Die 50+1-Regel auf der Kippe?

Die 50+1-Regel kommt durch das Vorhaben des Präsidenten des Hannoverschen Sportvereins von 1896 e.V., Martin Kind, erneut in die Diskussion. Zum Hintergrund: Die Lizenzspielerabteilung des Hannoverschen Sportvereins von 1896 e.V. wurde in die Hannover 96 GmbH & Co. KGaA ausgegliedert. Die Kommanditanteile sind im Eigentum der Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG, deren Mehrheit Martin Kind hält. Als Komplementär fungiert die Hannover 96 Management GmbH, deren Gesellschaftsanteile vollständig dem Hannoverschen Sportverein von 1896 e.V. gehören. Damit ist den Vorgaben der 50+1-Regelung Rechnung getragen, da der Verein als Komplementär die Kontrolle über die Lizenzspielerabteilung innehat.

Durch das Vorhaben von Martin Kind, die Mehrheit an der Hannover 96 Management GmbH zu übernehmen, würde die 50+1-Regelung unterlaufen. Kind beantragte eine Ausnahmegenehmigung von der 50+1-Regelung, die aber vom Präsidium der Deutschen Fußball Liga einstimmig abgelehnt wurde. Daraufhin hat Kind folgerichtig Klage beim Ständigen Schiedsgericht für Vereine und Kapitalgesellschaften der Lizenzligen eingereicht (o. V. 2018).

Das führt uns zu der Frage nach dem Zweck der 50+1-Regel. Die Regelung soll im wesentlichen erreichen, daß Investoren die ausgegründete Lizenzspielerabteilung nicht fremdbestimmen und der Verein einen mehrheitlichen Einfluß auf eben diese Lizenzspielerabteilung behält (Lammert et al. 2018). Dieses Ziel hat jedoch nicht Selbstzweck, sondern dient dazu

  1. eine schiefe Liga zu vermeiden, die sich etwa durch überbordende Finanzspritzen externer Investoren ergeben könnte,
  2. die Integrität der Liga zu gewährleisten, also zu verhindern, daß sich Clubs bei Spielen untereinander absprechen, und
  3. eine enge Verbindung von Profi- und Breitensport zu realisieren.

Ad 1): Durch die 50+1-Reglung soll insbesondere verhindert werden, daß durch das Verhalten von Investoren die Ausgeglichenheit der Liga beseitigt und damit das Kollektivgut „Spannungsgrad“ in Mitleidenschaft gezogen wird. Wenn aber der Spannungsgrad geringer ausfalle, dann verlöre die Liga an Attraktivität für die Zuschauer. Diese Argumentation basiert maßgeblich auf zwei Hypothesen:

  • Die Spielstärke eines Clubs hängt maßgeblich von dessen finanzieller Potenz ab. Mit anderen Worten bedeutet dies, daß wohlhabende Clubs sich bessere Spieler und Trainer leisten können, was sich wiederum in der Spielstärke niederschlägt. Der Club wird also durch diese Hypothese auf eine Produktionsfunktion reduziert; unternehmerisches Handeln in Form innovativer Organisationsformen, Spielsysteme etc. wird vernachlässigt.
  • Der Spannungsgrad als Resultat der Ausgeglichenheit der Spielstärke korreliert positiv mit dem Zuschauerinteresse. Mit anderen Worten: Je spannender die Meisterschaft ausfällt, desto mehr Zuschauer interessieren sich dafür.

Die Gültigkeit beider Hypothesen ist jedoch höchst umstritten. So gibt es empirische Studien, die einen derartigen Zusammenhang bestätigen, aber auch Studien, die diesen widerlegen (Daumann 2015, S. 171 f.). Insbesondere der Zusammenhang zwischen Spannungsgrad und Zuschauerinteresse scheint mehr als fragwürdig; vielmehr ist offenbar der Eventcharakter eines derartigen Ereignisses eher das die Nachfrage stimulierende Element. Zwischenfazit: Die 50+1-Regelung würde sich damit also kaum rechtfertigen lassen.

Ad 2): Bei der Aufrechterhaltung der Integrität geht es darum zu verhindern, daß die Wettkämpfe abgesprochen werden. Die Unabhängigkeit der Clubs scheint eher geeignet zu sein, ein hohes Maß an Integrität durchzusetzen. Problematisch erwies sich hier beispielweise die ursprüngliche Struktur der Major League Soccer (MLS), die ein hohes Maß an Zentralisierung vorsah und bei der die Spieler durch die Liga zwischen den nicht-selbständigen Clubs verschoben werden konnten (Single Entity League). Derartige Verhältnisse liegen gleichwohl in der Bundesliga nicht vor; hier sind die Clubs selbständig. Allerdings zeigt der Blick in die Vergangenheit (Bundesligaskandal in der Saison 1970/71), daß auch unter einem Regime selbständiger Clubs nicht integeres Verhalten auftreten kann. Um das Problem also zu lösen, benötigt die Liga keine 50+1-Regelung, sondern ein wirksames Verbot von Spiel-Absprachen zwischen den Clubs.

Berechtigterweise kann man aber wohl davon ausgehen, daß bei Multi-Ownership – ein Investor besitzt mehrere Clubs in der gleichen Liga – die Zuschauer eine große Gefahr für die Integrität der Liga in Form von Spiel-Absprachen annehmen – unabhängig davon, ob es ein Verbot von derartigen Absprachen gibt. Freilich läßt sich dieses Problem weitgehend durch eine wirksame 50+1-Regelung lösen, aber im Sinne der Verhältnismäßigkeit würde auch hier ein einfaches Verbot von Multi-Ownership dieses Problem lösen, ohne daß damit zugleich die Nachteile der 50+1-Regelung mit eingekauft werden würden (Investitionszurückhaltung externer Investoren, mangelnde Kapitalmarkteffizienz etc.).

Ad 3): Die enge Verbindung von Profi- und Breitensport muß im Kontext der Nachwuchsausbildung interpretiert werden. Durch eine enge Verflechtung von Profi- und Breitensport werde eine größere Anzahl an Kindern und Jugendlichen an den Fußball herangeführt und damit die Nachwuchsarbeit verbessert, was sich insbesondere für die Nationalmannschaft positiv auswirke. Nun ist nicht ganz einzusehen, warum aus dem Auftreten fremder Investoren hierbei negative Wirkungen resultieren sollten. Unterstellt man, daß fremde Investoren die Kapitalausstattung der Clubs verbessern (was ja das Argument bei der Schiefe der Liga ist), dann schlägt das auch auf die Gehälter der Spieler durch. Diese dürften ansteigen. Ein derartiger Anstieg erhöht sicherlich auch die Attraktivität für Spieler-Laufbahnen. Mit anderen Worten: Das Agieren fremder Investoren in der Liga dürfte eher eine verbesserte Ausschöpfung des Nachwuchspotentials nach sich ziehen. Vor dem Hintergrund dieses Arguments ist die 50+1-Regelung also eher verzichtbar.

Was sollte also die Liga tun? Ein Verzicht auf die 50+1-Regelung würde die Freiheitsspielräume auf Ebene der Clubs erweitern und wettbewerbliche Trial-and-Error-Prozesse initiieren. Sicherlich wäre das Ergebnis nicht, daß plötzlich in allen Clubs die Lizenzspielerabteilung durch fremde Investoren dominiert würden, und sicherlich würden manche Clubs feststellen, daß ihr Markenkern durch die Aufnahme eines fremden Investors extrem gefährdet würde. Sinnvoll erscheint daher, auf die 50+1-Regelung zu verzichten, aber einschlägige Spiel-Absprachen der Clubs untereinander streng zu sanktionieren und Multi-Ownership zu unterbinden.

Literatur:

Daumann, F. (2015). Grundlagen der Sportökonomie. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, München: UVK/Lucius.

Lammert, J., Bauers, S. & Hovemann, G. (2018). Die 50+1-Regel im deutschen Profifußball – Eine qualitative Evaluation von Lösungsvorschlägen zur Herstellung des regulatorischen Sollzustandes. Sciamus – Sport und Management, Jg. 9, Nr. 2, S. 21-45.

— — —

  1. V. (2018), Streit um 50+1-Regel: 96 reicht Klage ein, (Zugriff am 5.8.18 unter: https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/hannover_weser-leinegebiet/Streit-um-501-Regel-96-reicht-weitere-Klage-ein,hannover13444.html).
Frank Daumann

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert