Auf ihrer Suche nach einem im Wahlkampf zündenden Thema haben Martin Schulz und seine SPD nun eine Abschaffung des – im Vergleich zur ursprünglichen Fassung ohnehin schon durchlöcherten – Kooperationsverbotes in der Bildungspolitik vorgeschlagen. Der Durchgriff des Bundes soll dabei, wenn auch unter Einbeziehung der Länder, bis auf die kommunale Ebene erfolgen. Schulen sollen, wenn es nach der SPD geht, durch zweckgebundene vertikale Transfers des Bundes mitfinanziert werden.
Spricht man mit Bürgern, die sich nicht besonders für Föderalismus interessieren, so finden diese den Vorschlag der SPD tatsächlich oft plausibel. Der Bund hat Budgetüberschüsse, er weiß kaum wohin mit dem Geld, wieso soll er also nicht direkt in die Bildung investieren? Die Antwort darauf ist, knapp formuliert: Er soll es nicht tun, weil er damit den föderalen Wettbewerb aushebelt.
Die Idee ist, dass Politik institutionelle Selbstbindungen braucht, um sich selbst daran zu hindern, Dinge zu tun, die kurzfristig sinnvoll erscheinen, aber langfristig problematisch sind. Das Kooperationsverbot ist eine solche Selbstbindung im Verfassungsrang. Es stellt sicher, dass auf dem Feld der Bildungspolitik die Länder weitestgehend ohne direkte Einmischung des Bundes eigenverantwortlich handeln. Sie entscheiden, sie verantworten die Ergebnisse gegenüber ihren Wählern, und sie treten in einen Wettbewerb mit anderen Bundesländern ein, an deren Leistungen sie gemessen werden.
Eine dezentrale Bildungspolitik ist wichtig. Sie erlaubt es, Bildungsangebote zu machen, die nah den regional oder sogar lokal unterschiedlichen Präferenzen der Bürger ist. Und sie setzt die Politiker dem aus, was man yardstick competition nennt, also einem Maßstabswettbewerb. Die Bürger in Berlin beobachten, wie schlecht ihre Schulen im Verhältnis zu Bayern sind, und wenn ihnen an diesem Thema etwas liegt (was man leider nicht immer voraussetzen kann), dann werden sie ihre Bildungspolitiker an der Wahlurne für ihre Fehlleistungen bestrafen.
Zwar gibt es längst auch internationale Bildungsvergleiche, wie etwa die PISA-Studie, aber wir erinnern uns: Der Pisa-Schock beschäftigte die Öffentlichkeit nur wenige Wochen. Der Vergleich mit den direkten Nachbarn dagegen ist ein permanenter Stachel im Fleisch nachlässiger Landespolitiker.
Dabei handelt es sich nicht nur um mehr oder weniger plausible theoretische Geschichten. Auch die empirische Evidenz ist recht robust. So zeigten etwa Falch und Fischer (2012), dass das Abschneiden von Ländern in internationalen Bildungsvergleichen mit zunehmender Dezentralisierung besser wird. In einer Studie für die OECD hat Fredriksen (2013) diesen Zusammenhang ebenfalls gefunden. Interessant ist, dass dieser Zusammenhang nicht daran hängt, dass in stärker dezentralisierten Staaten mehr für Bildung ausgegeben wird. Es ist vielmehr die Dezentralisierung an und für sich, die eine Rolle spielt. Falch und Fischer zeigen allerdings, dass der positive Dezentralisierungseffekt größer ist, wenn auch der Staatssektor insgesamt größer ist.
Es spricht insofern empirisch einiges dafür, dass Dezentralisierung positive Effizienzeffekte im Bildungswesen hat und so zu besseren Bildungsergebnissen führt. Wettbewerb, auch politischer Wettbewerb, funktioniert. Dass dieser Zusammenhang heute selbst in liberalen Kreisen schwer zu vermitteln ist, und dass auch dort inzwischen zunehmend auf Command-and-Control-Bildungspolitik der Bundesregierung in Länder und Kommunen hinein gesetzt wird, ist traurig, aber ein anderes Thema.
Hier bleibt erst einmal festzuhalten: Die Forderung der SPD nach Zentralisierung und Aufhebung des Kooperationsverbotes unterminiert nicht nur den deutschen Föderalismus, was für sich genommen schon schlimm genug wäre. Vielmehr ist diese Forderung nicht einmal sinnvoll im Hinblick auf das proklamierte Ziel, die Bildungsqualität in Deutschland nachhaltig zu verbessern. Im Gegenteil, es steht zu befürchten, dass wir uns ohne föderalen Wettbewerb nicht etwa auf dem Niveau von Bayern wiederfinden, sondern nach unten nivelliert, auf dem Niveau von Bremen, NRW oder gar Berlin.
Ganz im Gegenteil. Der Föderalismus insgesamt gehört abgeschafft, weil er nicht mehr zeitgemäß ist. Positive Aspekte wie die von ihnen genannte yardstick competition im Bildungsbereich rechtfertigt nicht die Milliardenverschwendungen für zahlreiche 16-fach ausgeführte Verwaltungsprozesse. In jedem Bereich, ob Justiz, Verwaltung, Polizei, Verfassungsschutz usw. ist es immer wieder das gleiche, dass jedes Land sein eigenes Süppchen kocht und man hinterher feststellt, dass das ganze System höchst ineffizient ist und zu solchen Desastern wie bei Amri führt. Man könnte Milliarden einsparen, wenn man den Föderalismus komplett abschafft, und die Kompetenzen dem Bund übergibt, der wiederum direkt mit den Kommunen interagiert. Wenn man diese gesparten Beträge zur Verfügung hat, könnte man so viel zusätzliches Geld für Bildung ausgeben, Lehrer einstellen und Schulen modernisieren, dass der von Ihnen erwähnte positive Effekt im Bildungssektor im Vergleich zu der Effizienzsteigerung ein „Vogelschiss“ ist. ?