Gastbeitrag
Spaniens Weg aus der Krise
Erste Anpassungserfolge, zusätzliche Reformerfordernisse

Ein früherer Blog-Beitrag von mir über die Finanz- und Wirtschaftskrise in Spanien (vom 28.7.12) war von der Sorge getragen, dass das Land mit den erforderlichen strukturellen Anpassungen nicht würde zurechtkommen. Inzwischen hat sich das Bild aufgehellt, ohne dass allerdings schon Entwarnung gegeben werden könnte.

Trotz beachtlicher Anpassungsfortschritte…

Zur gesamtwirtschaftlichen Lage in Spanien gibt es zu Beginn des Jahres 2014 widersprüchliche Signale:

  • Einerseits: Die über zweijährige Rezession scheint überwunden. Zwar ist im Jahresdurchschnitt 2013 das reale Bruttoinlandsprodukt nachmals geschrumpft (um -1,2 vH, nach -1,6 vH in 2012). Aber in den beiden letzten Quartalen des Jahres 2013 hat die Wirtschaft nach neun Quartalen wieder eine leichte Produktionsausweitung verzeichnet (um 0,1 vH bzw. 0,3 vH). Für 2014 erwarten die spanischen Konjunkturforscher einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts in der Größenordnung von 1 vH (Regierung: 0,7 vH; IMF: 0,6 vH). Bei einer anhaltenden Schwäche der binnenwirtschaftlichen Auftriebskräfte (namentlich des privaten Verbrauchs) kommen die Impulse hauptsächlich vom Export von Waren und Dienstleistungen (positiver Außenbeitrag). Zusätzliche Aktivität findet in der Schattenwirtschaft statt, die sich in den Krisenjahren ausgeweitet hat: nach Schätzungen des Finanzministeriums auf rund 25 vH des Bruttoinlandsprodukts (2008: 17,8 vH).
  • Andererseits: Die Lage am Arbeitsmarkt ist nach wie vor bedrückend. Die Arbeitslosenquote war 2013 nach Griechenland die zweithöchste im Euroraum (26,4 vH, 5,9 Millionen registrierte Arbeitslose, davon rund die Hälfte Langzeitarbeitslose). Die Jugendarbeitslosigkeit ist ebenfalls vergleichsweise hoch (über 50 vH, bereinigt um die dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehenden Jugendlichen knapp 20 vH). Für 2014 wird erstmals seit 2007 ein leichter Rückgang der Arbeitslosenquote erwartet (auf 25,8 vH). Aber dies resultiert in erster Linie aus dem Rückgang der Anzahl der Erwerbspersonen, nicht aus einer spürbaren Ausweitung des Stellenangebots. Die Erwerbstätigkeit sinkt, weil viele Arbeitsuchende resigniert haben, in die Schattenwirtschaft abtauchen oder auswandern.

Die Anpassungsmaßnahmen und Strukturreformen, die die Rajoy-Regierung 2012/13 durchgeführt hat – vor allem bei den öffentlichen Finanzen, der staatlichen Verwaltung, dem Bankensektor und dem Arbeitsmarkt sowie im regulatorischen Rahmen zur Sicherung der Einheit des Binnenmarktes und zur Beschleunigung der Genehmigungsverfahren für Unternehmensneugründungen -, haben den Abbau der großen makroökonomischen Ungleichgewichte, die das Land ab 2007 in die Finanz- und Wirtschaftskrise gestürzt hatten, voran gebracht (Tabelle 1):

Spanien
– zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken –

  • das gesamtstaatliche Haushaltsdefizit bildet sich zurück, wozu Steuererhöhungen und Einsparungen bei den Ausgaben (vor allem Personalausgaben) mehr oder weniger zu gleichen Teilen beitragen (und nicht mit Priorität auf der Ausgabenseite, wie es spanische Experten für wünschenswert halten, etwa im Verhältnis 70:30);
  • die Refinanzierung der Staatsschuld am Kapitalmarkt funktioniert reibungslos und mittlerweile zu tragbaren Zinsen;
  • die Unternehmen und privaten Haushalte bauen ihre übermäßige Verschuldung kontinuierlich ab;
  • auf dem Arbeitsmarkt gibt es dank einer Dezentralisierung des Lohnfindungssystems (betriebsnahe Tarifverträge) und eines gelockerten Kündigungsschutzes mehr Flexibilität, die Arbeitsproduktivität steigt, die Lohnstückkosten sinken;
  • die Unternehmen trauen sich angesichts einer wieder verbesserten preislichen Wettbewerbsfähigkeit im Exportgeschäft mehr zu, auch außerhalb des Euroraums;
  • der internationale Banken-Rettungsschirm wird nicht mehr gebraucht (von den ursprünglich unter Auflagen gewährten 100 Mrd. Euro an Hilfsgeldern wurden nur 41 Mrd. in Anspruch genommen), die weiteren Sanierungsmaßnahmen können mit eigenen Instrumenten (Bankenrestrukturierungsfonds FROB, Bad Bank SAREB) durchgeführt werden;
  • die Inflationsrate ist auf einem historisch niedrigem Niveau (u.a. bedingt durch die notwendigen Anpassungen der relativen Preise, der sog. „internen Abwertung“);
  • die Leistungsbilanz verzeichnet erstmals seit vielen Jahren einen Überschuss (das Defizit in der Handelsbilanz ist kleiner geworden), was zu einem Gutteil auf nicht-konjunkturelle Faktoren wie die Verringerung der Lohnstückkosten zurückgeht;
  • ausländische Direktinvestitionen nehmen wieder zu, die Investitionen ausländische Anleger, die sich von Spanien wegen Insolvenzängsten abgewandt hatten, ebenfalls.

… muss die Reformpolitik fortgesetzt werden

Die Regierung geht davon aus, dass das Vertrauen der Marktteilnehmer in die Nachhaltigkeit der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (angemessenes Wachstum, hoher Beschäftigungsgrad) zurückkehre. Das mag sein, aber Vorsicht ist geboten:

  • Es trifft zwar zu, dass die einst hohen Risikoaufschläge bei der Neuemission von Staatsanleihen und Unternehmensanleihen deutlich zurückgegangen sind. Aber: Zum Teil ist dies der Ankündigung der EZB, ggf. in unbegrenztem Umfang gegen Auflagen Staatspapiere der Krisenländer zu kaufen (OMT-Programm) geschuldet, die von den internationalen Finanzinvestoren als Risikobefreiung wird (auch ohne Aktivierung des Programms).
  • Es trifft zwar zu, dass die Neuverschuldung des Staates zurückgegangen ist. Aber: Die Schuldenstandsquote steigt weiter über den Durchschnitt im Euroraum (rund 94 Prozent in Relation zum Bruttoinlandsprodukt) hinaus und nähert sich der 100-Prozent-Marke (die nach Untersuchungen der BIZ und der EZB kritisch ist, unabhängig von den Diskussionen um die Zuverlässigkeit der sog. Rogoff-Reinhart-Regel). Die Banken werden von der Regierung immer noch über die Maße bei der staatlichen Neuverschuldung vereinnahmt (sie halten rund 30 Prozent der Staatsschuld, was die EZB bei den bevorstehenden Stresstests monieren könnte). Der negative Primärsaldo ist zwar kleiner geworden (nach Prognosen des IMF von -8,3 vH/BIP im Jahre 2012 auf -3,7 vH/BIP in 2013 gesunken). Aber da das nominale Zinsniveau höher ist als die Zuwachsrate des nominalen Bruttoinlandsprodukts (und dies eigentlich normal ist), kann die Schuldenstandsquote nur stabilisiert und zurückgeführt werden, wenn ausreichend Primärüberschüsse gebildet werden.
  • Es trifft zwar zu, dass das Gebot der Haushaltsdisziplin jetzt einen höheren Stellenwert hat als früher. Aber: Das regierungsamtliche Drängen nach Einführung von Eurobonds offenbart eine Neigung zur Vergemeinschaftung von Risiken bei wieder laxerem Ausgaben- und Verschuldungsverhalten. Dies ist ordnungspolitisch problematisch, weil das marktwirtschaftliche Gebot von der Einheit von Handlung und Eigenverantwortung unterlaufen wird.
  • Es trifft zwar zu, dass die Banken heute besser kapitalisiert sind als ehedem. Aber: Die Altlasten in den Bilanzen (faule Immobilienkredite) sind immer noch groß, weshalb es für die Regierung eine hohe Priorität hat, dass in der geplanten Europäischen Bankenunion schnellstens eine gemeinsame Einlagensicherung eingeführt wird, was eigentlich nur zuallerletzt in Frage kommen kann, so denn ei solches gemeinsames System überhaupt nötig ist, wenn die Bankbilanzen rein sind.
  • Es trifft zwar zu, dass die schwache Kreditvergabe an Unternehmen und private Haushalte eine wichtige Ursache in der ebenfalls schwachen Kreditnachfrage des privaten Sektors hat (nicht nur, wie bisher, rezessionsbedingt, sondern auch wegen der Deleveraging-Prozesse). Aber: Eine andere Ursache ist das fortbestehende Misstrauen unter den Kreditinstituten mit der Folge, dass der Interbankenmarkt immer noch nicht richtig funktionstüchtig ist (allen großzügigen Liquiditätshilfen der EZB zum Trotz).
  • Es trifft zwar zu, dass die Wirtschaft aus der Rezession herauskommt. Aber: Die konjunkturelle Erholung steht noch auf wackligen Füßen, und der Wachstumspfad des gesamtwirtschaftlichen Produktionspotenzials ist noch sehr flach. Die notwendige Schrumpfung des unter der einstigen Immobilienblase überdimensionierten Bausektors ist noch nicht abgeschlossen (es gibt immer noch gewaltige Wohnungsleerstände), der Strukturwandel in der Industrie in Richtung technologieintensiver Aktivitäten ist noch nicht in Gang gekommen, die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen muss noch hinsichtlich der nicht-preislichen Faktoren verbessert werden, und es herrscht weiterhin Massenarbeitslosigkeit. Die Regierung wünscht sich eine noch lockere Geldpolitik der EZB, ohne zu erklären, wie denn die Geldpolitik Strukturprobleme in der Realwirtschaft lösen soll (was gar nicht geht). Erst wenn sich die Lage am Arbeitsmarkt entspannt, d.h. die Erwerbstätigkeit wieder steigt, nachhaltig neue Arbeitsplätze geschaffen werden, die Arbeitslosenquote deutlich sinkt und der Brain Drain gestoppt ist, kann die Wirtschaftskrise in Spanien als beendet gelten.

Deshalb ist es unabdingbar, dass die Regierung auf Reformkurs bleibt und die Zeit nutzt, die der durch die EZB im OMT-Rahmen faktisch gedeckelten Zins und ihre aktuelle Niedrigzinspolitik bieten. Im Fokus stehen makroökonomisch die folgenden Bereiche:

  • Haushaltskonsolidierung: Diese muss entschlossen fortgesetzt werden. Gegenüber der Europäischen Kommission hat sich die Regierung nach einer erwirkten zweijährigen Fristverlängerung verpflichtet, bis 2016 das gesamtstaatliche Haushaltsdefizit wieder Maastricht-konform (maximal 3%/BIP) zu kontrollieren. Der größte Konsolidierungsbedarf besteht auf regionaler Ebene. Nach einer Verfassungsreform zur Begrenzung des Haushaltsdefizits noch unter der Zapatero-Regierung (September 2011) und das daraufhin in der neuen Legislaturperiode vom Parlament verabschiedete Gesetz über die Haushaltsstabilität (April 2012) besteht für alle Gebietskörperschaften die Pflicht zu einem strukturell ausgeglichen Haushalt ab 2020 (mit Ausnahmen bei „außergewöhnlichen Ereignissen“).
  • Steuersystem: Die von der Regierung angekündigte große Steuerreform mit dem Ziel, die Besteuerung allokativ effizient (gemäß den einschlägigen Neutralitätspostulaten) und administrativ einfach und aufkommensergiebig zu machen, sollte nach dem Vorliegen der Vorschläge einer Expertenkommission (noch im Februar?) zügig in die Wege geleitet werden. Dem Vernehmen nach wird u.a. erwogen, die Steuerlast auf Arbeitseinkommen und Ersparnisse zu verringern, die Spielräume für Abschreibungen bei den Unternehmen zu verkleinern und die Bemessungsgrundlagen bei der Umsatzsteuer zu erweitern (unter Beibehaltung der nach der Reform vom Juli 2012 erhöhten Steuersätze 20/10/4 Prozent).
  • Arbeitsmarkt: Nach der ersten Reform im Februar 2012 sind weitere Flexibilisierungen geboten, um das Potential für mehr Beschäftigung zu vergrößern. Dazu gehören geringere Abfindungszahlungen bei Kündigungen und angemessene Kurzarbeitsregelungen ebenso wie befristete Beschäftigungsverhältnisse, Teilzeitstellen und Ausbildungsplätze in den Unternehmen. Das deutsche System der dualen Berufsausbildung wird mittlerweile als Muster für ein entsprechendes System in Spanien ernsthaft geprüft (und vom Arbeitgeberverband CEOE favorisiert).
  • Stromwirtschaft: Hier hat sich über viele Jahre hinweg infolge von marktwidrigen staatlichen Interventionen ein gewaltiges regulierungsbedingtes Defizit zwischen Einnahmen und Ausgaben der (fünf) Elektrizitätsversorgungsunternehmen aufgebaut (rund 24 Mrd. Euro), das eine aufgeschobene Verbindlichkeit der Verbraucher gegenüber den Stromerzeugern darstellt, die nicht tragfähig ist. Die Regierung weiß, dass eine tiefgreifende Strukturreform in diesem Sektor unabdingbar ist und entwickelt zurzeit Reformpläne, die zu mehr Wettbewerb auf den Strommärkten führen und eine effiziente Stromversorgung im Land gewährleisten sollen. Erforderlich wären u.a. die Offenlegung der tatsächlichen Kosten der Stromerzeugung, die sukzessive Anhebung des Strompreises für Endverbraucher in Verbindung mit der Einführung eines einteiligen, verbrauchsabhängigen Stromtarifs (orientiert an den langfristigen Grenzkosten der Stromerzeugung) sowie der Abbau der hohen Subventionen für erneuerbare Energien.

Fazit

Einiges ist in Spanien in der laufenden Legislaturperiode besser geworden, aber noch längst ist nicht alles im Lot. Es könnte schwierig sein, das notwendige Reformtempo einzuhalten. Die zahlreichen in 2014 und 2015 anstehenden Parlamentswahlen (Europa, Autonome Regionen, Kommunen, Gesamtstaat) laden Politiker nicht dazu ein, weitere unpopuläre Maßnahmen zu ergreifen. Wenn aber Reformmüdigkeit aufkommt, käme nicht nur die Wirtschaft nicht auf die Erfolgsspur. Es würden auch die leidvollen Anpassungsanstrengungen der Bevölkerung während der letzten beiden Jahre umsonst gewesen sein. Der spanische Minister für Wirtschaft und Wettbewerbsfähigkeit, Luis De Guindos, hat am 30. Januar anlässlich der neuesten amtlichen Konjunkturdaten öffentlich erklärt: „Es bleibt noch sehr viel zu tun, und der zu beschreitende Weg ist voller Kurven“. Hoffentlich folgen den Worten konkrete Taten.

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