„Unsere Sicherheit wird nicht nur, aber auch am Hindukusch verteidigt.“ (Regierungserklärung, Berlin, 11. März 2004)
Diese Äußerung des früheren Verteidigungsministers Dr. Peter Struck von der SPD ist vielen in Erinnerung geblieben. Peter Struck ist schon vor längerer Zeit verstorben. Auch die SPD scheint gegenwärtig in den letzten Zügen zu liegen, doch der Afghanistaneinsatz dauert an. Der Deutsche Bundestag hat im März 2019 beschlossen, das Mandat für den Einsatz von bis zu 1300 Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan bis mindestens Ende März 2020 zu verlängern.
Der Termin der Verlängerung des Mandats rückt näher, so dass mit nur einem weiteren Jahr Verlängerung Aussicht besteht, den Einsatz bis 2021 und vermutlich sogar bis zum 20-jährigen Jubiläum und darüber hinaus fortzusetzen. Die Frage der Verlängerung des Afghanistanmandates steht wieder an, doch nun mit einer SPD, gegenüber deren provinzielle Enge verströmender Parteiführung Peter Struck, wie ein weltoffener Jung-Dynamiker wirkt. Es besteht die Gefahr, dass über das Mandat erneut abgestimmt wird, ohne eine Diskussion strategischer Gründe, die dafür oder dagegen sprechen. Es ist an der Zeit, über eine nachhaltige, strategische und nicht nur verwaltende Verteidigungspolitik und deren langfristige Ziele politisch zu streiten.
Von der Tagespolitik zur langfristigen Sicherheitspolitik
Beginnen wir mit der Tagespolitik: Bevor man sich vorschnell auf die Seite derer schlägt, die in der Verlängerung des Afghanistanmandates der Bundeswehr nur ein weiteres Indiz für die Bürgerferne heutiger parlamentarischer Regierungen sehen, sollte man darüber nachdenken, ob es nicht doch gute Gründe für einen solchen Einsatz geben könnte und wie diese Gründe ggf. mit welchen übergreifenden Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik verknüpft sind. Die Tatsache, dass beide, die Linke und die AfD einen Abbruch des Einsatzes gefordert haben, ist Ausdruck von deren Ressentiment gegen Amerika und die freiheitliche Rechtsstaatlichkeit, für die Amerika immer schon und immer noch steht.
In Washington scheint es Gruppierungen zu geben, die sich aus Afghanistan auch mit fadenscheinigsten Gründen zurückziehen würden, wenn dies die heimischen America first Republicans zufrieden stellen und einige America first Democrats (als eine Art amerikanischer AfD-Wählerschaft) für das Wiederwahlanliegen von Trump gewinnen könnte. Die deutsche Bundesregierung hat offenkundig gegenüber den USA signalisiert, dass sie eine Fortsetzung des Bundeswehreinsatzes als mit dem Engagement der USA verknüpft ansieht. Das ist ganz im Sinne des Adenauerschen „keine Experimente“, aber man würde doch gern drauf vertrauen wollen, dass es in der Regierung und den sie tragenden Parteien auch grundsätzliche Überlegungen über das Für und Wider von Bundeswehreinsätzen gibt, die im vorliegenden Fall die Verlängerung strategisch rechtfertigen.
Grundsätzliche Überlegungen stellen gewöhnlich nur die Gegner des Einsatzes und dann meist in bekenntnishafter Form an. Dabei gibt es eine Vielzahl von Gesichtspunkten, die grundsätzlicher Betrachtung bedürfen. Die Formel, dass „unsere Sicherheit … nicht nur, aber auch am Hindukusch verteidigt“ wird, hat sich zwar gewiss ein Redenschreiber ad hoc einfallen lassen, als die Lage für die auch damals Regierungsverantwortung tragende SPD innenpolitisch eng wurde. Sie ist aber ein guter Startpunkt für einige sicherheitspolitische Grundsatzerwägungen, die durch AKK‘s Vorstöße aktuell angesprochen sind.
Zu nennen wäre zunächst das Ziel, den Zusammenhalt des westlichen Bündnisses zu sichern. Bislang schien es für den Zusammenhalt des Bündnisses mit den Amerikanern hilfreich, sich an deren Engagement in Afghanistan zu beteiligen bzw. den von den Amerikanern geführten Einsatz internationaler Truppen durch flankierende Maßnahmen zu unterstützen. Dass Trump nun selbst das Engagement am Hindukusch infrage zu stellen scheint und er und seine Mitstreiter die internationale Mission möglicherweise, ohne dass klar definierte Endpunkte erreicht wurden, so wie das Syrien-Engagement beenden wollen, muss man zur Kenntnis nehmen.
Sich im Falle eines amerikanischen Rückzuges ebenfalls zurückzuziehen, würde angesichts der militärischen Schwäche Europas im Augenblick wohl der einzige gangbare Weg sein. Aber, wenn die ursprüngliche Diagnose korrekt war, dass unsere Sicherheit nicht nur, aber auch am Hindukusch verteidigt wird, dann würde ein Rückzug der Amerikaner, dem wir uns anschließen, in jedem Falle eine Gefährdung unserer Sicherheitsinteressen mit sich bringen. Wenn wir hier aus eigener Kraft nicht gegensteuern können, müssen wir uns fragen, ob wir nicht unsere eigenen Sicherheitsinteressen durch mangelnde Bereitschaft, im europäischen Rahmen in militärische Sicherungskapazitäten zu investieren, vernachlässigt haben.
Angesichts dessen, was sich derzeit im Osten Europas von Russland bis hin zur Türkei abspielt, gibt es weiteren einschlägigen Anlass zur Sorge. Insoweit müssen wir dankbar sein, dass die jetzige Verteidigungsministerin aus vermutlich zunächst wahltaktischen Gründen Verteidigungspolitik nicht nur verwaltet, sondern zumindest so agiert, als ob sie diese gestalten will. AKK wirft damit, ob sie dies will oder nicht, Grundsatzfragen auf, die gestellt und öffentlich politisch diskutiert werden müssen.
Sicherung, wogegen und wofür?
In Beantwortung der Frage, ob unsere Sicherheit nicht nur aber auch am Hindukusch verteidigt wird, kommt es darauf an, was wir unter „Sicherheit“ verstehen wollen. In terroristischen Anschlägen als solchen pauschal eine grundlegende Gefährdung unserer Sicherheit insgesamt zu erblicken, ist offenkundig unsinnig. Eine grundlegende Gefährdung durch Terrorismus kann nur dann eintreten, wenn wir aufgrund hysterischer Ausfälle in den Medien und mangelnder Besonnenheit unserer politischen Führung beginnen, rechtsstaatliche Institutionen selbst infrage zu stellen.
Die Anschläge vom 9.11.2001 haben gezeigt, dass westliche Rechtsinstitutionen an sich robust und elastisch sind. Gefährlich waren innenpolitisch motivierte symbolpolitische Überreaktionen. Die Terroranschläge als das zu behandeln, was sie letztlich waren: Angriffe einer Maus auf einen Elefanten, wäre angemessen gewesen. Sie wurden aber durch uns selbst ohne Not zu großen staatsgefährdenden Ereignissen aufgeblasen und nur dadurch gefährlich. Der Elefant begann nach der Flöte des Mäuschens zu tanzen – so wie weiland Helmut Schmidt vor der APO und nun Horst Seehofer vor rechten Gewalttätern. Wenn Elefanten tanzen, ist das Porzellan in Gefahr, aber nicht, weil der Laden von außen, sondern, weil er von innen bedroht wird.
Terrorismus politisch gelassener zu betrachten, ist die erste Voraussetzung dafür, ihn wirkungslos werden zu lassen. Dazu trägt es bei, ihn von der wirklich relevanten Verschiebung von weltpolitischen Machtverhältnisse zugunsten von rechtsstaatsfeindlichen Autokratien abzugrenzen. Eine Rückbesinnung darauf, wofür „der Westen“ steht und wogegen er sich primär zu sichern hat, scheint angesichts dieser Verschiebungen dringend geboten.
Wenn der Trumpeter seine Formel des „America first“ tatsächlich für das stehen ließe, wofür die USA geschichtlich gestanden haben, den föderalen, freiheitlich demokratischen Rechtsstaat, dann könnten und sollten wir alle einstimmen. Dann wäre America first ein rule of law first und würde eine machtpolitische Parteilichkeit für die Sache der Rechtsstaatlichkeit insgesamt bedeuten. Was unter Einsatz der Wirtschaftsmacht des Westens alles möglich wäre, führt uns ausgerechnet der Rüpel im Weißen Haus ganz eindrücklich vor. Der Trumpeter zeigt mit seiner Sprunghaftigkeit aber auch, wie man nicht vorgehen darf, wenn man langfristige Ziele verfolgen will.
Da es einen amerikanischen Rechtsstaat nach Trump geben wird, muss sich Europa überlegen, wie es seine Wirtschaftskraft in eigene strategisch wirksame Verteidigungsanstrengungen umsetzen und mit der Militär- und Wirtschaftsmacht der Amerikaner sinnvoll zu einer langfristigen Rechtsstaatssicherungspolitik verbinden kann. Wir sollten endlich über diese Dinge ebenso wie über die Erderwärmung in der Öffentlichkeit diskutieren.
Es ist richtig, dass man in diesen Fragen nicht experimentieren darf, aber man muss sich über die wirklich ausschlaggebenden langfristigen Ziele klar werden. Ob Annegret Kramp-Karrenbauer das Format hat, nicht nur als Annegret Kramp-Knarrenbauer in die Geschichte der Bundesrepublik einzugehen, bleibt abzuwarten. Endlich eine erneute konzeptionelle Diskussion der Verteidigungspolitik in der Bekennenden Republik Deutschland zu führen, ist jedenfalls in unser aller Interesse. Befassen wir uns mit den konkreten verteidigungspolitischen Strategien und Instrumenten der Sicherung breit geteilter Ziele der Rechtsstaatssicherung!
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