Herr Professor Feld, das Bundeswirtschaftsministerium hat Mitte 2013 die Entscheidung für die Gemeinschaftsvergabe der beiden Jahres-Prognosegutachten bekanntgegeben. Das renommierte Institut für Weltwirtschaft ist aus dem Rennen, dafür hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung seinen Hut wieder erfolgreich in den Ring geworfen. Es wurde gemutmaßt, dass es ein sehr günstiges Angebot abgegeben hat. Gibt es bei der Politikberatung einen Dumping-Wettbewerb?
Lars P. Feld: Diese Gefahr würde ich als nicht allzu groß einschätzen. Natürlich achtet das BMWi bei der Vergabe der Gemeinschaftsdiagnose auf die Kosten. Aber die Qualität ist mindestens genauso wichtig. Es dürfte dem Frühjahrs- und dem Herbstgutachten nicht schaden, wenn die Wirtschaftsforschungsinstitute in einem regen Wettbewerb zueinander stehen und nicht Platzhirsche über Jahrzehnte die Politikberatung dominieren. Natürlich haben es selbst Ökonomen nicht gerne, wenn sie im Wettbewerb stehen, weil sie sich dann anpassen müssen.
Wirtschaftspolitische Beratung scheint unabhängig davon eine hohe Kunst zu sein. Warum dringen die Meinungen der Ökonomen so selten bis zu den Politikern durch?
Feld: Das stimmt so nicht. Die Positionen der Ökonomen dringen durchaus bis zu den Politikern und zur Ministerialbürokratie durch. In allen relevanten Ministerien, die sich mit Wirtschaftspolitik auseinandersetzen, wird täglich in den Pressespiegeln nachgelesen, was die Meinungsführer unter den Ökonomen zum Besten geben. So wird etwa in puncto Eurokrise verfolgt, was Professor Sinn an Standpunkten in den größeren Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht. Solche Meinungen werden stark zur Kenntnis genommen und intern kontrovers diskutiert. Ökonomen haben also einen großen Einfluss. Allerdings ist die Vorstellung, die Politikempfehlungen von Ökonomen müssten genauso umgesetzt werden ziemlich abwegig. Das zeugt von einem völlig falschen Demokratieverständnis.
Warum können jahrzehntelang verfeinerte Theorien so schwierig auf die Realität angewendet werden?
Feld: Die Welt ist viel komplexer als ökonomische Theorien. Theorien sollen gerade diese Komplexität reduzieren und sie verstehbar machen. Man muss zudem beachten, dass manche Ansätze einfach ihre Zeit brauchen. So hat es rund 15 bis 20 Jahre nach Bekanntwerden der General Theory gedauert, bis keynesianische Wirtschaftspolitik in Großbritannien und den Vereinigten Staaten etabliert war. In Deutschland kam sie sogar erst in den 1960er Jahren zum Einsatz. Das trifft ebenso auf neuere Vorschläge von Ökonomen zu. Den Arbeitsmarktreformen von Altkanzler Gerhard Schröder gingen unzählige Vorarbeiten von Ökonomen voraus. Als die Hartz-Kommission zusammengesetzt war, hat der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung mit seinen 20 Punkten für Beschäftigung und Wachstum nochmal alle Vorschläge gebündelt und im Hinblick auf die erwarteten Auswirkungen aktualisiert. Der damalige Vorsitzende Wolfgang Wiegard witzelte seinerzeit, dass die Agenda 2010 so heiße, weil von 20 Vorschlägen des Rates deren 10 umgesetzt worden seien. Das halte ich für keine allzu schlechte Quote, zumal es ein Bohren dicker Bretter war. Denn diesen weitreichenden Maßnahmen auf dem Arbeitsmarkt standen und stehen massive Interessen entgegen.
Als beratender Ökonom muss man folglich nicht nur die Politiker, sondern auch die Bürger hinter sich wissen. Der breiten Öffentlichkeit sind ökonomische Zusammenhänge meist zu abstrakt. Wie könnte man sie dem Volk anschaulicher vermitteln?
Feld: Das ist nicht nur eine Frage der Vermittlung. Man kann in der Bevölkerung sehr schnell Verständnis für bestimmte Positionen wecken. Das Problem ist vielmehr, dass die betroffenen Gruppen ihre Interessen sehr gut kennen und genau wissen, was sowohl kurz- als auch langfristig die Nutzen und Kosten diverser Maßnahmen sind. Die Menschen sind nicht so blauäugig, wie man das manchmal auf den ersten Blick glauben mag. Bei den vorgeschlagenen Arbeitsmarktreformen der Vergangenheit muss man zudem konstatieren, dass die versprochenen langfristigen Auswirkungen oft genug nicht ausgereicht haben, um die kurzfristigen Kosten politisch zu kompensieren. Daher wurde erst in einer solch vertrackten Situation reformiert, wie wir sie zu Beginn dieses Jahrtausends hatten. Zu diesem Zeitpunkt waren rund fünf Millionen Menschen in Deutschland arbeitslos und es war nicht abzusehen, ob und wann diese Zahl zurückgeht. Der Reformdruck war enorm – und es gab darüber hinaus jemanden, der seine Kanzlerschaft an der Agenda 2010 festgemacht hat.
Es muss also wie so oft im Leben immer erst der schlimmste Fall eintreten, bis Betroffene und Verantwortliche voll hinter Veränderungen stehen.
Feld: Ja, Reformen werden nur durchgeführt, wenn der Anpassungsdruck hinreichend groß ist. Das wissen wir seit langem aus der politischen Ökonomik der Reformen. Wenn es keine Krise gibt, werden das Volk und seine Vertreter immer hinterfragen, warum die Rahmenbedingungen geändert werden müssen. Die warnenden Zeigefinger der Ökonomen sind noch lange kein Grund, politische Kosten einzugehen.
Man könnte aber doch leicht auf Erfolge früherer Reformen verweisen mit dem kleinen, aber feinen Zusatz, dass es diesmal erst gar nicht bis zum Krisenzustand kommen muss.
Feld: Das könnte schon ein Argument sein. Die Erträge tauchen allerdings meistens erst in der längeren Frist auf. Die Politik muss dagegen kurzfristig hohes politisches Kapital einsetzen und an ganz bestimmten Privilegien kratzen. Das Zusammenwirken unterschiedlicher Gruppierungen ist ein Eckpfeiler im politischen Prozess. Die Politikberatung ist dabei nur ein Teil des Gesamtgefüges. Wir haben in Deutschland immerhin das Privileg, als unabhängige Berater auch die Effizienzorientierung und damit ordnungspolitisch saubere Lösungen in die Diskussion einzubringen. Es sind dann nicht nur Partikularinteressen, die im politischen Prozess zum Zuge kommen. Dadurch haben wir die Möglichkeit, uns über Verteilungsinteressen zu stellen. Das soll natürlich nicht heißen, dass die Ökonomen in Deutschland frei von eigenen Wertvorstellungen und Positionen beraten.
Bei der theoretischen Politikberatung wird in der Tat häufig kritisiert, dass sie ideologisch behaftet und daher subjektiv ist. In den letzten Jahrzehnten haben viele Ökonomen verstärkt die Empirie als ihr wichtigstes Handwerkszeug entdeckt. Inwieweit ist sie ein Allheilmittel?
Feld: Nur bedingt. Man kann sich zwar ausgehend von ökonomischen Theorien überlegen, welche Kausalzusammenhänge es gibt und diese anschließend ökonometrisch überprüfen. Die Empirie bietet aber selten vollständige Lösungen an, weil fast immer gegenläufige Effekte existieren oder die Kausalität schwer feststellbar ist. In makroökonomischen Fragen, und da zähle ich den Arbeitsmarkt dazu, gibt es trotz aller Mikrofundierung begrenzte Möglichkeiten, um Experimente durchzuführen. Man kann zwar mittlerweile durch bestimmte Evaluationsdesigns auf dem Arbeitsmarkt schon relativ viel aussagen, aber bei weitem nicht alles. So lässt sich nicht abschätzen, ob die Hartz-Reformen zu mehr Wirtschaftswachstum beigetragen haben. Es gibt schlichtweg Grenzen dessen, was man in der Ökonomie mit ökonometrischen Ansätzen erreichen kann.
Die empirische Politikberatung ist zuletzt aufgrund der Verfahrensfehler der amerikanischen Rogoff/Reinhart bei der Schätzung des Einflusses von Staatsverschuldung auf Wirtschaftswachstum in die Kritik geraten. Im Sommer ist darüber sogar eine öffentliche Schlammschlacht mit dem Nobelpreisträger Paul Krugman entflammt. Was kann die Ökonomenzunft aus solchen Diskussionen lernen?
Feld: Dieser Streit ist absolut schädlich gewesen. Die Publikation von Rogoff/Reinhart hat nie den Anspruch gehabt, den enorm bedeutenden Zusammenhang zwischen Staatsverschuldung und Wirtschaftswachstum endgültig zu klären. Trotzdem wurde sie von Befürwortern und Kritikern konkreter Schuldenschwellen als Blaupause missbraucht. So blauäugig, die Forderung nach Konsolidierung in den überschuldeten Staaten auf einer einzigen Veröffentlichung zu basieren, die noch dazu deskriptiv gehalten ist, sind wir Ökonomen nun wirklich nicht.
Das sieht Krugman, der regelmäßig öffentlichkeitswirksame Meinungsbeiträge publiziert, anders…
Feld: Da kann Krugman, der schon lange keine Forschung im engeren Sinne mehr betreibt, schreiben, was er will. Letztlich geht es um die wichtige Frage, ob öffentliche Finanzen tragfähig sind oder nicht. Das lässt sich an keinem Grenzwert festmachen. Schwellenländer wecken beispielsweise schon bei relativ niedrigen Schuldenquoten viele Zweifel an der Tragfähigkeit ihrer öffentlichen Finanzen, weil sie in der Regel sehr stark im Ausland verschuldet sind. Sie kommen teilweise schon bei Schuldenquoten von 40 Prozent des BIP in die Bredouille. Bei anderen Staaten wie etwa Japan, die fast komplett im Inland verschuldet sind, führen Schuldenquoten von über 200 Prozent des BIP nicht dazu, dass Anleger beunruhigt sind. Bei einer Bandbreite zwischen 40 und über 200 Prozent muss man konstatieren, dass es nicht ratsam ist, mit Schwellenwerten zu operieren. Tragfähigkeitsanalysen öffentlicher Finanzen helfen dagegen tatsächlich weiter.
Die Kernaussage von Rogoff/Reinhart ist aber doch unter fast allen Ökonomen unbestritten: Eine zu hohe Staatsschuldenquote ist wachstumsschädlich.
Feld: Vor allem dann, wenn die eben erwähnte Tragfähigkeit in Frage steht. Das ist nicht einfach eine Frage nach der Höhe der Schuldenquote. Es spielt darüber hinaus eine große Rolle, wie hoch das Wirtschaftswachstum und die Zinsen in dem entsprechenden Land sind. Wenn die Wachstumsrate über den Zinssätzen für die Refinanzierung liegt, werden sich die Anleger kaum Sorgen machen. Denn dann ist die Dynamik in dem verschuldeten Land hinreichend groß, um die Zinskosten mehr als zu kompensieren. Die Verschuldung finanziert sich, weil die Wirtschaft und damit das BIP kräftig wachsen. Da geht es aber wohlgemerkt nicht um zwei oder drei gute Jahre während eines konjunkturellen Aufschwungs, sondern um langfristig ordentliche Wachstumsraten mit hohen Produktivitätszuwächsen. Leider war dies zuletzt meist nicht der Fall; die Zinssätze liegen in den überschuldeten Ländern über den Wachstumsraten. In diesen Szenarien kann sich ein Staat nicht unbegrenzt verschulden.
Also müsste die Empfehlung nachdrücklich lauten: Liebe Politiker, bitte fahrt die Staatsschulden schnellstmöglich herunter.
Feld: Genau. Das rät die Politikberatung hierzulande auch. Insbesondere in den südeuropäischen Ländern ist der Zinssatz höher als die Wachstumsrate. Deshalb führt kein Weg an einer Konsolidierung vorbei. In Deutschland gab es trotz des niedrigen Zinssatzes für Staatsanleihen gerade einmal zwei Jahre, in denen das Wirtschaftswachstum höher war als der Zins. In diesem Jahr dürfte es je nach Höhe der Inflationsrate schon schwierig werden, da wir maximal 0,3 bis 0,4 Prozent Wachstum erzielen werden. Wenn wir nur eine Inflationsrate von einem Prozent haben, liegen wir schon wieder unter dem mageren Zinssatz für langfristige Staatsanleihen. Daher lautet die Empfehlung ohne Wenn und Aber: Konsolidieren!
Das Gespräch führte Jörg Rieger.
Hinweis
Das vollständige Interview finden Sie in der Oktoberausgabe der WiSt (Heft 10, 2013).
Als ökonomischer Forscher sollte man stets offen für eine kritische Auseinandersetzung mit anderen Ideen sein, insbesondere wenn man in der Politikberatung tätig ist und der eigene Einfluss Auswirkungen auf die Bevölkerung ganzer Volkswirtschaften hat. Feld scheint diese Offenheit verloren zu haben. Krugman? Hat schon lange nicht geforscht, kann schreiben was er will, egal. Selbst wenn es stimmen würde, dass Krugman lange nicht geforscht hat (aber was ist das dann?: http://www.imf.org/external/np/res/seminars/2013/arc/pdf/Krugman.pdf), ist damit alles, was er bereits erforscht hat und die Grundlage seiner Einlassungen bildet, gegenstandslos geworden? Wenn dem so wäre, müsste man die meisten Ökonomik-Lehrbücher aus dem Verkehr ziehen. Die meisten der dort behandelten Theorien stammen schließlich von Forschern, die schon lange nicht mehr geforscht haben…