Politik, das Institutionensystem einer Gesellschaft und ihr Einfluss auf die Leistungsfähigkeit eines Marktsystems

Eine Marktwirtschaft, die im Wesentlichen auf dem freiwilligen Austausch von Gütern und Dienstleistungen basiert, bedarf als Grundvoraussetzung eines soliden und funktionsfähigen Rechtssystems (und weiterer Institutionen). Dieses kann die Marktwirtschaft nicht aus sich selbst heraus erzeugen; stattdessen ist sie auf den staatlich-politischen Sektor angewiesen, der die entsprechenden Leistungen bereitstellt.

Grundsätzlich bedarf das Marktsystem zumindest folgender Institutionen:
1) Sicherung der Eigentumsrechte vor militärischen Eingriffen des Auslands.
2) Gewährleistung der inneren Sicherheit durch Sicherung privater Eigentumsrechte vor dem Zugriff anderer inländischer Individuen sowie des Staates.
3) Bereitstellung einer Wirtschaftsordnung, die
– einen offenen Zugang zu Güter- und Faktormärkten ermöglicht,
– ein Geldwesen einrichtet, das auf Preisstabilität ausgerichtet ist,
– eine weitestgehende Vertragsfreiheit ermöglicht,
– durch eine berechenbare Wirtschaftspolitik gekennzeichnet ist.
4) Ein Ausbildungssystem, das neben der Vermittlung allgemeiner Verhaltensnormen auch zur Bildung eines hinreichenden Humankapitals (Alphabetisierung, Rechenfähigkeit, Fachwissen) beiträgt.
5) Einen Leistungsstaat, der öffentliche Güter (z.B. Infrastruktur, Grundlagenforschung) bereitstellt und mittels Institutionendesign zur Internalisierung maßgeblicher externer Effekte beiträgt.

Werden diese Institutionen nicht eingerichtet und geschützt, so wird das Modell eines offenen Gesellschafts- und Marktsystems in seinen Grundfesten gefährdet. Jede Abschwächung der Eigentumsrechte mindert die Investitionsbereitschaft in Sach- und Humankapital, sie verringert die Anreize innovative Projekte zu verfolgen und erschwert die Koordination von Tauschprozessen über Märkte. Im Folgenden werden einige jüngere Entwicklungen betrachtet, die einen solchen negativen Einfluss auf die Funktionsfähigkeit des Institutionensystems nehmen könnten.

1. Äußere Sicherheit

Seit den Ereignissen des 11. September 2001 ist das Thema militärischer Interventionen zunehmend in den Vordergrund der politischen Debatten getreten. Deutsche Soldaten und Soldaten befreundeter Nationen sind in Afghanistan und den Irak einmarschiert, auch kämpfen sie jetzt gegen den IS. Mit welchem Erfolg? Möglicherweise könnte man solche Einsätze rechtfertigen, wenn sie erfolgreich abgeschlossen würden und wenn – im Anschluss an den „Sieg“ – ein demokratischer Rechtsstaat etabliert werden könnte. All das wurde jedoch nicht erreicht, nicht einmal in Ansätzen.

Was ist die Folge? Es dürfte unstrittig sein, dass in den betroffenen Ländern zahlreiche Familien Angehörige verloren haben. Ist es übertrieben zu vermuten, dass auf einen terroristischen Kämpfer neun oder vielleicht noch mehr zivile Opfer kommen? Dies sät Hass auf die intervenierenden Mächte. Zudem stärkt es die zu bekämpfenden Organisationen (IS, Al-Qaida), selbst wenn diese sich als menschenverachtende Terrorregime erweisen.

Im Westen spürt man diese Entwicklung durch den Terrorismus und durch die Flüchtlingswelle. Beides hat starke innenpolitische Auswirkungen: Die Feindseligkeit gegen unschuldige Ausländer nimmt zu und Innenpolitiker nutzen die Gelegenheit, um über Jahrzehnte bewährte Bürgerrechte – hier wären insbesondere die Rechte auf informationelle Selbstbestimmung und den (rechtsstaatlichen) Schutz vor einem zunehmend seine Befugnisse ausdehnenden Staat zu nennen– im Namen der inneren Sicherheit auszuhöhlen.

Gäbe es eine bessere Lösung als die praktizierten Militäreinsätze? Ja! Die beste außenpolitische Reaktion auf den Terror wäre: nichts tun. Lasst uns gemeinsam mit den Opfern der Terroranschläge trauern und lasst uns 10 Prozent der Kosten der militärischen Interventionen dazu verwenden, die Familien der Opfer zu unterstützen. Lasst uns weitere 40 Prozent dieses eingesparten Geldes nehmen, um die Terrorzellen innerhalb unseres eigenen Landes mit rechtsstaatlichen Mitteln zu bekämpfen und die Flüchtlinge zu integrieren. Abschließend bleiben 50 Prozent der nicht getätigten Militärausgaben, die dazu beitragen könnten, die Staatsverschuldung abzubauen.

2. Innere Sicherheit

Die Aufnahme von in Lebensgefahr befindlichen Flüchtlingen und ihre Integration sind gute und richtige Ziele! Sie müssen aber auch entsprechend umgesetzt werden. Wenn es, wie man wiederholt zu hören bekommt, stimmt, dass etwa zwei Drittel der Flüchtlinge kaum lesen und schreiben können, dann heißt Integration, dass massiv in die Bildung dieser Menschen, die in möglichst kurzer Zeit für den Arbeitsmarkt fit gemacht werden müssen, investiert werden muss. Derzeit geben wir in Deutschland pro Schüler jährlich etwa 6500 € für schulische Bildungszwecke aus. 5000 € davon sind Personalausgaben. Dies dürfte die absolute Untergrenze der Schulungskosten für einen Flüchtling darstellen, sofern man bestehende Einrichtungen nutzen kann. Bei einer Million Flüchtlinge ergäbe sich demnach eine Untergrenze der jährlichen Schulungskosten von 5 Milliarden €. Letztere müssten natürlich ergänzt werden um eine Grundversorgung (Wohnen, Nahrung, Krankenversicherung, …). Diese kann kaum geringer ausfallen als 650 € pro Monat, also etwa 7800 € pro Jahr. Für eine Million Flüchtlinge ergäben sich dann weitere 7,8 Milliarden €.

Diese Kosten sollten nicht heruntergespielt, sondern offen dargelegt und gerechtfertigt werden. Eine geeignete Finanzierung wäre zum Beispiel ein Solidarbeitrag für Flüchtlinge. Rundet man die oben angeführte Kostenuntergrenze auf 16 Milliarden € pro Jahr der Flüchtlingsintegration auf und unterstellt man etwa 40 Millionen Erwerbstätige, dann müsste dieser Solidarbeitrag zu einer durchschnittlichen jährlichen Belastung von 400 € (33,33€ pro Monat) führen. Ein solches Solidaropfer sollte jedoch nicht von der politischen Elite diktiert werden, es müsste durch eine entsprechende (Volks-)Abstimmung schnellstmöglich legitimiert werden. Es ist von größter Bedeutung nachzuweisen, dass die Mehrheit der Bürger einen solchen Kurs stützt. Ein durch politische Eliten aufgezwungenes Solidaropfer könnte hingegen zu verstärkten gesellschaftlichen Spannungen führen.

Gravierender als das Flüchtlingsproblem sind die zunehmenden gesellschaftlichen Spannungen, die sich bereits jetzt aufgebaut haben. Hier ist es keine Lösung, große Teile der Bevölkerung – der Zulauf zu Parteien mit einem eher nationalistischen Programm beträgt derzeit wohl mehr als 10 Prozent – auszugrenzen. Im Gegenteil: Die Sorgen müssen ernst genommen werden und zumindest in Ansätzen auch in der Politik Berücksichtigung finden. Eine mögliche Reaktion bestünde darin, die Ausweisungsquote derjenigen zu erhöhen, die aus „sicheren“ Herkunftsländern stammen, und die Ausweisungen zeitnah durchzuführen. Des Weiteren wäre es hilfreich, verbindliche Regelungen zu treffen, die mittelfristig eine deutliche Verringerung der Zahl der von Deutschland aufgenommen Flüchtlinge beinhaltet.

Die auf lange Sicht vielleicht bedeutendste Gefährdung der inneren Sicherheit ergibt sich jedoch aus einer Zunahme der offenen Gewaltbereitschaft insbesondere gegen Lokalpolitiker. Wenn Politiker wie der ehemalige Bezirksbürgermeister von Reutlingen, Ralph Schönenborn, auf Grund von Morddrohungen ihren Rücktritt einreichen müssen, dann wird letztendlich das demokratische System unserer Gesellschaft in Frage gestellt. Unglücklicherweise scheint dies kein Einzelfall zu sein: Der Bürgermeister von Tröglitz, Markus Nierth, trat im März 2015 von seinem Amt zurück, weil er sich von der NPD bedroht fühlte. Andere Lokalpolitiker erhielten ebenfalls Morddrohungen, traten jedoch nicht von ihren Ämtern zurück.

Sind schon diese Vorkommnisse an ich höchst beunruhigend, liegt der eigentliche Skandal jedoch in der Reaktion des Rechtsstaates. Als sich der demokratische Rechtsstaat in den siebziger Jahren von der RAF bedroht sah, wurden alle nur denkbaren Mittel der Strafverfolgung eingesetzt. Wer erinnert sich nicht an die omnipräsenten Fahndungsfotos und die überaus intensive Suche nach den kriminellen Tätern? Der Erfolg dieser überaus kostspieligen Maßnahmen dürfte nicht zuletzt in der Abschreckung ähnlich gesinnter Personen gelegen haben. Doch was geschieht nach den aktuellen Drohungen, die zwar nicht zu Todesfällen geführt haben, wohl aber kriminelle Handlungen darstellen? Nichts, zumindest nichts, was die breite Öffentlichkeit wahrnehmen konnte. Wenn gewaltbereite Bürger ungefährdet gewählte Politiker zum Rücktritt drängen können, dann sind die Bürgerrechte und Rechtsstaatlichkeit langfristig nicht mehr gewährleistet und Nachahmer werden zu entsprechenden Handlungen förmlich eingeladen. Richtig wäre es, wenn der Rechtsstaat mit allen ihm zur Verfügung stehenden, legalen (und ausschließlich legalen) Mitteln gegen solche Taten vorginge, selbst wenn es sehr kostspielig würde. Es müsste buchstäblich jeder Stein in Reutlingen umgedreht werden, um die Drohenden ausfindig zu machen und sie nach geltendem Recht anzuklagen. Auch sollte dies für jedermann sichtbar erfolgen, sodass für alle deutlich wird, dass Gewalt – und auch die Androhung von Gewalt ist bereits als Gewalt anzusehen – als Mittel der politischen Auseinandersetzung nicht toleriert wird.

Bleibt dies aus, stellen sich die Fragen: Wer will noch politische Ämter übernehmen, welche Art von Politikern werden wir dann bekommen? Wie soll man verhindern, dass gewaltbereite Minderheiten der gesellschaftlichen Mehrheit ihren politischen Willen aufzwingen? Wie sollen Unternehmer in ein Land vertrauen und investieren, wenn gewaltbereite Minderheiten das Rechtssystem missachten und der Politik diktieren, was zu tun ist?

3. Europa

Das europäische Einigungsprojekt kann bis zum Ende der neunziger Jahre als äußerst erfolgreiches Unterfangen betrachtet werden. Einst verfeindete Nationen trieben (und treiben) friedlich miteinander Handel, viele Bürger verbrachten (und verbringen) ihren Urlaub in anderen europäischen Ländern und man fühlte sich allgemein eng befreundet. Die anschließende forcierte Erweiterung und Vertiefung der Union – insbesondere die Währungsunion, in Verbindung mit den Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise – haben dies jedoch nachdrücklich gefährdet.

Bürger in wirtschaftlich starken Ländern fühlen sich zu Hilfsleistungen an überschuldete Staaten erpresst. Sie verweisen auf das europäische Regelsystem, insbesondere die No-bailout-Klausel und die Maastricht-Kriterien, ohne die sie einer Währungsunion nicht zugestimmt hätten, und bemängeln, dass die Regeln schlichtweg ignoriert werden. Bürger in den überschuldeten Ländern fühlen sich unzumutbar bevormundet und sehen die Kreditbedingungen der Gläubigerländer als Ursache für die eigene Misere an. Das wechselseitige Stellen von Forderungen an den jeweils anderen führt zu Ressentiments und zum Wiederaufleben überwunden geglaubter Vorurteile. Permanent wird Solidarität eingefordert, gemeint ist aber vielmehr, dass die jeweils anderen Länder sich bitteschön so verhalten sollen, dass die eigenen Probleme verschwinden. Dass die europäische Solidarität weitgehend zu einer (sympathisch klingenden) Illusion degeneriert, zeigt sich nicht zuletzt in der Flüchtlingsproblematik, in der jede Nation ihre eigene Politik betreibt.

Die europäischen Bürger haben dies längst erkannt. Unglücklicherweise wird die Entwicklung von den europäischen Eliten aber weitgehend ignoriert, sodass sich die Menschen in (zu) vielen Ländern rechtsgerichteten, nationalistischen Parteien zuwenden. Diese wiederum sind zumeist marktfeindlich ausgerichtet und dürften in den seltensten Fällen zu einer konstruktiven Problemlösung beitragen. Ganz im Gegenteil: In Rumänien, Ungarn und Polen wird die für eine Marktwirtschaft unerlässliche Rechtsstaatlichkeit ausgehöhlt. Die Erstarkung rechtsgerichteter Parteien in den Niederlanden, Spanien, Frankreich, Finnland und Deutschland zeigt noch keine dramatischen Folgen, demonstriert jedoch das Ausmaß des Problems.

Wie kann das europäische Projekt gerettet werden? Großbritannien zeigt hier den Ausweg: Der Grundgedanke der Subsidiarität muss in der Europäischen Union wiederbelebt werden. Das Prinzip der Subsidiarität – ein Begriff aus der katholischen Soziallehre! – fordert, dass Handlungskompetenzen und Verantwortungen auf die am wenigsten zentrale institutionelle Ebene verlagert werden sollen, die grundsätzlich dazu fähig ist, die Entscheidungen umzusetzen. Für Europa würde das eine deutliche Rückverlagerung von Kompetenzen der europäischen Ebene auf die Mitgliedsländer bedeuten, und genau dies fordern die Briten. Mehr Subsidiarität führt somit zu zwei Ergebnissen: Europa wird funktionsfähiger und (ebenso wichtig!) Großbritannien bleibt Teil der Europäischen Union.

Wiederbelebung der Subsidiarität heißt aber auch, dass alle Nationen für ihre Verschuldung eigenverantwortlich sind, dass sie zur Lösung ihrer eigenen Probleme nicht bevormundet werden und im Zweifel auch eine Staatsinsolvenz anmelden können. Es ist schwer verständlich, warum nach Jahren der ungelösten Verschuldungsprobleme noch immer kein Verfahren für Staatsinsolvenzen implementiert wurde. Dies ist Politikversagen in Reinform!

Der Rückbau des europäischen Zentralismus nähme den rechtsgerichteten Parteien den Wind aus den Segeln und könnte es ermöglichen, dass Europa in einigen Jahren wieder zu einem freundschaftlich-kooperativen Miteinander fände, wie es vor der Einführung des Euros vorherrschte. Es sollte zunächst dieser Zustand angestrebt werden, bevor weitere Schritte zur europäischen Erweiterung und Vertiefung in Betracht gezogen werden.

Die europäische Idee in ihrer ursprünglichen Form stellt ein wunderbares Wohlstands- und Friedensprojekt dar, das sich langsam entwickeln und insbesondere vor überhöhten Ansprüchen der Teilnehmer geschützt werden muss.

4. Fazit

Innere und äußere Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit, Sicherung der Bürgerrechte, für alle Bürger offene politische Einrichtungen sowie eine geeignete Wirtschaftsordnung sind Voraussetzungen für die Arbeitsfähigkeit von marktwirtschaftlichen Systemen. Werden diese ausgehöhlt oder beseitigt, wird es auch nicht lange dauern, bis der Wohlstand sinkt.

Eine nicht geringe Zahl von jüngeren Entwicklungen in der Politik, die noch keinen grundlegenden institutionellen Schaden verursacht haben, stellen derzeit nur „zarte“ Problemansätze dar, die jedoch das Potenzial für erheblich größere Schäden aufweisen. Es ist aber noch nicht zu spät, sich diesen Angriffen auf die Grundlagen offener Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme zu widersetzen und für ein offenes, liberales Institutionensystem in Deutschland und in Europa einzutreten.

 

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