Junge Ordnungsökonomik
Expansive Geldpolitiken und das Ende der Globalisierung

In ihrem 2009er Werk Money, Markets, and Sovereignty argumentieren Benn Steil und Manuel Hinds, dass souveräne Geldpolitiken und die Globalisierung – historisch betrachtet – nicht miteinander kompatibel sind. In der Geschichte setzten Regierungen die Geldpolitik meist aggressiv für ihre Interessen ein. Souveräne Geldpolitiken trugen daher immer wieder zu Konflikten, Inflation und Währungskrisen bei, die mit protektionistischen Maßnahmen einhergingen. Folglich waren in längeren Globalisierungsperioden eher monetäre Standards, wie z. B. der Goldstandard, vorherrschend als souveräne Geldpolitiken.

Wenn das Argument richtig ist, leben wir in einer schrägen Welt. Die Finanzmärkte sind mehr oder weniger integriert. Es besteht ein historisch hoher Grad an Handelsfreiheit. Dennoch nutzen Länder und Ländergruppen die Geldpolitik zur Steuerung der wirtschaftlichen Entwicklung. Nach Steil und Hinds ist diese Konstellation zum Scheitern verdammt.

Steil und Hinds könnten Recht behalten. Warum?

In den meisten Ländern wird der Geldpolitik insbesondere bei der Krisenbekämpfung eine bedeutende Rolle zugetragen. So senkte die Federal Reserve (Fed) den Leitzins in Reaktion auf die jüngste Finanzkrise auf (knapp über) Null und erleichterte die Kreditvergabe, um die Finanzmärkte zu stabilisieren und das Wachstum zu beflügeln. Darüber hinaus unterstützt sie die amerikanische Fiskalpolitik durch den Kauf von Staatsanleihen. Die Bank of England, Europäische Zentralbank und andere bedeutende Zentralbanken reagierten sehr ähnlich. Eine Umkehr der Geldpolitik in den Krisenländern ist kurzfristig nicht zu erwarten, denn das Wachstum in direkt von einer Finanzkrise betroffenen Ländern bleibt oft für längere Zeit unterdurchschnittlich (Reinhart und Reinhart 2010).

Da es sich bei den derzeitigen Krisenländern gerade um Länder mit bedeutenden Finanzzentren und internationalen Reservewährungen handelt, bleiben die durchaus gutgemeinten geldpolitischen Rettungsaktionen nicht unbemerkt im Rest der Welt. Denn während die Eurozone und die Vereinigten Staaten einen starken Wachstumseinbruch verzeichneten und sich nur langsam erholen (wenn überhaupt), kehrten viele aufstrebende Volkswirtschaften in Osteuropa (z. B. Polen), Lateinamerika (z. B. Brasilien) und auch Ostasien (z. B. Indonesien) relativ schnell auf den Wachstumspfad zurück.

Die Niedrigzinspolitik der großen Zentralbanken geht seit 2008 mit Kapitalflüssen in die lukrativeren Märkte aufstrebender Volkswirtschaften einher. Deren Währungen kommen unter Aufwertungsdruck. Viele dieser Länder stabilisieren ihre Währung gegenüber dem Dollar oder Euro. Damit importieren sie die Geldpolitik der Fed oder ECB mehr oder weniger automatisch. Wenn die eigene Währung gegenüber dem Dollar oder Euro aufzuwerten droht, intervenieren die Zentralbanken. Sie folgen also der Niedrigzinspolitik. Aber auch Länder mit flexiblen Wechselkursen, die z. B. ein Inflationsziel verfolgen, haben Anreize der aktuellen Niedrigzinspolitik der großen Länder – zumindest indirekt – zu folgen.

Mit Übernahme der Geldpolitik können spekulative Kapitalzuflüsse abgewehrt werden, die die Finanzmarktvolatilität erhöhen. Das bremst den Aufwertungsdruck der Währungen, der nicht nur dem Export schadet. Gerade Zentralbanken die über große Devisenbestände verfügen, haben ein Interesse daran eine Aufwertung zu verhindern, um unabhängig von der Fiskalpolitik zu bleiben. Eine Aufwertung der eigenen Währung würde den Wert der Forderungen in ausländischer Währung senken. Es entstünden Verluste. Da es in vielen Ländern nicht klar ist, welche Auswirkungen diese Verluste haben und ob Zentralbanken diese selbst tragen müssen, versuchen sie solche Verluste lieber gleich zu vermeiden (Stella und Lönnberg 2008).

Die Übernahme der Niedrigzinspolitik ist allerdings problematisch für schnell wachsende Volkswirtschaften. Die Kreditvergabe wird zusätzlich angeheizt. Es wird mehr konsumiert und weniger gespart. Wenn traditionelle Anlagemöglichkeiten wegfallen, können zudem Blasen auf Vermögensmärkten entstehen. Deshalb haben seit 2008 eine ganze Reihe von aufstrebenden Volkswirtschaften die Mindestreservesätze erhöht bzw. Kapitalverkehrskontrollen verstärkt.

Die Niedrigzinspolitik führt also bereits jetzt dazu, dass immer mehr Zentralbanken und Regierungen Schranken wiedereinführen, von denen sie sich in den 1980er und 1990ern verabschiedet haben (Hoffmann 2012). Angesichts der expansiven Geldpolitiken der großen Länder sind solche Maßnahmen der „makroprudentiellen Kontrolle“ nachvollziehbar. Sie bedeuten aber auch eine Kehrtwende im globalen Integrationsprozess. Je länger die großen Volkswirtschaften Arbeitslosigkeit und Krisen mit geldpolitischen Maßnahmen bekämpfen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit einer Verschärfung der Abschottungstendenzen.

Mittel- bis langfristig könnten die expansiven Geldpolitiken zur „Achillesferse der Globalisierung“ (siehe auch Steil 2007) werden und ungewollt das Ende der Finanzmarktglobalisierung einläuten. Sich verschärfende Abschottungstendenzen könnten wiederum die Finanzmarktentwicklung bremsen oder sogar umkehren (Rajan und Zingales 2003). Es wäre nicht das erste Mal.

Literatur

Hoffmann, A. (2012), Zero-Interest Rates and Unintended Consequences in Emerging Markets, Working Paper.

Rajan, R. and L. Zingales (2003), The Great Reversals: the Politics of Financial Development in the Twentieth Century, Journal of Financial Economics 69(1), 5-50.

Reinhart, C. and V. Reinhart (2010), ‚After the Fall‘, Federal Reserve Bank of Kansas City Economic Policy Symposium Volume, Macroeconomic Challenges: The Decade Ahead at Jackson Hole, Wyoming, on August 26-28, 2010.

Steil, B. (2007), Monetary Sovereignty as Globalization’s Achilles‘ Heel, Cato Journal 27, 2, 203-217.

Steil, B. and M. Hinds (2009), Money, Markets, and Sovereignty. Yale University Press.

Stella, P. and A. Lönnberg (2008), Issues in Central Bank Finance and Independence, IMF Working Paper WP/08/37.

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