Wie weit darf eine staatliche Sicherheitsbehörde oder ein Nachrichtendienst gehen, um die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten? Als Sicherheitsorgan muss die Behörde die Möglichkeit haben, in die Privatsphäre, also in die Freiheitsspielräume des Einzelnen, einzudringen. Denn Sicherheit vor Anschlägen, vor Terrorakten oder vor verfassungsfeindlichen Umtrieben kann nur dann hergestellt werden, wenn die Sicherheitsbehörde die Erlaubnis hat, auch im privaten Umfeld Informationen zu sammeln und im Fall einer Sicherheitsbedrohung auch einzuschreiten. Gleichzeitig greift dieses Streben nach Sicherheit massiv in die Privatsphäre und damit in die Freiheitsspielräume ein. Ein Leben in Freiheit benötigt jedoch Sicherheit. Es benötigt den Schutz vor der Gewaltbereitschaft anderer. Die Notwendigkeit der Sicherheit wiederum schränkt aber wiederum die Freiheitsspielräume des Einzelnen ein. Es ist nicht einfach, die Werte Freiheit und Ordnung/Sicherheit so auszutarieren, wie es der Wunsch der Bürger ist.
Dieser Konflikt der Werte Freiheit und Ordnung ist alles andere als neu: Der berechtigte Schutz der Freiheitsspielräume anderer erfordert die Existenz einer Ordnung, welche solche Freiheitsspielräume definiert und die Einengung der Spielräume anderer sanktioniert. Freiheit muss dort ihre Grenzen haben, wo die berechtigten Interessen anderer Menschen berührt werden. Ordnende Regeln sind damit nicht als Gegensatz, sondern als Pendant zur Freiheit zu verstehen.
Der Fußball bietet dieser Tage ein (un-)schönes Beispiel: Das Foulspiel des Kolumbianers Zúñiga am brasilianischen Fußballkünstler Neymar ist bei der aktuellen Weltmeisterschaft in Brasilien nur eines einer ganzen Reihe harter und zahlreicher Verstöße an den Spielregeln, die auf dem Fußballfeld gelten. Doch die Schiedsrichter dosieren bei der aktuellen Weltmeisterschaft den Einsatz gelber und roter Karten sparsam. Der Grundgedanke dahinter ist ironischer Weise auch u.a. der Schutz der Spieler: Eine strenge Ahndung von Foulspielen führt im Fußball dazu, dass wichtige Spieler in den entscheidenden Spielen einer Weltmeisterschaft wegen Sperren nicht mehr zur Verfügung stehen. Ihnen wird die Freiheit, am Spiel teilzunehmen, für ein entscheidendes Spiel komplett genommen. Michael Ballacks Sperre im Finale der WM von 2002 ist allen deutschen Fußballfans als prägnantes Beispiel noch gut in Erinnerung.
Doch ordnende, sanktionsbewehrte Regeln sind zum Schutz der Freiheitsspielräume anderer da: Im konkreten Fall wurde dem Brasilianer Neymar seine Freiheit, am Spiel teilzunehmen, durch ein Foulspiel genommen, dass auch dadurch erklärt werden kann, dass eine Sanktionierung ähnlich harter Fouls im Turnierverlauf und auch im entsprechen Spiel zumeist unterblieben ist. Wer nicht mit Sanktionen rechnen muss, greift häufiger zu unlauteren Mitteln. Anderen Fußballkünstlern wird durch die zahlreichen Fouls die Freude am Spiel zunichte gemacht.
Das Problem des richtigen Austarierens zwischen Freiheit und Ordnung gilt selbstverständlich auch für die Wirtschaft: Die Ordnungsethik widmet sich dabei der Frage nach der richtigen, der gerechten oder gesellschaftlich wünschenswerten Wirtschaftsordnung. In der Tradition Homanns wird die Wirtschaftsordnung auch gerne als der systematische Ort der Moral angesehen. Sie dient der Umsetzung der herrschenden Werte und Normen einer Gesellschaft (vgl. Homann/Blome-Drees, 1992). Ist die Wirtschaftsordnung richtig angelegt, kanalisiert sie das Verhalten freier Individuen in die richtigen, der Gesellschaft insgesamt zum Wohle gereichenden Bahnen.
Unterschieden werden zwei Ebenen des wirtschaftlichen Handelns. Homann (2007) nennt diese Ebenen Handlungen und Handlungsbedingungen. Damit greift er auf Ideen des Nobelpreisträgers James M. Buchanan zurück: Buchanan (1975) interpretiert die Rechtsordnung, den Rechtsschutzstaat und den Leistungsstaat als eine vertragliche Vereinbarung der Menschen. Er unterteilt dabei Festlegungen in zwei Stufen: In der ersten Stufe, auf der konstitutionellen Ebene, wird die Verfassung (mit ihren Schutzorganen) festgelegt. Dies entspricht der Festsetzung von Spielregeln. In der zweiten Stufe wird dann das Spiel nach den festgesetzten Spielregeln gespielt. Auch das Spielsystem – mit seinen Regeln – ist damit aber ein endogenes Resultat der Verhandlungen zwischen Menschen.
Denn Spielregeln entstehen nicht von selbst Und es gilt, die bestehende Ordnung im Dialog ständig weiterzuentwickeln. Wieder ist der Fußball ein gutes Beispiel: Als Reaktion auf das unfaire Ballgeschiebe zwischen Österreich und Deutschland, das 1982 als Schande von Gijon in die Fußballgeschichte einging und Algerien damals eine verdiente Achtelfinalteilnahme kostete, wurde vereinbart, die letzten Gruppenspiele eines Turniers zeitgleich auszutragen. Kaum trat ein entsprechender Fall von Unsportlichkeit auf, wurden die Regeln zur Diskussion gestellt und für die Zukunft geändert. Auf die Fälle gesperrter Spieler in einem WM-Finale (siehe den erwähnten Fall Ballack) wurde damit reagiert, gelbe Karten nach dem Viertelfinale zu streichen. Und immer dann, wenn die tatsächliche Ordnung nicht stimmig ist, wenn sie nicht zu unserem gefühlten Wert von Ordnung passt, wird munter diskutiert. Denn nicht immer ist eine Ordnung vollständig entwickelt: Man nehme nur die Beißattacke des Uruguayers Luis Suarez gegen den Italiener Chiellini – sie resultierte de facto in vier Monaten Berufsverbot. Ist dies zu viel? Oder ist es noch zu wenig? Mangels bisheriger Vergleichsfälle gibt es hier keine klare Regel und auch keine Präzedenzentscheidung. Und vielleicht werten wir Deutschen die Beißattacke auch anders als die Uruguayer.
Laut einer Befragung der Friedrich-Naumann-Stiftung (2012) halten 61 Prozent der Deutschen den Wert Ordnung bzw. Sicherheit für sehr wichtig (vgl. Abbildung in Wirtschaftliche Freiheit – ein Wert im Niedergang?). Dabei bleibt in der Befragung allerdings eher vage, was genau unter Ordnung und Sicherheit zu verstehen sei, da der Begriff Ordnung nicht festlegt, um welche Art von Ordnung es sich handelt. Die hohe Bedeutung, die in derselben Umfrage dem Wert Freiheit beigemessen wird, deutet darauf hin, dass die Menschen eine freiheitliche Ordnung wünschen. Sicherheit in diesem Zusammenhang haben die meisten Befragten denn vermutlich als Rechtssicherheit, als Schutz vor Gewalt privater oder staatlicher Akteure, als Abwesenheit anarchistischer Zustände, interpretiert. Damit sind Freiheit und Ordnung keine Gegensätze, sondern Ordnung ist eine Bedingung für Freiheit.
Der Wunsch nach Ordnung beinhaltet auch den Wunsch nach Verboten. Spannend ist die Beobachtung, dass in der Tat der Ruf nach Verboten dann laut wird, wenn die eigenen Freiheitsspielräume beeinträchtigt werden. Abbildung 1 veranschaulicht eine Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach aus dem Jahr 2003, bei dem die Menschen ab 16 Jahren ihre Meinung dazu äußern sollten, in welchen Lebensbereichen die Notwendigkeit besteht, Verbote einzuführen, um die Menschen präventiv vor sich selbst zu schützen.
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Tendenziell ist beim Blick auf die Zahlen fest zu stellen, dass Menschen mit einem Alter von über 60 Jahren in allen Bereichen zu einem weitaus höheren Anteil für Verbote gestimmt haben als die jüngere Generation. Vielleicht liegt dies daran, dass wir heutzutage in einem liberaleren Umfeld aufwachsen und dementsprechend die heutigen Generationen nicht nur toleranter sind, sondern sich auch für mehr individuelle Freiheitsrechte einsetzen. Es kann aber auch auf das Alter an sich zurückzuführen sein. Es bleibt abzuwarten, wie die vor zehn Jahren junge Generation in drei Jahrzehnten zu den gleichen Fragen Stellung nehmen wird.
Dass ein Großteil der Menschen sich für einen Verbot von harten Drogen ausspricht, liegt vermutlich hauptsächlich daran, dass viele Drogensüchtige zu Straftätern werden, um sich Geld für den Drogenkonsum zu verschaffen und sich aufgrund dessen viele Menschen ihrer Freiheit beraubt fühlen, weil sie sich nachts nicht mehr auf die Straße trauen. Auch die Sorge vor geklonten Menschen, vor Rechtsradikalismus oder ungesunden Lebensmitteln ist zunächst wohl eine Sorge um die eigene Person, die den Ruf nach Verboten erklärt. Rauchen hingegen gefährdet zunächst einmal die Gesundheit anderer, nämlich jene der Raucher. Tabakwerbung würde daher niemanden in seinen Freiheiten einschränken, und daher erntet ein entsprechendes Verbot auch keine hohe Zustimmung.
Menschen sind also durchaus für Sicherheit, Ordnung, Gebote und Verbote – genau dann nämlich, wenn sie zum Schutz der eigenen Freiheit dienen. Dafür lassen sich auch Eingriffe von Sicherheitsbehörden in die Privatsphäre ertragen. Die Frage ist nur, wie weit diese gehen dürfen. Diese Frage lässt sich aber erst dann beantworten, wenn es konkrete Fälle gibt, in denen Sicherheitsbehörden anders handeln, also dies vor dem Hintergrund unserer Werte als legitim gilt. Der eher moderate Aufschrei der deutschen Bevölkerung zu den Tätigkeiten von NSA und BND lässt bezweifeln, dass es bereits soweit ist. Trotzdem: Irgendwann werden wir auch hier ordnend und kontrollierend eingreifen wollen und müssen.
Literatur
Buchanan J. (1975): The Limits of Liberty: Between Anarchy and Leviathan, Chicago.
Homann, K. / Blome-Drees, F. (1992): Wirtschafts- und Unternehmensethik, Göttingen.
Institut für Demoskopie Allensbach (2012): Allensbacher Archiv, Herausgeber: John Stuart Mill Institut für Freiheitsforschung e.V., „Freiheitsindex Deutschland“ 2012, S. 17, Heidelberg
Institut für Demoskopie Allensbach (2003): Der Wert der Freiheit, S. 122.
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Vielleicht ist all das auch nur eine Illusion. In dem Sinne als das wir alle an der Nase herumgeführt werden. Überlegen wir es uns doch einmal so: wer hat etwas von der jetzigen Problematik ? Ich stelle die kühne These auf, dass dies alles innenpolitisch inszeniert ist. Man versucht somit nicht nur innerlich Angst zu schüren sondern gleichzeitig auch eine Art Feindbild nach Aussen zu schaffen um sich wiederum innenpolitisch zu profilieren. Es sind doch immerhin immernoch dieselben Nasen die vor etlichen Jahren die allerbesten Beziehungen zu US Behörden pflegten. Das soll jetzt nichtens sein, hmm …. ?! Das hat innenpolitische Wirkungen. Es ist natürlich auch von mir krank so darüber zu denken ( das muss man wohl zugeben ), aber es ist schlicht eine Möglichkeit. Und bei alle dem was Regierungen in der menschlichen Historie angestellt haben um „Macht“ zu erhalten, würde mich so etwas überhaupt nicht mehr wundern.