Ordnungspolitischer Kommentar
Wohnimmobilienkreditrichtlinie
Kollateralschäden bei der Altersvorsorge

Relativ geräuschlos ist im März 2016 die Wohnimmobi­lienkreditrichtlinie (WIKR) in Kraft getreten. Damit hat der Bundestag EU-Vorgaben in nationales Recht umge­setzt. Die WIKR soll Verbraucher vor sich selbst und unseriösen Kreditangeboten schützen. Im Kern geht es darum, dass die Banken bei der Vergabe von grundpfand­rechtlich besicherten Krediten genauer hinsehen sollen, ob der Kreditnehmer die Kreditbelastung tragen kann. Was zunächst nach einer Selbstverständlichkeit klingt, kann in der Umsetzung zu einem radikalen Umdenken bei der Vergabe von Wohnimmobilienkrediten führen und für viele Verbraucher zum Bumerang werden.

Einkommen statt Immobilie

Bislang war der Immobilienwert die zentrale Größe bei der Vergabe von Wohnimmobilienkrediten. Bei entspre­chender Sicherheit durch den Immobilienwert konnten auch Personen mit geringem laufendem Einkommen Kre­dit für Wohneigentum bekommen. Die WIKR stellt nun das laufende Einkommen des Kreditnehmers in den Vor­dergrund. Seither müssen die Banken sicherstellen, dass der Kreditnehmer den Kredit über die gesamte Laufzeit bedienen kann. Für den Kreditnehmer hat dies zur Folge, dass seine Einkommens- und Vermögenssituation einge­hender von den Banken geprüft wird. Die Bank muss dabei auch die zukünftige Einkommensentwicklung in Betracht ziehen. Macht die Bank bei der Einkommensprü­fung einen Fehler und gerät der Kreditnehmer in Zah­lungsschwierigkeiten, kann er von der Bank die Rückab­wicklung des Kreditvertrags verlangen, was für die Bank mit hohen Kosten verbunden ist. Weil noch unklar ist, wie die Rechtsprechung die Anforderungen an die Ein­kommensprüfung durch die Bank auslegen wird, sind viele Banken bei der Vergabe von Wohnimmobilienkre­diten zurückhaltend. Dies zeigt sich auch in den jüngsten Ergebnissen des Bank Lending Surveys des Eurosystems, einer Erhebung zum Kreditvergabeverhalten der europäi­schen Banken.

Beleihungswert ist nicht gleich Verkehrswert

Die zentralen Gedanken der WIKR sind vor dem Hinter­grund der Immobilienmarktkrise in den USA, der daraus resultierenden Finanzmarktkrise sowie den Verwerfungen auf den Immobilienmärkten in Spanien und Irland ent­standen. In den USA wurden in großem Umfang Kredite an einkommensschwache Haushalte vergeben, die allein durch den Wert der Immobilie besichert wurden. Weil die Banken bei der Bewertung der Immobilie zukünftig er­wartete Preissteigerungen berücksichtigt hatten, wurde oftmals mehr als der aktuelle Verkehrswert (Marktwert) der Immobilie beliehen. Als dann die Immobilienpreise fielen, waren viele Kreditnehmer überschuldet und mussten ihre Immobilie in die Zwangsversteigerung ge­ben. Solche Zustände sollen durch die WIKR vermieden werden.

Allerdings wird die WIKR den strukturellen Besonder­heiten des Marktes für Wohnimmobilienkredite in Deutschland nicht gerecht. Wohnimmobilienkredite wer­den hierzulande sehr konservativ vergeben. Das liegt unter anderem an der großen Bedeutung der Pfandbriefe für die Refinanzierung der Kreditinstitute. Die pfandbrief­rechtlichen Bestimmungen zwingen die Banken dazu, den Immobilienwert bei der Kreditvergabe vorsichtig zu schätzen. Ausgangspunkt ist der Beleihungswert der Im­mobilie. Dieser liegt in der Regel rund 20 Prozent unter­halb des aktuellen Verkehrswertes. Der Beleihungswert soll sicherstellen, dass der Immobilienwert über die ge­samte Kreditlaufzeit mindestens dem ausstehenden Kre­ditbetrag entspricht. In der Regel schöpfen die Banken den Beleihungswert bei Finanzierungen nicht vollständig aus, wodurch ein zusätzlicher Sicherheitspuffer geschaf­fen wird. Dieses Verfahren stellt sicher, dass die möglichen Verluste der Banken gering gehalten werden. So lag die Verlustquote (Wertberichtigungen in Relation zum Bestand) bei privaten Wohnimmobilienkrediten in 2014 unter 0,1 Prozent.

Aber auch der Kreditnehmer profitiert von dem vorsichti­gen Vorgehen: Wenn aufgrund widriger Umstände – wie Arbeitsplatzverlust oder Scheidung – die monatliche Kreditbelastung nicht mehr tragbar ist, ermöglicht ein Verkauf der Immobilie in der Regel, die ausstehenden Schulden zu tilgen. Empirische Ergebnisse zur Über­schuldung von privaten Haushalten belegen, dass ge­platzte Immobilienfinanzierungen nur relativ selten der Hauptgrund für die Überschuldung sind.

Erwerb von Wohneigentum erschwert

Die Schutzwirkung der WIKR für die Verbraucher dürfte daher eher marginal sein. Die Nebenwirkungen können jedoch den Erwerb von Wohneigentum erheblich er­schweren. So müssen zum Beispiel Haushalte in der Familiengründungsphase mehrere Hindernisse überwinden. Erstens sind die Banken aufgrund der WIKR bzw. der damit verbundenen Rechtsunsicherheit gezwungen, das zukünftige Haushaltseinkommen mit hohen Sicherheits­abschlägen zu schätzen. So muss tendenziell das niedrige Einkommen von Berufseinsteigern fortgeschrieben wer­den, da wahrscheinliche zukünftige Einkommenssteige­rungen nicht berücksichtigt werden dürfen. Sollte der Kredit bis zum Eintritt der Rentenphase nicht vollständig getilgt sein, darf die Bank zudem nur die bei Vertragsab­schluss bereits erworbenen Rentenansprüche zugrunde legen. Viele junge und mittelalte Menschen können aber nur geringe aktuelle Rentenansprüche vorweisen. Zwei­tens darf die Bank nicht mehr automatisch davon ausge­hen, dass beide Partner nach Ablauf der Elternzeit ihr Arbeitspensum wieder auf das Ausgangsniveau erhöhen. Dadurch reduziert sich das Haushaltseinkommen deutlich. Dem erschwerten Kreditzugang kann der Haushalt nur durch einen höheren Eigenkapitalanteil entgegen wirken. Das setzt aber drittens insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Zinsentwicklung einen längeren Ansparzeit­raum voraus und macht es in vielen Fällen unmöglich, den Eigentumserwerb mit der Familienplanung zu synchronisieren.

Belastung für den Mietwohnungsmarkt

Auch für Mieterhaushalte kann die WIKR unerwünschte Folgen haben. Bislang ist das Wohneigentumssegment ein wichtiges Ventil zur Entlastung des Mietwohnungs­marktes: Haushalte, die Eigentum erwerben, machen in der Regel eine Mietwohnung für nachrückende, meist einkommensschwächere Haushalte frei. Die durch die WIKR erschwerte Eigentumsbildung kann daher zur Ver­schärfung bestehender Engpässe bei Mietwohnungen beitragen.

Nutzung vorhandenen Eigentums erschwert

Für viele Haushalte ist die selbstgenutzte Wohnimmobilie ein wesentliches Standbein der privaten Altersvorsorge. Zum einen profitieren die Besitzer von Wohneigentum von der ersparten Miete. Damit die eigene Immobilie aber auch im Alter tatsächlich noch genutzt werden kann, müssen die Besitzer in vielen Fällen nicht unerhebliche Umbaumaßnahmen vornehmen. Allerdings wird es für rentennahe Haushalte durch die WIKR zunehmend schwieriger, einen Kredit für diese Umbaumaßnahmen zu erhalten. Neben den geringeren Alterseinkünften wird die Kreditvergabe durch die geringere Restlebenserwartung erschwert. Die Banken müssen sicherstellen, dass der Kreditnehmer die Belastung zu Lebzeiten tilgen kann. Das würde bei älteren Kreditnehmern zu deutlich höheren Tilgungsraten führen, die kaum zu tragen sind. Damit wird zum anderen auch die Möglichkeit erschwert, Immobilienvermögen zur Absicherung des Lebensstandards oder der Finanzierung von Pflegekosten zu nutzen.

Die neuen Richtlinien dürften zudem das Entstehen eines Marktes für umgekehrte Hypotheken behindern, die Immobilienbesitzern eine Nutzung des in der Immobilie gebundenen Vermögens bei gleichzeitigem Erhalt des Wohnrechts ermöglichen sollen. Daher könnten ältere Haushalte zukünftig häufiger zum Verkauf der Immobilie gezwungen sein, was oft zu einem Verlust des gewohnten Wohnumfelds und bestehender sozialer Bindungen führt.

Weitere Einschränkungen durch makroprudentielle Regulierung möglich

Eine weitere Verschärfung der Vergabestandards für Wohnimmobi­lienkredite droht durch die derzeit diskutier­ten makroprudentiellen Instrumente zur Finanzmarktstabilisierung, wie etwa die Vorgaben zur Relation von Kre­ditvolumen und Immobilienwert, dem Amortisationszeit­raum oder Vorgaben zum Verhältnis von Schuldendienst und Einkommen des Kreditnehmers. Auch wenn diese Instrumente grundsätzlich geeignet sind, die Finanz­marktstabilität zu erhöhen, ist ihr zusätzlicher Nutzen vor dem Hintergrund der eher konservativen Finanzierungstradition bei Wohnimmobilienkrediten in Deutschland fragwürdig.

Fazit

Die Nebenwirkungen der WIKR sind gemessen an den zu erwartenden Vorteilen erheblich. Für viele Haushalte bedeuten die neuen Vorschriften das Aus für den Traum vom selbstgenutzten Wohneigentum, wodurch mittelbar auch der Mietwohnungsmarkt belastet wird. Haus­halte, die bereits Wohneigentum gebildet haben, werden zu­nehmend Probleme bekommen, dieses im Alter entspre­chend ihren Bedürfnissen zu nutzen. Um die Vergabe von Wohnimmobi­lienkrediten nicht unnötig zu belasten, müs­sen zeitnah Klarstellungen zu den Pflichten der Banken bei der Ein­kommensberechnung geliefert werden – zumal die EU-Vorgaben auch weniger restriktiv hätten umge­setzt wer­den können. Dabei (und bei der Diskussion um die Ein­führung von makroprudentiellen Regulierungsin­strumen­ten) sollten die Nebenwirkungen von vermeint­lich dem Verbraucher­schutz dienenden Vorschriften stär­ker be­rücksichtigt werden.

Dieser Text ist auch als Ausgabe Nr. 09/2016 der Reihe Ordnungspolitischer Kommentar des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln und des Otto-Wolff-Instituts für Wirtschaftsordnung erschienen.

Blog-Beiträge zum Thema:

Leonhard Knoll: Der lange Schatten von Subprime. Neue Vergaberegeln für grundpfandbesicherte Verbraucherkredite

4 Antworten auf „Ordnungspolitischer Kommentar
Wohnimmobilienkreditrichtlinie
Kollateralschäden bei der Altersvorsorge

  1. Tja, ist nun mal so: Regulierung die wirkt, schmerzt auch. Aber nach den Erfahrungen mit Subprime-Blase und Eurokrise sieht es schon so aus, als ob Banken durch ihre Kreditvergabe regelmäßig Immobilienpreisblasen verursachen.

    Wenn der Bankensektor sein diesbezügliches moral-hazard Problem nicht alleine in den Griff bekommt, dann muss halt die regulatorische Leitplanke her – auch wenn die sicherlich nicht allen Einzelfällen gerecht werden kann.

    In der realen Politik gibt es in der Regel leider keine Instrumente ohne Effizienzverlust. Es geht lediglich darin, das Instrument mit dem geringsten Effizienzverlust zu wählen.

  2. Tja, nur hatte das deutsche Bankensystem dieses Problem wegen bereits seit Jahrzehnten stehender Leitplanken nicht wie die US-Banken bzw- -Kreditvermittler und zudem hat man nach Lehman so viele Leitplanken aufgestellt, dass es bald keine Fahrbahn mehr gibt!

  3. Nun, so ganz erstaunlich sollte es nicht sein, dass eine Regulierung, die für eine Staatengemeinschaft wie die EU gelten soll, nicht so spezifisch auf einzelne Länder zugeschnitten sein kann, wie eine Regulierung, die nur für ein einzelnes Land gelten soll. Auch hier gilt es Effizienzvorteile gegen Effizienznachteile abzuwägen.

    Wenn man natürlich, dem Zeitgeist folgend, die Vorteile der EU a priori in Richtung Null konvergieren lässt, dann kommt man auch hier schnell zu einem sehr einfachen Ergebnis. Diese Art von „sehr einfachen Ergebnissen“ erfreut sich ja gerade in Deutschland großer Beliebtheit.

    Was die aktuelle Regulierung des Bankensektors in den USA angeht, so hat man mit der vom „Dodd–Frank Act“ des Jahres 2010 versuchten Reregulierung in wichtigen Bereichen leider noch nicht das Regulierungsniveau erreicht, das vor der Deregulierung durch den „Gramm-Leach-Bliley Act“ im Jahr 1999 geherrscht hat. Der bis dahin geltende nach der Weltwirtschaftskrise 1933 eingeführte „Glass-Steagall Act“ hatte sich eigentlich empirisch bewährt. Zumindest fällt es aus heutiger Sicht schwer, zu einem anderen Ergebnis zu kommen.

    Der deutsche Ordo-Liberalismus scheint sich im Übergang zu einem „Anarcho-Liberalismus“ zu befinden. In den Vorstandsetagen großer Finanzmarktunternehmen lächelt man, hinter vorgehaltender Hand, über so viel Gutgläubigkeit…

  4. Mir ist zwar nicht so ganz klar, was das mit meinem ersten Kommentar zu tun hatte, aber bei aller Freude an Euroland, gab es bei der Umsetzung der EU-Vorgabe in nationales Recht Spielräume. Wenn diese vollständig ausgereizt worden wären, wären sämtliche zwischenzeitlich eingeleitete Initiativen zu einer Abmilderung der WIKR von so aberwitziger Sinnlosigkeit, dass sie für alle Initiatoren nur zum Striptease der eigenen Ahnungslosigkeit taugen würden. Warten wir es ab, ob die nunmehr mit Verspätung rebellierenden Politiker sich dies antun wollten!

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