„Vorschriften, die jetzt CO2-Emissionen zulassen, begründen eine unumkehrbar angelegte rechtliche Gefährdung künftiger Freiheit, weil sich mit jeder CO2-Emissionsmenge, die heute zugelassen wird, die in Einklang mit Art. 20a GG verbleibenden Emissionsmöglichkeiten verringern; entsprechend wird CO2-relevanter Freiheitsgebrauch immer stärkeren, auch verfassungsrechtlich gebotenen Restriktionen ausgesetzt sein.“ (Bundesverfassungsgericht)
Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil zum Klimaschutzgesetz Ende April für Schlagzeilen gesorgt. In dieser Deutlichkeit war der Richterspruch über einen intertemporalen Freiheitskonflikt eine Überraschung. Das Urteil regt dazu an, die Freiheitsrechte von heute gegen die Freiheitsrechte von morgen abzuwägen und sie gegebenenfalls aufzurechnen. Damit steht indirekt, wenn nicht sogar direkt, ein Generationenkonflikt im Raum.
Ob die potenziellen Folgen des Urteils schon ausreichend erkannt sind, ist fraglich. Das Bundesverfassungsgericht führt nämlich weiter aus: „Künftig können selbst gravierende Freiheitseinbußen zum Schutz des Klimas verhältnismäßig und verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein.“
Die Erwägungen des Verfassungsgerichts sind zunächst grundsätzlicher Natur. Der Gesetzgeber hat lediglich den Auftrag erhalten, das Klimaschutzgesetz zu konkretisieren. Bisher sieht das Gesetz eine Reduktion der Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 um 55 % gegenüber 1990 vor. Das Verfassungsgericht verpflichtet den Gesetzgeber mit seinem Urteil, „…die Fortschreibung der Minderungsziele der Treibhausgasemissionen für Zeiträume nach 2030 bis zum 31. Dezember 2022 näher zu regeln.“
Die Bundesregierung lässt sich jedoch nicht bis Ende 2022 Zeit, um das Klimaschutzgesetz nachzubessern. Sie hat umgehend reagiert und mit Kabinettsbeschluss vom 12.05.2021 diverse Verschärfungen auf den Weg gebracht. Insbesondere sollen die deutschen Treibhausgasemissionen bis 2030 um 65 % gegenüber dem Emissionsniveau von 1990 sinken (statt bisher 55 %) und Klimaneutralität soll bereits 2045 statt bisher 2050 erreicht werden.[1]
Effiziente Klimapolitik
Aus dem Verfassungsgerichtsurteil und der Reaktion der Bundesregierung resultieren eine Reihe ausgesprochen interessanter und komplexer Fragen. Aus ökonomischer Sicht drängt sich insbesondere die Frage auf, ob die Klimapolitik effizient ist. Effiziente Klimapolitik bedeutet, ein gegebenes Klimaziel mit den geringstmöglichen Kosten zu erreichen. Treibhausgase sollten in den Ländern und Sektoren eingespart werden, wo die Vermeidungskosten am geringsten sind. Das geeignete Instrument ist ein global einheitlicher CO2-Preis. Ob das Übereinkommen der Pariser Klimakonferenz von 2015, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und die Umsetzung durch das Klimaschutzgesetz in diesem Sinne effizient sind, soll hier nicht im Detail diskutiert werden. Allerdings sind Zweifel angebracht, weil das Klimaschutzgesetz sektorbezogene Reduktionsmengen vorgibt. Dadurch wird die Möglichkeit behindert, über den Marktpreis herausfinden zu lassen, in welchem Sektor die Emission von Treibhausgasen am kostengünstigsten reduziert werden kann.
Abbildung 1 zeigt, dass die CO2-Emissionen in Europa in den letzten Dekaden bereits gesunken sind (auch dank der CO2-Bepreisung), während sie in anderen Regionen teils deutlich gestiegen sind. Dies ist zumindest ein Indiz dafür, dass in anderen Teilen der Welt eine Reduktion der Treibhausgase mit geringeren Kosten zu erreichen sein könnte.
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Verfassungsgerichtsurteil zu Ende gedacht
So gut die Absichten des Bundesverfassungsgerichts sind, mehr Druck in der Klimapolitik zu erzeugen, so groß ist die Gefahr gesellschaftlicher Spannungen, die aus dem Urteil resultieren könnten. Das Verfassungsgericht schreibt: „Um das (Klimaziel) zu erreichen, müssen die nach 2030 noch erforderlichen Minderungen dann immer dringender und kurzfristiger erbracht werden. Von diesen künftigen Emissionsminderungspflichten ist praktisch jegliche Freiheit potenziell betroffen, weil noch nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgasen verbunden und damit nach 2030 von drastischen Einschränkungen bedroht sind.“
Die Ausführungen des Verfassungsgerichtes basieren auf der Logik eines Nullsummenspiels: Es gibt ab jetzt eine bestimmte Menge noch „verfügbarer“ CO2-Emissionen, um deren Nutzung die Menschen in Deutschland konkurrieren. Recht offensichtlich ist, dass die Bürger einander künftig viel stärker in ihrer jeweiligen Lebensführung beäugen dürften, wenn sich dieser Nullsummenspiel-Gedanke erst einmal durchgesetzt hat. Neid und Missgunst gab es schon immer, aber nun kommt noch eine moralische Dimension dazu, weil eine treibhausgasintensivere Lebensweise unmittelbar zu Lasten der übrigen (künftigen) Gesellschaftsmitglieder geht. Bisher ließen sich Rivalitäten im Konsum dadurch auflösen, dass durch mehr Anstrengung und mehr Wachstum die Konsummöglichkeiten insgesamt vergrößert werden konnten. Künftig ist diese Möglichkeit angesichts eines fixen „Treibhausgas-Restbudgets“ nicht mehr vorhanden – zumindest solange noch keine umfassenden Technologien vorhanden sind, die ein an heutigen Standards gemessen normales Leben ohne Treibhausgasemissionen zulassen.[2]
Denkt man die Logik des Nullsummenspiels zu Ende, muss es aber nicht bei missgünstigem Beäugen und moralischen Vorhaltungen bleiben, wenn jemand weiterhin einen mit überdurchschnittlich hohen CO2-Emissionen verbundenen Lebensstil pflegt. Viel schlimmer: Die Bevölkerungsgröße könnte zum Politikum werden. Das betrifft sowohl die Zuwanderung als auch den Nachwuchs. Hier kann sich die Perspektive fundamental verändern. Durch jeden neuen in Deutschland lebenden Bürger entstehen neue Ansprüche an das „CO2-Restbudget“. Sind Zuwanderer und Neugeborene künftig weniger willkommen, weil sie als direkte Konkurrenz um das CO2-Restbudget angesehen werden? Werden sie nun verstärkt als ökologischer Belastungsfaktor gesehen werden, die zudem die Konsummöglichkeiten der bereits heute hier lebenden Menschen reduzieren?[3]
Spätestens an dieser Stelle zeigt sich, wie komplex und letztlich widersprüchlich die Gemengelage werden kann.[4] Ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit können im Widerspruch zueinander geraten. Ein Geburtenrückgang und eine schrumpfende Bevölkerung wären aus ökologischer Sicht zu begrüßen, aus ökonomischer Sicht hingegen wäre der Sozialstaat in Gefahr.
Nachhaltigkeit – ökologisch und ökonomisch
Nach einer gängigen Definition der Brundtland-Kommission ist eine Entwicklung nachhaltig, wenn sie den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil frei zu wählen.[5] Aus ökologischer Sicht ist klar, was das bedeutet: Eine möglichst umweltschonende Lebensweise der heutigen Generationen, damit die Ökosysteme regenerationsfähig bleiben.
Aus ökonomischer oder volkswirtschaftlicher Sicht betrifft das Thema Nachhaltigkeit insbesondere die Staatsfinanzen. Über das Instrument der Staatsverschuldung werden finanzielle Lasten in die Zukunft – und damit auf die Steuerzahler von morgen – verschoben. Damit zeigt sich bereits, dass größere Teile der Politik ein ambivalentes Verhältnis zum Thema Nachhaltigkeit haben. Während das Bekenntnis zur ökologischen Nachhaltigkeit heute quasi „zum guten Ton“ gehört, spielt Nachhaltigkeit bei den Staatsfinanzen eine untergeordnete Rolle – vor allem in den politischen Kreisen, die sich besonders stark machen für ökologische Nachhaltigkeit und somit eigentlich feine Antennen haben müssten für das Verschieben von Lasten auf künftige Generationen. Der laxe Umgang mit den Staatsfinanzen inklusive der Forderung nach einem Lockern der Schuldenbremse ist jedenfalls bemerkenswert.
Der offizielle Teil der Staatsschulden ist in den amtlichen Statistiken dokumentiert: Hier hatte Deutschland in der vergangenen Dekade auch dank der im Anschluss an die globale Finanzkrise eingeführten Schuldenbremse beachtliche Erfolge verbucht. Vor Ausbruch der Corona-Pandemie waren die deutschen Staatsschulden auf rund 60 % des Bruttoinlandsproduktes (BIP) gesunken (von ursprünglich rund 80 %). Aufgrund der Corona-Krise ist der Schuldenstand im Jahr 2020 wieder auf rund 70 % des BIP gestiegen.
Für die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen sind aber nicht nur die offiziellen Staatsschulden relevant, sondern auch die verdeckten beziehungsweise impliziten Schulden. Vor Ausbruch der Corona-Pandemie beliefen sie sich nach Berechnungen des Forschungszentrums Generationenverträge und der Stiftung Marktwirtschaft auf 176 % des BIP, sodass sich für die öffentlichen Finanzen ein Gesamtschuldenstand von rund 235 % (60 % explizite + 176 % implizite Schulden) der jährlichen Wirtschaftsleistung ergab.
Neben den offiziellen Schulden sind während der Corona-Pandemie auch die verdeckten Schulden weiter gestiegen. Da dieser Anstieg einer akuten Notlage geschuldet war, soll der Anstieg hier nicht als mangelndes Nachhaltigkeitsbewusstsein gewertet werden. Hätte der Staat in dieser historisch einmaligen Situation auf schuldenfinanzierte Fiskalpolitik verzichtet, wäre das Risiko einer noch viel tiefgreifenderen Wirtschaftskrise mit noch negativeren Folgen für die Staatsfinanzen gestiegen.
Implizite Staatsschulden sind in der Sozialversicherung versteckt. Die Leistungsversprechen, die der Staat im Bereich Rente, Gesundheit, Pflege und Arbeitslosigkeit gibt, sind durch die gegenwärtigen Steuer- und Beitragssätze nicht vollständig gedeckt. Das daraus resultierende Problem wird erst sichtbar, wenn die sogenannten Baby-Boomer (Geburtsjahre 1955 bis 1969) in den Ruhestand gehen und von Beitragszahlern zu Leistungsempfängern werden. Um die Leistungszusagen ohne Erhöhungen der Steuern oder Sozialbeiträge einhalten zu können, müsste der Staat am Kapitalmarkt Schulden aufnehmen. Die bisher verdeckten Schulden würden dadurch in der offiziellen Staatsschuldenquote sichtbar. Diese Schulden wären von den nachfolgenden Generationen über höhere Steuern abzutragen.
Aus der sich abzeichnenden Schuldenfalle bieten sich verschiedene Auswege an: Zuwanderer könnten die Zahl der Beitragszahler erhöhen (bevor sie später selbst zu Leistungsempfängern werden). Ein späterer Renteneintritt würde die Rentenbezugsdauer senken und die Arbeitnehmer länger in das Sozialsystem einzahlen lassen. Höheres Wirtschaftswachstum würde die Finanzierungsbasis des Staates stärken. Mehr Wirtschaftswachstum läuft allerdings dem Ziel der ökologischen Nachhaltigkeit und der Reduktion der Treibhausgase zuwider – sofern es kein CO2-freies Wachstum ist.
Bleibt als einziger Ausweg, der für die nachfolgenden Generationen ökologisch und ökonomisch gleichermaßen nachhaltig ist, eine Senkung der staatlichen Sozialleistungen. Im Klartext bedeutet das vor allem: Weniger Rente und weniger Möglichkeiten auf CO2-lastigen Konsum für die heutigen und künftigen älteren Generationen. Das ginge sogar Hand in Hand mit der Andeutung, dass gegenwärtige Freiheitsrechte (Konsumrechte?) gegen künftige Freiheitsrechte (Konsumrechte?) abzuwägen sind.
Doch ist das tatsächlich im Sinne des Verfassungsgerichtes? Ließen sich solch umwälzenden Veränderungen politisch umsetzen und dann auch aushalten? Welche gesellschaftlichen Folgen wären zu erwarten? Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes wirft in jedem Fall brisante Fragen auf.
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[1] Bundesregierung (2021), Generationenvertrag für das Klima.
[2] Denkbar wäre allerdings, dass das Rivalitätsproblem auch dadurch entschärft wird, dass Verfahren gefunden werden, die bereits erfolgte CO2-Emissionen wieder absorbieren, also rückgängig machen.
[3] Wobei die Bevölkerungsprognosen der Vereinten Nationen zeigen, dass ein weiterer deutlicher Anstieg der Weltbevölkerung praktisch ausschließlich in den wirtschaftlich weniger entwickelten Regionen dieser Welt erwartet wird. Ein demographisch bedingter Anstieg der CO2-Emissionen ist also weder in Deutschland noch in Europa zu erwarten. Doch dieses Thema blendet das Bundesverfassungsgericht in seinem auf Deutschland fokussierten Urteil aus.
[4] Dass damit jede Menge vor allem philosophischer Fragen verbunden sind, liegt auf der Hand. Letztlich läuft Vieles auf die grundlegende Frage hinaus, was den Wert des Lebens ausmacht bzw. was das Leben lebenswert macht. Und daran schließt sich die alte eher staatsphilosophische Frage, wer eigentlich darüber entscheiden soll, was das Leben lebenswert macht: eine zentrale/staatliche Instanz oder jedes Individuum für sich.
[5] Was die Bedürfnisse künftiger Generationen sein werden, lässt sich heute gleichwohl kaum prognostizieren. Insofern hat diese Definition eine konzeptionelle Schwachstelle.
Blog-Beiträge zum Thema:
Joachim Weimann: Ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vernünftig? (Video)
Eric Heymann: Aufruf zu technischem Fortschritt
Manuel Frondel: Global einheitlicher CO2-Preis statt nationale Klimaschutzziele!
Hartmut Kliemt: Luftschlösser der Klimapolitik?
- Nach dem Ende der Ampel-Regierung
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„Aus ökonomischer Sicht drängt sich insbesondere die Frage auf, ob die Klimapolitik effizient ist. Effiziente Klimapolitik bedeutet, ein gegebenes Klimaziel mit den geringstmöglichen Kosten zu erreichen.“
Es drängt sich eher die Frage auf, ob die Klimapolitik effektiv ist! Derzeit ist noch nicht bewiesen, dass CO2 – als Spurengas mit minimalem Anteil an der Gesamt-Atmosphäre (0,035%) – einen maßgeblichen Einfluss auf das Klima hat. Es gibt auch noch keine – zumindest mir bekannt gemachte – Formel, welche das konkrete Verhältnis CO2 zu Grad Celsius darstellt (und diese Formel selbst darüber hinaus auch physikalisch belegt wäre). Beobachtungen in der Zeitgeschichte und Physik sprechen eher dafür, dass eine Beziehung Temperatur –> CO2 vorliegt.
Es ist also unklar, ob durch eine Reduktion von CO2 ein fiktives 1,5 Grad-Ziel erreicht werden könnte – mangels einer Formel auch nicht, wieviel Reduktion nötig wäre!
Zwischen den Zeilen hat das BVG aber auch schon einen Zusammenhang zwischen Freiheit und CO2 hergestellt, deren Kausalität wohl darauf zurückzuführen ist, dass mit weniger „Rest-CO2-Budget“ eine Einschränkung unserer Freiheitsrechte einhergehen wird.
Für diese Freiheitsrechteeinschränkung wäre jedoch zwangläufig erstgenannter Zusammenhang eindeutig zu belegen