Marktwirtschaft in Gefahr? (4)
Kaum Vertrauen in den Wohlstandsmotor

Die konstitutiven Merkmale der Marktwirtschaft sind Wettbewerb, Privateigentum und Arbeitsteilung. Alle drei stehen immer wieder und aktuell unter erheblichem Rechtfertigungsdruck.

Wettbewerb

Wettbewerb ist eine wesentliche Triebkraft für Leistung und Innovation. Dies gilt gleichermaßen für die Wirtschaft, für die Politik, für den Sport und für das tägliche Leben. Wer also die Vorzüge des Wettbewerbs infrage stellt, der zweifelt nicht nur an der Marktwirtschaft, sondern auch an einem wesentlichen Element des menschlichen Miteinanders. Der liberale Vordenker und Wirtschaftsnobelpreisträger Friedrich August von Hayek bezeichnete den Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, denn Innovationen und Lösungen für drängende Probleme werden meist durch Versuch und Irrtum im Wettbewerb und nicht durch zentrale Planung erreicht.

Der zuweilen geäußerte Verdacht, ungezügelter Wettbewerb sei verantwortlich für die Probleme der Menschheit, dürfte in vielen Fällen unbegründet sein. Im Gegenteil: Die Wettbewerbswirtschaft hat entscheidend zur Überwindung materieller Not und zum heutigen Wohlstand beigetragen. Damit wurde erst die Basis dafür geschaffen, sich intensiver um Probleme abseits der Grundbedürfnisse kümmern zu können.[1]

Gerade in Umweltfragen wird der Marktwirtschaft dennoch seit Jahrzehnten vorgeworfen, durch das enorme Wirtschaftswachstum und den damit verbundenen hohen Konsum maßgeblich zu den Umweltschäden beigetragen zu haben. Diese Anklage ist richtig und falsch zugleich. Umweltschäden sind das Produkt aus a) Wohlstandsniveau, b) Produktionstechnologie und c) Größe der Weltbevölkerung. Höherer Wohlstand und mehr Konsum führen – unter sonst gleichen Umständen – tatsächlich zu mehr Ressourcenverbrauch und einer höheren Umweltbelastung. Gleichzeitig sorgt die Marktwirtschaft bei den beiden anderen Faktoren aber für Entlastung: In einer Gesellschaft, die an Umweltschutz interessiert ist, zwingt der Wettbewerbsdruck die Unternehmen zu umweltschonenderen Produktionsverfahren.[2] Zudem gibt es in praktisch allen hoch entwickelten, marktwirtschaftlich organisierten Ländern mit funktionierenden Alterssicherungssystemen kein nennenswertes Bevölkerungswachstum. Das Gegenteil gilt für Schwellen- und Entwicklungsländer: Gemäß der UN-Bevölkerungsprognose wird die Bevölkerung in den kommenden Jahren besonders stark in Afrika wachsen, während die Veränderungsraten in Europa und Nordamerika vergleichsweise gering sind. Ein höheres Wohlstandsniveau führt also auf der einen Seite zu einer höheren Umweltbelastung, auf der anderen Seite würde es aber die globale Bevölkerungsexplosion begrenzen und dadurch der steigenden Umweltbelastung entgegenwirken.

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Der Wettbewerb der Ideen wird auch bei steigendem Wohlstand wahrscheinlich zu einer höheren Umweltqualität beitragen, weil die Produktion sauberer wird und der Anstieg der Weltbevölkerung begrenzt werden könnte.

Selbstverständlich braucht auch der Wettbewerb gewisse Regeln. Gerade die Digitalökonomie, die durch einen rasanten Wettlauf um globale Marktanteile gekennzeichnet ist, bringt hier neue Herausforderungen mit sich. Die Probleme im Detail dürfen aber nicht den Blick dafür verstellen, dass Wettbewerb ein ganz natürlicher Bestandteil unseres Lebens und eine elementare Voraussetzung für Wohlstand und Fortschritt ist.

Privateigentum

Die Marktwirtschaft ist auch deshalb so erfolgreich, weil sie – im Unterschied zum Sozialismus – auf Privateigentum setzt. Im täglichen Leben lässt sich beobachten, dass Menschen mit Privateigentum tendenziell pfleglicher und sorgsamer umgehen, als mit Dingen, die sich im Besitz der Allgemeinheit befinden. Wirtschaftstheoretisch lässt sich zeigen, dass immer dort, wo Eigentumsrechte nicht klar definiert sind, gesamtwirtschaftlich ineffiziente Ergebnisse auftreten.

Im Grundgesetz Artikel 14 Absatz 2 heißt es: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Die Verfassung nimmt die Bürger also in die Pflicht, ihr Eigentum auch im Sinne des Gemeinwohls einzusetzen. Ob damit Vorstöße wie kürzlich u.a. von der Partei Die Linke zur Enteignung bestimmter Immobilienbesitzer kompatibel sind, sei dahingestellt. Die Verstaatlichungsideen von Kevin Kühnert schießen ohnehin über das Ziel hinaus.

Tatsächlich kommen Vermögende ihrer gesellschaftlichen Verantwortung in unterschiedlicher Form nach.[3] So liegt ihr Vermögen nicht brach, vielmehr investieren sie es und bringen es so wieder in den Wirtschaftskreislauf ein. Auch sind die Zeiten der rigorosen Gewinn- und Eigennutzmaximierung des angelsächsischen Shareholder-Value-Ansatzes vorbei. Obwohl Gewinnerzielung selbstverständlich das Hauptmotiv unternehmerischen Handelns bleibt, gehört für viele Unternehmen heute das Thema Corporate Social Responsibility (CSR) wie selbstverständlich zur Firmenphilosophie dazu. Auch sonst ist Verantwortungsbewusstsein an vielen Stellen zu beobachten: Über Stiftungen werden soziale Projekte, Bildung und Erziehung, Kunst und Kultur gefördert. Rund drei Viertel des deutschen Spendenaufkommens von Privatpersonen fließt in die humanitäre Hilfe. Es gibt auch innovative Konzepte: Eine steigende Zahl von Profifußballern und Trainern zahlt freiwillig ein Prozent des Gehalts im Rahmen der Initiative „Common Goal“ für soziale Projekte, die Bezug zum Fußball haben. Und schließlich haben sich zahlreiche amerikanische und internationale „Super-Reiche“ auf Initiative von Bill und Melinda Gates sowie Warren Buffet zusammengeschlossen, um einen Großteil ihrer Vermögen philanthropischen Zwecken zugutekommen zu lassen („The Giving Pledge“).

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  • Wer marktwirtschaftlich denkt, hat Vertrauen in das Verantwortungsbewusstsein des Privatsektors. Solidarität und Altruismus gibt es auch ohne staatlichen Zwang. Deshalb ist sozialer Ausgleich kein Fremdkörper in einer marktwirtschaftlichen Ordnung. Die Teilhabe am marktwirtschaftlichen Prozess setzt ein Mindestmaß an Leistungsfähigkeit voraus. Kranke, Alte und Invalide verfügen meist nicht über die notwendige Leistungsfähigkeit, deshalb muss ihnen geholfen werden. Eine solche Hilfe könnte prinzipiell auch privat organisiert werden. Allerdings hat der Staat ein vollständigeres Bild darüber, wer tatsächlich bedürftig ist und kann deshalb ein soziales Netz aufspannen, durch das niemand durchfällt und das zumindest eine Basissicherung gewährleistet.
  • Ein gut funktionierender Sozialstaat leistet also denen Hilfe, die sich nicht selbst helfen können. Diese Form der Solidarität wird von keiner relevanten gesellschaftlichen Gruppe infrage gestellt. Zudem trägt ein gewisses Maß an Umverteilung zum sozialen Frieden bei und ist somit auch im Interesse derer, die diese Umverteilung finanzieren. Es geht also nicht um die grundsätzliche Frage, ob ein Sozialstaat überhaupt gebraucht wird – dafür liegen die Vorteile eines gut konzipierten Sozialstaats zu sehr auf der Hand. Beim Wunsch nach sozialem Ausgleich muss aber immer auch die Finanzierungsseite berücksichtigt und der Respekt vor dem Privateigentum bewahrt werden.

Arbeitsteilung

Arbeitsteilung, Spezialisierung und anschließender Tauschhandel sind der Motor für wirtschaftliche Effizienz. Wenn sich Arbeitskräfte auf ihre besonderen Fähigkeiten spezialisieren, wird ein Höchstmaß an Wachstum und Wohlstand erreicht. Dies gilt sowohl für die Arbeitsteilung zwischen Einzelpersonen, als auch für die Arbeitsteilung über Landesgrenzen hinweg, die letztlich zum internationalen Güterhandel führt.

Die Folge ist aber nicht nur höhere Effizienz, sondern auch eine stärkere Spreizung der Einkommen. Menschen mit besonders nachgefragten Begabungen erzielen hohe Einkommen, wenn sie sich beruflich auf ihre besonderen Fähigkeiten fokussieren. Einige Eigenarten der Marktwirtschaft tragen dazu bei, dass die Einkommen gegebenenfalls sogar ohne zusätzlichen Arbeitseinsatz noch weiter nach oben „gehebelt“ werden. So sind im Zuge der Globalisierung Handelsschranken gefallen, wodurch größere Märkte bedient werden können. Besonders kräftig fällt der Einkommenseffekt aus, wenn sich die angebotene Dienstleistung oder das angebotene Produkt ohne nennenswerte Grenzkosten herstellen lässt – in dem Fall ist es für die Gesamtkosten egal, ob wenige oder viele Kunden beliefert werden.

Schon lange lässt sich das im Medienbereich beobachten: Dank der „medialen Hebel“ können etwa Musiker, Künstler oder Profisportler ihre Leistung an ein um ein Vielfaches größeres Publikum verkaufen. Dieses Phänomen wird nun durch die Digitalökonomie verstärkt. Werden Produkte bzw. Dienstleistungen nur noch digital vertrieben, entstehen pro verkaufter Einheit kaum zusätzliche Kosten, was tendenziell zur Monopolbildung beiträgt. Diese Monopolisten der Digitalökonomie können im Extremfall den gesamten Weltmarkt versorgen und entsprechend hohe Einkommen generieren. Es ist kein Zufall, dass die neuen „Super-Reichen“ oft aus dem Silicon Valley und aus Chinas Digitalwirtschaft stammen.

Ein Blick auf die Einkommensverteilung in den USA zeigt, dass der Abstand zwischen „oben“ und „unten“ tatsächlich immer größer wird. Das allein wäre nicht sonderlich schlimm, wenn alle Teile der Gesellschaft vom steigenden Wohlstand profitieren. In den USA aber stagnierten die Einkommen der unteren Hälfte der Einkommenspyramide in den letzten fünfzig Jahren weitgehend. Während die Globalisierung größere Märkte schafft und dementsprechend die oberen Einkommenssegmente begünstigt, geraten die Einkommen am unteren Ende tendenziell unter Druck, weil die geringer qualifizierten Arbeitskräfte neue Konkurrenz aus den Niedriglohnländern bekommen.

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Politisch ist eine derart weit geöffnete Einkommensschere ein Problem. Die ungleiche Einkommensverteilung dürfte auch ein Grund für die Abkehr vom Freihandel und die „America first“-Politik des US-Präsidenten Trump sein. Deutschland steht bei der Einkommensverteilung wegen seines vergleichsweise guten Ausbildungssystems und wegen des auf Ausgleich zielenden Sozialstaats besser da. Dennoch kann der digitale Wandel zu einer Wirtschaft führen, die in größeren Teilen nach dem Prinzip „The winner takes it all“ funktioniert und entsprechende Folgen für die Einkommensverteilung haben könnte. Deshalb sind künftig möglicherweise auch hierzulande neue Konzepte für den sozialen Ausgleich nötig.

Fazit

Obwohl Märkte nicht perfekt sind, dürfen offensichtliche Fehlentwicklungen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Marktwirtschaft im Großen und Ganzen immer wieder maßgeblich zum wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt beigetragen hat. Auch die heute drängenden Probleme werden wohl mit marktwirtschaftlichen Ansätzen und Prinzipien eher gelöst, als wenn die Welt auf sie verzichten würde.

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[1] Erst wenn mindestens die existenziellen Bedürfnisse gedeckt sind, werden Lifestyle-Ernährung, Umweltschutz, Work-Life-Balance und Ähnliches zum Thema. Es handelt sich also um sogenannte superiore Güter, die mit steigendem Einkommen stärker nachgefragt werden. Die materiellen Erfolge der Marktwirtschaft haben die Gesellschaft also in der „Maslowschen Bedürfnispyramide“ weit nach oben aufsteigen lassen.

[2] So waren die vom Wettbewerbsdruck befreiten Planwirtschaften Osteuropas nicht gerade für umweltschonende Produktionstechnologie bekannt.

[3] ausführlich Berenberg/HWWI (2013), Verantwortung.

Blog-Beiträge der Serie “Marktwirtschaft in Gefahr?”:

Jörn Quitzau: Marktwirtschaft in Gefahr? (1)

Jörn Quitzau und André Broders: Marktwirtschaft in Gefahr? (2): Digitale Monopole

Jörn Quitzau und André Broders: Marktwirtschaft in Gefahr? (3): Kommt die digitale Planwirtschaft?

 

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