Corona, Länder und Wirtschaft (2)
Belgien: Auf dem Weg der Erholung

Trotz sehr hoher Fallzahlen ist die belgische Wirtschaft nicht stärker eingebrochen als der Durchschnitt des Euroraums. In den vergangenen Monaten hat auch bereits eine merkliche Erholung eingesetzt, und der Arbeitsmarkt zeigt sich vergleichsweise robust. Trotz zuletzt wieder höherer Infektionszahlen dürfte sich die Erholung in den kommenden Monaten fortsetzen, wovon auch die öffentlichen Finanzen profitieren würden. Neben einer zweiten Infektionswelle bleibt die hohe Verschuldung der Unternehmen das Hauptrisiko. An den Märkten handeln belgische Staatsanleihen teurer, als fundamental gerechtfertigt wäre.

Einbruch im zweiten Quartal, …

Die belgische Wirtschaft ist aufgrund der Corona-Pandemie im zweiten Quartal um 12,2% eingebrochen. Dies entspricht weitgehend dem Durchschnitt des Euroraums (-12,1%). Gemessen an den zwischenzeitlich sehr hohen Infektionszahlen, hat das Land die Krise bisher sogar relativ gut überstanden. Denn zusammen mit Spanien wies Belgien die höchsten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner auf (Abbildung 1). Die Infektionsraten lagen im Höhepunkt der Krise zwar leicht unter den spanischen, allerdings hatte Belgien eine deutlich höhere Todesrate zu beklagen. Trotzdem ist die Wirtschaft deutlich weniger geschrumpft als in Spanien (-18,5%).

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Dies mag zum einen daran liegen, dass der von dem Virus besonders betroffene Tourismussektor für die belgische Wirtschaft eine untergeordnete Rolle spielt. Zum anderen gab es zwar auch in Belgien entschlossene Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus; diese waren aber nicht mit den in Spanien verhängten wochenlangen Ausgangssperren zu vergleichen.

… aber die Erholung läuft

Nach der Lockerung der Maßnahmen hat auch in Belgien eine Erholung eingesetzt, die bisher recht zügig verläuft. So lagen die saisonbereinigten Umsätze im Einzelhandel bereits im Mai wieder leicht über dem Vorkrisenniveau und haben im Juni weiter zugelegt (Abbildung 2). Während des Lockdowns im April waren sie um knapp 17% gefallen. Auch die saisonbereinigte Industrieproduktion deutet grundsätzlich in Richtung Erholung: Im Juni lag die Produktion nur noch rund 7% unter dem Vor-Corona-Niveau, auch wenn sie im Vergleich zu Mai einen kleinen Rücksetzer erlebte. Im war die Industrieproduktion um 16% gefallen.

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Wie Echtzeitindikatoren zeigen, hat sich die Erholung bis zuletzt fortgesetzt. Der Google Mobility Report, der die Bewegung von Menschen anhand der Daten ihrer Mobiltelefone aufzeichnet, spricht eine deutliche Sprache: Anfang August wichen die Besucherzahlen in Einzelhandelsgeschäften nur noch um 15% vom Vorkrisenniveau ab. Am Höhepunkt des Lockdowns waren 80% der Kunden weggebrochen. Zuletzt ließ sich hier allerdings ein leichter Abwärtstrend erkennen, was mit den zuletzt wieder steigenden Infektionszahlen zusammenhängen dürfte. Im Juli lagen die Besucheranzahlen in Einzelhandelsgeschäften nämlich schon beinahe auf Vorkrisenniveau.

Robuster Arbeitsmarkt

Auch der Arbeitsmarkt zeigt sich bislang verhältnismäßig robust. Die Arbeitslosenquote ist von 4,8% im März auf 5,5% im Juli gestiegen und liegt damit nur knapp über der Arbeitslosigkeit im Vorjahresmonat von 5,4%. Dies mag die aktuelle Situation etwas zu günstig darstellen. So ist die Zahl der „Inaktiven“ – Personen, die dem Arbeitsmarkt zurzeit nicht zur Verfügung stehen und damit nicht zu den Arbeitslosen gezählt werden – recht deutlich von 120.000 im März auf 176.000 im Mai gestiegen. Mancher von ihnen dürfte dies tun, weil derzeit keine Aussicht auf einen neuen Arbeitsplatz besteht. Wichtiger dürfte aber sein, dass die Regierung den Zugang zu Kurzarbeit coronabedingt spürbar erleichtert hat. Dies dürfte auch maßgeblich dazu beigetragen haben, dass nach Aussagen der Regierung die Haushalts-Einkommen insgesamt nur überschaubar zurückgegangen sind. Für das gesamte Jahr 2020 rechnet sie hier mit einem – verglichen mit dem Einbruch der Wirtschaft – geringen Rückgang von 1,9%, was die Nachfrage weitgehend stabil halten dürfte.

Infektionszahlen wieder deutlich gestiegen, …

Der Fortgang der Erholung wird natürlich zu einem großen Teil von dem weiteren Verlauf der Pandemie abhängen. Darum ist es zunächst einmal kein gutes Zeichen, dass die Infektionszahlen in Belgien seit Mitte Juni stark gestiegen sind, sodass zwischenzeitlich knapp 5 tägliche Neuansteckungen je 100.000 Einwohner gemeldet wurden (Abbildung 3). Zuletzt sind die Zahlen wieder etwas gefallen, doch angesichts der Urlaubssaison in allen europäischen Ländern ist die Gefahr noch nicht gebannt und ein neuerliches Ansteigen der Fallzahlen gut möglich.

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… aber neuerlicher Einbruch unwahrscheinlich

Ein neuerlicher Einbruch der Wirtschaft ist aber kaum zu erwarten. Denn die Regierung dürfte auf weiter steigende Infektionszahlen wohl kaum mit einem generellen Lockdown reagieren, sondern wie auch die meisten Regierungen mit punktuellen Maßnahmen aufwarten. Bereits zum Höhepunkt der Krise hatte Belgien zu vergleichsweise moderaten Maßnahmen gegriffen, die das öffentliche und wirtschaftliche Leben nicht wie in anderen Ländern nahezu komplett lahm legten.

Belgien weiter parallel zum Euroraum

Darum gehen wir davon aus, dass die belgische Wirtschaft sich weiter von dem Einbruch im Frühjahr erholen wird. Für das gesamte Jahr 2020 rechnen wir mit einem Rückgang des realen Bruttoinlandsproduktes um 6,5%, was etwas besser wäre als der von uns erwartete Wert für den gesamten Euroraum (-7,0%). Damit sind wir deutlich weniger pessimistisch als die belgische Regierung, die sowohl für ihr Land als auch für den Euroraum mit -10,5% bzw. -11,0% einen zweistelligen Rückgang des realen Bruttoinlandsproduktes erwartet.

Risiko Unternehmensschulden …

Ein Risiko für die Konjunktur bleibt die traditionell hohe Unternehmensverschuldung. Bereits Ende 2019 lag diese bei etwa 160% des Bruttoinlandsprodukts. Allerdings ist für belgische Konzerne charakteristisch, dass diese häufig innerhalb der Unternehmensgruppe Kredite vergeben. Laut Finanzstabilitätsbericht der belgischen Notenbank lag die konsolidierte Schuldenquote – also ohne die Kredite innerhalb eines Konzerns – zuletzt bei rund 90%. Dennoch werden Produktionsausfälle und Umsatzeinbußen im Zuge der Corona-Krise dazu führen, dass viele Unternehmen in erheblichem Maße weitere Kredite aufnehmen müssen. Die Tilgung der Kredite wird – ebenso wie in anderen europäischen Ländern – in den kommenden Monaten die Investitionen dämpfen und damit die konjunkturelle Erholung verlangsamen.

… auch für die Staatsfinanzen, …

Auch für die Staatsfinanzen könnten die Unternehmensschulden zum Problem werden. Denn um Insolvenzen zu vermeiden, hat die belgische Regierung Kreditgarantien in Höhe von 50 Mrd Euro (11% des Bruttoinlandsprodukts) bereitgestellt. Sofern Kredite ausfallen, würde dies das öffentliche Defizit nach oben treiben.

… die 2021 von dem positiven Konjunktureffekt profitieren sollten

Ohne dieses zusätzliche Risiko dürfte unserer Ansicht nach das öffentliche Defizit auf 9¼% des Bruttoinlandsprodukts wachsen (Abbildung 4). Ursprünglich hatte die belgische Regierung in ihrem Haushaltsentwurf für 2020 ein Defizit von 2¼% des Bruttoinlandsprodukts geplant, was angesichts der Corona-Krise in weite Ferne gerückt ist. Denn das geschnürte Hilfspaket, das beispielsweise Überbrückungsleistungen für Selbstständige vorsieht, erhöht das Defizit um weitere 2¼ Prozentpunkte (diskretionäre Maßnahmen). Darüber hinaus wird das Defizit um weitere 4½ Prozentpunkte aufgebläht, die dem konjunkturellen Abschwung geschuldet sind (Konjunktureffekt), durch den dem Fiskus wichtige Einnahmen wegfallen und gleichzeitig höhere Ausgaben – etwa für Arbeitslosenhilfe – notwendig werden.

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Im Gegensatz dazu dürfte die laufende konjunkturelle Erholung maßgeblich dazu beitragen, dass das Haushaltsdefizit 2021 wieder deutlich sinken sollte. Vor diesem Hintergrund sollte auch der Schuldenstand 2021 wieder leicht auf 112% des Bruttoinlandsprodukts abschmelzen, nachdem dieser 2020 auf 114% (von 99% im Jahr 2019) steigen dürfte.

An den Märkten handeln belgische Staatsanleihen derzeit zu teuer

Insgesamt befindet sich die belgische Wirtschaft auf einem guten Weg der Erholung. Durch die starke Einbindung in den internationalen Handel sollte Belgien maßgeblich von der wirtschaftlichen Erholung seiner wichtigsten Handelspartner, insbesondere Deutschland und den Niederlanden, profitieren. Ein wichtiges Fundament dazu bildet sicherlich die Standortqualität Belgiens, die sich in den letzten Jahren spürbar verbessert hat. Die belgische Regierung hat beispielsweise wichtige Reformen auf den Weg gebracht und damit Bürokratie und Verwaltung verschlankt. Ein Risiko bleibt die Auswirkung der zweiten Viruswelle auf Europa und auf die wichtigen Partnerländer.

An den Anleihenmärkten handeln belgische Staatsanleihen derzeit teurer, als fundamental gerechtfertigt wäre, was wohl an deren Korrelation mit französischen Staatsanleihen liegen dürfte (siehe „Carry vs. Fundamentals“ in der Ahead of the Curve vom 31. Juli 2020). Die EZB-Politik macht die hohe Verschuldung des privaten und öffentlichen Sektors zweitrangig.

Blog-Beiträge der Serie „Corona, Länder und Wirtschaft“:

Marco Wagner: Die Niederlande meistern die Wirtschaftskrise am besten

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