„Der Sinn des Föderalismus ist doch gerade, unterschiedliche Lösungen möglich zu machen.“ (Roman Herzog)
Der 20. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung ist Geschichte. Die Frage allerdings, ob Ost und West konvergieren, bleibt weiter auf der politischen Tagesordnung. Gemessen am BIP pro Kopf verharrt der Osten seit über 10 Jahren auf 70 % des westdeutschen Niveaus. Der anfänglich überraschend starke Konvergenzprozess zwischen neuen und alten Bundesländern ist zum Erliegen gekommen. Die hohe Geschwindigkeit der wirtschaftlichen Konvergenz der ersten Jahre ist faktisch auf Null gesunken. Unterschiedliche exogene Schocks in Ost und West können diese Entwicklung kaum erklären. Es spricht vielmehr einiges dafür, dass sich die Bundesländer nach wie vor in ihrer Struktur unterscheiden. Anzeichen deuten darauf hin, dass westdeutsche Länder auf einem höheren Technologieniveau produzieren. Bleibt das so, liegt das ostdeutsche BIP pro Kopf dauerhaft unter dem westdeutschen. Das Ziel einheitlicher Lebensverhältnisse geriete in weite Ferne.
Der Erfolg
Allein das Starren auf das BIP pro Kopf verengt allerdings den Blick auf die tatsächliche Wohlstandsentwicklung. Ein breiterer Ansatz ist notwendig, der auch andere wichtige Elemente berücksichtigt. Wir haben seit Anfang des Jahrtausends in einer Reihe von Studien zum Standortwettbewerb der deutschen Bundesländer seit der Wiedervereinigung den Erfolg der Bundesländer an sechs Zielgrößen gemessen: BIP pro Kopf, Wirtschaftswachstum, Erwerbstätigkeit, Arbeitslosigkeit (offen und verdeckt), soziale Sicherheit (Transferempfänger je Einwohner) und innere Sicherheit (nicht aufgeklärte Straftaten je Einwohner). Diese sechs Größen werden in zwei Aggregationsschritten zum „Erfolgsindex“ verdichtet, der anzeigt, wie erfolgreich die Länder relativ zueinander sind. Der Erfolgsindex bildet die Standortqualität und die Lebensverhältnisse der Bundesländer relativ zueinander ab.
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Auf den ersten fünf Plätzen des aktuellen Erfolgsindex hat sich gegenüber der Anfangsperiode auf den Plätzen nichts getan. Allerdings ist das Spitzentrio näher aneinander gerückt und hebt sich nun deutlich von Hessen und Bremen, dem 4. und 5. ab. Der Vorsprung Hamburgs vor Bayern und Baden-Württemberg war zuletzt nur noch hauchdünn. Das Mittelfeld hat sich demgegenüber etwas aufgefächert. Einen großen Sprung nach vorn hat das Saarland gemacht, deutlich verloren hat Schleswig-Holstein. Das nördlichste Bundesland bildet nun den Übergang zur weniger erfolgreichen Gruppe der neuen Bundesländer und Berlin. Wie im Mittelfeld gab es auch in dieser Gruppe einige Bewegung. Während Berlin und Brandenburg jeweils einen Platz verloren, konnte sich Sachsen-Anhalt um zwei Plätze nach vorne schieben. Die rote Laterne hält aktuell wie schon in der ersten Hälfte der 90er Jahren wieder Mecklenburg-Vorpommern.
Die Aktivitäten
In einem zweiten Schritt werden mithilfe von ökonometrischen Untersuchungen wichtige, von den Bundesländern beeinflussbare Faktoren identifiziert, die einen signifikanten Einfluss auf die sechs Zielgrößen haben. Diese Wirkungsfaktoren erklären zu einem großen Teil die unterschiedliche Performance der Bundesländer, trotz kooperativen Föderalismus. Sie werden für jedes Land mit ihrem spezifischen, aus der Schätzung resultierenden Gewicht aggregiert und bilden das zu jeder Zielgröße zugehörige Aktivitätsniveau. Analog zum Erfolgsindex werden die Aktivitätsniveaus in zwei Aggregationsschritten zum „Aktivitätsindex“ verdichtet, der einen unmittelbaren Vergleich der Anstrengungen der Länder relativ zueinander ermöglicht. Der Aktivitätsindex gibt Aufschluss darüber, inwieweit die jeweilige Landespolitik durch gezielte Aktivitäten zum Erfolg beiträgt.
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Baden-Württemberg und Bayern sind auch heute noch die aktivsten Bundesländer. Allerdings haben die beiden ihre Positionen getauscht. Bayern ist zurückgefallen. Hamburg hat sich um zwei Plätze verbessert, muss aber weiterhin Hessen den dritten Platz überlassen. Sowohl Rheinland-Pfalz als auch Schleswig-Holstein haben auf den folgenden Plätzen verloren. Die Gewinner liegen auf den Plätzen neun und zehn. Das Saarland ist um zwei Plätze, Bremen gleich um fünf vorwärts gekommen. Der größte Verlierer seit der Wiedervereinigung ist Berlin. Es stürzte um vier Plätze ab und liegt nun nur noch auf Platz 13. Thüringen ist als einziges neues Bundesland auf dem aufsteigenden Ast. Es gewann zwei Ränge und ist nun nach Sachsen das zweitaktivste Land im Osten. Auf abschüssiger Bahn ist demgegenüber Sachsen-Anhalt, das drei Plätze verlor. Schlusslicht war und bleibt weiter Mecklenburg-Vorpommern.
Ein genauerer Blick
Beim Vergleich der aktuellen und damaligen Erfolgs- und Aktivitätsindizes zeigt sich nur wenig Aufregendes. Im deutschen kooperativen Föderalismus scheint Wettbewerb kaum stattzufinden. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Es tut sich zwar was, die Veränderungen finden aber zum einen innerhalb der Gruppen statt. Das gilt im Erfolgsindex zumindest für zwei der drei Gruppen. Während in der Spitzengruppe alle ihre Plätze behielten, hat das Saarland im Mittelfeld richtig Boden gut gemacht. Das gilt auch für Sachsen-Anhalt in der Gruppe der neuen Bundesländer. Die Bundesländer verändern ihre Position zum anderen aber auch im zeitlichen Verlauf. Das fällt vor allem bei Sachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein auf. Nach einem merklichen Aufstieg in der Zeit von 2002 – 2004 folgte danach wieder der Abstieg. Dabei scheint vor allem Schleswig-Holstein auf einem steil abschüssigen Pfad.
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Die Entwicklung der Rangplätze ist im Aktivitätsindex nicht grundlegend anders als im Erfolgsindex. Verschiebungen finden primär innerhalb der drei Gruppen statt. Positiv fällt dabei vor allem Thüringen auf, negativ die Bundeshauptstadt Berlin. Das gilt zumindest wenn man den Zeitraum seit der Wiedervereinigung bis heute beobachtet. Interessant ist allerdings auch, dass zum einen die Aktivitäten des erfolgreichsten Flächenlandes Bayern über den gesamten Zeitraum seit der Wiedervereinigung signifikant rückläufig sind. Vor allem Hessen konnte davon aber nicht profitieren, weil es selbst seit Mitte der 90er Jahre über 10 Jahre lang weniger tat. Ermutigend sind zum anderen die Aktivitäten von Sachsen. In den letzten 10 Jahren hat Sachsen seine landespolitischen Handlungsspielräume genutzt, um sich nachhaltig an der Spitze der neuen Bundesländer festzusetzen.
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Die Finanzkrise
Das alles ist Vergangenheit. Es galt für die Zeit vor der Krise. Die Krise wird wohl einiges durcheinander wirbeln. Das BIP brach heftig ein, die Arbeitslosigkeit wird weiter steigen. Die Bundesländer sind unterschiedlich betroffen. Ein klares Muster ist nicht auszumachen. Länder mit einem hohen Exportanteil leiden besonders. Das trifft vor allem Länder, die sich auf Autos, Maschinen und Chemie spezialisiert haben. Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und das Saarland zählen zu den größten Verlierern. Diese Länder werden aber auch am meisten profitieren, wenn es wirtschaftlich wieder aufwärts geht. Noch glimpflich kommen bisher Berlin, Schleswig-Holstein, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg davon. Alle anderen Bundesländer leiden ähnlich wie Deutschland im Durchschnitt. Wie das Bundesländer-Ranking nach der Krise aussieht, ist noch unklar. Das hängt auch davon ab, wie sich die Länder in der Krise positionieren.
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Quelle: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR) der Länder, Zugriff: 25.09.2009.
Tatsächlich stellen die Bundesländer in der Krise die Weichen für die Zukunft unterschiedlich. Nur wer heute zukunftsträchtige Investitionen tätigt, wird morgen im Standortwettbewerb bestehen. Das DIW zählt dazu Ausgaben für die Informationsgesellschaft, Innovation, Forschung und Entwicklung, Basisinfrastruktur, IKT-Infrastruktur, Bildung, Gesundheit, Energieeffizienz und den Klimaschutz. Nur 30,4% der in den Konjunkturpaketen vorgesehenen öffentlichen Ausgaben sind Zukunftsinvestitionen. Die restlichen 69,6% flossen in Maßnahmen, die der Bestandserhaltung dienen. Spitzenreiter in diesem Bundesländer-Ranking der Zukunftsinvestitionen ist Bremen. Bei den Flächenstaaten haben das stark gebeutelte Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg aber auch Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein die Zeichen der Zeit erkannt. Sachsen und Hessen rangieren im hinteren Mittelfeld. Am Ende liegen Brandenburg, das Saarland und Mecklenburg-Vorpommern.
Bundesländerranking Zukunftsinvestitionen
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Fazit
In Deutschland ist es besonders schwer, wirtschaftlich aufzusteigen. Das gilt für Individuen wie Bundesländer. Unter den Bundesländern ist dies in der Nachkriegszeit nur Bayern nachhaltig gelungen. Nach der Wiedervereinigung hat vor allem Sachsen das Zeug für einenwirtschaftlichen Durchmarsch. Ein Grund für die Misere ist der praktizierte kooperative Föderalismus. Er engt den Handlungsspielraum der Länder auf standortpolitisch wichtigen Feldern empfindlich ein. Und ein ineffizienter Länderfinanzausgleich verringert die Anreize, wirtschaftspolitisch aktiver zu werden. Ein wettbewerblicher Föderalismus erhöht die Chancen der Bundesländer aufzusteigen. Das macht es notwendig, standortpolitisch wichtige Kompetenzen auf die Ebene der Länder und Kommunen zu verlagern, ihnen Finanzautonomie einzuräumen und den Länderfinanzausgleich anreizgerechter und weniger konfiskatorisch zu gestalten. Der Ratschlag an die Politik lautet: „Mehr Föderalismus wagen“.
Die neuste Studie „Die Bundesländer im Standortwettbewerb 2009“ von Norbert Berthold, Nadya Kosturkova und Andreas Müller erscheint Ende Januar 2010. Eine Zusammenfassung wichtiger Ergebnisse finden Sie hier.
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Die Langfassung der Studie „Die Bundesländer im Standortwettbewerb 2009/2010“ ist seit 29. Januar 2010 auf dem Markt.