Schottland, Großbritannien und die EU
Eine schwierige Konstellation aus politisch-ökonomischer Sicht

In Großbritannien steht in naher Zukunft auf jeden Fall ein wichtiges Referendum auf der Agenda. Vielleicht werden es auch zwei, aber das ist noch unsicher. In wenigen Wochen, am 18. September diesen Jahres, stimmen die Schotten über ihre Unabhängigkeit ab. Die Terminierung in diesem Jahr ist symbolträchtig, weil bereits im Juni das 700jährige Jubiläum der Schlacht von Bannockburn gefeiert wurde. Damals gelang es den Schotten, mit einem Sieg über England die Weichen in Richtung Unabhängigkeit zu stellen, auch wenn diese erst 1357 wirklich abgesichert wurde.

Im Jahr 2017 könnte es zu einem weiteren Referendum kommen, nämlich über die Mitgliedschaft Großbritanniens in der Europäischen Union. Der britische Premier David Cameron hat dieses Referendum versprochen, allerdings nur für den Fall, daß seine Tories nach der nächsten Unterhauswahl, die regulär im Mai 2015 stattfinden wird, die alleinige Regierungsmehrheit haben. Die Labour Party und die Liberaldemokraten sind mehr oder weniger deutlich gegen ein solches Referendum. Bei einem Regierungswechsel oder einer Fortführung der konservativ-liberalen Koalition wird es daher wohl nicht dazu kommen.

Es könnte in den kommenden Jahren also zwei Sezessionen in Europa geben: Schottland könnte Großbritannien verlassen und dessen Rest wiederum die EU. Implizit gäbe es auch noch eine dritte Sezession, denn nach der aktuell dominierenden Rechtsauslegung wäre ein unabhängiges Schottland nicht automatisch Mitglied der EU, sondern müßte sich neu um die Mitgliedschaft bewerben. Und an dieser Stelle wird die Angelegenheit etwas kompliziert.

Angenommen, die Schotten entscheiden sich für einen Austritt aus dem Vereinigten Königreich. Dann beginnen in Großbritannien Verhandlungen über den Modus der Teilung. Der weitere Zeitablauf wäre dann mit einer hohen Unsicherheit behaftet, aber es wäre möglich, daß die prinzipielle Trennung schnell vollzogen und die Details später sukzessive geklärt werden, so daß die Schotten bei der nächsten Unterhauswahl schon nicht mehr mitwählen. Das würde aber bedeuten, daß ein konservativer Wahlsieg in Rest-Britannien sehr viel wahrscheinlicher würde. Ein Blick auf die politische Landkarte ist vielsagend.

Damit soll nicht gesagt werden, daß der britische Premierminister aktiv auf einen Austritt Schottlands hinarbeitet. Kein Premierminister will als derjenige in die Geschichte eingehen, der für das Auseinanderbrechen seines Staates verantwortlich war. Aber zumindest gäbe es aus Sicht der Tories diesen kleinen, positiven Nebeneffekt. Und ein Nebeneffekt des Nebeneffekts bestünde darin, daß das Zustandekommen des britischen EU-Referendums gesichert wäre.

Jetzt ist die EU am Zug. Gegenwärtig wird den Schotten gedroht, daß sie im Fall einer Sezession nicht mehr Mitglied der EU wären. An dieser Drohung hat die englische Regierung ein Interesse, die trotz der parteipolitischen Inopportunität dieser Politik das Vereinigte Königreich zusammenhalten möchte. An dieser Drohung haben aber auch andere europäische Regierungen ein Interesse, die verhindern möchten, daß die schottische Unabhängigkeit eine Erfolgsgeschichte wird, die aufmüpfige Regionen im eigenen Land auf dumme Ideen bringen würde. Spanien mit den nach Unabhängigkeit strebenden Katalanen ist nur ein Beispiel.

Aber wie glaubhaft ist diese Drohung an Schottland? Einerseits besteht das grundsätzliche Problem, daß die EU mit Schottland einen Nettozahler verlieren würde. Dies betrifft auch die meisten anderen sezessionsgefährdeten Regionen in Europa, die oft wirtschaftlich eher erfolgreicher sind als der Rest der Länder, zu denen sie gehören. Hinzu kommt aber in Schottland noch ein zweites Problem, das aus der Reihenfolge der Referenden folgt. Würden frisch unabhängige Schotten aus der EU ausgeschlossen, und hätte dies nicht unmittelbar dramatisch negative Auswirkungen – was wahrscheinlich ist, weil diese sich wohl eher zeitverzögert einstellen würden – dann würde Rest-Britannien 2017 auf den nördlichen Nachbarn schauen, sehen, daß man wohl auch außerhalb der EU ganz passabel überleben kann und mit hoher Wahrscheinlichkeit selbst für den Austritt aus der EU stimmen.

Vor diesem Hintergrund sind europäische Ausschlußdrohungen an Schottland wenig glaubhaft. Diese Politik erscheint jetzt plausibel, ist aber einfach nicht zeitkonsistent. Tritt Schottland aus dem Vereinigten Königreich aus, dann wird man ihm ein Hintertürchen für den Verbleib in der EU öffnen. Was dann die Rest-Briten bei ihrem Referendum 2017 entscheiden werden, ist natürlich noch schwer vorherzusagen. Allerdings muß man auch hier berücksichtigen, daß die Schotten europafreundlicher sind als die Engländer. In Rest-Britannien könnten sich die EU-Gegner bei einem Referendum wohl eher durchsetzen, als in Großbritannien.

Wir beobachten hier also letztendlich einen Mechanismus, den Alberto Alesina und Enrico Spolaore schon in einem Papier von 1997 beschrieben haben. In einer supranationalen Wirtschaftsunion integriert zu sein, macht es für relativ kleine Regionen kostengünstiger, politisch selbständig zu werden. Denn die typischen Kosten der Kleinheit, die vor allem in einem zu kleinen nationalen Binnenmarkt bestehen, existieren nicht mehr. Neu hinzu kommt aber noch, daß die Drohungen mit einem Ausschluß, die eigentlich die Kosten der Kleinheit wieder ins Spiel bringen sollten, in diesem Fall nicht glaubwürdig sind.

Wie vernünftig wäre nun ein tatsächlicher Austritt Schottlands aus dem Vereinigten Königreich? Das kommt darauf an. Durch die emotionslose Brille des Ökonomen betrachtet sind Staaten einfach Clubs, in denen sich Bürger mit relativ ähnlichen Präferenzen zusammenfinden, um zur Bereitstellung öffentlicher Güter zu kooperieren. Sezessionen wären dann sinnvoll, wenn es wirklich tief greifende regionale Differenzen in den Präferenzen für öffentliche Güter gäbe. Der Blick auf die britische Landkarte, mit dem relativ stabil linkslastigen Norden und dem relativ stabil konservativen Süden offenbart einige Indizien dafür, daß es solche Differenzen gibt.

Aber dann wäre in einem nächsten Schritt zu überlegen, ob die Präferenzunterschiede tatsächlich landesweit konsumierte öffentliche Güter betreffen, wie etwa die Verteidigungspolitik, oder ob durch eine zunehmende Föderalisierung und Dezentralisierung einzelner, regional strittiger Politikfelder nicht eine bessere Lösung als durch eine Sezession herbeigeführt werden kann. Genau dies ist aber im schottischen Referendum angelegt: Lehnen die Schotten die Unabhängigkeit ab, so bekommen sie dennoch zusätzliche Kompetenzen für eine regional autonome Politik. Dies zeigt: Auch wenn eine Sezession nicht nötig ist, so verschafft doch die Existenz eines Sezessionsrechts einer Region die nötige Verhandlungsmacht, um sinnvolle Dezentralisierungen durchzusetzen.

Und so ergibt sich am Ende ein stimmiges Bild: Die europäische Integration verschafft den Schotten die Möglichkeit, glaubhaft mit Sezession zu drohen. Dies wiederum führt zu den britischen Zugeständnissen, die Schotten für ein Nein zur Unabhängigkeit mit noch weiterreichender regionaler Autonomie innerhalb des Vereinigten Königreichs zu entschädigen. Die Schotten ihrerseits bleiben erfreulich nüchtern, steigern sich nicht in nationalistischen Überschwang und scheinen nach den aktuellen Umfragen eher einem Verbleib im Königreich zu verbesserten Bedingungen zuzuneigen. Das würde paradoxerweise eine Wahlniederlage des aktuellen Premierministers bei der nächsten Unterhauswahl wahrscheinlicher machen und das britische EU-Referendum im Jahr 2017 fiele aus. Es sei denn, Labour und Liberaldemokraten lernten etwas vom schottischen Beispiel und kämen selbst auf die Idee, ein solches Referendum als Hebel zu nutzen, um EU-Reformen durchzusetzen. Dann würden wir vielleicht am Ende alle noch von den aktuellen britischen Entwicklungen profitieren.

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