Der amerikanische Präsident, Donald Trump, hat im Handelsstreit mit China und Europa eine neue Quelle der Benachteiligung für die USA entdeckt: dabei handelt es sich um die Währungsbeziehungen und die Entwicklung der Wechselkurse. „China, die EU und andere manipulieren ihre Währungen und Zinsen nach unten“, verbreitete er jüngst über den Kurznachrichtendienst Twitter[1]. „Wie üblich“ haben es die USA – seiner Meinung nach – mit „ungleichen Wettbewerbsbedingungen“ zu tun. In einem Gespräch mit dem Sender CNBC hatte der Präsident ferner die eigene Notenbank (Fed) angegriffen: er sei „nicht begeistert“ von steigenden Zinsen. „Es gefällt mir nicht, dass wir all die Arbeit in die Wirtschaft stecken und dann sehe ich wie die Zinsen steigen.“ Diese Maßnahmen führen aus seiner Sicht zu einer Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit amerikanischer Unternehmen, die den Erfolg seiner Politik gefährden könnte.
Doch was ist dran an den Vorwürfen? Um eine Manipulation des Wechselkurses und damit verbundene Wirkungen auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen aufzudecken, bedarf es zunächst eines Referenzmaßstabs, der Aussagen zulässt über den „fairen“ Wert einer Währung. Ein häufig verwandter Indikator in diesem Zusammenhang ist die Kaufkraftparität bzw. der daraus ableitbare reale Wechselkurs. Die Kaufkraftparität besagt vom Grundsatz her, dass sich die längerfristige (gleichgewichtige) Veränderungsrate des Wechselkurses aus der Differenz der Inflationsraten des Auslands und des Inlands ergibt. Beträgt zum Beispiel die Inflationsrate im Ausland 10 Prozent bei gleichzeitiger Preisniveaustabilität im Inland (Inflationsrate entspricht null Prozent), dann erwartet man vor diesem Hintergrund, dass die inländische Währung längerfristig um 10 Prozent auf- und die Auslandswährung entsprechend abgewertet wird. Abweichungen von der Kaufkraftparität implizieren wiederum eine Veränderung des realen Wechselkurses und damit einen Einfluss auf die (Preis-)Wettbewerbsfähigkeit. So lange sich der Wechselkurs in dem zuvor angeführten Beispiel noch nicht (vollständig) angepasst hat, erleidet das Ausland aufgrund der höheren Inflation einen Wettbewerbsnachteil und das Inland genießt einen Wettbewerbsvorteil, der jedoch als Folge der Aufwertung der inländischen Währung im Laufe der Zeit wieder abgebaut wird. Ist die Kaufkraftparität hingegen erfüllt, bleibt die Veränderungsrate des realen Wechselkurses und damit die daran gemessene internationale (Preis-)Wettbewerbsfähigkeit unverändert. Erst aus dem Vergleich zwischen dem Markt- und dem „Gleichgewichts“-Wechselkurs lassen sich die Über- oder Unterbewertung einer Währung ermitteln und entsprechende Rückwirkungen auf die (Preis-)Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen eines Landes ableiten.
Betrachtet man vor diesem Hintergrund den aktuellen Markt-Wechselkurs sowie den Kaufkraftparitätenkurs (KKP) in Abbildung 1 und deren Verhältnis zueinander, so erkennt man zwar am aktuellen Rand eine leichte Abwertung des Euros und eine entsprechende Aufwertung des US-Dollars. Der Markt-Wechselkurs liegt jedoch recht nahe bei der KKP, so dass daraus gegenwärtig wohl kaum eine gravierende Veränderung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit abgeleitet werden kann. Etwas anders sieht es allerdings aus, wenn man die Entwicklung in den Jahren 2014 und 2015 betrachtet. Während dieses Zeitraums kam es zu einer deutlichen Abwertung des Euros gegenüber dem US-Dollar, die sicherlich nicht unabhängig von der Ankündigung und Durchführung des Anleihenkaufprogramms der EZB (quantitative Lockerung, QE) zu sehen ist. Die damit verknüpfte expansive Geldpolitik wurde aber nicht (primär) mit dem Ziel betrieben, den Wechselkurs zu beeinflussen (manipulieren), auch wenn man die entsprechenden Wirkungen auf die Nachfrage und die Inflationsrate sicherlich gerne billigend in Kauf genommen hat. Ziel war es vielmehr, die Wirtschaft der Eurozone wieder in Schwung zu bringen und die Folgen der Staatsschuldenkrise zu überwinden. Bezogen auf den Kaufkraftparitätenkurs in Abbildung 1 halten sich die Überbewertung des Euros vor der Abwertungsphase in den Jahren 2014 und 2015 sowie dessen nachfolgende Unterbewertung allerdings in etwa die Waage.
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So wie die jüngste Abwertung des Euros (auch) auf die expansive Geldpolitik der EZB zurückzuführen ist, war es die sehr expansive Geldpolitik der Fed – und zwar sowohl in Form von Leitzinssenkungen als auch durch eine quantitative Lockerung, die ihren Niederschlag in einer Ausweitung der Zentralbankbilanz findet – in den Jahren von 2008 bis 2014, die eine Abwertung des US-Dollars während dieser Zeit (mit) verursachte. Ziel dieser Politik war es, die Folgen der Finanzkrise sowie des nachfolgenden realwirtschaftlichen Abschwungs zu überwinden. Mit der Abwertung des US-Dollars ging aber – wie Abbildung 1 veranschaulicht – zugleich eine deutliche Überbewertung des Euros einher, die im Umkehrschluss demnach auch zu Wettbewerbsvorteilen für die USA geführt haben müsste. Die Phasenverschiebung der Geldpolitik veranschaulichen die Abbildungen 2a und 2b noch einmal eindrücklich. Dabei wird deutlich, dass die Geldpolitik der Fed in der Zeit seit 2008 – sowohl bezogen auf die Leitzinsen als auch auf die quantitative Lockerung – stets einen zeitlichen Vorlauf vor der EZB hatte. Dies gilt sowohl für die expansive Politik seit 2008, als auch für die bei der Fed im Dezember 2015 einsetzende restriktivere Politik in Form steigender Leitzinsen. In solchen Fällen unterschiedlicher geldpolitischer Entwicklungen ist es aber ganz normal, dass es zu Rückwirkungen auf den Wechselkurs zwischen den beteiligten Währungen kommt. Da Leitzinsen (geld-)politisch gesetzte Zinsen sind, könnte man vor diesem Hintergrund im Extremfall allen Zentralbanken eine permanente „Manipulation“ der Wechselkurse unterstellen! Dies würde insbesondere auch für den amerikanischen Präsidenten gelten, versuchte er, Einfluss auf die geldpolitischen (Zins-)Entscheidungen der Fed zu nehmen. Da die amerikanische Notenbank jedoch politisch unabhängig ist, wird dieser Fall (hoffentlich) nicht eintreten.
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Von einer „echten“ Manipulation kann aber erst dann die Rede sein, wenn eine Notenbank ihr geldpolitisches Instrumentarium gezielt einsetzt, um den Wechselkurs zu beeinflussen. Dies wäre in erster Linie dann der Fall, wenn sie Interventionen am Devisenmarkt vornimmt, um dort „Kurspflege“ zu betreiben. Die damit verbundene Absicht einer gezielten Einflussnahme (nur) auf den Wechselkurs wird häufig dadurch offenkundig, dass die geldpolitischen Wirkungen solcher Interventionen neutralisiert werden, indem etwa bei Devisenkäufen zur Schwächung der heimischen Währung im Gegenzug eine restriktive Offenmarktpolitik betrieben wird, um die Zentralbankgeldmenge auf diese Weise konstant zu halten. Neutralisiert man die Devisenmarktinterventionen in der zuvor beschriebenen Form, dann ist die Wirkung auf den Wechselkurs aber bestenfalls gering und nicht nachhaltig. Neutralisiert man die interventionsbedingten Geldzu- oder -abflüsse allerdings nicht, dann handelt es sich letztlich um eine spezifische Form der Geldschaffung oder -vernichtung, die nur dann Anwendung finden wird, wenn sie auch mit den wirtschaftspolitischen Zielen des Inlands kompatibel ist. In diesem Fall kommt es zweifelsfrei zu Rückwirkungen auf den Wechselkurs – ohne dass es sich dabei allerdings um eine bewusste Manipulation handelt. Die Wirkung stellt sich im Rahmen des normalen geldpolitischen Transmissionsprozesses ein. Manchmal wird darüber hinaus versucht, eine Währung schwach zu reden (oral interventions). Auch dies wird allerdings nur dann einen nachhaltigen Effekt auf den Wechselkurs ausüben, wenn es sich um (glaubhafte) Ankündigungen einer bevorstehenden geldpolitischen Wende oder ähnlicher wirtschaftspolitischer Maßnahmen handelt. Anderenfalls werden die Marktteilnehmer schnell erkennen, dass es sich lediglich um „heiße Luft“ handelt und keine (Erwartungs-)Anpassungen erforderlich sind.
Wesentlich einfacher als bei flexiblen Wechselkursen fällt eine bewusste Manipulation des Wechselkurses allerdings in einem Festkurssystem. Unter diesen Rahmenbedingungen reicht es aus, an einem „falschen“ nominalen Wechselkurs festzuhalten oder ihn nur zeitlich (stark) verzögert anzupassen, wenn sich zum Beispiel die Inflationsraten der beteiligten Volkswirtschaften auseinander bewegen. Doch auch diese Zusammenhänge treffen auf das Verhältnis zwischen der Eurozone sowie den USA nicht zu und bieten damit kein Manipulationspotenzial.
Zusammenfassend kann man also schlussfolgern, dass es keinerlei Anzeichen dafür gibt, dass die EZB den Euro gegenwärtig bewusst (zu Ungunsten der USA) manipuliert. Die seit 2014 zu beobachtende Abwertung des Euros ist vor dem Hintergrund unterschiedlicher geldpolitischer Stadien in den beiden Volkswirtschaften zu sehen – die aber in der Zeit vor 2014 auch zu der umgekehrten Situation geführt hat (siehe Abbildung 2) und von der amerikanische Unternehmen gegebenenfalls profitiert haben. Der aktuelle Wechselkurs weist darüber hinaus gegenwärtig keine gravierende Fehlbewertung auf, die einen Verlust an internationaler Wettbewerbsfähigkeit amerikanischer Unternehmen zur Folge haben könnte. Last but not least beeinflusst der (reale) Wechselkurs bestenfalls die internationale Preiswettbewerbsfähigkeit. Auf die Wettbewerbsfähigkeit insgesamt wirken hingegen neben dem Preis weitere Faktoren wie etwa die Qualität der Produkte, das Design, insbesondere bei differenzierten Produkten, der Service und die Zuverlässigkeit der Lieferung ein. Da sich der Wechselkurs zwischen dem Euro und dem US-Dollar frei am Markt gemäß Angebot und Nachfrage bilden kann, keine (neutralisierten) Devisenmarktinterventionen von Seiten der EZB vorgenommen wurden sowie keine gravierende Fehlbewertung des Wechselkurses zu Verschiebungen der internationalen Preiswettbewerbsfähigkeit geführt hat, ist der von Präsident Trump vorgebrachte Vorwurf – bezogen auf die EZB und den Euro – in jeder Hinsicht haltlos.
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[1] Der entsprechende Text auf Twitter am 20. Juli 2018 um 14:43 Uhr lautete: „China, the European Union and others have been manipulating their currencies and interest rates lower, while the U.S. is raising rates while the dollar gets stronger and stronger with each passing day – taking away our big competitive edge. As usual, not a level playing field… “
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