Gastbeitrag
Müssen wir China fürchten?

Eine rasant wachsende Wirtschaft, ein repressiver Präsident, zunehmende Machtansprüche: China lässt die Muskeln spielen. Statt einzuknicken, sollte der Westen in den Wettbewerb einsteigen und seine Stärke ausspielen.

In den vergangenen Monaten häufen sich die ängstlichen Stimmen, die vor China warnen. Die fürchten, dass China an Macht gewinnt, die Technologieführerschaft in vielen Bereichen übernimmt und sich aggressiv gegenüber anderen Staaten behauptet. Das Reich der Mitte, so die Angst, will seine Führungsposition aus dem Mittelalter wieder einnehmen. Und in der Tat gibt es Anzeichen für eine aggressivere Haltung Pekings.

Der wirtschaftliche Aufschwung Chinas ist insofern beispiellos, als dass zum ersten und bislang einzigen Mal ein Entwicklungsland innerhalb von etwas mehr als zwei Dekaden mit annähernd zweistelligen Wachstumsraten die Mehrheit der eigenen Bevölkerung aus der absoluten Armut befreit und technologisch weitgehend aufgeholt hat. Chinesische Unternehmen sind in vielen Bereichen Weltmarktführer, China leistet in vielen Entwicklungsländern Hilfe und investiert dort. Der chinesische Markt scheint ein unendliches Potential zu bieten.

Das ist bewundernswert und könnte Anlass geben zur Hoffnung, dass das Land sich langfristig nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch öffnet. Doch diese Erwartung scheint sich nicht zu erfüllen. Auf dem letzten Volkskongress wurde Chinas Präsident Xi Jinping unbegrenzte Machtfülle garantiert. Die nutzt er offenbar, um nach innen repressiv zu herrschen und nach außen mit aggressiven Tönen regionale Ansprüche und einen angemessenen Platz Chinas in der Welt zu reklamieren. Politische Öffnung und individuelle Freiheiten scheinen nicht mehr vorgesehen zu sein.

Das dürfte Konsequenzen haben – auch für den Umgang Chinas mit seinen Handelspartnern und Investoren. Bereits jetzt wird deutlich, wie asymmetrisch Chinas Regierung denkt: Fast schon selbstverständlich werden Spielräume und Freiheiten für die eigenen Unternehmen im Ausland eingefordert, die den ausländischen Investoren in China selbst ebenso selbstverständlich verwehrt werden. Der Umgang mit Investoren kann nur als herrisch bezeichnet werden. Ähnlich ist der chinesische Umgang mit geistigen Eigentumsrechten, die zum einen durch Patentklau und Plagiate direkt missachtet und zum anderen durch strategische Firmenkäufe erworben werden sollen. Dahinter scheint die Strategie zu stecken, in vielen Feldern technologische Führerschaft zu übernehmen. Ins Bild passt auch die Entsendung von chinesischen Studenten und Wissenschaftlern in den Westen. Schon jetzt gibt es alarmierte Stimmen, die die zahlreichen und deutlich zunehmenden Veröffentlichungen chinesischer Wissenschaftler mit Argwohn beobachten.

Hinzu kommt die neue Seidenstraße, also die Initiative, die China mit dem Westen verbindet. Es werden sehr große Summen in Infrastruktur in anderen Ländern investiert, die allerdings nicht als Hilfe, sondern als Kredit mit Konditionen zur Verfügung gestellt werden. Schon jetzt deutet sich an, dass einige der Empfängerländer, etwa Pakistan, Schwierigkeiten mit der Bedienung dieser Schulden haben werden. Das Verhalten chinesischer Investoren in afrikanischen Standorten lässt Schlimmes vermuten, sollte eines der kleinen Länder seinen Verpflichtungen nicht nachkommen.

Insgesamt also wirkt der chinesische Drache wenig vertrauenswürdig und recht bedrohlich. Ein autokratisches Regime scheint sowohl politisch als auch wirtschaftlich auf Augenhöhe mit den westlichen Demokratien zu sein, wenn nicht sogar langfristig überlegen. Einige westliche Unternehmenschefs haben dann auch im vorauseilenden Gehorsam die Erwartung geäußert, die Weltwirtschaftsordnung werde sich ändern und China die Regeln bestimmen. Müssen wir also Angst vor der chinesischen Überlegenheit haben? Wird es so sein, dass wir verlieren, weil die Chinesen gewinnen? Sollten wir – wie Herr Kaeser – den Kotau machen, bevor der Wettbewerb überhaupt begonnen hat?

Das wäre grundfalsch. Denn die Stärke des westlichen Wirtschaftsmodells liegt in seiner Dezentralität. Viele bahnbrechende Innovationen sind von kleinen und mittleren Unternehmen oder von Individuen entwickelt worden, und dies zumeist unter Wettbewerbsbedingungen. Dabei hat sich gezeigt, dass Arbeitsteilung in der Regel vorteilhaft für alle ist – der Westen hat genug Ideen, wie man denjenigen helfen kann, die kurzfristig durch intensiven Handel ihren Arbeitsplatz verlieren. Den Strukturwandel kann eine arbeitsteilige individualistische Wirtschaft am besten bewältigen.

Umgekehrt gilt: Je zentralistischer ein System ist, je weniger individuelle Freiheiten und Vielfalt es erlaubt, je mehr es die Menschen kontrolliert und nach Einheitsnormen bewertet, desto weniger lohnt sich innovatives Denken, desto mehr wird Unternehmertum zum Risiko. Die Erfahrung mit sozialistischen Regimen lehrt eindrucksvoll, dass diese mit der Zeit immer repressiver werden und zweitens gerade keine unternehmerischen (und damit innovativen) Aktivitäten zulassen können. Strukturwandel zu bewältigen, fällt dann schwer. Die damit verbundenen allokativen Verzerrungen kommen noch hinzu.

Anstelle eines alles verschlingenden Drachens ist vielmehr zu erwarten, dass die Wachstumsdynamik und Innovationsfreude in China abnehmen und der chinesische Markt an Attraktivität verlieren wird. Das heißt nicht, dass die Bedrohung durch Ignorieren der Eigentumsrechte und aggressives Auftreten chinesischer Akteure im Ausland nicht existiert. Es heißt aber, dass wir das westliche Wirtschaftsmodell mit offenen Märkten verteidigen und nicht – wegen besserer Umsatzerwartungen in einer repressiven Welt – aufgeben müssen.

Die chinesische Bedrohung kann deshalb im günstigsten Fall zum Befreiungsschlag werden. Denn sie kann dazu beitragen, dass die westliche Welt zu alter Einigkeit zurückfindet und ihr Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell verteidigt und stärkt. Sollte China dann weiterhin auf Arbeitsteilung mit dem Westen setzen wollen, wären die Spielregeln immer noch die westlichen. Aufgeben ist keine Option!

Hinweis: Der Beitrag erschien am 23. März 2018 in der Wirtschaftswoche.

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