Die Europäische Zentralbank wird das Gesamtvolumen ihres Anleihekaufprogramms bis September 2018 auf 2.550.000.000.000 Euro erhöhen. Der Hauptrefinanzierungssatz wird bei null bleiben. Mario Draghi hat betont, dass diese Politik fortgesetzt werden wird, bis die Inflation nachhaltig ansteigt. Da mehr Inflation unwahrscheinlich ist, dürfte sich die gewaltige Geldschwemme in Europa auf absehbare Zeit fortsetzen. Das wird zunehmend gesellschaftliche und politische Instabilität nach sich ziehen. Das Werk Friedrich August von Hayek (1929, 1944, 1976) erklärt warum.
Hayeks (1929) „Geldtheorie und Konjunkturtheorie“ erklärt Konjunkturzyklen, also Aufschwung und Krise, mit Zentralbankfehlern. Während des Aufschwungs hält die Zentralbank den Zinssatz zu niedrig. Es werden Investitionsprojekte mit vergleichsweise geringen Renditen angestoßen, die durch Kreditschöpfung der Banken finanziert werden. Die Aktienkurse steigen, weil sich die Gewinnchancen von Unternehmen und Banken verbessern, während die Einlagenzinsen niedrig sind. Die Löhne steigen nicht, solange ungenutzte Kapazitäten auf dem Arbeitsmarkt vorhanden sind. Sobald die Löhne steigen, erhöhen die Unternehmen die Preise. Wenn die Zentralbank schließlich den Zinssatz anhebt, um die Inflation einzudämmen, müssen Investitionsprojekte mit geringer Rendite abgebrochen werden. Der Boom mündet in die Krise. In Hayeks Theorie verschärft die Zentralbank die Rezession, weil sie den Zinssatz zu hoch hält.
Um die wirtschaftliche Entwicklung der Industrieländer seit Mitte der 1980er Jahre zu verstehen, muss Hayeks (1929) Konjunkturtheorie in zwei Punkten neu überdacht werden: Im Einklang mit Hayek (1929) haben die Zentralbanken auf der ganzen Welt die Zinsen in Aufschwung-Phasen tendenziell zu niedrig gehalten, was zu nicht nachhaltigen Boom-Phasen auf den Finanzmärkten (z.B. dem US-Hypothekenmarktboom oder den Boom-Phasen in den heutigen EU-Krisenländern vor 2007) geführt hat. Im Gegensatz zu Hayek (1929) haben die Zentralbanken aber – erstens – die Zinssätze in Krisen schnell gesenkt, um schmerzhaften Rezessionen entgegenzuwirken. Zweitens haben sich die zunehmend expansiven Geldpolitiken statt bei den Güterpreisen bei den Vermögenspreisen (z.B. von Aktien und Immobilien) niedergeschlagen (siehe Abbildung), so dass sich die Zentralbanken bei nachhaltig niedriger Inflation nicht zu Zinserhöhungen gezwungen sahen. Die Zinssätze konnten so gegen null sinken und die Zentralbankbilanzen konnten quasi ohne Limit aufgebläht werden, ohne dass die Inflation angestiegen ist.
Die zunehmend expansiven Geldpolitiken haben jedoch zwei schwerwiegende Nebeneffekte. Erstens wurden die Produktivitätssteigerungen gelähmt, da während der Booms Investitionen mit niedrigen Renditen befördert wurden, die in den Krisen mit geringen Zinsen am Leben erhalten wurden und werden. Zombie-Banken, die auf die kostengünstige Liquiditätsversorgung der Zentralbanken angewiesen sind, verlängern Kredite an unrentable Zombie-Unternehmen, damit keine faulen Kredite in ihren Bilanzen erscheinen. Die negativen Auswirkungen einer solchen versteckten Verstaatlichung von Banken und Unternehmen auf Produktivitätsgewinne und Wachstum sind in Hayeks (1944) „Weg zur Knechtschaft“ ausführlich beschrieben.
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Zweitens hat das billige Geld gesellschaftlich unerwünschte Verteilungseffekte (Schnabl 2017). Da die von den Zentralbanken neu geschaffene Liquidität zunächst an Finanzinstitute übertragen wird, können die Finanzinstitute als erste vom wachsenden Kreditvolumina und steigenden Vermögenspreisen profitieren. Auch das Vermögen der Reichen wächst, da diese den größten Anteil an Aktien und Immobilien halten. Im Gegensatz dazu wird der Zinssatz für die Bankeinlagen gegen null gesenkt. Diese werden überwiegend von der Mittelschicht gehalten, die damit einen wichtigen Teil der Lasten der geldpolitischen Rettungskationen trägt.
Die ultra-lockere Geldpolitik begünstigt vor allem große Finanzinstitute und Unternehmen. Da die ultra-expansive Geldpolitik die Spanne zwischen Kredit- und Einlagezinsen drückt, wird das traditionelle Kreditgeschäft der Geschäftsbanken unterminiert. Banken sind gezwungen, ihr Geschäft in Richtung Investmentbanking zu verlagern. Große Institute haben dort einen Vorteil, weil der Zugang zu den internationalen Finanzmärkten teuer und große Transaktionen billiger sind. Darüber hinaus ist mehr Regulierung in Reaktion auf Finanzkrisen von großen Finanzinstituten besser zu verkraften als von kleinen.
Kleine und mittlere Banken geraten in finanzielle Schwierigkeiten und fusionieren. Da die kleinen und mittleren Banken wegen der geringen Rentabilität gezwungen sind, ihr Kreditvolumen einzuschränken, verschlechtern sich die Finanzierungsbedingungen für kleine und mittlere Unternehmen. Im Gegensatz dazu haben große Unternehmen direkten Zugang zu den Kapitalmärkten, wo sie Kapital zu historisch niedrigen Zinsen aufnehmen können. Oft werden billige Kredite dazu verwendet, kleinere Wettbewerber zu übernehmen.
Wenn die großen Unternehmen und Finanzinstitute in bestimmten Regionen konzentriert sind, konzentriert sich auch die regionale Wirtschaftstätigkeit. Regionen mit nur kleinen und mittleren Unternehmen schrumpfen. Junge Menschen in der wirtschaftlichen Peripherie werden gezwungen, in die Wirtschaftszentren abzuwandern, die weiter wachsen. Dort finden sie im Vergleich zu früheren Generationen nur schlechter bezahlte Arbeitsverhältnisse, da die nachlassenden Produktivitätsgewinne die Grundlage für Reallohnsteigerungen untergraben haben. Ein Haus für ihre Familien ist in weite Ferne gerückt, weil die Zentralbanken die Immobilienpreise immer weiter nach oben treiben.
Hayek (1976) hat in „Recht, Gesetzgebung und Freiheit“ argumentiert, dass die Gewährung von Privilegien für bestimmte Gruppen von den Bürgern als ungerecht angesehen wird. Dies ist insbesondere der Fall, wenn ein geringes Wachstum die Kompensation der benachteiligten Gruppen verhindert. Zwar versucht der Staat durch Umverteilung und neue Regulierung – z.B. in Form von Mietpreisbremsen und Mindestlöhnen – den Verteilungseffekten der Geldpolitik entgegenzuwirken. Da die etablierten Parteien aber nur die Symptome und nicht die Ursachen des Problems angehen, setzt sich der Umverteilungsprozess – wenn auch leicht gebremst – fort. Die Frustration der Menschen wächst, so dass sich diese vermehrt von den etablierten Partien abwenden. Die politische Instabilität in ganz Europa (und darüber hinaus) wächst.
Weil die Würde der Mittelschicht und der jungen Menschen sowie die politische Stabilität kostbare Güter sind, sollten Zentralbanken auf der ganzen Welt die ultra-lockeren Geldpolitiken heute besser als morgen beenden. Die US-amerikanische Fed und die Bank of England haben bereits den Anfang gemacht. Die Europäische Zentralbank und die Bank von Japan sollten zeitnah folgen.
Referenzen:
Hayek, Friedrich August von (1931): Prices and Production. New York: August M. Kelly.
Hayek, Friedrich August von (1944): The Road to Serfdom. Chicago: University of Chicago Press.
Hayek, Friedrich August von (1976): Law, Legislation and Liberty: The Mirage of Social Justice Volume 2. Chicago, Ill. University of Chicago Press.
Schnabl. Gunther (2017): Die Verteilungseffekte der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank destabilisieren Europas Demokratien. Austrian Institute Paper 18.
Zentraler Baustein der Hayek’schen Krisentheorie ist „Wenn die Zentralbank schließlich den Zinssatz anhebt, um die Inflation einzudämmen, müssen Investitionsprojekte mit geringer Rendite abgebrochen werden.“
Aber stimmt das auch? Wenn die Inflation allgemein steigt, steigt auch der Nominalwert der Investitionserträge. Wenn die Notenbank dann den Nominalzins erhöht, um angesichts der gestiegenen Inflation den Realzins konstant zu halten, sind die gleichen Investitionsprojekte (auch die mit „geringer Rendite“) rentabel, wie vor dem Inflationsanstieg. Es kommt also nicht zu einer Krise.
Allgemein stellt sich die Frage, ob es heute immer noch sinnvoll ist mit rein verbalanalytisch formulierten „Theorien“ zu argumentieren. Das beschriebene Problem zeigt die Schwächen dieses Ansatzes…
Sehr geehrte(r) Herr / Frau Kropp,
Zinserhöhungen der Zentralbanken waren der Grund für das Ende der Übertreibungen auf den Finanzmärkten in Japan (japanische Blasenökonomie), den USA (US-Hypothekenmarktblase) sowie in den heutigen südeuropäischen Krisenländern.
Für die Wirtschaftlichkeit der Unternehmen sind nicht die nominalen, sondern die realen Erträge entscheidend. Diese trüben sich ein, weil sich durch die Zinserhöhungen der Zentralbanken die Konjunkturaussichten und damit die Absatzerwartungen deutlich verschlechtern. (Das ist auch der Grund, warum die Zentralbanken Zinserhöhungen immer mehr scheuen und am liebsten ganz unterlassen.)
Rein verbaltheoretische Theorien wie die von Hayek lassen sich besser an die Veränderungen in den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen am aktuellen Rand anpassen. Die heute in der Wissenschaft dominierenden dynamischen allgemeinen Gleichgewichtsmodelle sind durch die Dominanz der wirtschaftliche Entwicklung durch Geldpolitik und Finanzmärkte überfordert. Sie konnten die globale Krise nicht kommen sehen, weil sie den Finanzsektor erst gar nicht berücksichtigt hatten.
Die Abbildung halte ich für problematisch:
1. Die im Abbildungstitel versprochene Entwicklung der Immobilienpreise kommt nicht vor.
2. Bei Aktien ist zu berücksichtigen, dass die Unternehmen zu einem erheblichen Teil durch Thesaurierungen an Wert gewinnen – ein Aspekt, der keine Korrespondenz in Konsumentenpreisindizes hat.
3. Aktienpreisindizes überzeichnen tendenziell Wertentwicklungen, z.B. wegen des sog. „survivorship bias“.
Sehr geehrter Herr Knoll,
sind haben im Detail recht. Allerdings sind die durch die Geldpolitik getriebenen Trends bei Aktien und Immobilien langfristig ähnlich. Beides sind Sachwerte, die bei schleichender Geldentwertung als vergleichsweise sichere Häfen gelten. In allen wichtigen Übertreibungsphasen auf den Finanzmärkten sind Aktienpreise und Immobilienpreise zusammen stark angestiegen (z.B. Japans Blasenökonomie, US-Hypothekenmarktboom, Übertreibungen in Südeuropa vor der Krise). Das gilt derzeit auch für Deutschland. Das billige Geld der EZB treibt die Immobilienpreise in den Ballungszentren nach oben, weil die Hypothekenkredite billig und die Angst vor der Geldentwertung groß ist. Das billige Geld treibt die Aktienpreise, weil es die Finanzierungskosten der großen Unternehmen schrumpft, den Wechselkurs abwertet und die Zinsen für Bankeinlagen und Staatsanleihen drückt. Auch für Aktien gilt die Flucht in Sachwerte.
@Gunther Schnabl, 14. Januar 2018 um 17:27 Uhr
Es ist gar nicht so einfach, ein Modell zu bauen, in dem die Notenbank den Realzins dauerhaft wesentlich beeinflussen kann, wie von Ihnen und Herrn Hayek vorausgesetzt. Man muss dabei auf einige prima facie nicht so ganz plausible Annahmen zurückgreifen. Und selbstverständlich sollte man die Argumentation nur in einem Modell führen, in dem der Einfluss der Notenbank auf den Zins nicht einfach Taylor-Rule Manier „gesetzt“ wird, sondern institutionell nachvollziehbar modelliert wird.
Aber worauf wollen Sie sonst wirtschaftspolitische Empfehlungen gründen, wenn nicht auf ein derart konsistentes Modell, das sich auch empirisch bewährt? Verbalanalytische Phantasmagorien?
@ M. Kropp
Die derzeitige Krise zeigt in der Tat, dass die etablierten Modelle den weitreichenden Auswirkungen der ultra-lockeren Geldpolitiken nicht gerecht werden. Ich empfinde Ihre Aussagen über Hayek als respektlos. Er hat immerhin für seine verbale Geld- und Konjunkturtheorie und seine Analysen der wechselseitigen Abhängigkeit von wirtschaftlichen, sozialen und institutionellen Verhältnissen den Nobelpreis erhalten. Auf dieses Wissen baue ich auf. Hayek fordert Zurückhaltung bei Interventionen des Staates, weil sich die Nebeneffekte dieser Interventionen nicht prognostizieren lassen und deshalb neue Interventionen folgen. Für die Forderung die Rolle des Zentralbanken im Wirtschaftsprozess zu reduzieren braucht es keine neuen Modelle. Das zügellose Drucken von Geld hat in der Vergangenheit immer zu großen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verwerfungen geführt. So ist es auch heute.
@Gunther Schnabl, 16. Januar 2018 um 19:20 Uhr
„Respekt“ ist keine wissenschaftliche Kategorie. In der Wissenschaft geht es nicht um Respekt oder Glaube. In der Wissenschaft geht es um die kritische Weiterentwicklung der bestehenden Theorien im Lichte des empirischen Befundes. Respekt oder Glaube stören da nur.
Die Tugend der Wissenschaft ist also die „Kritik“ nicht der „Respekt“.
Einen Nobelpreis ist vor diesem Hintergrund ein ganz schlechte Basis für Dogmatisierungsversuche. Nobelpreise wurden und werden gerade auch in der Ökonomik an Vertreter ganz unterschiedlicher Denkschulen verliehen. Und das ist auch gut so.
Ihre Aussage „Für die Forderung die Rolle des Zentralbanken im Wirtschaftsprozess zu reduzieren braucht es keine neuen Modelle“ entspricht nicht dem Standardvorgehen in den Erfahrungswissenschaften, in den Handlungsempfehlungen immer theoriebasiert sein müssen. Ob die derzeitige Geldpolitik tatsächlich dem „zügellosen Drucken von Geld“ gleichkommt, hängt davon ab, welche Theorie Sie zugrunde legen. Gerne würde man sich die einmal anschauen und auf logische Konsistenz prüfen. Da Sie aber keine vorlegen, ist dies leider nicht möglich.
@ M. Kropp
Respekt sollte eine Grundlage im Umgang aller Menschen miteinander sein, auch in der Wissenschaft und im Internet. Das schließt sachliche Kritik natürlich nicht aus. Sie haben sich mit Hayek’s Arbeiten offensichtlich nicht in Detail befasst, lehnen diese aber ab, weil sie ihren persönlichen Vorstellungen der Herangehensweise (Verbalökonomie = schlechte Ökonomie) nicht entsprechen. Das bringen Sie in einer respektlosen Wortwahl zu Ausdruck. Ich sehe nicht, was daran wissenschaftlich sein soll. Sind dann alle nicht-mathematik-orientierten Wissenschaften schlecht? Eine wissenschaftliche Herangehensweise wäre es – wie sie selbst sagen – meine oder Hayek’s Aussagen auf ihre logische Konsistenz zu prüfen und entsprechend Kritik zu äußern. Genau das vermisse ich in ihren Kommentaren. Vielen Dank für den Austausch, der für mich sehr erkenntnisreich war.
In der Wissenschaft darf man alles kritisieren.
Sogar Hayek.
Und das hat nichts mit Respektlosigkeit zu tun.