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Die Ausbreitung des Corona-Virus hat in den vergangenen Wochen zunehmend das Potenzial entwickelt, die globale Wirtschaftsentwicklung zu bremsen. Die internationalen Lieferketten vieler Unternehmen sind instabil geworden und einige Branchen wie die Textil- und Pharmaindustrie müssen sich inzwischen ernsthafte Sorgen über mangelnden Nachschub von ihren Produktionsstandorten machen. Im Luftverkehr drohen durch striktere Gesundheitsauflagen, vor allem aber durch die stark gesunkene Nachfrage nach Flügen von und nach China Milliardenverluste. Bisher noch wenig Beachtung findet die Tatsache, dass die globale Mobilität von Wissenschaftlern und Studierenden durch das Corona-Virus erheblich eingeschränkt wird. Für Länder, die stark auf die Gewinnung ausländischer Studierender als „Entwicklungsmodell“ setzen, wie etwa Australien, stellt dies eine große Herausforderung dar. In diesem Bereich bringt die globale Vernetzung Risiken mit sich, denen bisher nicht ausreichend begegnet wird.
Pfiffige Regierungen, dumme Regierungen
Vor einigen Jahren brachte der Economist in wenigen Worten auf den Punkt, wie eine gewinnbringende Hochschulpolitik in heutiger Zeit aussehe: „Shrewd governments welcome foreign students. Stupid ones block and expel them.“ Zu den „dummen“ Regierungen gehörte lange Zeit auch die deutsche in ihrem festen Glauben daran, dass man zwar aus folkloristischen Gründen, zur Exportförderung oder zu Zwecken der Entwicklungshilfe einige ausländische Studierende ins Land holen könne, dass diese nach dem Studium aber möglichst schnell wieder in ihre Heimatländer zurückkehren müssten (i.d.R. innerhalb von wenigen Tagen nach der letzten Prüfung). Man folgte dem Motto in der Überschrift des Economist-Artikels: „Train ’em up. Kick ’em out.“
Dabei sind die Vorteile einer an internationalen Studierenden orientierten Zuwanderungspolitik offensichtlich: „A foreign graduate from a local university is likely to be well-qualified, fluent in the local lingo and at ease with local customs. Countries should be vying to attract such people.” Einerseits gehören die ausländischen Studierenden vor allem aus Entwicklungsländern zu den Besten ihrer Altersgruppe, andererseits lassen sie sich – anders als bereits fertig ausgebildete Zuwanderer – durch das Studium umfassend auf die spezifischen Anforderungen des heimischen Arbeitsmarkts vorbereiten. Ganz nebenbei lässt sich durch diese Studierenden ein erhebliches Gebührenaufkommen generieren.
Entwicklungsmodell „Hochschulinternationalisierung“
Während man sich in Deutschland bis heute schwer damit tut, dieses Potenzial für den heimischen Fachkräftemarkt zu erschließen, ist man anderswo, vor allem in der angelsächsischen Welt, in den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten konsequent auf diese Strategie umgeschwenkt. Während Großbritannien und die USA eine lange Tradition als Ausbildungszentren für hochqualifizierte Studierende aus aller Welt haben, zählt die OECD inzwischen auch Länder wie Neuseeland und Australien zu den Nutznießern dieses Entwicklungsmodells. Die staatlichen Hochschulen dieser Länder wurden konsequent für zahlungskräftige Studierende vor allem aus dem asiatischen Raum geöffnet.
Während es die Besten der Besten (und die Reichsten der Reichen) wohl weiterhin an die amerikanischen und englischen Top-Universitäten ziehen wird, ist die durchaus zahlungskräftige chinesische Mittelschicht von den Angeboten der australischen und neuseeländischen Hochschulen sehr angetan. Sie sind eine ernsthafte Alternativen zu den teuren Angeboten in den USA und England, während viele andere, oftmals sogar noch günstigere Studienoptionen wie Deutschland wegen anderer Barrieren (Sprache, Ausländerfeindlichkeit usw.) ohnehin kaum punkten können.
Die Furcht vor Studierenden als Corona-Virus-Überträger
Bei allem Positiven dürfen aber auch die Risiken des Entwicklungsmodells „Hochschulinternationalisierung“ nicht ausgeblendet werden. Durch das Corona-Virus werden diese nun schonungslos offengelegt, was auch für etwaige deutsche Ambitionen in diesem Bereich eine Warnung sein sollte. Die australischen Hochschulen, deren Studierende teilweise zu einem Drittel aus Asien kommen, betrachten den anstehenden Semesterstart Ende Februar mit größter Sorge. Noch befinden sich viele chinesische Studierende nicht im Land; ihre Anreise war und ist zumeist erst einige Tage vor den ersten Vorlesungen geplant. Zugleich hat die australische Regierung die Gesundheitskontrollen bei der Einreise aus China deutlich verschärft. Erst nach einer 14-tägigen Quarantäne in einem anderen Land als China dürfen chinesische Studierende nach Australien einreisen.
Neben den zusätzlichen Kosten für die Studierenden (und die Universitäten, die nun oftmals zusätzliche Online-Lehrangebote für die ersten Semesterwochen erstellen müssen) geht ein deutliches Zeichen an die Studierenden, dass sie doch nicht ganz so willkommen sind wie man ihnen suggeriert hatte, gilt doch die Quarantäne nur für Chinesen, nicht aber für Australier, selbst wenn diese aus China einreisen. Welche Auswirkungen dies in der längeren Frist hat, ist noch nicht absehbar, aber die Attraktivität des Studienorts Australien dürfte dadurch sicherlich nicht zunehmen. Nicht ohne Grund warnen die australischen Hochschulleitungen auch deutlich vor einer Diskriminierung chinesischer Studierender, von denen die allermeisten das Corona-Virus nicht in sich tragen dürften, die aber trotzdem schon jetzt in der Öffentlichkeit als potenzielle „Gefährder“ dargestellt werden.
Das Dilemma der australischen Hochschulen
Da viele Universitäten finanziell auf die chinesischen Studierenden angewiesen sind, befinden sie sich in einem Dilemma. Sie müssen die Politik ihrer Regierung akzeptieren und gleichzeitig ihre ausländischen Studierenden bei Laune halten, die Studiengebühren von teilweise einigen zehntausend australischen Dollars pro Jahr bezahlen und damit in den vergangenen Jahren zu einem substanziellen Kapazitätsaufbau beigetragen haben. Entfällt ein Teil dieser Gebühren in der Zukunft, wird dies negative Auswirkungen auch in der Forschung haben, die aus den Gebühren mitfinanziert wird, und damit letztlich für das Renommee der australischen Universitäten. Die staatliche Grundfinanzierung der Universitäten reicht nicht aus, um den Status quo aufrecht zu erhalten. Hier ähnelt, wenn auch unter etwas anderen Rahmenbedingungen, das Modell der Australier, Neuseeländer und anderer Studierendenimportnationen dem deutschen.
Perspektiven für die deutschen Hochschulen
In Deutschland sind Forschung und Lehre entscheidend vom Zufluss von Drittmitteln abhängig. Fallen diese niedriger aus als erhofft, muss der gesamte universitäre Betrieb zurückgefahren werden. Stellt man sich nun vor, dass Deutschland eine aktivere Anwerbung ausländischer Studierender betreibt, um damit Gebührenaufkommen zu erzielen (was im Übrigen im Umfeld vieler Hochschulen durch ausgelagerte kommerzielle Studiengänge bereits passiert), dann laufen die deutschen Hochschulen Gefahr, sich von einer weiteren unsicheren Finanzierungssäule abhängig zu machen. Die Landesregierungen werden es sich kaum nehmen lassen, die Grundfinanzierung (zumindest relativ) abzuschmelzen, sobald zusätzliches Gebührenaufkommen an die Hochschulen fließt. Die Hochschulleitungen wiederum werden ihren Haushalt aus den Gebühren quersubventionieren, so wie sie es aktuell bei den Drittmitteln tun. In der Konsequenz würde das deutsche Hochschulfinanzierungsmodell noch wackeliger werden als es ohnehin schon ist.
Ist die Entwicklungsstrategie einer konsequenten Internationalisierung deutscher Hochschulen keine Option? Nein – wenn die richtigen Rahmenparameter gesetzt werden, ist sie weiterhin attraktiv und realisierbar. Angesichts der vorherrschenden breiten gesellschaftlichen Ablehnung von Studiengebühren in Deutschland (so fragwürdig diese aus verschiedensten Gründen auch ist) wäre es durchaus denkbar, deutsche Hochschulen mithilfe reiner Nutzergebühren, die vor allem Unterstützungsleistungen, spezielle Wohnheimplätze usw. für internationale Studierende abdecken würden, aber ohne „echte“ Gebühren, die zur Quersubventionierung der Hochschulen genutzt werden könnten, attraktiv für ausländische Studierende zu machen. Wenn ein gewisser Anteil dieser Studierenden dann langfristig dem deutschen Arbeitsmarkt erhalten bleibt, hätte Deutschland ein gutes Geschäft gemacht. Bleiben die Studierenden einmal aus, etwa durch eine globale Pandemie oder ein dramatisches Erstarken ausländerfeindlicher Parteien in Deutschland, sind zumindest die Hochschulhaushalte vor finanziellen Einschnitten geschützt.
Der Verfasser dieses Beitrags ist aktuell als Visiting Professor an der University of Western Australia in Perth tätig.
Weiterführende Literatur:
Haupt, Alexander, Tim Krieger & Thomas Lange (2016). “Competition for the International Pool of Talent”, Journal of Population Economics 29(4), S. 1113-1154.
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Update (8.4.2020): In dieser Woche hat Australiens Premierminister Scott Morrison alle Inhaber von nicht-dauerhaften Visa, insbesondere Backpacker und Studierende, eindringlich aufgefordert, in ihre Heimatländer zurückzukehren, sofern sie ihren Aufenthalt nicht für noch mindestens sechs Monate finanzieren können und über eine ausreichende Krankenversicherungsdeckung () was nicht trivial ist, da private Krankenversicherungen angesichts der Corona-Risiken ungerne bestehende Policen verlängern) aufweisen. Das Signal ist wiederum klar: ausländische Besucher und Studierende sind willkommen, solange sie Devisen ins Land bringen oder – aktuell – bestimmte Dienstleistungen (insb. in der Gesundheitsversorgung und der Landwirtschaft) erbringen. Wenn sie aber im Verdacht stehen, Kosten verursachen (oder Intensivbetten in Anspruch nehmen) zu können, werden sie uninteressant. Wie die jungen Leute, insbesondere wenn sie vorher hohe Studiengebühren zahlen mussten, „mal eben“ zusätzliche Flüge in die Heimat bezahlen sollen, ist dem Premierminister dabei egal.