Krach in der Hayek-Gesellschaft (3)
Ehegattensplitting: Ein Stein des Anstoßes

Zum Streit in der Friedrich August von Hayek-Gesellschaft e.V. hat u.a. die von Karen Horn in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung geäußerte Forderung beigetragen, das Ehegattensplitting abzuschaffen. Diese Forderung wurde von vielen Mitgliedern als Teil einer „linken“ Position kritisiert, die nicht mit Hayeks Grundauffassungen vereinbar sei. Thomas Apolte hat darauf hingewiesen, dass die mit der Abschaffung des Splittings verbundene Erhöhung des Durchschnittssteuersatzes durch Korrekturen des Steuertarifs vermieden werden könnte, die Abschaffung also aufkommensneutral gestaltet werden könnte und insofern mit liberalen Prinzipien vereinbar sei. Die Frage, ob die Abschaffung des Ehegattensplittings mit Hayeks Sicht vereinbar ist, lässt sich freilich noch überzeugender beantworten, wenn Hayeks Publikationen zum Thema Steuerprogression zu Rate gezogen werden. Dies soll im Folgenden geschehen. Zu diesem Zweck muss aber etwas „ausgeholt“ werden. Bei der Konzeption einer Einkommensteuer spielen, wenn das zu versteuernde Einkommen definiert ist, drei Prinzipien eine Rolle:

  1. Der Steuertarif soll steigende marginale Steuersätze und damit zunehmende durchschnittliche Steuersätze beinhalten (Steuerprogression).
  2. Ehepaare mit gleichen Einkommen sollen – unter sonst gleichen Umständen – gleich viel Steuer zahlen.
  3. Die Steuerschulden zweier Individuen sollen sich nicht ändern, wenn sie heiraten (Eheneutralität).

Diese drei Prinzipien können nicht gleichzeitig verwirklicht werden. Ein Prinzip muss „geopfert“ werden. Hayek ist überzeugt, „daß das ganze Prinzip der Steuerprogression, seinem Wesen nach, verderblich ist, ein Irrtum, der aus verschiedenen Gründen fast unvermeidlich zur Zerstörung des marktwirtschaftlichen Systems führt“ (Hayek 1952, S. 1). „Es ist ein fundamentaler Mangel jeder progressiven Besteuerung, daß der Satz, zu dem eine Minorität diskriminativ besteuert wird, von einer Mehrheit festgesetzt wird, die diese Steuer nicht trägt“ (Hayek 1952, S. 5). Die Progression „ist nichts anderes als eine Ablehnung der Proportionalität zum Zweck der Diskriminierung gegen die Wohlhabenden, ohne jedes Kriterium für die Begrenzung des Ausmaßes dieser Diskriminierung“ (Hayek 1983, S. 397). Hayek konzediert aber, dass ein gewisses Maß von (indirekter) Steuerprogression (in Form eines Grundfreibetrags) unvermeidlich ist. Bei den kleinsten Einkommen sei die Erhebung einer direkten Steuer so unverhältnismäßig kostspielig, dass sie keinen oder einen negativen Ertrag bringen würde (Hayek 1952, S. 9). Zudem erscheine es widersinnig, kleinste Einkommen zu besteuern, wenn diese erst dadurch entstanden seien, dass jedem Staatsbürger ein Mindesteinkommen garantiert werde (Hayek 1952, S. 9). Akzeptiert man diese Argumente, dann nimmt der Durchschnittssteuersatz mit steigendem zu versteuernden Einkommen zu (Hayek 1952, S. 9). Im Übrigen gehe es um „die Progression der gesamten Steuern. Einzelne Steuern, insbesondere die Einkommensteuer, können abgestuft werden – um auszugleichen, daß viele indirekte Steuern den kleineren Einkommen eine proportional größere Last auferlegen“ (Hayek 1983, S. 389). Hayek lässt offen, ob die indirekte Progression ausreicht, diesen regressiven Effekt auszugleichen. Unterstellt man, dass er diesen Ausgleich annimmt, dann lässt sich folgern, dass Hayek die direkte Progression der Einkommensteuer ablehnt. Wird auf eine direkte Steuerprogression verzichtet, so lassen sich die Prinzipien 2 und 3 verwirklichen. Es spielt keine Rolle, ob die Individualbesteuerung oder das Ehegattensplitting gelten. Beide Vorschriften führen zum gleichen Ergebnis, wenn, was hier unterstellt sei, das zu versteuernde Einkommen beider Ehegatten/Lebenspartner den individuellen Grundfreibetrag (das Existenzminimum) übersteigt. Eine Basis für einen Streit darüber, ob das Ehegattensplitting abzuschaffen ist, gibt es dann aus Hayeks Sicht nicht. Diese Aussage gilt zwar nur unter den (zwei) beschriebenen Annahmen, diese sind aber wenig restriktiv. Der Autor hofft, mit diesem Text dazu beizutragen, dass sich die Wogen in der Hayek-Gesellschaft glätten. Der Beitrag zielt damit in die gleiche Richtung wie der von Wolf Schäfer.

Literatur:

Friedrich A. von Hayek, Die Ungerechtigkeit der Steuerprogression, Carl Menger Institut, Wien, ohne Jahrgang. Nachträgliche Niederschrift der wesentlichen Inhalte eines Referats, das der Verfasser am 5. Juli 1952 auf einer von der Abteilung für volkswirtschaftliche Studien des Schweizerischen Instituts für Auslandsforschung veranstalteten Tagung schweizerischer und ausländischer Nationalökonomen erstattete.

Friedrich A. von Hayek, Die Verfassung der Freiheit, Tübingen, 2., durchgesehene Auflage 1983.

 

Blog-Beiträge zum Thema:

Wolf Schäfer: Was der Hayek-Gesellschaft nottut? 4 Ergänzungen zu Thomas Apolte

Thomas Apolte: Warum Hayek wirklich kein Konservativer war. Gründe für den Austritt aus der Hayek Gesellschaft

2 Antworten auf „Krach in der Hayek-Gesellschaft (3)
Ehegattensplitting: Ein Stein des Anstoßes“

  1. Sicher ist es – und insbesondere natürlich für die finanziell davon Betroffenen – schon fragwürdig, “ … daß der Satz, zu dem eine Minorität diskriminativ besteuert wird, von einer Mehrheit festgesetzt wird, die diese Steuer nicht trägt“.

    Leider ist es aber auch bei anderen politischen oder auch steuerrechtlichen Entscheidungen sehr oft der Fall, dass
    die Mehrheit Entscheidungen fällt, die ausschließlich oder überwiegend Minderheiten negativ, auch finanziell belastend, treffen.
    Noch schlimmer geht es auch noch: wenn Minderheiten, gegen den (vermutlichen) Willen der Mehrheit und diese erheblich belastend Entscheidungen fällt (z.B. Griechenland-Hilfen diesen Ausmaßes), oder sogar solche, die ausschließlich sie selbst in einem für weite Teile der Bevölkerung nicht mehr nachvollziehbaren Ausmaß und zu deren Lasten begünstigen (Rundum-Versorgung Versorgung der „Politikerkaste“). –
    WIR SOLLTEN/DÜRFEN UNS DAS NICHT LÄNGER BIETEN LASSEN.

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