Ein flächendeckender Mindestlohn von 8,50 Euro war das Mantra des Bundestagswahlkampfes der SPD. Da konnten Wissenschaftler soviel warnen, wie sie wollten, und die Wähler der Partei die Gefolgschaft verweigern, es nutzte nichts. Kanzlerin Angela Merkel druckste zwar erst einmal etwas herum, aber reichte schließlich die Hand zum Bunde, egal was der CDU-Wirtschaftsrat dazu meint.
Und jetzt kommen einige Kollegen, angeführt von einer Handvoll Arbeitsmarktforscher, und rufen öffentlich dazu auf, die Dinge ins rechte Lot zu bringen. Das Mantra hat sich also eingefressen: Einen Mindestlohn kann es schon geben, das ist doch wohl kein (ordnungspolitisches) Problem. Nur richtig muss er halt sein. Nicht zu niedrig, aber auch nicht zu hoch. Ach wie gut, dass niemand weiß, was der goldene Schnitt denn wär. Da braucht`s unbedingt die unabhängige Wissenschaft, weil die bekanntlich rechnen kann. Wär‘ vielleicht ein Mindestlohn von 8,44 Euro das richtige Maß oder dürfen es auch 8,67 Euro sein? Die professoralen Preiskommissare sind im Anmarsch und sehen sich schon als benevolente Mitglieder der Mindestlohnkommission.
Was die Wirkungen eines flächendeckenden Mindestlohns auf Beschäftigung und Lohnstruktur angeht, muss hier nicht erneut diskutiert werden. Hervorragende Kollegen warnen seit langem. Ein zurückhaltendes, differenziertes Resümee bietet beispielsweise das jüngste Jahresgutachten desSachverständigenrats, dessen Titel „Gegen eine rückwärtsgewandte Wirtschaftspolitik“ vermutlich viele Jahre aktuell bleiben wird (Vgl. Sachverständigenrat: Jahresgutachten 2013/14, insb. Ziff. 482-485). In diesem kurzen Beitrag geht es mir ausschließlich um die Frage, wo die Grenze zu ziehen ist zwischen wissenschaftlicher Arbeit und politischem Handeln. Und dies wird am Beispiel des dieser Tage von Fitzenberger et al. verfassten öffentlichen Aufrufs „Unabhängige Mindestlohnkommission mit wissenschaftlicher Expertise nach britischem Vorbild gefragt“ diskutiert.
Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD sieht vor, dass eine sieben bis neun Mitglieder umfassende „Kommission der Tarifpartner“ erstmals zu Mitte 2017 den ab Anfang 2015 geltenden flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn überprüfen und falls erforderlich anpassen soll. Sechs Mitglieder der Kommission sollen je zur Hälfte von den Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer benannt werden. Hinzu kommt als siebentes Mitglied der Vorsitzende der Kommission, der alternierend bestimmt werden soll. Darüber hinaus kann jede Seite einen Wissenschaftler als weiteres Mitglied, und zwar ohne Stimmrecht, benennen.
Prima Vista lässt sich folgern: Die Große Koalition bemüht sich, den Korporatismus neu zu beleben. Nicht die von den Bürgern gewählten Bundestagsabgeordneten sollen über den flächendeckenden Mindestlohn entscheiden dürfen, obwohl man ihn „gesetzlich“ nennt, sondern ausschließlich von Interessenverbänden benannte Personen. Die Große Koalition gibt den Spitzenverbänden von Arbeitgebern und Gewerkschaften einen Freibrief, zu tun, was sie für richtig ansehen und ihren Interessen frommt. Und für den schönen Schein dürfen die Tarifparteien auch „wissenschaftlichen Sachverstand“ beiziehen, und zwar – wie könnte es anders sein – in der dienenden Rolle als Berater.
Das ist es, was einigen unserer Arbeitsmarktforscher nicht passt. Sie wollen sich mit der Rolle des Beraters nicht bescheiden, sondern es verlangt sie nach der Macht, über die Lohnhöhe unmittelbar mitzubestimmen. Also fordern sie jetzt zum ersten, dass die im Koalitionsvertrag angedachten zwei Wissenschaftler volles Stimmrecht haben sollten, und zum zweiten, dass der Vorsitz der Kommission „einer unabhängigen Person“ übertragen werden sollte, mit anderen Worten einem weiteren Wissenschaftler. So lasse sich vermeiden, „dass die Wissenschaft von politischen Interessen instrumentalisiert wird.“ Was immer damit gemeint sein könnte, festhalten zu ist: Sollte der Vorschlag aufgegriffen werden, dann würde „die Wissenschaft“ ebenso wie die Arbeitgeber und die Gewerkschaften in der Kommission über drei Stimmen verfügen und sie wäre sogar mächtiger als jede der beiden anderen Gruppen, weil einem der drei Wissenschaftler qua Konstruktion der Vorsitz der Kommission zufiele und damit der Vorteil, den Gang der Verhandlungen lenken zu können.
Der Plan mag fein gesponnen sein, aber er ist doch zu durchsichtig, um von der Politik überhaupt beachtet und nicht sofort durchschaut zu werden. Hier wollen hochgemute Wissenschaftler nicht länger nur gehört werden, sondern endlich mal selber bestimmen. Aber sie vergessen: Platons Herrschaft der Gelehrten war eine interessante Idee der Antike, sie hat aber zu Recht keinen Platz in unserer demokratischen Staatsordnung. Nicht eine erfolgreiche Habilitation ermächtigt zum Regieren, sondern ausschließlich der Wahlerfolg bei den Bürgern. Wer politische Entscheidungen treffen will – und die Mitentscheidung über die Höhe des Mindestlohns ist eine politische Entscheidung – der muss sich den Bürgern im Wettbewerb mit anderen zur Wahl stellen. Und er muss sein politisches Handeln gegenüber den Bürgern verantworten, weil er als Politiker vermittels des staatlichen Gewaltmonopols in deren Lebensverhältnisse direkt oder indirekt eingreift.
Man mag versucht sein, einzuwenden, dass im Rahmen korporatistischer Regelungen de facto ohnehin politische Teilbefugnisse auf Interessenvertreter übertragen werden, die der Bürger nicht gewählt hat, warum dann nicht auch auf Vertreter der Wissenschaft, die der Bürger ebenfalls nicht gewählt hat. Aber zum Ethos der Wissenschaft gehört nun mal das unbedingte Bemühen um unvoreingenommene Erkenntnisgewinnung. Und das geht nicht mit einem zielgerichteten Gestalten der res publica zusammen. Man kann nicht beides sein, Wissenschaftler und zugleich Politiker.
Es hilft den Arbeitsmarktforschern auch nichts zu verlangen, dass die für die „Kommission der Tarifpartner“ vorgesehenen Wissenschaftler „unabhängig“ sein sollten. Art. 5 (3) GG sichert den Wissenschaftlern Freiheit in Forschung und Lehre zu. Aber dieses Privileg verschafft nur einen Status, aus dem nichts darüber abgeleitet werden kann, wie sich konkrete Personen tatsächlich verhalten werden, insbesondere bei Tätigkeiten außerhalb von Forschung und Lehre. Welche Kriterien wollten die Arbeitsmarktforscher anlegen, um zu beurteilen, ob ein für die Kommission vorgesehener Wissenschaftler „unabhängig“ ist? Und wie wollten sie verhindern, dass eine ernannte Person sich anschließend abhängig verhält, sich also als ein Arbeitgeberfreund oder eine Gewerkschaftsfreundin entpuppt?
Summa summarum muss man der Großen Koalition in einem Punkt ihres leider rückwärtsgewandten Kommissionsvorschlags recht geben: Vertreter der Wissenschaft sollten kein Stimmrecht haben.
Im übrigen: Wie viele Kollegen den Aufruf der Arbeitsmarktforscher auch unterschreiben mögen, ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass mittlerweile zu viele Ökonomen zu viele Aufrufe blind unterschreiben.
Blogbeiträge zum Mindestlohn:
Thomas Apolte: Mindestlohn: Viel Lärm um nichts!
Norbert Berthold: Denn sie wissen, was sie tun. Mindestlöhne zerstören die Marktwirtschaft
Norbert Berthold: Die Wendehälse der CDU. Mindestlöhne statt Marktwirtschaft
Norbert Berthold: Eine unendliche Geschichte. Mindestlöhne, Arbeitslosigkeit und Strukturwandel
Norbert Berthold: Gesetzliche Mindestlöhne – wehret den Anfängen
Wolfgang Franz: Der trügerische Charme des Mindestlohnes
Thorsten Polleit: Warum ein Mindestlohn keine gute Idee ist
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3 Antworten auf „Ordnungsruf
Professorale Preiskommissare drängen in die Mindestlohnkommission“