Junge Autoren
Mehr Normativität in der wirtschaftswissenschaftlichen Politikberatung!

Seit dem 18. Jhd. wurden die Wissenschaften zunehmend als Inbegriff menschlichen Wissens angesehen, die der Menschheit möglicherweise viele Vorteile bringen könnten. Im 20. Jhd. begannen Regierungen, in zunehmendem Maße in Forschung zu investieren, und die Bürger gewöhnten sich an die Verlässlichkeit der Schlussfolgerungen von Wissenschaftlern. In den letzten Jahrzehnten entwickelte sich jedoch eine zunehmend ambivalente Haltung gegenüber den Erkenntnissen der Wissenschaft, der in allen möglichen Teilgebieten – wie bspw. der Gentechnik, der Klimaforschung sowie der Evolutionsbiologie, insb. aber auch der Wirtschaftswissenschaft – mit steigender Skepsis begegnet wird.

Sapienza/Zingales (2013) konnten zeigen, dass sich die Antworten bei ökonomischen Fragestellungen veränderten, wenn die Testpersonen die Antworten von Ökonomen kannten. So waren nur 55 Prozent der US-Amerikaner überzeugt, dass es schwer sei, Aktienkurse vorherzusehen. Als den Probanden mitgeteilt wurde, dass Ökonomen dieser Aussage zu 100 Prozent zustimmen würden, sank ihr Anteil auf 43 Prozent. Diese Studie zeigt, dass es zumindest partiell eine systematische Abneigung und ein Misstrauen gegenüber der ökonomischen Wissenschaft und deren Vertretern gibt.

Wenn die wirtschaftswissenschaftliche Politikberatung dem Umstand Rechnung zu tragen hat, dass ihr Einfluss auf die demokratische Öffentlichkeit und Politik relativ gering ist, könnte es helfen, das Beratungsproblem neu zu formulieren. Das Grundproblem der Beratungsresistenz scheint nicht ein Defizit an qualitativ hochwertiger Forschung zu sein, sondern kategorial bedingte normative Blockaden in Bevölkerung und Politik, wie die plumpe Kritik des damaligen Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel und der damaligen SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi an dem Jahresgutachten des Sachverständigenrats im Jahr 2014. Ein weiteres Beispiel für so eine Kompetenzanmaßung lieferten die Reaktionen des Grünen-Politikers Gerhard Schick im Jahr 2012 auf die Stellungnahme von über 170 deutschen Wirtschaftswissenschaftlern zu den Beschlüssen eines EU-Gipfels zur Bankenunion, indem er diese zu „Stammtisch-Ökonomen“ degradierte. Eine Verbesserung der theoretischen Modelle und empirischen Methoden wird Kritiker der Marktwirtschaft oder Politiker, die zumeist selbst keine Ökonomen sind, kaum zu einem Umdenken hinsichtlich bestimmter praktischer Fragestellungen veranlassen. Wenn man Politikberatung jedoch nicht als Steuerungsproblem – da sie so viel Macht faktisch einfach nicht hat –, sondern als Aufklärungsproblem auffasst, ergeben sich neue Möglichkeiten, die Erkenntnisse der Wissenschaft nachvollziehbar und ggf. sogar anschaulicher zu vermitteln.

Oft werden Werturteile in der wirtschaftswissenschaftlichen Politikberatung als Kritik von Außenstehenden hervorgebracht, um Ökonomen mit dem negativ konnotierten Begriff „neoliberal“ als Ideologen zu diffamieren. Trotz eines immer wiederkehrenden Diskurses über die Werturteilsfreiheit in der Ökonomie und den Sozialwissenschaften besteht heute weitestgehend Konsens darüber, dass Politikberatung ohne eine normative Grundlage (Werturteile) nicht auskommen kann. Dies gilt auch für die ökonomische Theorie, die eine Grundlage für Politikberatung bilden kann, wie es klassischerweise in der Wohlfahrtsökonomik der Fall ist. So schreiben Fleurbaey/Maniquet (2014): „The evaluation … of public policy … is a difficult and hazardous exercise …“ und dass ein hohes Risiko darin bestehe, „value judgements and factual assessments“ zu vermischen.

Eine Möglichkeit mit dieser Normativität umzugehen, bietet die Wirtschaftsethik nach Karl Homann und Ingo Pies, die sich mit der Frage beschäftigt, inwiefern die für die Moderne kennzeichnenden Dilemmasituationen in einer Marktwirtschaft durch und nicht gegen den Markt gelöst werden können. Ihr Ansatz besteht darin, die Fehler nicht bei einzelnen Akteuren, sondern in den institutionellen Rahmenbedingungen, die unmoralisches Verhalten unterstützen, zu suchen. In vielen Fällen würde sich moralisch unerwünschtes Verhalten durch eine Veränderung der institutionellen Arrangements durch kollektive Selbstbindung verringern, wodurch aufgezeigt wird, dass es eben oft keinen Trade-off zwischen marktwirtschaftlicher Effizienz und wünschenswerten moralischen Zuständen gibt. Ein Beispiel dafür zeigt sich in der Gesundheitspolitik. So würde die Empfehlung für mehr Eigenverantwortung im System zu mehr und nicht zu weniger Solidarität führen, weil institutionelle Anreize so geschaffen werden würden, dass unmoralisches Verhalten sanktioniert wird.

Das Ziel ist daher, die Wettbewerbsbedingungen so zu gestalten, dass Anreize für moralisches Handeln geschaffen werden und nicht ein gewünschter Systemimperativ entwickelt wird. Dadurch ergibt sich die Notwendigkeit einer Integration von positiver und normativer Analyse, durch die zweckrationale Handlungsempfehlungen aufgrund eines praktischen Syllogismus, d.h. das Schließen von einer normativen und einer empirischen Aussage auf eine präskriptive, konstruiert werden können. Normative Intentionen sollen durch eine positive Analyse zu Gestaltungsempfehlungen werden. Bei der Beurteilung von individuellem Verhalten geht es demnach bewusst um die Entkopplung von Motiven und Konsequenzen. Das bedeutet, dass die moralisch empörenden Zustände in einem Land nicht auf die Motive der einzelnen Akteure zurückzuführen sind, sondern auf ein ordnungsbedingtes Regeldefizit. Aus diesem Grund deuten individuelle Schuldzuweisungen und moralische Appelle, wie sie oft von Kritikern der Ökonomen kommen, oft auf eine Schwäche in der positiven Theorie hin und sind laut Nietzsche nicht dazu da, um die Welt zu verbessern, sondern um sie in Gut und Böse zu unterteilen. Man kann nicht deskriptiv erklären, warum sich Menschen so verhalten, wie sie es tun, und gleichzeitig normativ fordern, sie sollten sich doch bitte anders verhalten, was dann nur gegen die genannten Gründe und damit irrational erfolgen könnte.

Mithilfe der Wirtschaftsethik können normative Argumente gefunden werden, die einen Diskurs überhaupt erst wieder zulassen, der vorher aufgrund einer normativen Blockade unterdrückt wurde. Nur wenn die Politikberatung auch in der normativen Fragestellung überzeugt, kann sie ihre ursprünglichen Argumente aus der positiven Wissenschaft an den Mann bringen. Somit können Wirtschaftsethik und Ökonomik zusammenarbeiten, um Effektivität und Erfolgschancen der wirtschaftswissenschaftlichen Politikberatung zu verbessern.

18 Antworten auf „Junge Autoren
Mehr Normativität in der wirtschaftswissenschaftlichen Politikberatung!“

  1. „Trotz eines immer wiederkehrenden Diskurses über die Werturteilsfreiheit in der Ökonomie und den Sozialwissenschaften besteht heute weitestgehend Konsens darüber, dass Politikberatung ohne eine normative Grundlage (Werturteile) nicht auskommen kann. “

    Haben Sie empirische Belege dafür, dass dies „heute weitestgehend Konsens“ ist, oder schreiben Sie das einfach nur mal so?

  2. Politikempfehlungen sind per Definition normativ.
    Bezüglich des Konsens:

    Feld, L. P. (2018): Zur Politischen Ökonomik der wirtschaftspolitischen Beratung: Der Sachverständigenrat als ordnungspolitisches Gewissen?, Freiburger Diskussionspapiere zur Ordnungsökonomik 18/07, Seite 3.

  3. Hier würde ich noch einmal die Lektüre von Max Webers „Der Sinn der »Wertfreiheit« der soziologischen und ökonomischen Wissenschaften“ empfehlen: Handlungsziele, wie z.B. hohes Wirtschaftswachstum, niedrige Arbeitslosigkeit, außenwirtschaftliches Gleichgewicht oder hohe Wettbewerbsintensität sind normative Werturteile, d.h. sie schreiben Handlungsziele vor. Diese werden aber dem Sachverständigenrat vom Gesetzgeber vorgegeben. Die normative Entscheidung liegt also beim Parlament – dem Volkssouverän.

    Wie diese Ziele erreicht werden können, welche Mittel also dazu eingesetzt werden können, wird von Ökonomen auf der Basis von empirisch bewährten Theorien und den vorherrschenden empirischen Rahmenbedingungen ermittelt. Dazu sind keine normativen Werturteile notwendig. Das ist im Grunde die gleiche Arbeit, die ein Ingenieur macht, wenn man ihm vorgibt eine Brücke zu bauen.

    Sind Sie sicher, dass das, was L.P. Feld schreibt, für andere Wirtschaftswissenschaftler normativ verbindlich ist?

  4. Mir ist klar, dass Weber den erkenntnislogischen Gehalt von Werturteilen angezweifelt hat. Trotzdem war auch ihm klar, dass ohne Werturteile Grundlage keine gehaltvollen normativen Aussagen getätigt werden können (Humes sein-sollen-Dichotomie).
    Die Politikberatung ist allerdings komplexer als die vorgegebenen Ziele des magischen Vierecks. Wenn man jetzt einmal die Wohlfahrtsökonomik ausklammert, die Zwangsläufig ein normatives Kriterium (zur Bestimmung eines Optimum optimorum teilweise sogar mehrere) benötigt und die Konstitutionenökonomik nach Buchanan betrachtet, ergeben sich auch dort Probleme.
    Selbst wenn das Volk grobe normativen Ziele vorgibt, gibt es völlig unterschiedliche Herangehensweisen wie z.B. Wirtschaftswachstum oder Vollbeschäftigung erreicht werden können. Jedes Modell, das für eine positive Analyse benutzt wird und jede empirische Analyse beinhaltet in einem gewissen Maße Werturteile in Form von: Welche Annahmen getroffen werden, welche Daten werden wie aufbereitet, welche Abbiegungen man im Prozess nimmt usw.
    Bsp. optimale Steuertheorie.
    Die objektive Untersuchung der Einkommenssteuer kann Aufschluss darüber geben, inwiefern verschiedene gesellschaftliche Gruppen von ihr profitieren oder belastet werden und welche möglichen Nebeneffekte sie auslöst. Allein aus der bloßen Feststellung lässt sich aber noch keine Empfehlung ableiten, ob die Steuer reformiert werden sollte und, wenn ja, wie. Um solche Aussagen treffen zu können, sind Werturteile notwendig, die allerdings klar von der vorangegangenen objektiven Forschung getrennt werden müssen.
    Welches Verhaltensmodell wird der Regierung unterstellt, die die Steuer umsetzt? Wohlwollender Sozialplaner, wie in der klassischen Wohlfahrtsökonomik oder eher Eigeninteresse wie bei Public Choice? Hier zeigt sich, dass durch verschiedene Grundannahmen völlig unterschiedliche Politikempfehlungen entstehen, unabhängig davon, ob der Ökonom werturteilsfrei forscht oder nicht
    Die Frage ist nun, ob und inwiefern dies ein Problem für ihre beratende Tätigkeit ergibt. Die Objektivität entsteht durch die Ausrichtung der ökonomischen Politikberatung. Hierbei ist ein zentraler Punkt der Wettbewerb unter Wissenschaftlern, der für die Reputation und die Korrektur der Ökonomen untereinander zu ihrer Glaubwürdigkeit beiträgt. Hier ist es wichtig, dass die Ökonomen offen und transparent agieren, damit die bestehenden wissenschaftlichen Richtlinien erfüllt werden. Schlussendlich kommt es nicht darauf an, dass die Forschungsergebnisse werturteilsfrei sind, sondern auf die Art des Werturteils. Darüber hinaus braucht man eine wertende Sprache, um Missstände aufzeigen zu können, da eine wertfreie Darstellung das nicht bieten kann.

  5. „Um solche Aussagen treffen zu können, sind Werturteile notwendig, die allerdings klar von der vorangegangenen objektiven Forschung getrennt werden müssen.“

    Das ist schon einmal ein wichtiges Zugeständnis. Nun sollten Sie noch erklären, wo Sie Ihre normativen Werturteile hernehmen möchten? Glauben Sie wirklich, dass „die“ Wirtschaftsethik das in für alle Menschen verbindlicher Weise „irgendwie“ bewerkstelligen kann? Sollte nicht jeder Mensch das Recht haben, sich seine Handlungsziele selbst wählen zu dürfen?

    Die wissenschaftliche Forschung kann Handlungskonzepte für verschiedene Handlungsziele aus empirischen Theorien plus Annahmen bezüglich der empirischen Rahmendaten ableiten. Sie kann aber nicht allgemeinverbindlich sagen, welche Handlungsziele die richtigen sind. Das zu entscheiden, ist – in unserem Gesellschaftssystem zumindest – Aufgabe der politischen Repräsentanten des Volkssouveräns.

  6. Ich stimme Ihnen ja völlig zu. Die Gesellschaft muss entscheiden welche Werturteile für sie letztendlich vertretbar sind. Aber: Trotzen können und sollten auch Ökonomen ihre Werturteile klar bennen und auch begründen warum sie zu diesen stehen. Das würde auch die Forschung transparenter machen. Bsp: Psychologen und Juristen interpretieren einen Konfliktfall der selben Ehe verschieden.

    Im Endeffekt entscheiden Ökonomen nicht, unter welchen normativen Kriterien gehandelt werden soll, wenn sie diese aber vollständig offen legen, dann kann die Öffentlichkeit darüber entscheiden. Dafür sollten Ökonomen aber auch für ihre Ansichten einstehen, diese begründen und erklären wieso ihre normativen Kriterien – ergänzt um positive Forschung – ihrer Meinung nach eine sinnvolle Alternative sind und warum sie in ihrer Analyse von gewissen Werturteilen ausgingen.

    Und nochmal: Der Volkssouverän wird den Forschern nicht vorschreiben können, welches normative Kriterium einer Steuertheorie oder eine Wohlfahrtsanalyse unterliegt. Das müssen Ökonomen schon selber treffen und dann kenntlich machen.

  7. „Der Volkssouverän wird den Forschern nicht vorschreiben können, welches normative Kriterium einer Steuertheorie oder eine Wohlfahrtsanalyse unterliegt.“

    Ich denke die Wirtschaftswissenschaft hat gerade in der Wohlfahrtstheorie bei der Debatte um die Aggregation von individuellen Nutzenniveaus in sehr transparenter Form deutlich gemacht, wie sehr das Ergebnis von der gewählten sozialen Wohlfahrtsfunktion abhängt. Wie sich dabei gezeigt hat, gibt es kein Verfahren, um zu beweisen, welche soziale Wohlfahrtsfunktion die „Richtige“ ist.

    Das bedeutet doch, dass der letzendlich immer eine Wahl getroffen werden muss, wie der Nutzen unterschiedlicher Individuen (etwa „reicher“ und „armer“ Individuen) gewichtet werden soll. Und diese Wahl obliegt in unserem Gesellschaftssystem den Repräsentaten des Volkssouveräns (GG Art. 20 (2)) und nicht „der“ Wirtschaftsethik.

  8. Die Bevölkerung wählt in einer representativen Demokratie Vertreter, die dann – im Rahmen der Gesetze – machen können was sie wollen.

    Schon gar nicht sollte die Bevölkerung der Forschung vorschreiben, wie sie forschen sollte (Artikel 5 GG). Das gilt auch für Werturteils, die im Forschungsprozess notwendigerweise getroffen werden.

    So ist es auch in der Praxis. Es steht ja bei Wahlen nicht zur Debatte, welches Wohlfahrtskriterium (oder ob überhaupt die neoklassische Wohlfahrtstheorie) verwendet werden soll. Schon gar nicht wird es dann den Forschern vorgegeben. Wie soll überhaupt darüber abgestimmt werden? Wohlfahrtskriterien passen nur sehr bedingt in politische Kategorien.

    Sowas könnte nur in einer Diktatur funktionieren in der es keine Freiheit in der Forschung gibt.

    Im übrigen: selbst wenn die Forschung zu 100% positiv wäre, müsste der Politikberater trotzdem eine Empfehlung, bei der Auswahl der unterschiedlichen Szenarien geben, die per Definition normativ ist. Ansonsten kann man auch einfach Computer rechnen lassen und braucht keine Menschen dahinter.

  9. Zur Wahl stehen keinen sozialen Wohlfahrtsfunktionen aber Parteien, von denen einige bei ihren Entscheidungen z.B. eher die Wohlfahrt niedriger Einkommensbezieher höher gewichten und andere die Wohlfahrt höherer Einkommensbezieher usw.

    Die Wirtschaftswissenschaft kann, wie schon gesagt, Handlungskonzepte für unterschiedliche politische Handlungsziele entwickeln. Solche Handlungskonzepte müssen dann keine normativen Wertungen enthalten: Wenn Ziel A erreicht werden soll, dann empfiehlt sich Massnahme Y. Wenn aber Ziel B erreicht werden soll, dann empfiehlt sich Massnahme Z. Die gewählten Regierungen können sich dann entscheiden, welche Handlungsziele sie verfolgen möchten.

    Wie will denn „die“ Wirtschaftsethik solche politischen Entscheidungen treffen können? Erläutern Sie doch einmal Ihr Verfahren!

  10. Sorry, aber ich sehe nicht wo die Politik der Forschung vorschreibt wie sie zu forschen hat. Es geht nicht darum, dass Forscher oder die Wirtschaftsethik etwas vorschreibt. Es geht darum, dass Forscher – neben ihrer positiven Forschung – auch klar sagen, was nach ihrer begründeten Meinung nach getan werden sollte. So wie das im übrigen die Klimaforscher auch tun, dort vielleicht sogar etwas zu stark.

    Und nochmal: Wenn A erreicht werden soll, dann empfliehlt sihc Maßnahme Y. Allein um auf so ein Ergebnis zu kommen musste im laufe des Forschungsprozesses schon mal Werturteile getroffen werden. Welches Modell mit welchen Annahmen, welche Daten etc.

  11. „Sorry, aber ich sehe nicht wo die Politik der Forschung vorschreibt wie sie zu forschen hat.“

    Wo habe ich das denn geschrieben? Das ist mir jetzt ein bisschen zu polemisch.

    Es gilt zwischen empirischen und normativen Werturteilen zu unterscheiden: Empirische Werturteile beschreiben empirisch überprüfbare Sachverhalte (Wenn die Geldmenge schneller wächst als x, dann entsteht y Prozent Inflation). Normative Werturteile setzen Handlungsziele (Das Mindesteinkommen soll nicht unter X Euro liegen). Sie können mit den Methoden der Erfahrungswissenschaft die möglichen Folgen solcher Handlungsziele analysieren oder Sie können Handlungkonzepte herleiten, die beschreiben, ob bzw. wie die Handlungsziele am besten erreicht werden können.

    Sie können aber mit den Methoden er Erfahrungswissenschaft nicht allgemeinverbindlich festlegen, welches Handlungsziel das Richtige ist. Das muss von den politischen Entscheidungsgremien festgelegt werden. Dadurch wird in keiner Weise die Freiheit der Forschung eingeschränkt.

    Ich glaube, wir brauchen nicht mehr „Normativität“ sondern eine gründlichere methodologische Ausbildung – offensichtlich gerade auch bei Wirtschaftsethikern.

  12. 1. war die Message des Artikels nicht weniger positive Forschung, sondern zusätzliche normative Argumente, wenn der Adressat so oder so die positiven Ergebnisse abblockt und sich nicht auf diese einlässt.

    2. geht es nicht darum allgemeingültige normative Grundlagen zu propagieren, sondern darum, dass Forscher diese trotzdem ansprechen sollten (natürlich als Werturteil kenntlich gemacht).

    3. schreiben Sie: „Sie können Handlungkonzepte herleiten, die beschreiben, ob bzw. wie die Handlungsziele am besten erreicht werden können.“

    Was bedeutet denn am besten? Am effizientesten? Was ist effizient? Dafür braucht man wiederum eine normative Grundlage um zu sagen, dass man das eine dem anderen vorzieht.

    4. die vwl besteht nicht nur aus Empirie (bzw. deskriptiver Statistik wie sie es beschreiben), sondern auch aus Theorie und ökonometrischen Modellen, für die Annahmen getroffen werden müssen.

  13. Theorien sind nicht deshalb empirisch bewährt, weil sie auf normativen Annahmen beruhen. Sie müssen empirisch überprüft werden, um ihre empirische Bewährung beurteilen zu können. Dabei sind i.d.R. Annahmen bzgl. der Wahrscheinlichkeitsverteilung der Stichprobe notwendig. Das ist manchmal problematisch. Man kann aber im die Robustheit des Ergebnisses überprüfen, in dem man unterschiedliche Wahrscheinlichkeitsverteilungen verwendet. Die Ökonometrie hat hier diverse Verfahren entwickelt.

    Das hat allerdings alles nichts mit normativen Werturteilen zu tun. Ich kann nicht erkennen, welche Rolle dabei „die“ Wirtschaftsethik spielen könnten. Erklären Sie doch einmal das Verfahren, mit dem Ihre Wirtschaftsethik die Angemessenheit von Theorien beurteilt.

  14. Nicht meine, sondern die Wirtschaftsethik (Ordnungsethik) von Karl Homann und Ingo Pies KANN helfen, Menschen erst davon zu überzeugen, sich überhaupt erst wieder auf, die von Ihnen beschriebene Forschung, einzulassen. Wenn Politiker, wie in meinem Beitrag beschrieben, die VWL generell nicht ernst nehmen, besteht somit zumindest die Möglichkeit auf einen Diskurs, der vorher abgelehnt wurde, weil es in Teilen der Gesellschaft – wie beschrieben – offenbar eine systematische Abneigung gegenüber den Wirtschaftswissenschaften gibt. Das macht die positive Forschung nicht weniger wichtig. Nur wird man die Kritiker, die die VWL sowieso nicht ernst nehmen, nicht damit überzeugen, dass man ihnen eine neue ökonometrische Methode vorstellt, von der sie sowieso nichts verstehen. Die Wirtschaftsethik kann also bei der Vermittlung helfen, sie soll nicht die Forschung an sich verändern. Deswegen auch der Titel: Mehr Normativität in der Politikberatung nicht in der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung.

    Trotzdem zu Ihrem Argument mit den Wahrscheinlichkeitsverteilungen. Auch das ist umstritten. Bsp. Kitcher (2011) Science in a Democratic Society

    Kitcher argumentiert hierzu, dass erstens die Wahrscheinlichkeiten, die den einzelnen Szenarien entsprechen abhängig von der Wahrscheinlichkeit der zuvor aufgestellten Hypothese sind, die nach der Willkür des Forschers aufgestellt wurde. Hierdurch wird die Idee der werturteilsfreien Bewertung hinfällig. Zweitens bemängelt Kitcher, dass die Idee Hypothesen Wahrscheinlichkeiten zuzuteilen „aberwitzig“ (Kitcher 2011, S. 33) sei, da diese Vorgehensweise nur im statistischen Kontext sinnvoll sei. Dieses Argument erläutert er anhand eines Klimaforschers, der seine Forschungsergebnisse, dass die Durchschnittstemperatur innerhalb des nächsten Jahrhunderts um zwei Grad Celsius steigen wird, nur anhand von Wahrscheinlichkeiten präsentiert. Entsprechend kann der Klimaforscher in diesem Beispiel weder klare zukünftige Szenarien benennen, daher keine reellen zukünftigen Gefahrensituationen, mit welchen die Menschheit bis dorthin rechnen muss und entsprechend keine klaren Handlungsanweisungen geben. Woraufhin Kitcher die Frage stellt, ob wirklich es sinnvoller ist, dass die Öffentlichkeit die möglichen Szenarien bewertet, anstatt eines Forscher, der sich hinreichend mit der Thematik befasste.

    Folglich zeigte sich, dass es ein kompliziertes Unterfangen ist die Wissenschaft von Werturteilen freizuhalten und dass diese tief in die Forschung mit eingebunden sind. Diese Annahme beruhe auf der Vorstellung, dass die Arbeit eines Forschers geradlinig verläuft. Ein Forscher wählt nicht einfach seine neuste Untersuchung, sammelt Beweise und wertet diese aus. In vielen Fällen ist das nächste Vorgehen nicht eindeutig und der Forscher muss entscheiden, ob und wie es weiter vorangeht. Während einer Untersuchung ist es möglich, dass sich das Ziel verändert und immer neue Fragen entstehen. Zur Beantwortung all dieser Forschungsfragen müssen Werturteile gefällt werden (vgl. Kitcher 2011, S. 34f.).
    Kitcher schließt, dass nicht davon ausgegangen werden dürfe, dass nur, weil Werturteile getroffen wurden, dies nicht automatisch impliziert, dass dies „intellektuelles Chaos“ (Kitcher 2011, S. 40) mit sich zieht. Ferner meint er es sei ein Mythos, dass Wissenschaft tatsächlich werturteilsfrei Neutralität erreichen können.

    Im Übrigen gibt es auch die Position, dass beschreibende und wertende Sprache untrennbar in einander verwoben sind, wie sie von den Sprachphilosophen McDowell und Putnam vertreten wird.

  15. Ich wusste nicht, dass es so schlimm um die Wirtschaftswissenschaft bestellt ist. Danke für die Info!

    Was Sie zum Thema „Wahrscheinlichkeiten“ schreiben, kann ich nicht nachvollziehen. Mit der von mir angesprochenen Problematik beim statistischen Testen von Hypothesen scheint es nichts zu tun zu haben. Kann es sein, dass Sie schon wieder empirische Werturteile mit normativen Werturteilen verwechseln?

  16. Es wirkt einfach so, als hätten Sie nur die Überschrift und nicht meinen Beitrag gelesen, indem ich das alles erklärt habe.

    Im übrigen ist ein empirisches Werturteil ein Oxymoron. Es gibt zwar Werturteile, die empirische Annahmen mit aufnehmen, wie z.b. der praktische Syllogismus, wie ich es ja in meinem Beitrag ausführlich erläutert habe, das hat aber nichts damit zu tun. Werturteile sind per Definition nicht empirisch, weil sie subjektive Werte beinhalten.

  17. Wenn Sie alles erkärt hätten, wären ja Ihre Kommentare eigentlich überflüssig?

    Da all unsere Beobachtungen von den Theorien abhängen, die wir dabei verwenden, gibt es keine objektiven Fakten. Alle Fakten sind theorieabhängig (Die Berechnung des BIP setzt vorraus, dass die dabei verwendeten Preise Informationen über Knappheitsverhältnisse enthalten, des es erlauben die einzelnen Wertschöpfungbeiträge unterschiedlicher Unternehmen einfach zu addieren. Das ist alles andere als unproblematisch). Welche Theorie man seinen Beobachtungen zu Grunde legt, hängt davon ab, welche man für die am besten bewährte Theorie hält. In der Praxis kann man dabei aufgrund unterschiedlicher subjektiver Einschätzungen zu unterschiedlichen Entscheidungen kommen.

    Das ist alles schwierig genug. Da hilft es wirklich nicht, wenn wir jetzt auch noch so tun, als ob durch den üppigen Einsatz normativer Werturteile irgend etwas gewonnen wäre.

    Ihre ganze Argumentation zielt ja im Grunde nur darauf ab, dass durch „Wirtschaftsethik“ Forschungsergebnisse besser vermarkten kann: „Nur wenn die Politikberatung auch in der normativen Fragestellung überzeugt, kann sie ihre ursprünglichen Argumente aus der positiven Wissenschaft an den Mann bringen.“

    Dabei verschweigen Sie, dass es in der Ethik viele unterschiedliche Konzeptionen gibt, die zu völlig unterschiedlichen Handlungsempfehlungen führen können. Daran kann auch die „Wirtschaftsethik“ nichts ändern.

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