnsteuern für den Arbeitnehmer senken, etc.. Aber man kann nicht ein marktwirtschaftlich orientiertes Unternehmen „zwingen“, Löhne über dem Markt zu zahlen. Salopp gesagt würden bei künstlichen Lohnsteigerungen zukünftig die Chinesen und Inder statt der Deutschen die Waren liefern. Und dann guckt nicht nur Deutschland in die Röhre, sondern dann müsste den Südländern auch noch der „deutsche Tropf“, an dem sie hängen, entzogen werden.

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