In gefühlt immer schnellerem Tempo häufen sich die „Autogipfel“ der Bundesregierung mit den Spitzen der deutschen Automobilindustrie. Sie reihen sich ein in die Kette der Energie-, Pandemie-, Flüchtlings-, Klima- und anderer Gipfel. Auch wenn die Gipfel-Show zuletzt wieder als Videokonferenz stattfinden musst, stimmte die mediale Inszenierung, und mit den gefassten Beschlüssen wurde ein vorläufiger Höhepunkt erreicht: Dank Corona sitzt das Geld locker und es gibt endlich eine Abwrackprämie – allerdings nur für Lkw – , die Subventionsmaschine für die klimarettende Elektromobilität wird weiter gut geschmiert und auch das Herzensprojekt von Gewerkschaften und SPD, ein Zukunftsfonds Autoindustrie für regionale Transformations- und Qualifizierungscluster, wird mit einer Milliarde bedacht: Das sind wohl alles Peanuts in Zeiten von Corona.
Was man auf der homepage der Bundesregierung „Konzertierte Aktion Mobilität“ nennt, erfüllt in jeglicher Hinsicht die bei der Erinnerung an die Ende der Sechziger praktizierten gleichnamigen Runden aufkommenden Befürchtungen. Offensichtlich dreht sich die Interventionsspirale in Deutschland immer weiter und zeigt, wie orientierungslos und ohne jeden ordnungspolitischen Kompass die Wirtschafts- und Verkehrspolitik agieren. Das gilt leider für viele Branchen, und jedem marktwirtschaftlich denkenden Ökonomen sind Beispiele solcher Interventionsspiralen bekannt. Bereits in einführenden Lehrveranstaltungen zur Volkswirtschaftslehre wird z.B. aufgezeigt, wie Eingriffe in die freie Preisbildung durch Höchst- oder Mindestpreise zu kontraproduktiven Effekten auf den Märkten führen. Sehr prominent sind der „Mietendeckel“ und dynamisch ansteigende „Mindestlöhne“, mit denen eine beratungsresistente Politik mit Vollgas in ein solches interventionistisches Politikszenario marschiert, in dem die negativen Konsequenzen des Ignorierens der Marktkräfte durch nachfolgende weiter und tiefer reichende Regulierungs- und Zwangsmaßnahmen bekämpft werden. Ähnliche Beobachtungen kann man auch in der Energiepolitik, bei verschiedensten Subventionen und Quotenregelungen oder im Sozialsystem machen, von der Geldpolitik ganz zu schweigen.
Nun handelt dieser Essay nicht von Geld- oder Währungspolitik, auch wenn diese indirekt mit dem Thema verknüpft sind. Es stellt sich nämlich die Frage, ob die deutsche Automobilindustrie auch ohne die Droge einer unterbewerteten Währung in Begleitung negativer Zinsen so groß und bedeutend geworden wäre, dass sie regelmäßig im Kanzleramt ein- und ausgeht und „gipfelt“. In der aktuellen Lage stellt die Autoindustrie aus Sicht der Politik wohl ein Klumpenrisiko für die deutsche Wirtschaft dar, weshalb Bundesregierung, Parteien und Gewerkschaften sorgenvoll in die Zukunft schauen. Zumindest vor der nächsten Bundestagswahl darf es nicht zum Show-Down kommen. Die Automobilindustrie wird aber nicht zum Problem, weil ihre Geschäfte grundsätzlich schlecht laufen. 70 Prozent der Produktion findet ohnehin im Ausland statt. Selbstverständlich hat Corona die Branche hart getroffen, aber man hat Reserven, und die Geschäfte laufen wieder deutlich besser, vor allem dank der Auslandsnachfrage. Sie nahm im Oktober um 12 Prozent zu und führte dazu, dass der Auftragseingang insgesamt um 6,6 Prozent über dem des Vorjahres lag. Hoffnungsfroh stimmen auch zuletzt stark steigende Aktienkurse von BMW, Daimler und VW; geradezu euphorisch wurde von den Medien der jüngste Beschluss des VW-Aufsichtsrats gefeiert, in den nächsten fünf Jahren 150 Milliarden Euro zu investieren.
Angesichts dieser Größenordnungen sind die vom „Autogipfel“ beschlossenen drei Milliarden Euro Subventionen zugunsten der Autoindustrie wirklich „Peanuts“. Dies gilt auch mit Blick auf die bereits zugesagten 2 Milliarden aus dem Förderprogramm Zukunftsinvestitionen im Rahmen der Corona-Konjunkturprogramme. Daher fühlt sich die Automobilindustrie auch nicht als Subventionsempfänger, wie der Verband der Automobilindustrie nach dem Treffen verlauten ließ. Die Diskussion um diese Fördermilliarden lenkt jedoch vom eigentlichen Problem ab, der aus einer letztlich verfehlten Klimapolitik resultierenden extrem interventionistischen Regulierung, die eine komplette Transformation dieser Branche zum Ziel hat.
Leider wurde es politisch versäumt, den Verkehrssektor in den „Goldstandard“ der Klimapolitik einzubeziehen, das Europäische Emission Trading System EU-ETS. Stattdessen unterliegen die Treibhausgasemissionen des Verkehrs spezifischen europäischen Emissionsreduktionszielen im Rahmen der sogenannten Lastenteilung (effort sharing decision). Wichtigstes Instrument der Emissionsreduktion ist die Festlegung von Grenzwerten für Flottenemissionen auf europäischer Ebene. Aus ökonomischer Sicht sind solche Flottengrenzwerte allerdings ein untaugliches Mittel zur Verfolgung der klimapolitischen Ziele. Dies gilt grundsätzlich, weil unter einem solchen Regime die Grenzvermeidungskosten von CO2 innerhalb und außerhalb des ETS deutlich auseinanderklaffen und damit das für die allokative Effizienz entscheidende Äquimarginalprinzip verletzt wird: Die Vermeidung von CO2 sollte in allen Sektoren gleich teuer sein, wenn man effiziente Klimapolitik betreiben will. Zusätzlich kommt es zu dysfunktionalen Anreizen, wie wir sie schon in der Vergangenheit beobachten konnten, weil z.B. Autohersteller weiter vor allem entlang der Prüfzyklen optimieren.
Diese an sich schon falsche Politik wurde von der EU mit der Festsetzung der Minderungsziele für das Jahr 2030 auf die Spitze getrieben. Eine Reduktion der CO2-Emissionen von Verbrenner-Pkw um 37,5 Prozent gegenüber der Basis 2021 lässt sich mit den absehbar verfügbaren Technologien nach Einschätzung einschlägiger Experten wohl nicht realisieren. Dies gilt zumindest im Maßstab der heute relevanten Flottenstrukturen, denn wir reden über durchschnittliche Flottenverbräuche (!) zwischen zwei und drei Litern Kraftstoff auf 100 km bei einem schärferen Prüfzyklus als in der Vergangenheit. Offensichtlich stellt diese Regelung eine Elektroautoquote durch die Hintertür dar, da solche Werte im Durchschnitt nur erreicht werden können, wenn ausreichend elektrisch betriebene Fahrzeuge auf den Markt gebracht werden, die wider besseres Wissen als Nullemissionsfahrzeuge angerechnet werden. Hinzuweisen ist auch darauf, dass eine analoge Regelung für leichte und schwere Nutzfahrzeuge verabschiedet wurde. Dass es um die politische Durchsetzung der Elektromobilität auf Biegen und Brechen geht, zeigt auch die aufkommende Diskussion um eine neue Abgasnorm Euro VII für den eigentlichen Schadstoffausstoß, die dem Betrieb von Verbrennungsmotoren wohl völlig den Garaus machen würde. Auch so kann man die derzeit ohne staatliche Subventionen nicht gegebene Marktfähigkeit von Elektroautos herbeiführen.
Bekanntlich gab es in der Bundesregierung seinerzeit heftigen Streit um die Grenzwerte für 2030. Während Verkehrsminister Scheuer vernünftigerweise für weniger anspruchsvolle Ziele plädierte, forderte Bundesumweltministerin Svenja Schulze 40 bis 50 Prozent Reduktion. Aktuell wird auf der Ebene der EU im Zuge des New Green Deal eine erneute Verschärfung der Emissionsreduktionsziele beraten, was im Bundesumweltministerium selbstverständlich begrüßt wird. Die Interventionsspirale dreht sich also weiter, und um die Folgen der durch die Flottenstandards mehr oder weniger erzwungenen Transformation zur Elektromobilität erträglich zu machen, bedarf es zusätzlicher Interventionen. So enthält bereits die EU-Verordnung zu den Flottenstandards die sogenannten Supercredits, mit denen Zero and Low Emission Vehicles (ZLEV: Fahrzeuge unter 50 Gramm CO2/100 km) bis 2022 überproportional bei der Durchschnittsbildung gewichtet werden. Ab 2025 ist ein extrem komplexer weiterentwickelter Anreizmechanismus vorgesehen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt: Unter die ZLEV fallen im Regelfall auch die Plug-in-Hybride, wenn sie eine ausreichend lange Strecke im Batteriebetrieb fahren können. Nicht umsonst erfreuen sie sich großer Beliebtheit beim Publikum, auch wenn empirische Studien zeigen, dass nur sehr geringe Anteile der Fahrleistung tatsächlich elektrisch erbracht werden.
Die Attraktivität dieser Fahrzeugkategorie – rund die Hälfte der Zulassungen elektrisch angetriebener Fahrzeuge entfällt in den letzten Monaten darauf – erklärt sich aus der Kombination der Versicherung der Käufer, im Ernstfall einen Verbrenner zur Verfügung zu haben, dem guten Gewissen, etwas für das Klima zu tun, und der recht komfortablen Subventionierung des Kaufpreises. Diese Förderkulisse soll nun nach den Beschlüssen des letzten „Autogipfels“ bis 2025 aufrechterhalten werden, wobei die Anforderungen an die elektrische Mindestreichweite von Plug-in-Hybriden schrittweise, aber nicht prohibitiv erhöht werden. Die im Zuge von Corona noch einmal aufgestockte Förderung von batterieelektrischen Fahrzeugen soll selbstverständlich so beibehalten werden. Außerdem sind Elektroautos bekanntlich für die Dauer von 10 Jahren von der Kfz-Steuer befreit, und der anzurechnende geldwerte Vorteil im Rahmen der Dienstwagenbesteuerung beträgt nur die Hälfte des entsprechenden Wertes bei Verbrennern. Hinzu kommen umfangreiche Förderprogramme für die Ladeinfrastruktur. Das gesamte Volumen der staatlichen Subventionen für Elektromobilität ist daher derzeit kaum abschätzbar, von der überbordenden Regulierungsintensität kann man sich jedoch auf der homepage der zuständigen bürokratietheoretisch hochinteressanten BAFA (Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle) ein Bild machen.
All dies kann nur kaschieren, dass die aus Klimaschutzgründen verordnete und über die Flottengrenzwerte gesteuerte Transformation des Automobilsektors zur Elektromobilität Wertschöpfung und Beschäftigung bei den OEM‘s bereits massiv zu beeinträchtigen beginnt und in absehbarer Zeit vielen ihrer Zulieferer die wirtschaftliche Basis entziehen wird. Daimler und BMW forcieren bereits die Produktion von Verbrennungsmotoren im Ausland. Batterien (Akkus) als wesentlicher Teil der Wertschöpfung werden überwiegend aus dem Ausland bezogen oder von ausländischen Herstellern sehr kapitalintensiv in Deutschland hergestellt. Schon dreht sich die Interventionsspirale weiter: Mit großvolumigen Förderprogrammen will die Bundesregierung zur Standortrettung Batterieforschung und Batterieproduktion in Deutschland sicherstellen. Wegfallende Zulieferteile wie Getriebe oder Motorenkomponenten hinterlassen Schneisen der Verwüstung in der Zulieferindustrie. Hier helfen die anhaltende Förderung der Plug-in-Hybride und vielleicht der im Zuge des Autogipfels beschlossene Transformationsfonds. Nach der zuletzt hochkochenden Diskussion um staatliche Rettungsprogramme und Auffangfonds für notleidende Zulieferbetriebe dürfte letzteres aber eher ein symbolischer Akt der Befriedung von SPD und Gewerkschaften sein. Ob und wie regionale Transformations- und Qualifizierungscluster außer einer temporären Schonung des Arbeitsmarktes nachhaltig etwas bewirken, ist nach den Erfahrungen der Vergangenheit hochgradig fraglich, zumal Arbeitsplätze mit hoher Wertschöpfung auf Dauer ersatzlos wegfallen.
Mit den Beschlüssen des Autogipfels zeigt die Politik aber, dass sie also ordnender Akteur die Lage im Griff hat. Immer komplexere Regulierungen, großvolumige Subventionsprogramme sowie direkte und indirekte Eingriffe in Marktprozesse unterwandern zwar schrittweise die marktwirtschaftliche Verfassung der Republik, haben aber System, da sie Handlungsfähigkeit der Politik in Krisenzeiten dokumentieren und gleichzeitig die Betroffenen befrieden. Außerdem schaffen sie Arbeitsplätze in der Bürokratie und in staatsnahen von der Regulierung profitierenden Institutionen. Die negativen Externalitäten zu Lasten der Steuerzahler, der wirtschaftlichen Effizienz und des marktwirtschaftlichen Ordnungsrahmens bleiben dem Publikum leider verborgen.
Letzteres gilt tendenziell auch für die dem interessierten Publikum weniger transparenten Eingriffe in der Nutzfahrzeugbranche bzw. im Güterverkehr. So hat der Autogipfel auch eine Abwrackprämie für alte Nutzfahrzeuge im Volumen von einer Milliarde Euro beschlossen, wobei 500 Millionen Euro auf private Unternehmen und die andere Hälfte auf die öffentliche Beschaffung entfallen – davon sollen z.B. neue Feuerwehrautos (!) gekauft werden. Laut Daimler Truck-Vorstand Daum ist das „ein schnell wirksamer Hebel zur Verbesserung der Luftqualität“. Angesichts der in relativ kurzen Zyklen verlaufenden und bereits weit fortgeschrittenen Flottenerneuerung – von dem im Fernverkehr besondere relevanten Sattelzugmaschinen gehören bereits über 80 Prozent der Emissionsklasse Euro VI und besser an – scheint diese Einschätzung sehr blauäugig und von den eigenen Geschäftsinteressen getrieben. Diese unnötige Subvention reiht sich aber ein in die seit der Einführung der Lkw-Maut auf Autobahnen mit jährlich dreistelligen Millionenbeträgen an das Straßengüterverkehrsgewerbe gezahlten Beihilfen, z.B. im Rahmen des de minimis-Programms. In der aktuellen Förderperiode sind u.a. der Erwerb von Fahrerassistenzsystemen oder Ausgaben für die ergonomische Gestaltung des Fahrerarbeitsplatzes sowie Kauf, Miete und Leasing von Navigationssystemen förderfähig. Geld gibt es auch für Aufwendungen für die Sicherheitsausstattung oder die Berufskleidung des Fahr- und Ladepersonals sowie der Disponenten und Weiterbildungen wie die Fortbildung zum geprüften Verkehrsfachwirt oder Fachwirt für Güterverkehr und Logistik.
Man wundert sich, was das Bundesverkehrsministerium in dieser Branche so alles subventioniert, um das traditionsreiche deutsche Güterkraftgewerbe bei Laune zu halten. Andererseits verfolgt das Ministerium auch den Plan, die heutige infrastrukturkostenbezogene Lkw-Maut nach den CO2-Emissionen der Fahrzeuge auszurichten bzw. eine zusätzliche CO2-Komponente einzuführen. Im Gegenzug möchte der Verkehrsminister dann wieder die heimischen Lkw‘s von der zum 01.01.2021 startenden zusätzlichen CO2-Besteuerung des Dieselkraftstoffs entlasten. Und die EU-Kommission berät gerade darüber, ob nicht auch sonstige sogenannte externe Kosten in die Bepreisung einbezogen werden sollen.
In diesem Bereich scheint sich wohl aus der Interventionsspirale ein sich immer schneller drehendes Interventionskarussell zu entwickeln, in dem ordnungspolitische Prinzipien völlig auf der Strecke bleiben. All diese kleinteiligen Regulierungsansätze und destruktiven Interventionen könnte man sich sparen, hätte man den Mut gehabt, den Verkehrssektor einfach in das EU-ETS zu integrieren. Dann bräuchte es aber auch keine publikumswirksamen Autogipfel oder auch Ladegipfel, wie er, gefordert von der Autoindustrie, zwei Wochen später stattfand. Hier gab es zwar keine konkreten Beschlüsse, aber klar ist, dass mehr oder weniger kleinteilige Interventionen auch bei diesem Thema Konjunktur haben werden. Nach allen Gipfeln ist wohl keine Ruh.
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