Für Demokratie und gute Politik braucht es freie, vielfältige und kritische Medien. Politik und Medien sind eng verflochten. Einerseits liefern die Medien Informationen zu politischen Problemstellungen, andererseits berichten Medien über politische Entscheidungen und haben eine wichtige Funktion bei der Beleuchtung und Einordnung eben dieser.
Doch bei echten und vermeintlich echten Krisen berichten viele Medien einseitig, wenig analytisch und setzten auf Gefühle. Dabei verlieren sie oft auch ihre ansonsten ausgeprägte Kritikfähigkeit und übernehmen unkritisch die Positionen der Regierungen. Dies galt vielfach in der Corona-Krise, bei Berichten über die „Klima-Krise“ und es gilt auch in Ländern oder Situationen, wo Regierungsversagen offensichtlich ist. Weshalb verlieren in Krisen selbst manche Qualitätsmedien ihre Kritikfähigkeit und was könnte dagegen getan werden?
Gründe für Medienversagen
Manche argumentieren, die privaten Medien litten durch die Verlagerung des Anzeigengeschäfts zu den sozialen Medien unter enormem Spardruck und einer gewissen Auszehrung. Aufgrund des Spardrucks würden mittlerweile viele Agenturmeldungen einfach unhinterfragt übernommen. Darüber hinaus entlohne die Medienbranche viele ihrer Mitarbeiter eher dürftig und zwischen Selbständigkeit und Scheinselbständigkeit sei teils nur ein schmaler Grat. Qualifizierte Mitarbeiter wechselten daher oft in andere Branchen. Manche meinen auch, regierungskritische Beiträge könnten die Chancen eines angestrebten Wechsels in besser bezahlte und sichere Stellen insbesondere in den ständig wachsenden staatlichen Kommunikationsabteilungen beeinträchtigen. Doch Spardruck oder die Hoffnung auf bessere Stellen herrscht immer. Daher dienen sie nicht als Erklärungen, warum Medienschaffende insbesondere in Krisen ihre Kritikfähigkeit verlieren.
In Krisen spielt Unsicherheit eine ganz entscheidende Rolle. Regierungen haben oft direkteren sowie schnelleren Zugriff auf Daten und weitaus größere Ressourcen zu deren Analyse und Bewertung als einzelne Medienschaffende. Qualitätsmedien wollen zur Erhaltung ihrer Reputation echte und scheinbare Fehler vermeiden. Bei Krisen ist der Informationsbedarf der Bürger hoch. Deshalb finden Medienberichte zur Krise Aufmerksamkeit, gleich wie regierungsdienlich oder -kritisch sie sind. Weil bei Krisen große Unsicherheit besteht, können Regierungen kritische Beiträge leichter als irrelevant oder falsch abtun. Regierungsdienliche Berichte sind hingegen willkommen, und sie werden verständlicherweise auch bei Fehlinformationen oder Fehldarstellungen mit geringerer Wahrscheinlichkeit als falsch abgetan als kritische Berichte. Daraus entsteht eine Art selbstverstärkender Mechanismus: Je weniger regierungskritische Berichte es gibt, desto eher werden die wenigen verbleibenden kritischen Beiträge angeprangert. Rationale Medienschaffende übernehmen deshalb in Krisen tendenziell die Kommunikation der Regierungen und sind weitgehend unkritisch. Die resultierende Berichterstattung ist zwar regierungs-, aber natürlich nicht immer staats- oder gar bürgerdienlich. Daraus resultiert Medienversagen in Krisen. Erst über die Zeit wird das Krisenmanagement der Regierungen hinterfragt. Wer jedoch lange die Regierungspolitik gepriesen hat, kann sie danach umso schwerer kritisieren, denn insbesondere Qualitätsmedien unterliegen einer gewissen Konsistenzanforderung. Selbstheilungsprozesse des Medienversagens finden dementsprechend langsam statt.
Wettbewerb gegen Medienversagen
Medien, die die Vielfalt der verfügbaren Informationen, Erfahrungen und Werte einer Gesellschaft abbilden sind keine Errungenschaft, sondern eine dauernde Aufgabe in einer demokratischen Gesellschaft. Medienversagen in Krisen ist lösbar. Dazu bedarf es neuer Institutionen, die mitunter bei kirchlichen Heiligsprechungsprozessen längst erprobt ist: Es braucht Anwälte der Gegenseite in Form eines Advocatus Diaboli.
In kirchlichen Heiligsprechungsprozessen hat der Advocatus Diaboli als sprichwörtlicher Anwalt des Teufels die Pflicht, die zusammengetragenen „Belege“ für eine Heiligsprechung anzufechten. Er soll gezielt Argumente gegen die Heiligsprechung einer Person finden, sodass möglichst viele Argumente auf wettbewerbliche Art in den Prozess miteinbezogen werden. Auch Demokratie, Jurisprudenz und Wissenschaft funktionieren ähnlich. Parteien, Anwälte und Wissenschaftler suchen wettbewerblich nach den bestmöglichen Argumenten für ihre politischen Projekte, ihre Mandanten oder ihre Hypothesen, die dann von einer Art Gericht – dem Wahlvolk, dem Richter oder der „scientific community“ – beurteilt werden. Jeweils ist dabei der wettbewerbliche Prozess entscheidend, sodass möglichst viele Argumente einbezogen werden können.
Anwälte des Teufels als Wettbewerbliche Kritikorgane
Die Institution eines Advocatus Diaboli ist auch im Medienbereich nützlich. Konstruktive Kritik in Krisenzeiten ist ein typisches öffentliches Gut. Die Kosten von Kritik fallen beim einzelnen Medium an, aber der Nutzen verteilt sich auf die ganze Gesellschaft. Entsprechend haben die einzelnen Medien weder Anreize noch Ressourcen, die Rolle eines Advocatus Diaboli einzunehmen. Stattdessen sollte die Allgemeinheit ein oder mehrere Stellen mit der Aufgabe des Advocatus Diaboli beauftragen, im Krisenfall angemessene Kritik an der Regierung vorzubringen. Natürlich existieren bereits Organe für institutionalisierte Kritikprozesse, die wichtig und geschätzt sind, wie beispielsweise Rechnungshöfe im Bereich der öffentlichen Finanzen. Rechnungshöfe dürfen aber leider immer erst im Nachhinein kritisieren, wenn der Schaden durch Regierungen oder Verwaltungen bereits entstanden ist.
Eine unabhängige, idealerweise volksgewählte Kritikkommission in Form eines Advocatus Diaboli im Medienbereich hätte Anreize, bereits vorab die bestmöglichen Argumente gegen staatliche Entscheidungen zu formulieren. Dank dem Auftrag zur Kritik müssen die Mitglieder der Kritikkommission nicht fürchten, als unmoralisch oder regierungskritisch verunglimpft zu werden. Weil die Mitglieder explizit für die Funktion der Kritik gewählt sind, haben sie starke Anreize, die Arbeit der Regierung konstruktiv-kritisch und lösungsorientiert zu begleiten, was sie von Oppositionsparteien unterscheidet. Oppositionsparteien üben zwar auch Kritik und sind im politischen Wettbewerb zentral. Aber sie sind am Scheitern der Regierung interessiert, weshalb ihre Kritik oft destruktiv statt konstruktiv ist.
Die Kritik eines Advocatus Diaboli wirkt über mindestens drei Kanäle. Erstens kann die Regierung die Vorschläge direkt aufnehmen. Zweitens liefert er Informationen an Medien und damit an die Bevölkerung. Drittens wird die Regierung versuchen, der Kritik möglichst zuvorzukommen und die offensichtlichsten Mängel ihrer Politik vorab beheben.
Im Falle der Corona-Krise etwa hätte die Kritikkommission der Regierung wohl früh gefragt, warum sie nicht das Ausmaß der Immunität der Genesenen durch Antikörper erhebt und einen Antikörpernachweis nicht einem Impf- oder Genesenen-Zertifikat gleichstellt. Bei der „Klima-Krise“ dürfte der Advocatus Diaboli mitunter kritisch nachfragen, wie das Kosten-Nutzen-Verhältnis einzelner Klimamaßnahmen in einem Land aussieht, das etwas weniger als 2% zu den weltweiten CO2-Emissionen beiträgt, während das Gros der Welt weiter emittiert und die Gesamtemissionen nach der Corona-Krise weiter steigen dürften. Weil für die Regierung die Kritik und die Empfehlungen einer volksgewählten Kommission viel gewichtiger sind als es die von einzelnen Wissenschaftlern wäre, würde sie in Erwartung derartiger Kritik eine viel vernünftigere Politik betrieben, sodass der Advocatus Diaboli für manche Bereiche und nach vielen Krisen nur sagen könnte: Die Arbeit der Regierung ist insgesamt solide.
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„Medien, die die Vielfalt … abbilden sind … eine dauernde Aufgabe in einer demokratischen Gesellschaft.“ Das interesannte ist, dass einzelne Medien das so gut wie nie tun, nur wenn es viele Medien gibt, wird es ein Angebot für jeden Mediennutzer geben die eigene Meinung dort gespiegelt zu bekommen. In der Krise muss man dann auf Russia Today, oder zB den neuen Trump-Kanal setzen. Wobei einem dabei gerne Steine in den Weg gelegt werden, wenn es wirklich um etwas geht. Was sicher auch damit zun hat, dass jene Ausweichmedien oft gar kein Interesse daran haben Schwachpunkte aufzudecken, sondern schlicht Lügen verbreiten wollen. Sind Lügengeschichten Teil der abzubildenden Meinungsvielfalt? Nachfrage nach ihnen scheint es zumindest zu geben. Überhaupt scheint mir die Breite der nachgefragten Meinung sehr viel breiter zu sein als man sich das vorstellt. Ich habe zB kürzlich ein Nachrichtenangebot über koreanische Popstars auf Youtube entdeckt. Da wurde gleichzeitig Nachrichten aus Südkorea über Nordkorea verbreitet. Ein Thema, das in Deutschland sicher nur als exotisch wahrgenommen wird. Ist das dann auch ein Medienversagen? Und ist das Internet in Wahrheit ein demokratisches Ideal, da dort die „Vielfalt der verfügbaren Informationen, Erfahrungen und Werte einer Gesellschaft abbildet“ sind? Ich glaube eher, dass man einmal neu auf das ganze Thema blicken müsste. Medienvielfalt scheint mir weniger ein Ideal als ein nützliches Werkzeug zur Verhinderung der Mono- oder Ologopolisierung von wirtschaftlicher und politischer Macht zu sein. PS: Woher soll dieser Advocatus Diaboli für Konstruktive Kritik kommen? Aus Ethikkommissionen und ähnlichen Beratergremien eher nicht, wie man bei Corona sehen konnte. Hier waren es stattdessen Einzelpersönlichkeiten, die tatsächlich geholfen haben, wie zB Drosten und die Biontech-Gründer. Gebraucht hätten wir solche Leute auch aus dem Bereich der Altersheime, Krankenhäuser (einige gab es hier), etc. Jetzt, da Güterknappheit herrscht, würde ich mir wünschen, dass da auch mal jemand auspackt. Wo ist der Whisselblower / Experte aus der Automobil- und Halbleiterindustrie?