Die Reform der Zeitarbeit
Der Kampf der Andrea Nahles gegen die Agenda 2010

„If markets don’t work, have government intervene. If government intervention doesn’t work, have government intervene further.“ ( Jeff Hummel)

Der Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zur Reform von Zeitarbeit und Werkverträgen liegt vor. Die Zeitarbeit soll wieder auf ihre „Kernaufgabe“ und „Kernziele“ reduziert werden. Zeitarbeitnehmer sollen lediglich Auslastungsschwankungen in Einsatzbetrieben auffangen und abwesende Mitarbeiter – etwa wegen Elternzeit – temporär ersetzen. Zwei Änderungen am Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) sind von Bedeutung. Erstens wird eine Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten eingeführt, so dass eine längere Beschäftigung eines Zeitarbeitnehmers in ein- und demselben Einsatzbetrieb nicht mehr möglich wird. Diese Regelung kann aber von den Tarifvertragsparteien per Öffnungsklausel ausgehebelt werden. Zweitens werden Zeitarbeiter in ihrer Entlohnung spätestens nach neun Monaten im Einsatzbetrieb der Stammbelegschaft gleich gestellt („Equal Pay“-Bestimmung). Eine Verlängerung der Frist auf 12 Monate ist nur in Einsatzbetrieben möglich, die tariflich Branchenzuschläge für Zeitarbeitnehmer vereinbart haben.

Verdrängung regulärer Beschäftigung?

Die beabsichtigten Gesetzesänderungen werden mit drei „Sorgen“ begründet, die sich bei näherer Hinsicht nicht bewahrheiten. Eine Begrenzung der Überlassungsfrist soll helfen, eine exzessive Verwendung der Zeitarbeit in den Einsatzbetrieben zu vermeiden. Man geht davon aus, dass eine unbefristete Verwendung von Zeitarbeitnehmern die Einsatzbetriebe veranlasst, keine neuen regulären Stellen zu eröffnen bzw. bestehende Stellen durch Zeitarbeitnehmer zu ersetzen. Man befürchtet Substitutions- und Verdrängungseffekte. Ein Verdrängungseffekt im konventionellen Sinne liegt aber dann nicht vor, wenn das Einsatzunternehmen ohne Zeitarbeit eine weitere offene Stelle gar nicht geschaffen hätte. Der Rückgriff auf die Zeitarbeit erfolgt in der Regel nur für die kurze Frist, da sich Einstellungs-, Einarbeitungs- und Entlassungskosten nicht so schnell amortisieren können. Dies trifft jedoch auf langfristig ausgelegte Stellen nicht zu. Der Kostenvorteil der Zeitarbeit schrumpft.

In 2012 machten die Zeitarbeitnehmer gerade einmal 2,5 Prozent aller Erwerbstätigen aus und die Zeitarbeitsbranche wies die fünffache Arbeitskräftefluktuation im Vergleich zu den übrigen Sektoren auf. Der Zeitarbeitssektor ist somit weitaus dynamischer und zeigt keine langfristige Einbindung von Arbeitskräften. Haller und Jahn (2014) weisen unter anderem nach, dass lediglich 25 Prozent der Zeitarbeitnehmer länger als 9 Monate und nur 12 Prozent länger als 18 Monate in der Zeitarbeitsbranche beschäftigt sind. Da sich die Zahlen auf das Arbeitsverhältnis bei einem Zeitarbeitsunternehmen und nicht in einem Einsatzbetrieb beziehen, bilden sie absolute Obergrenzen. Der Anteil an Zeitarbeitnehmern, die länger als 18 Monate in einem Einsatzbetrieb tätig sind, muss demnach viel geringer ausfallen. Der Medianzeitarbeitnehmer befindet sich gerade einmal 3,4 Monate in der Zeitarbeitsbranche. Dies sind Indizien dafür, dass Arbeitnehmer die Zeitarbeit als Überbrückung nutzen und nicht als langfristiges Arbeitsverhältnis. Jahn und Weber (2013) ermitteln, dass die Hälfte der Zeitarbeit zusätzlich erfolgt. Bei 200.000 neuen Zeitarbeitern verringert sich die reguläre Beschäftigung um 100.000 in den Einsatzsektoren. Von einer konsequenten Verdrängung der regulären Beschäftigung in den übrigen Sektoren kann nicht die Rede sein.

„Lohndrückerei“ für Zeitarbeitnehmer?

Die zweite Sorge des BMAS liegt in der Lohnentwicklung der Zeitarbeitnehmer. Man befürchtet „Lohndrückerei“ in den Einsatzbetrieben und eine „ungerechte“ Behandlung von Zeitarbeitnehmern relativ zur Stammbelegschaft. Beide unterscheiden sich auch bei gleicher Arbeitstätigkeit in mehreren Punkten. Die Stammbelegschaft hat im Vergleich zu den Zeitarbeitnehmern ein höheres betriebs- und branchenspezifisches Humankapital, das sich in höheren Löhnen wiederspiegelt. Außerdem profitiert sie von einer längeren Berufserfahrung und der Senioritätsentlohnung über den Tarifvertrag. Pfeifer (2014) zeigt, dass in Einsatzbetrieben mit flachen Lohnprofilen ein insignifikanter Lohnunterschied in Höhe von 3 Prozent vorliegt. Lediglich in Einsatzbetrieben mit sehr steilen Lohnprofilen zeigt sich ein signifikanter Lohnunterschied in Höhe von 11 bis 12 Prozent. Ein steiles Lohnprofil liegt immer dann vor, wenn sich die Dauer der Betriebszugehörigkeit stärker in höheren Löhnen niederschlägt. Ein signifikanter Lohnunterschied existiert somit lediglich dann, wenn die Stammbelegschaft von einer längeren Betriebszugehörigkeit profitieren kann und diese im Produktionsprozess von größerer Bedeutung ist. In Einsatzbetriebe, in denen die Dauer der Betriebszugehörigkeit relativ unwichtig ist, sind auch Stammbelegschaft und Zeitarbeitnehmer eher vergleichbar. Insignifikant geringe Lohnunterschiede sind die Folge. Von einer systematischen Lohndiskriminierung der Zeitarbeitnehmer kann somit nicht die Rede sein

Zeitarbeit als Sackgasse für Arbeitslose?

Eine dritte Sorge treibt das Arbeitsministerium um, nämlich die Sorge um unstetige Erwerbsprofile durch die Zeitarbeit. Die Einführung einer Überlassungsfrist und die Änderung der „Equal Pay“-Bestimmung sind jedoch kein Garant dafür, dass Zeitarbeiter schneller eine reguläre Beschäftigung in den übrigen Sektoren finden. Eher das Gegenteil ist der Fall. Zeitarbeitnehmer müssen nun bereits nach neun Monaten genügend betriebs- und branchenspezifisches Humankapital akkumuliert haben, um mit der Stammbelegschaft im Einsatzbetrieb konkurrieren zu können. Dies erschwert insbesondere die Lage der Langzeitarbeitslosen und Geringqualifizierten. Bisher war gerade für diese Personengruppe die Zeitarbeit ein effektives Instrument zur Reintegration in den Arbeitsmarkt. Lehmer und Ziegler (2010) zeigen, dass Langzeitarbeitslose, die eine Zeitarbeitsstelle aufnehmen, gegenüber Langzeitarbeitslosen, die weiterhin in Arbeitslosigkeit verbleiben, nach einem Jahr bereits eine um 17 Prozentpunkte und nach zwei Jahren eine um 21 Prozentpunkte höhere Wahrscheinlichkeit aufweisen, in eine reguläre Beschäftigung zu wechseln. Die bisherigen Regelungen der Zeitarbeit haben somit eine effektive Brückenfunktion.

Fazit

Eine Begrenzung der Überlassungsfrist und die neue „Equal Pay“-Bestimmung werden den Wettbewerb um die offenen Stellen in den Zeitarbeitsunternehmen verstärken. Hiervon werden hauptsächlich Mittelqualifizierte und Kurzzeitarbeitslose profitieren, da sie für den kurzen Zeitraum von neuen Monaten besser vermittelbar sind. Nicht zu vergessen ist auch, dass die Einsatzbetriebe vorsichtiger als bisher neue Vakanzen für Zeitarbeitnehmer eröffnen werden. Außerdem reizt die neue gesetzliche Regelung die Einsatzbetriebe, nach neun Monaten den Zeitarbeitnehmer einfach auszutauschen. Ein Drehtüreffekt wird erzeugt. Die Reformbemühungen wirken in diesem Fall wie ein strengerer Kündigungsschutz für Zeitarbeitnehmer in den Einsatzbetrieben. Diese höheren Markteintrittsbarrieren können gerade für Langzeitarbeitslose und Geringqualifizierte zu unüberwindbaren Hürden werden. Das ist weder effizient noch gerecht.

Literatur:
Haller, P. und Jahn, E.J. (2014): Zeitarbeit in Deutschland. Hohe Dynamik und kurze Beschäftigungsdauern. IAB-Kurzbericht 13.

Jahn, E. und Weber, E. (2013): Zeitarbeit. Zusätzliche Jobs, aber auch Verdrängung. IAB-Kurzbericht 2.

Lehmer, F. und Ziegler, K. (2010): Brückenfunktion der Leiharbeit. Zumindest ein schmaler Steg. IAB-Kurzbericht 13.

Pfeifer, C. (2014): A Note on Dual Internal Labor Markets and Wage of Temporary Workers. Evidence from Linked-Employer-Employee Data. In: Journal of Labor Research, Vol 35, S. 133-142.

Blog-Beiträge zum Thema:

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