Amerika hast Du’s besser?
Spionage-Affäre und bürgerliche Freiheiten

Wie im Falle des real verblichenen sowjetischen imperialen Systems ist auch im heutigen Westen eine gewisse Vorsicht angebracht, wenn von „befreundeten Nationen“ gesprochen wird. Typischerweise verbirgt sich dahinter eine Interessengemeinschaft grundsätzlich unabhängiger Staaten, die einen großen Teil ihrer realen politischen Manövrierfähigkeit an eine starke Führungsnation verloren haben. Das muss keineswegs wie im Falle des früheren östlichen Hegemonialsystems vorwiegend negative Seiten haben. Wir sollten insbesondere die positiven Seiten der amerikanischen Dominanz im Westen nicht unter- sondern wertschätzen.

Die positiven Seiten der Amerikanischen Hegemonie entstehen aus der amerikanischen Innenpolitik. Für uns als Bürger eines demokratischen Rechtsstaats sind Veränderungen der amerikanischen Innenpolitik deshalb von primärem Interesse. Die gegenwärtige Spionage-Affäre ist als Verletzung der deutschen (Pseudo-)Souveränität nicht allzu bedeutsam. Als Indiz für Veränderungen der amerikanischen Innenpolitik seit 9/11 haben wir Anlass, uns Sorgen zu machen.

Keine Macht für niemanden?

Politische Macht, die von demokratischen Rechtsstaaten ausgeht, ist in jedem Falle Formen der Machtausübung vorzuziehen, die von nicht gewaltenteiligen, nicht rechtsstaatlichen Systemen geübt wird. Insoweit haben jedenfalls wir es mit Amerika besser getroffen als etwa die vormalige Deutsche Demokratische Republik mit der russischen Hegemonie. Es ist insoweit verfehlt, beide Hegemonialsysteme in einen Topf zu werfen.

Beide die Russen wie die Amerikaner betreiben Machtpolitik. Wirklich souveräne Führungsnationen können gar nicht anders, als Machtpolitik zu treiben. Denn Akteure, die im engeren Sinne souverän sind, können sich nicht wirksam an Einschränkungen des eigenen Machtstrebens binden. Die Verführungen der Machtausübung zugunsten jener Zwecke, die ihnen als verfolgenswert erscheinen werden, werden unvermeidlich auf sie in der Zukunft wirken. Was immer sie anderen Akteuren versichern mögen, Sicherheit durch bindende Versprechen können sie ihnen nicht bieten. Gerade weil die Führungsmächte mächtig und souverän sind, haben sie keine Fähigkeit zu wirksamer Selbstbindung in ihren Aussenbeziehungen.

Das Wunder des westlichen Rechtsstaates, das wir nur zu leicht für selbstverständlich halten, besteht darin, dass es ihm gelungen ist, die souveräne interne Macht einzugrenzen. Die Bindung aller Gewalten an Recht und Gesetz ist westlichen Rechtsgemeinschaften in einem komplexen Geflecht informeller und formeller Beziehungen in einem erstaunlichen Maße gelungen. Was immer wir an Sicherheit für unser persönliches Leben, was immer wir an Freiheit einschließlich der Fähigkeit, unsere Zukunft selbst zu planen, besitzen, beruht letztlich auf diesen inneren rechtsstaatlichen Bindungen an Regeln. Diese Regeln erreichen keineswegs, dass niemand Macht hat. Sie bewirken aber in funktionierenden Rechtsstaaten, dass die Macht letztlich nur der hat, der dazu nach juristisch überprüften und überprüfbaren Regeln „ermächtigt“ wurde. Diese Ermächtigung ist — und das ist das eigentliche Wunder — eine beschränkte, einigermaßen wohl-definierte und von Gerichten prüfbare.

„Keine Macht für niemanden!“ ist umdeuten zu der Forderung, dass alle Gewalten an Recht und Gesetz gebunden sein und sich wechselseitig kontrollieren sollten. So verstanden drückt die Forderung ein wesentliches zivilisatorisches Ideal aus, dass allein in den Rechtsstaaten westlichen Typs näherungsweise realisiert ist.

Worüber wir uns Sorgen machen sollten

Unsere erste Sorge sollte nicht sein, wie die Amerikaner sich außenpolitisch verhalten. Das können wir ohnehin nur beschränkt beeinflussen. Auch die Amerikaner selber sind in einem System internationaler Gleichgewichtspolitik, das ihre Spielräume zunehmend (wieder) einschränken wird, gefangen. Sie müssen Machtpolitik betreiben. Dass sie ihre Macht erhalten, ist auch unser Interesse. Moralisieren und lamentieren macht insoweit wenig Sinn. Es ist zudem einigermaßen scheinheilig, wenn man sich ansonsten in internationalen Konfrontationen recht gern im amerikanischen Windschatten aufhält, im nachhinein zu verkünden, was die Amerikaner wieder alles falsch gemacht haben. Diese Art von Manöverkritik hat gewöhnlich die gleiche Qualität wie die Urteile der Fussballexperten nach dem Spiel.

Vergessen wir dabei nicht, dass die jetzige Katastrophe im Irak auch darauf zurückzuführen ist, dass die Amerikaner gerade nicht nur Großmacht-Interessenpolitik trieben, sondern Ideen des „nation buildings“, des Aufbaus ausgewogener rechtsstaatlicher Strukturen etc. huldigten. Sie ersetzten den großen Humanisten Saddam (und seinen ebenso abscheulichen Mitstrolch „Chemical Ali“) gerade nicht einfach – wie die weiseren Israelis vorschlugen – durch „a nice Mubarak“. Sie substitutierten nicht unter Aufrechterhaltung von intakten sunnitischen Hegemonialstrukturen den schlimmen Autokraten, durch einen weniger furchtbaren, der ihnen außenpolitisch besser gesonnenen war. Dies hätte traditioneller Großmachtpolitik entsprochen und ist vielleicht in einer Welt wie unserer das einzige, was man tun kann.

Die Amerikaner gaben jedoch den Schiiten – recht naiv – eine „faire“ Chance der „Beteiligung“. Dass dieser amerikanische Versuch zum „institution building“ fatale Folgen gehabt hat, ist unstrittig. Für die Realisierung jener politischen Ideale, auf die es wirklich ankommt, bildet der Rückfall in die tribalen Konkurrenzformen vorstaatlicher Organisation ein schlimmes Omen. Unsere eigentlichen Sorgen betreffen aber nicht die amerikanische Aussen-, sondern die  amerikanische Innenpolitik.

NSA-Affäre unannehmbarer Übergriff oder Treppenwitz?

Unsere erste Sorge muss sich darauf richten, ob die amerikanische Rechtsstaatlichkeit, ihr inneres Gleichgewicht zwischen föderalen, juridischen und Elementen der Gedanken- und Redefreiheit in der Dynamik einer sich dramatisch verändernden Welt kommunikativer Vernetzung erhalten können. Die Informationen, die Herr Snowden offenbart hat, sind wegen der daraus erkennbaren Tendenzen zu unbeschränkter innenpolitischer Machtausübung in den USA, besorgniserregend und nicht, weil etwa im Umgang mit der Bundesrepublik internationales Recht gebrochen wurde.

Wenn Frau Merkels Telefon ausgespäht werden konnte, dann ist das ein Indiz für die endemische Inkompetenz der westdeutschen Geheimdienste. Es ist nicht wirklich bedrohlich. Denn die insbesondere auch im Nachgang der Abwicklung der DDR offenkundig gewordene totale Ausspähung der BRD durch die Stasi hat offenbart, dass die einer freiheits- und rechtsstaatlichkeitsfeindlichen Macht gewährte Transparenz der internen Prozesse des deutschen Regierungssystems, eher geringeren Schaden angerichtet hat. Als Bürger befanden wir uns unter dem Schutzschild des amerikanischen Rechtsstaates und der NATO in relativer Sicherheit. Die Stasi konnte mit ihrem Wissen offensichtlich nicht allzu viel anfangen. Die Amerikaner werden mit dieser Art von Kenntnissen erst recht keinen ernsthaften Schaden anrichten, solange ihre internen Kontrollprozesse intakt bleiben.

Wenn jedoch in dem so genannten „Krieg gegen den Terror“ amerikanische Bürger in Amerika ausgespäht und eingeschüchtert werden, wenn möglicherweise kritische Kommunikations- und Meinungsbildungsprozesse in ihrer Pluralität und Wirksamkeit in Amerika eingeschränkt werden, dann gibt das Anlass zu großer Sorge. Wenn das Kunstwerk des amerikanischen Föderalismus und die sorgsame Austarierung des internen Machtsystems in’s Wanken geraten, dann wird es gefährlich für alle, die an bürgerlichen Freiheiten interessiert sind. Unter der Piratenflagge von „right or wrong, my country“ segeln die Waffen zur Vernichtung der Bürgerfreiheiten.

Anstatt tränenreich über die Ausspähung von Kanzlerin und Parlament als Verletzungen unserer Souveränität zu klagen, sollten unsere Politiker in Amerika, wo das wirklich etwas bewirken könnte und nicht in China zur Sicherung der inneren Freiheiten aufrufen. Da sie immerhin entsprechende Reden auch in wichtigen Nicht-Rechtsstaaten gehalten haben, könnten sie das auch in den USA tun, ohne sich gleich den Vorwurf der Scheinheiligkeit einzuhandeln. Sie sollten das aus Dankbarkeit dafür tun, dass die Amerikaner unsere Rechtsstaatlichkeit mit ihrer eigenen solange gestützt und beschützt haben. Als Deutschen wird es uns schwerfallen, so etwas ohne Schulmeisterei zu tun, aber es wäre einen Versuch wert. Dies ist eine Zeit, nicht diplomatisch, sondern aufrecht für die Werte einzutreten, die wirklich wichtig sind und die wir mit den amerikanischen Bürgern teilen.

 

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