Im Nachhinein kann man sich doch ein wenig ärgern, wie sehr man sich von der Schweinegrippe hat nervös machen lassen. Eigentlich wussten wir ja, dass das H1N1-Virus nicht sonderlich gefährlich ist, sondern im Gegenteil zu den besonders harmlosen Grippe-Erregern zählt. Dass es gefährlich werden kann, wenn es in eine ungünstige Richtung mutiert, gilt ja schließlich für jedes andere Virus auch. Und wir hatten auch davon gehört, dass Argentinien und Australien, wo das Virus im dortigen Winter- und unserem Sommerhalbjahr umging, recht glimpflich davongekommen waren. Dabei stand dort noch gar kein Impfstoff zur Verfügung. Uns plagt deshalb das ungute Gefühl, auf gezielte Panikmache der Pharmaindustrie hereingefallen zu sein.
Was der Pharmaindustrie recht ist, sollte doch der Finanzwirtschaft billig sein. Niemand weiß so recht, ob wir eine Kreditklemme haben. Aber falls wir eine haben, wäre es schlimm. Deshalb sollte man, so heißt es, vorsorglich schon einmal einige Steuermilliarden bereitstellen, um die Kreditvergabe notfalls ankurbeln zu können. Vor allem aber dürfe man den Banken (denen es an den Boni gemessen ja schon wieder recht gut zu gehen scheint) keine restriktiven Regulierungen auferlegen. Denn das könne sie so schwächen, dass sie vielleicht gar keine Kredite mehr vergeben könnten. Die ganze Wirtschaft könne dann von einer Krankheitswelle erfasst werden, gegen die alle Schweinegrippen dieser Welt nur ein laues Lüftchen wären.
Zugegeben: Die Diagnose zum Zustand der Kreditmärkte ist nicht viel leichter, als sie es bei der Schweinegrippe war. Die Kreditkonditionen haben sich ohne Zweifel verschärft, und die Kreditvergabe insgesamt ist rückläufig. Die Schwierigkeit der Diagnose liegt darin, dass eine gewisse Verschlechterung der Konditionen und eine sinkende Kreditnachfrage durchaus übliche Begleiterscheinungen rezessiver Konjunkturphasen sind. Wenn sich im Zuge der allgemeinen Wirtschaftskrise die Absatz- und Gewinnaussichten eintrüben, dann werden zwangsläufig die Risikoaufschläge in den Kreditzinsen steigen und die Bonitätsprüfungen strenger.
Die Gretchenfrage lautet, ob sich die Kreditkonditionen stärker verschlechtert haben, als allein aufgrund des Konjunktureinbruchs erklärbar wäre. Ist die Eigenkapitalbasis der Banken infolge der Finanzkrise so stark zusammengeschmolzen, dass sie derzeit auch solche Kredite verweigern müssen, die in „normalen“ Rezessionsphasen problemlos ausgegeben worden wären?
Eindeutige Beweise für oder gegen diese These werden sich nie finden lassen. Aber es gibt Indizien. Eines der wichtigsten Indizien sind die Antworten deutscher Unternehmen auf die Frage, ob sie die Kreditvergabe als restriktiv empfinden. Nach Aussage des Ifo-Instituts in München antworten derzeit etwa 45 % aller Unternehmen mit Ja, während es zu Beginn des Jahres 2007 nur etwa 25 % gewesen waren. Der damalige Wert war allerdings außergewöhnlich niedrig; der derzeitige Wert von 45 % entspricht etwa dem langjährigen Mittel. Und im Sommer 2003, als das Wort Kreditklemme in Deutschland noch weitgehend ein Fremdwort war, lag der Anteil der Ja-Antworten sogar bei 65 %.
Die Diagnose, dass aktuell keine Kreditklemme in Deutschland herrscht, wird auch geteilt von der Bundesbank, die es wohl am besten wissen muss. Anderer Ansicht sind die Banken- und Wirtschaftsverbände.
Genau wie bei der Schweinegrippe geht es um viel Geld. So wie die Pharmaindustrie in einer weltumspannenden Medien-Pandemie die Regierungen dieser Welt zur milliardenschweren Beschaffung von überflüssigen Impfdosen gebracht hat, so geht es auch diesmal wieder um das Geld des Steuerzahlers. So zum Beispiel um Bürgschaften und Haftungsfreistellungen, mit denen Banken die Kreditrisiken abgenommen werden, um großzügig aufgestockte staatliche Exportversicherungen, um staatliche Betriebsmittel- und Bilanzkredite für Großunternehmen und um vieles mehr. Aus Sicht der Wirtschaft ist alles dies natürlich hochwillkommen. Der Steuerzahler allerdings sollte sich fragen, ob es tatsächlich seine Aufgabe ist, die Unternehmen von konjunkturell bedingten Verschlechterungen der Kreditkonditionen freizuhalten.
Mindestens so fragwürdig ist das Argument der Kreditklemme bei den Diskussionen um die Neuordnung der Finanzmärkte. Es muss derzeit vor allem zur Begründung dafür herhalten, weshalb man mit der Umsetzung der prinzipiell als notwendig erachteten verschärften Regulierungen noch warten sollte. Soll das bedeuten, die neuen Regulierungen seien nur für wirtschaftlich günstige Zeiten tauglich, nicht aber für Krisenzeiten? Müssen künftig auch andere Finanzmarktregulierungen ausgesetzt werden, wenn die Wirtschaft in eine Rezession gerät und sich die Kreditkonditionen verschlechtern?
Natürlich ist es nachvollziehbar, die Eigenkapitalanforderungen an die Banken nicht gerade jetzt pauschal heraufzusetzen, wo Engpässe in diesem Bereich besonders ausgeprägt sind. Auch die Klagen über die prozyklischen Effekte von Basel II sind nachvollziehbar. Aber sollte man deshalb die gesamte Neuordnung der Finanzmärkte auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben? Könnte man nicht zumindest schon einmal mit einer besseren Regulierung der „Kreditersatzgeschäfte“ beginnen? Eine Reduzierung der Anreize, sich auf diesen Feldern zu betätigen, könnte die Banken ja vielleicht sogar dazu veranlassen, sich stärker auf ihr eigentliches Kerngeschäft der Kreditversorgung zurückzubesinnen.
Wenn selbst das nicht gelingen sollte, dann hätte die Medien-Pandemie um die Kreditklemme dafür gesorgt, dass aus der jüngsten Finanzkrise letztlich gar keine Lehren gezogen würden – der Weg in die nächste Finanzkrise wäre vorgezeichnet. Hoffen wir, dass zumindest die Gesundheitsminister ihre Lektion gelernt haben und künftig nicht wieder so leicht auf die Panikmache von Interessengruppen hereinfallen.
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Kreditklemme? Klingt das nicht irgendwie sozialistisch? Die Brigade der Banker verweigert dem Produktionskombinat die notwendigen Ressourcen; so oder ähnlich hätte es in einem vertraulichen Schreiben des Zentralkomitees stehen können, hätte es im Sozialismus Banken gegeben. Im Sozialismus klemmte es überall, an Socken, Hemden und Bananen. In der Marktwirtschaft dagegen werden Güter höchstens knapp, d.h., der Preis steigt, aber jeder, der bereit ist, diesen Preis zu zahlen, bekommt sie.
Ist nun Kredit ein Gut wie jedes andere? In der vorkeynesianischen Zeit, als das Geld noch knapp war, musste der Unternehmer, der zuwenig Geld hatte, jemanden suchen, der bereit war, seinen gegenwärtigen Bedarf gegen die Zahlung von Zinsen (als Risiko- und Inflationsausgleich) zurückzustellen. Die Banken sammelten Einlagen und transformierten sie in Kredite. Wurde viel konsumiert (und wenig gespart), wurde das Kapital knapp und teuer; dem entsprach, dass im gesellschaftlichen Produktionsapparat auch nur wenige Kapazitäten für Investitionen bereit standen. Finanz- und Realwirtschaft im Gleichgewicht.
Seit Keynes aber ist das Geld glücklicherweise nicht mehr knapp. Kapital kommt nicht mehr aus den Ersparnissen, sondern aus dem Zentralbank-Computer. Und dieser Computer hat inzwischen soviel Geld ausgeworfen, dass die Banken eher Gefahr laufen, in einem Meer von Liquidität zu ertrinken. Dummerweise sind wir jetzt aber mitten in einer Rezession mit tiefroten Unternehmensbilanzen, so dass diesen günstigen Einkaufskonditionen (fast Null-Zinsen) hohe Risiken auf Kundenseite gegenüberstehen. Also keine Klemme, sondern Knappheit. Geld ist nicht rationiert, sondern nur teurer geworden. So wie auch andere Sachen teurer werden, wenn die Kosten steigen. Denn nicht nur Zinsen, sondern auch Risiken sind ein Kostenfaktor der Banken.
Wenn nun an eine Erhöhung der Eigenkapitalquote gedacht wird, dann verteuert dies erneut die Kredite, da bei gleicher Kreditsumme die Rendite fallen würde, was wiederum bedeutet, dass die Banken Schwierigkeiten bei der Eigenkapitalbeschaffung bekommen – es sei denn, es kommt vom Staat. Oder sie generieren zusätzliche Erträge über Investmentbanking, was aber inzwischen als moralisch bedenklich gilt.
Aber die Sache hat noch einen ganz anderen Haken: Je schlechter es einem Unternehmen geht, desto höher die Kreditzinsen. Dass die Schwachen stärker belastet werden als die Starken, widerspricht doch jedem Grundverständnis von sozialer Gerechtigkeit, selbst wenn es hier um den Klassenfeind geht. Nachdem dank staatlicher Solidaritätspolitik die Eigenkapitaldecke der Unternehmen löchrig geworden ist, erwarten die Unternehmer zu Recht, dass diese Löcher wenigstens mit billigen Krediten gestopft werden, die zurzeit fehlen.
Also doch eine Kreditklemme, da der Knappheitsbegriff einen freien Markt voraussetzt, von dem man angesichts des Bankenkartells (mit der Zentralbank als Kartellführer), den halb- und ganzstaatlichen Banken, den Regulierungen durch BaFin, Bundesbank, Finanzministerium und allen sonstigen Aufsichtsbürokratien von EZB bis IWF wohl nur noch schwerlich sprechen kann.
Daher ist es an der Zeit, dass der Staat endlich ein Machtwort spricht, damit die Bankerbrigade ihrer sozialen Verantwortung gerecht wird und die Versorgung des Produktionskombinats sicherstellt, damit der 5-Jahresplan für den Aufschwung pünktlich erfüllt wird.