In einer wirtschaftlich volatileren Welt steigt die Nachfrage nach „sozialer Sicherheit“ und „sozialer Gerechtigkeit“. Auf der Angebotsseite konkurrieren Kapital- und Versicherungsmärkte einerseits und der Sozialstaat andererseits miteinander. Die Märkte sind im Vorteil, wenn es darum geht, die steigende Nachfrage nach sozialem Schutz bei Krankheit, im Alter und bei Pflegebedürftigkeit zu befriedigen. Bei der Absicherung gegen die Risiken der Arbeitslosigkeit und bei der Garantie eines Existenzminimums hat der Sozialstaat weiter die Nase vorn. Damit ist bei der Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung der Weg vorgezeichnet, wenn ökonomische Effizienz das Maß ist. Langfristig setzt sich ökonomisches Gesetz gegen die (verbands-)politische Macht durch. Die Umlagefinanzierung wird Federn lassen, eine stärkere Kapitalfundierung ist sinnvoll. Der Druck wird steigen, umlagefinanzierte Systeme der sozialen Sicherung beitragsäquivalenter zu gestalten. Die Umverteilung sollte in das Steuer-Transfer-System ausgelagert werden. Es spricht zwar einiges dafür, dass die sich verschlechternde Altersstruktur darauf hinwirken wird. Ob dies tatsächlich eintritt, muss sich allerdings erst noch zeigen.
Die Arbeitslosenversicherung braucht weiter einen staatlichen Rahmen. Um eine höhere Effizienz wird aber auch sie nicht herum kommen. Eine Entflechtung ist notwendig. Das Kerngeschäft der Versicherung sollte vom operativen Geschäft getrennt werden. Die Arbeitslosenversicherung wird sich stärker am Prinzip der Äquivalenz orientieren müssen. Bei der Finanzierung ist eine Drittelparität sinnvoll. Im operativen Geschäft der aktiven Arbeitsmarktpolitik sollte stärker auf den Wettbewerb zwischen staatlichen und privaten Leistungsanbietern gesetzt werden. Schließlich sollte der Kampf gegen die Armut mit einer reformierten Grundsicherung geführt werden. Eine moderne Grundsicherung sollte ein anreizkompatibleres ALG II (Höhe, Transferentzugsrate, Arbeitspflichten) haben. Die Entscheidungen über die Leistungen (Transfers, aktive Arbeitsmarktpolitik) sollten auf kommunaler Ebene getroffen und administriert werden. Eine solche Grundsicherung verbindet lokale Solidarität mit dezentraler aktiver Arbeitsmarktpolitik.
Ob es dazu kommt, ist allerdings unklar. Die Globalisierung steht in der Kritik. Staatliche Lösungen sind wieder en vogue. Der (Sozial-)Staat wird immer öfter als Retter in der Not gesehen. Und an Notfällen, echten und suggerierten, mangelt es in Demokratien nie. Dem Markt wird mit Misstrauen begegnet. Kapitalfundierte Versicherungslösungen stehen in der Kritik. Umlagefinanzierte Lösungen sind wieder auf dem Vormarsch. Die Politik stärkt die Umverteilung in den Systemen der sozialen Sicherung wieder. Auch von einer Entflechtung der Bundesagentur für Arbeit ist keine Rede mehr. In Nürnberg haben sich die Korporatisten durchgesetzt. Zentrale Lösungen haben wieder Konjunktur. Auch von einer evolutionären Reform der Grundsicherung ist schon lange keine Rede mehr. Seit Hartz IV ist das Feld der Grundsicherung vermintes Gelände. Die zarten Ansätze einer anreizkompatiblen Reform des ALG II existieren nicht mehr. Von lokaler Solidarität und dezentraler Arbeitsmarktpolitik spricht niemand mehr. Der Sozialstaat traditioneller Prägung erlebt eine Renaissance. Zukunftsfähig ist das allerdings nicht.
Blog-Beiträge der Serie „Die Zukunft des Sozialstaates”:
Norbert Berthold: Die Zukunft des Sozialstaates (1): Das Ideal
Norbert Berthold: Die Zukunft des Sozialstaates (2): Die Realität
Norbert Berthold: Die Zukunft des Sozialstaates (3): Die Reformen
Norbert Berthold: Die Zukunft des Sozialstaates (4): Die Revolution
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