Mehr Steuerwettbewerb nach dem Brexit?

Theresa May, die britische Premierministerin, will die Unternehmen im Vereinigten Königreich nach einem Brexit steuerlich entlasten (FAZ, 2016a, S. 1). So soll die Qualität des Standorts Vereinigtes Königreich, die infolge des Brexits Schaden nehmen dürfte, gestärkt werden. Ab dem Jahr 2020 soll der Körperschaftsteuersatz , der gegenwärtig 20 Prozent beträgt, gesenkt werden, und zwar so stark, dass er mit 15 Prozent so niedrig wie in keinem anderen Land der G20-Länder ist (Handelsblatt 2016b, S. 6-7). Wolfgang Schäuble, der Bundesminister der Finanzen, warnt die Briten vor „Steuerdumping“ (FAZ, 2016c, S. 17). Es drohe eine Abwärtsspirale in der internationalen Unternehmensbesteuerung (FAZ, 2016c, S. 17). Donald Trump, „president elect“ der Vereinigten Staaten von Amerika, will die Unternehmen deutlich entlasten. François Fillol, der ehemalige Premierminister unter Nicolas Sarkozy, der im kommenden Jahr bei der Präsidentenwahl in Frankreich kandidieren will, strebt eine Harmonisierung der Unternehmenssteuern in der Europäischen Währungsunion an (FAZ, 2016b, S. 19). Vermutlich würde das bedeuten, dass die Steuerbelastung in der EU im Durchschnitt zunimmt.

Es stellen sich etliche Fragen: Wie hoch werden Unternehmen in einzelnen Ländern zurzeit belastet? Was könnte sich in den nächsten Jahren ändern? Wie wären entsprechende Maßnahmen zu bewerten? Wie sollte Deutschland reagieren?

Kapitalgesellschaften werden in den meisten Ländern nicht nur durch die Körperschaftsteuer belastet, sondern auch durch Steuern nachgeordneter Gebietskörperschaften. In Deutschland ist dies die Gewerbeertragsteuer. Berücksichtigt man die zusätzlichen Steuern, dann ist die Belastung höher, als es die (nominalen) Körperschaftsteuersätze anzeigen. Im Jahr 2015 war die Belastung in Frankreich und in den Vereinigten Staaten mit 38,3 bzw. 36,5 Prozent sehr hoch (Tabelle 1). Im Vereinigten Königreich war sie hingegen mit 21,5 Prozent relativ niedrig. Noch geringer war sie beispielsweise in der Schweiz und insbesondere in Irland. Deutschland nimmt mit 28,2 Prozent eine mittlere Position ein.

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Wahrscheinlich wird die Steuerbelastung im Vereinigten Königreich und in den Vereinigten Staaten von Amerika in den nächsten Jahren deutlich sinken. Es ist aber wenig wahrscheinlich, dass es zu Maßnahmen kommt, die so drastisch sind wie jene in den 80er Jahren. Damals hatten Margret Thatcher und Ronald Reagan einen Steuerwettbewerb entfacht, wie es ihn wohl noch nie gegeben hat. Der Körperschaftsteuersatz des Zentralstaates sank in den Vereinigten Staaten von 46 Prozent im Jahr 1982 auf 34 Prozent im Jahr 1988. Im Vereinigten Königreich nahm er im gleichen Zeitraum von 52 auf 35 Prozent ab (Boss, 1988, S. 23, S. 24, S. 89). Noch drastischer wurden damals in beiden Staaten die Spitzensätze der Einkommensteuer reduziert. Im Vereinigten Königreich sank der Spitzensteuersatz von grundsätzlich 60 auf 40 Prozent, in den Vereinigten Staaten von Amerika nahm der Spitzensteuersatz der Bundeseinkommensteuer von 60 auf 28 Prozent ab (Boss, 1988, S. 91).

Wenn es in den nächsten Jahren dazu kommt, dass die Belastung der Unternehmen gesenkt wird, dann hat das – entgegen der Einschätzung des Herrn Schäuble – mit Dumping nichts zu tun. Dumping (im internationalen Handel) ist der Verkauf im Ausland zu Preisen, die unter den Preisen beim Verkauf im Inland liegen, oder der Verkauf im Ausland unter den Produktionskosten).

Steuerwettbewerb, um den es tatsächlich geht, hat segensreiche Wirkungen. „Der Wettbewerb zwischen den Regierungen führt zu einer höheren Effizienz des staatlichen Güterangebots und zu einer stärkeren Berücksichtigung der Präferenzen der Individuen“ (Sinn 1992, S. 190 ff.). Darüber hinaus resultiert aus der Konkurrenz der Anreiz für Regierungen, die optimale Kombination des Güterbündels und der zu dessen Finanzierung notwendigen Steuern zu suchen. Wettbewerb dient dazu, Leviathan zu zähmen und optimale Politikinstrumente zu entdecken (vgl. hierzu auch Daumann, 2016).

Der Bundesfinanzminister kann den Steuerwettbewerb nicht verhindern. Es gibt kein Mittel der EU, gegen das Vereinigte Königreich vorzugehen, wenn dieses die Steuerbelastung der Unternehmen senkt; ein Verstoß gegen EU-Recht läge nicht vor. Auch gibt es im Rahmen von G20-Regelungen keine rechtliche Handhabe gegen die Steuerpolitik einzelner Länder; Steuersenkungen verstoßen nicht gegen Verpflichtungen des Vereinigten Königreichs oder der Vereinigten Staaten infolge von G20-Vereinbarungen.

Der Bundesfinanzminister sollte nicht versuchen, gegen Steuersenkungspläne anderer Länder anzukämpfen, sondern sich dem Wettbewerb stellen. Konkret sollte er sich für eine Entlastung der Unternehmen in Deutschland stark machen. Beispielsweise könnte er die seit Jahren vorgetragenen Reformvorstellungen des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (zuletzt Sachverständigenrat 2016, Ziffer 19) aufgreifen und die Länder davon überzeugen, dass es vorteilhaft wäre, eine entsprechende Reform durchzusetzen. Es geht dabei um eine Zinsbereinigung des Grundkapitals der Unternehmen, mit der Finanzierungsneutralität der Unternehmensbesteuerung erreicht würde.

Literatur

Daumann, Frank (2016). Apple und der Steuerwettbewerb in der EU – Reloaded. wirtschaftlichefreiheit.de, 19. September.

Boss, Alfred, Internationaler Vergleich der Unternehmensbesteuerung. Eine Studie im Auftrag der Wirtschaftswoche. September 1988.

FAZ (2016a). Schäuble besorgt über britische Steuerpläne. Nr. 273, 22. November, S. 1.

FAZ (2016b). Eine Chance für den Liberalismus in Frankreich. Nr. 273, 22. November, S. 19.

FAZ (2016c). Schäuble warnt Briten vor Steuerdumping. Nr. 273, 22. November, S. 17.

Handelsblatt (2016a). May entfacht Steuerwettbewerb. Nr. 226, S. 1.

Handelsblatt (2016b). Steuerdumping von der Insel. Nr. 226, S. 6-7.

Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2016). Zeit für Reformen. Jahresgutachten 2016/17. Wiesbaden

Sinn, Stefan (1992). The Taming of Leviathan: Competition among Governments. In: Constitutional Political Economy, Vol. 3, S. 177–196, hier: S. 190 ff.

ZEW (Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung) (2016), Mannheim.

Blog-Beiträge zur Apple-Saga:

Henning Klodt: EU-Beihilfeaufsicht als Bremsklotz im Standortwettbewerb?

Jan Schnellenbach: Leistungsfähigkeit und Äquivalenz. Steuergerechtigkeit in Irland im Fall Apple

Frank Daumann, Apple und der Steuerwettbewerb in der EU – Reloaded

Henning Klodt, Apple für’n Ei?. Steuerflucht im Fokus der EU

4 Antworten auf „Mehr Steuerwettbewerb nach dem Brexit?“

  1. „Der Wettbewerb zwischen den Regierungen führt zu einer höheren Effizienz des staatlichen Güterangebots und zu einer stärkeren Berücksichtigung der Präferenzen der Individuen“ (Sinn 1992).

    So ist das also! Wenn jemand wie der große Herr Sinn das sagt, dann kann man das einfach so als Tatsache hinnehmen. Warum die mit diesem Wettbewerb um mobiles Kapital einhergehende Verlagerung der Steuerlast auf den immobilien Faktor Arbeit sinnvoll & irgendwie gerechtfertigt ist, braucht man genau so wenig erklären, wie das Problem der legalen Buchungstricks, die bei diesem Wettberb dazu führen, dass die Wertschöpfung nicht an dem Standort besteuert werden kann, dessen öffentliche Güter zur ihrer Erstellung genutzt wurden?

  2. @Thomas Engelbroeck
    Lesen Sie erst mal den Beitrag von Herrn Sinn, dann wird Ihnen (vielleicht) auch auffallen, dass der Autor nicht Hans-Werner, sondern Stefan Sinn ist.

    In zwei Blog-Beiträgen präsentieren Jan Schnellenbach und Wolfgang Scherf unterschiedliche Positionen zum internationalen Steuerwettbewerb.

    Norbert Berthold

  3. Steuerwettbewerb mag noch hinzukommen, den hatten wir u.a. mit Irland, Gibraltar und vor allem Luxemburg bereits vorher und innerhalb der EU – aber mal im Ernst: BREXIT ist im Wesentlichen ein Schreckgespenst http://www.dasgelbeforum.net/forum_entry.php?id=406467 . Allein das Beispiel Schweiz zeigt, dass man wunderbar als a) Banken-, b) Industrie- und c) Landwirtschaftsstandort NEBEN (statt IN) der EU prosperieren kann, ohne deshalb wirtschaftlich abgehängt zu werden, Im Gegenteil. Auch Liechtenstein, mit weltweit vermutlich dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen ist nicht etwa eine verschwiegene Schwarzgeldoase, sondern vor allem ein Industriestandort mit Hochtechnologie, Feinmechanik, Mechatronik u.a. Die sind rechtlich gesehen „noch weiter weg von der EU“ als etwa die Schweiz. Geht es Norwegen schlechter, seit es sich mehrfach dem Beitritt verweigert hat? Geht es Griechenland besser als vorher? Na also.

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