Das Konzept eines solidarischen Grundeinkommens, wie es Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller vorschlägt[1], hat eine breite öffentliche Debatte ausgelöst, in der sich inzwischen auch der zuständige Bundesminister Heil zugunsten eines „sozialen Arbeitsmarktes“ positioniert hat.[2] Die Diskussion ist unübersichtlich, da der Begriff „Grundeinkommen“ in die Irre führt, indem eine populäre, aber völlig unrealistische Idee, – nämlich ein „unbedingtes“ Grundeinkommen – als sprachlicher Aufhänger genommen wird. Der eigentliche Punkt des Müller-Vorschlags spielt deswegen in der Debatte kaum eine Rolle: Müllers Idee eines solidarische Grundeinkommens stellt eine klare Abkehr vom sogenannten „New Public Management“ dar – also der von vielen Ökonomen und Politikern in den letzten 30 Jahren vertretenen Meinung, der Staatssektor könnte durch privatwirtschaftliche Mechanismen grundlegend verbessert werden. Müller will die Aufgaben der Kommunen wieder ausweiten – und dass dieser Vorschlag vom Chef der Berliner Verwaltung, die für mancherlei Probleme bekannt ist, gemacht wird, macht den Vorschlag nicht von vorne herein schlecht. Mit dem Namen „sozialer Arbeitsmarkt“ hat zudem einen deutlich besseren Begriff für das Vorhaben gefunden als Müller selbst. Und der Vorschlag ersetzt auch nicht Hartz IV, das auf jeden Fall weiterentwickelt werden sollte. Da hat Finanzminister Olaf Scholz Recht.
Müllers Vorschlag im Bereich einfacher Tätigkeiten im öffentlichen Dienst wieder mehr Dauerarbeitsplätze einzurichten, die an Langzeitarbeitslose vergeben werden sollen, läuft schlicht und einfach auf eine Ausweitung der Aufgaben des öffentlichen bzw. kommunalen Sektors hinaus, der in der Tat zu sehr abgemagert wurde. Bert Rürup, erfahrener Politikberater, bringt das auf den Punkt: wenn es einen relevanten Bedarf an zusätzlicher sozialer und kommunaler Arbeit gibt, muss die Politik für eine bessere finanzielle Ausstattung von Städten, Gemeinden und karitativen Einrichtungen sorgen.[3] Genau das ist der Kern von Müllers Vorschlag. Und wenn es mehr Geld gibt, werden auch keine privatwirtschaftlich organisierten Tätigkeiten verdrängt.
Da es sich um die Bezahlung von Arbeit handelt ist der Name „solidarisches Grundeinkommen“ ziemlich irreführend. Es handelt sich nämlich nicht um ein leistungsloses Einkommen, sondern um einfache, aber gesellschaftlich sinnvolle Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst. Die Kommunen würden lediglich einige der Stellen, die im Zuge der neoliberalen Idee vom schlanken Staat weggefallen sind, wieder aufbauen. Dafür könnte er einen Teil der vier Milliarden Euro nutzen, die im Koalitionsvertrag für neue wie bestehende Instrumente zur Integration von Langzeitarbeitslosen eingeplant sind. Ein Detail des Müller-Vorschlags ist in diesem Zusammenhang wichtig: Er will die Arbeitsplätze auf dem sozialen Arbeitsmarkt Arbeitslosen nicht erst anbieten, wenn die bestehenden „Eingliederungshilfen“ alle nicht gewirkt haben, sondern Langzeitarbeitslosen soll berechtig sein, einen Job im sozialen Arbeitsmarkt zu bekommen, sobald sie nicht mehr durch die Arbeitslosenversicherung abgesichert sind. Damit soll vermieden werden, dass nach jahrelanger Arbeitslosigkeit es sehr schwer geworden ist, jemanden in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren.
Kein bedingungsloses Grundeinkommen
Mit dem populären  Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens, das sich in Meinungsumfragen, die die damit verbundenen Kosten und deren Finanzierung verschweigen,  als mehrheitsfähig erweist, aber unfinanzierbar ist, haben die Vorschläge Müller und Heil gar nichts zu tun.
Beim Grundeinkommen würden 80 Millionen Menschen im Wolkenkuckucksheim eine Basis-Absicherung bekommen, die pro Jahr etwa eine Billion Euro kosten würde. Das Ziel vieler liberaler Befürworter des Grundeinkommens ist im übrigen, dass ein Grundeinkommen erlauben, ja nahezu erzwingen würde, dass alle darüberhinausgehenden sozialstaatlichen Leistungen abgeschafft werden! Einschließlich der Krankenkassen so wie wir sie kennen. Da das Grundeinkommen ja auch ausreichen müsste bei Krankheit abgesichert zu sein, müsste ein staatliches Gesundheitswesen eine Grundversorgung anbieten.
Im Ergebnis wäre ein bedingungsloses Grundeinkommen ein Argument den Sozialstaat ansonsten abzuschaffen. Einschließlich Kündigungsschutz, denn jeder hätte ja bei einem Rauswurf sein Grundeinkommen. Im Ergebnis ginge es auf dem Arbeitsmarkt drunter und drüber und nur noch Gutverdienende und Reiche könnten sich eine gute Altersvorsorge und Krankenversorgung leisten. Die soziale Ungleichheit könnte wieder so groß werden wie zu den Zeiten des Manchester-Kapitalismus im 19Â Jahrhundert. Merke: gut gemeint ist nicht automatisch gut gemacht!
Der „soziale Arbeitsmarkt“ gibt Langzeitarbeitslosen ihre Würde zurück
Zu den Details von Müllers Konzept. Es sieht vor, dass langzeitarbeitslose Hartz-IV-Empfänger, die wieder erwerbstätig werden wollen und dies grundsätzlich auch können, im öffentlichen Dienst, nämlich in den Kommunen eingestellt werden. Das bedeutet eine Abkehr von den sogenannten 1-Euro-Jobs: Diese werden nur befristet als Eingliederungsmaßnahme angeboten, um einen Anreiz zu geben, dass Langzeitarbeitslose sich eine „normale“ Stelle suchen. Es hat sich allerdings gezeigt, dass dies selten gelingt – trotz des boomenden Arbeitsmarkts. Das ist auch kein Wunder, wenn man den Kommunen eine angemessene finanzielle Ausstattung verweigert, um die Lohnnebenkosten niedrig zu halten!
Auf dem „sozialen Arbeitsmarkt“ soll ein eingestellter Langzeitarbeitsloser nur den gesetzlichen Mindestlohn verdienen, jedoch ohne Befristung und in Vollzeit. Damit hätte er Berechnungen zufolge, die im DIW Berlin durchgeführt wurden, ein rund 20 Prozent höheres Nettoeinkommen als zuvor mit Hartz IV.[4]
Dass auf dem sozialen Arbeitsmarkt etwas mehr Geld gibt als im reinen Transferbezug, ist aber nicht der entscheidende Unterschied zwischen Job und Hartz IV. Der Unterschied besteht darin, dass im sozialen Arbeitsmarkt eine unbefristete Stelle geboten wird und damit Langzeitarbeitslosen ihre persönliche Würde zurückgegeben wird, die ihnen durch die Stigmatisierung und den ständigen Druck des Hartz-IV-Systems genommen wurde. Wobei wir dank der „Glücks“forschung wissen, dass selbst schlecht bezahlte Jobs die Lebenszufriedenheit erhöhen.
Beim sozialen Arbeitsmarkt geht es im Kern darum, dass Gesellschaft und Staat endlich einsehen, dass man den Staat nicht beliebig abmagern und alles dem freien Markt überlassen kann. Wie bis in die 90er Jahre hinein würde der Staat wieder einfache Arbeitsplätze – vom Straßenreiniger über den Hilfs-Hausmeister bis zum Helfer in der Pflege – einrichten. Im Grunde würde nichts anderes gemacht als die im Zuge der neoliberalen Ideen vom schlanken Staat abgebauten Stellen wieder aufzubauen.
Will man Müllers Idee im Sinne von Heils „sozialem Arbeitsmarkt“ umsetzen, ist einiges an Details zu klären. So ist zu entscheiden, ob allen Langzeitarbeitslosen, ggf. bereits unmittelbar beim Übergang in Hartz IV, ein Job angeboten werden soll, oder ob eine Beschränkung nur auf Personen mit sogenannten mehrfachen Vermittlungshemmnissen sowie einer längeren Hartz IV-Zeit erfolgen soll?
Vor allem ist es notwendig sich auf eine „Positivliste“ an geförderten Tätigkeiten zu verständigen, damit es nicht zu einem Abbau regulärer Stellen im öffentlichen Dienst und bei Dienstleistern kommt, die inzwischen reguläre Aufgaben des Staates übernommen haben (so zum Beispiel den Wachdienst in Bundesministerien). Das immer wieder genannte Beispiel zusätzlicher Schulhausmeisterstellen  ist aber sicherlich nicht das beste, denn laut Tarif des öffentlichen Dienstes verdient ein in Vollzeit tätiger Schulhausmeister monatlich rund 1 000 Euro mehr als die bescheidenen 1 500 Euro Bruttolohn auf Mindestlohnniveau.
Die 1Â 500 Euro liegen noch etwa 200 Euro unter dem Vollzeit-Einstiegsgehalt in der niedrigsten Entgeltgruppe im öffentlichen Dienst, also „E1“, die beispielsweise für Essens- und Getränkeausgeber, Reiniger in Außenbereichen und Boten angesetzt wird. Insofern sollten 1Â 500 Euro auch nur als Einstiegsgehalt für ehemalige Langzeitarbeitslose angesehen werden, die am Anfang „on the Job“ dazulernen müssten und sich zudem weiterqualifizieren könnten.
Ohne Zweifel kann man auch Schulhausmeistern Hilfskräfte zu Seite stellen. 1-Euro-Jobber waren das bereits, aber diese Stellen waren befristet. Hinzu kommen Tätigkeiten in der Kranken- und Altenpflege, wo Fachkräfte Entlastungen durch einfache Hilfskräfte dringend nötig hätten, etwa auch für eine Begleitung beim Einkaufen oder beim Spaziergang von hilfsbedürftigen Menschen. Weder private Dienstleister noch besser bezahlte vorhandene Berufe wären direkt oder mittelbar von dem zusätzlichen Angebot an Beschäftigung beeinträchtigt.
Auf der Finanzierungsseite ist zu klären wie lange ein neuer Job im sozialen Arbeitsmarkt vom Bund aus Eingliederungsmitteln des SGB II bezahlt wird.
Da der soziale Arbeitsmarkt nicht nur dafür sorgt, dass bestimmte staatliche Aufgaben endlich wieder erledigt werden, sondern diese Stellen auch dem Zusammenhalt der ganzen Gesellschaft dienen, sei noch eine Anmerkung erlaubt. Große Firmen wären auch gut beraten, wenn sie derartige Stellen wieder aufbauen und z. B. ihre Pförtner und Putzkolonnen wieder selbst regulär beschäftigen würden. In der alten Industrie war das selbstverständlich, weil auf diese Weise zum Beispiel auch Arbeiter, die einen Arbeitsunfall hatten, weiter sinnvoll beschäftigt werden konnten. Diese Art von „Versicherung“ hat durchaus der Produktivität der Industrieunternehmen gedient. Die Kosten für derartige Arbeitsplätze wären gering und würden den Shareholder Value nicht beeinträchtigen.
Komplementär: Reform von Hartz IV
Komplementär zum sozialen Arbeitsmarkt und dem Wiederaufbau des öffentlichen Sektors sollte Hartz IV reformiert bzw. weiterentwickelt werden. Bert Rürup hat dafür ein kleines Reform-Paket skizziert, das ein guter Ausgangpunkt ist.
Eine moderate Anhebung der Harz IV-Geldleistungen wäre sinnvoll, um den Anspruch, dass durch Harz IV das soziokulturelle Existenzminimum gewährleistet werden soll, besser zu erfüllen als gegenwärtig. Und die Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten für Langzeitarbeitslose sollten verbessert werden. Am wichtigsten ist es aber die „Hinzuverdienstmöglichkeiten“ zu verbessern, sodass es sich für Harz IV-Empfänger finanziell spürbar lohnt, sich etwas dazu zu verdienen und so die Chance zu verbessern der Grundsicherung für Langzeitarbeitslose („Hartz IV“) zu entkommen.
Rürup weist zu Recht darauf hin, dass die  restriktiven Hinzuverdienst-Vorschriften durchaus sinnvoll waren solange  es noch keinen gesetzlichen Mindestlohn gab. Es sollten „Kombilohnmodelle“ verhindert werden, bei denen Arbeitgeber und Arbeitnehmer einen Vertrag zulasten aller Steuerzahler eingehen. Da es jetzt einen Mindestlohn gibt, muss man vor diesem spezifischen Missbrauch keine Angst mehr haben.
Fazit
Wird der öffentliche Dienst mit Hilfe eines „sozialen Arbeitsmarktes“ wieder ausgebaut werden profitieren sowohl diejenigen, die von den personenbezogenen Dienstleistungen direkte Verbesserungen ihrer Lebenssituation haben als auch die ehemals Langzeitarbeitslosen, die wieder von ihrer Erwerbstätigkeit ein bescheidenes sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis mit einem auch tatsächlich ausgezahlten Mindestlohn bekommen. Dies kann so gestaltet werden, dass keine Verdrängung bisheriger Stellen und Initiativen stattfindet, sondern dass schlicht ein Wieder-Aufbau eines wichtigen Teils des öffentlichen Dienstes stattfindet, der in den letzten Jahren durch das „New Public Management“ in Vergessenheit geriet. Daneben sollte die Grundsicherung für Langzeitarbeitslose („Hartz IV“) Â weiterentwickelt werden; insbesondere die extrem niedrigen Hinzuverdienstmöglichkeiten sollten im Zeitalter des Mindestlohns überdacht werden.
Bleibt am Ende die Frage nach dem Namen der Aktion. Dass der von Müller gewählte Begriff „Grundeinkommen“ wirklich der Zustimmung zu seinem Vorschlag dient, darf bezweifelt werden. Es geht nicht um ein leistungsloses Grundeinkommen sondern um Leistung und Gegenleistung. Der von Minister Heil gewählte Begriff des „sozialen Arbeitsmarktes“ ist sicherlich treffender. Auf jeden Fall sollte ein Begriff gefunden werden, der höhere Sympathie- und Zustimmungswerte erbringt als das bereits bestehende Förderprogramm „Passiv-Aktiv Transfer“ (PAT). Aber selbst PAT ist keine schlechter Name, da er die Idee von dem völlig unrealistischen Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens abgrenzt, mit dem 80 Millionen Menschen nur im Wolkenkuckucksheim eine Basis-Absicherung bekommen würden.
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[1] Vgl. Michael Müller, Solidarisches Grundeinkommen – das Geld ist da, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3. April 2018.
[2] Vgl. Hubertus Heil, Die Grundsicherung neu ausrichten, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29. März 2018: http://www.bmas.de/DE/Presse/Reden/Hubertus-Heil/2018/2018-03-29-faz.html.
[3] Bert Rürup, Solidarisches Grundeinkommen – eine unsolidarische Mogelpackung, Düsseldorf 2018, auf: http://research.handelsblatt.com/assets/uploads/AnalyseHartzIVReform.pdf.
[4] Stefan Bach und Jürgen Schupp, Solidarisches Grundeinkommen: alternatives Instrument für mehr Teilhabe, in: DIW aktuell Nr. 8 vom 12.2.2018: http://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.577886.de/diw_aktuell_8.pdf.
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