München, 7. Februar 2014 – Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner heutigen Stellungnahme erklärt, dass die Europäische Zentralbank mit dem OMT-Programm zum Ankauf von Staatspapieren ihre Kompetenzen überschritten hat. Das Programm sei mit dem Primärrecht der EU unvereinbar. Damit gab es den Klägern Recht und bestätigt vollumfänglich die Position, die auch der Präsident des ifo Instituts in seinem Gutachten als Sachverständiger des Gerichts im Juni 2013 zum OMT vertreten hatte. Dieses Gutachten ist hier verfügbar.
Dies sind die entscheidenden Argumente des Gerichts
- Das OMT-Programm kann zu einer erheblichen Vermögensumverteilung zwischen den Staaten Europas führen, wenn die erworbenen Papiere bis zur Fälligkeit gehalten werden. Kommentar Prof. Sinn: Dass die Papiere vermutlich bis zur Fälligkeit gehalten werden, ergibt sich schon daraus, dass nur Papiere mit einer Restlaufzeit von ein bis drei Jahren erworben werden. Die möglichen Abschreibungsverluste auf solche Papiere schlagen voll und ganz auf die Steuerzahler durch, denn die Gewinne des EZB-Systems aus dem Verleih des selbstgemachten Geldes (Seignorage) sind an die jeweiligen Finanzministerien abzuführen. Die Möglichkeit der EZB, ggfs. mit negativem Eigenkapital weiterzuarbeiten, ist dafür bedeutungslos.
- Der selektive Aufkauf der Staatspapiere der Krisenländer qualifiziert den OMT-Beschluss als wirtschaftspolitische Maßnahme, zu der die EZB nicht befugt ist. Eine zwischen einzelnen Mitgliedstaaten differenzierende Vorgehensweise ist dem System der europäischen Zentralbanken grundsätzlich fremd. Man kann sie nicht als geldpolitische Maßnahme rechtfertigen. Kommentar Prof. Sinn: In der Tat betreibt die EZB mit diesem Beschluss eine regionale Fiskalpolitik zum Schutz der Kreditaufnahme einzelner Länder. Eine solche Maßnahme findet keinerlei Pendant in anderen Währungsunionen wie z.B. den USA oder der Schweizer Konföderation. Die US-amerikanische Federal Reserve Bank kauft zwar bundesstaatliche Papiere, doch nicht die Staatspapiere von in Bedrängnis geratenen Staaten wie Kalifornien oder Illinois.
- Das OMT-Programm ist ein funktionales Äquivalent der entsprechenden Hilfsprogramme EFSF und ESM, unterliegt aber keiner demokratischen Kontrolle. Kommentar Prof. Sinn: In der Tat enthält der ESM mit der sogenannten Secondary Market Support Facility (SMSF) ein Eventualprogramm zum Ankauf von Staatspapieren, das praktisch mit dem OMT identisch ist, weil es die gleiche Konditionalität hat, nämlich die Unterwerfung unter die Regeln des ESM, jedoch in seinem Umfang durch die Haftungsschranken des ESM begrenzt ist. Ist das OMT Geldpolitik, wie die EZB behauptet, so überschreitet der ESM sein Mandat. Ist hingegen die SMSF Fiskalpolitik, wie der ESM behauptet, überschreitet die EZB ihr Mandat. Aus logischen Gründen muss mindestens eine der beiden Institutionen, ESM oder EZB, ihr Mandat überschreiten. Das Gericht hat nun festgestellt, dass die EZB ihr Mandat überschreitet.
- Die Absicht der EZB, die Zinsaufschläge der Märkte bei den Staatspapieren bedrängter Länder zu neutralisieren, spricht dafür, dass das OMT eine nach Artikel 123 AEUV verbotene monetäre Staatsfinanzierung ist. Kommentar Prof. Sinn: Diese Position hatte das Gericht auch schon in seinem vorläufigen Urteil vom September 2012 vertreten. Dort sprach es von einem Verbot einer Politik, die darauf zielt, die Finanzierung eines Staates vom Kapitalmarkt unabhängig zu machen. In der neuen Stellungnahme wird das Gericht präziser, indem es sich generell gegen eine Politik wendet, die die Zinsaufschläge verringert. Diese Position ist ökonomisch korrekt, denn Zinsaufschläge sind das zentrale Mittel zur Vermeidung von Schuldenexzessen im Euroraum. Wenn sich Staaten überschulden, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass sie die Schulden zurückzahlen werden, und die Gläubiger verlangen höhere Zinsaufschläge. Das wiederum bremst die Verschuldungsneigung. Angesichts des Umstandes, dass die realwirtschaftliche Krise Südeuropas aus einer inflationären Kreditblase resultierte, die die betroffenen Länder ihrer Wettbewerbsfähigkeit beraubte, ist dies entscheidend für die langfristige Existenz und Stabilität des Eurosystems.
Die EZB tituliert ihre Politik der Eliminierung der Zinsunterschiede als Verbesserung der Transmission der Geldpolitik, doch in Wahrheit verzerrt sie dadurch die Kapitalströme in Europa. Das Sparkapital des Nordens wurde vor der Krise zum Teil in Südeuropa verbrannt. Nun zögert es und ist nur noch bereit, zu höheren Zinsen dorthin zu gehen. Da das der EZB nicht gefällt, gewährt sie ihm mit dem OMT kostenlosen Begleitschutz zu Lasten der Steuerzahler der noch gesunden Länder Europas – eine CDS-Versicherung gegen den Ausfall von Staatspapieren, wie sie ein jeder Anleger auch auf dem Markt erwerben könnte. Das ist zentralplanerische Investitionslenkung, die die allokative Funktion des Kapitalmarktes unterläuft und die Wachstumsverluste, die der Euro Europa beschert hat, perpetuiert.
Schlussbemerkung Prof. Sinn:
Das Gericht hat keine Maßnahmen ergriffen, die die Bundesbank oder andere deutsche Instanzen bereits heute binden, sondern den Fall an den Gerichtshof der Europäischen Union verwiesen. Das wird die Kapitalmärkte aufatmen lassen. Dennoch wird das Urteil nicht ohne Auswirkungen auf die Geldpolitik der EZB bleiben. Zum einen wird es die EZB nicht wagen, das OMT zu aktivieren, bevor der EuGH entschieden hat, weil es ohne eine konkrete Anwendung die Fiktion aufrechterhalten kann, es sei noch gar keine Maßnahme ergriffen worden – was ein rechtlich relevanter Tatbestand sein könnte. Zum anderen wird das Urteil seine Auswirkungen auf die öffentliche Debatte nicht verfehlen, weil es die Position der Eurokritiker und die allgemeine Skepsis der Deutschen gegenüber der EZB-Politik verstärken wird. So erhalten die AfD und die eurokritischen Flügel der Unionsparteien (z.B. Gauweiler in der CSU) Aufwind. Das wiederum wird die Bundesregierung zu einer Neubestimmung ihrer Position in der Eurokrise zwingen. Die Politik der augenzwinkernden Zustimmung zur Politik der EZB, mit der Kanzlerin Merkel der Bundesbank in den Rücken gefallen ist, dürfte damit an ihre Grenzen gekommen sein.
Holger Steltzner kommentiert in der FAZ die Entscheidung der Karlsruher Verfassungsrichter kritisch:
„Am Ende könnten sich die Karlsruher Richter in einer selbstgebauten Falle wiederfinden. Erst stellten sie rechtswidriges Verhalten der EZB fest, dann baten sie aus Angst vor der eigenen Courage den Gerichtshof um Hilfe. Doch der könnte sie auflaufen lassen. Was macht das Verfassungsgericht dann? Den Austritt Deutschlands aus dem Währungsverbund, wie von hartnäckigen Kritikern erhofft, werden die Verfassungsrichter niemals erzwingen. Der EZB wird Karlsruhe keine rechtlichen Grenzen mehr setzen dürfen. Diese könnte unterdessen Staatsanleihen von allen Mitgliedstaaten kaufen, was im Rat bereits intensiv diskutiert wird. Sie nähmen damit einigen Wind aus den Segeln des Verfassungsgerichts. Die Richter könnten zum Schluss nur noch die Bundesbank anweisen, bei strittigen Aktionen nicht mitzuwirken. Sie brächten damit jedoch die Stimme der ordnungspolitischen Vernunft im Rat der EZB zum Verstummen. Das passiert, wenn auch höchste Richter nach dem Motto handeln: Wasch mich, aber mach mich nicht nass!“
Der ehemalige Verfassungsrichter Udo Di Fabio nimmt seine Kollegen in Schutz: Der Euro-Beschluss bedeutet kein Einknicken gegenüber der EU. Die Richter haben ihre Rolle vielmehr klug interpretiert. Ein Gastbeitrag in der FAS.
Kluger Schachzug des Verfassungsgerichts
Die Anrufung des EuGH bei gleichzeitiger Feststellung, dass das unbegrenzte Aufkaufen von Staatsanleihen nicht vom Mandat der EZB gedeckt sein dürfte, ist kein Ausweichmanöver, sondern strategisch sehr klug und zielführend. Ein Gastbeitrag von Bernd Lucke in der FAZ.