GastbeitragEuropäische ZentralbankViele Tauben, wenig Falken

Es wird spekuliert, ob die EZB auf der übernächsten Sitzung im März das Zinserhöhungstempo anders als von EZB-Präsidentin Lagarde avisiert auf 25 Basispunkte senken wird. Dazu könnte es kommen, wenn die Falken im EZB-Rat – also diejenigen, die grundsätzlich eine straffe Geldpolitik befürworten – moderatere Töne anschlagen würden. Um die Äußerungen der EZB-Ratsmitglieder einordnen zu können, haben wir diese in unserem „Hawkometer“ in Tauben, Falken und „neutrale“ Mitglieder eingeteilt. EZB-Chefin Lagarde und der Lette Kazaks zeigen sich mittlerweile etwas „kantiger“ als bei unserem letzten Hawkometer vor zwölf Monaten. Der Niederländer Knot ist zurzeit der einzige klare Falke auf weiter Flur. Den Kroaten Vujcic, der seit Januar neu ist im EZB-Rat, schätzen wir wie die Deutsche Schnabel als „neutralen“ Pragmatiker ein.

Die EZB hat im Dezember ihr Zinserhöhungstempo auf 50 Basispunkte reduziert und mit der Ankündigung versehen, dass auf den kommenden Zinssitzungen ebenfalls mit 50er Schritten zu rechnen sei. Mittlerweile kursieren Gerüchte, dass die EZB bald geringere Zinsschritte gehen könnte. Ein wichtiger Gradmesser dafür sind die Reden und Interviews der EZB-Ratsmitglieder. Allerdings muss man zwischen den Tauben und Falken im Rat unterscheiden. Denn natürlich sprechen sich die Tauben – also diejenigen, die grundsätzlich für eine lockere Geldpolitik eintreten – als erste für geringere Zinsschritte oder gar ein Ende des Zinserhöhungszyklus aus. Ein wirkliches Wendesignal ist daher eher, wenn sich Falken – also diejenigen, die typischerweise eine straffe Geldpolitik befürworten – für kleinere Zinsschritte aussprechen. In unseren „Hawkometer“ teilen wir die EZB-Ratsmitglieder in Tauben, Falken und „neutrale“ Mitglieder ein (Chart).

Die Besonderheit unseres Hawkometers im Vergleich zu anderen liegt darin, dass wir eine lange Zeitspanne für unsere Beurteilung der EZB-Ratsmitglieder zugrunde legen. Beispielsweise verwenden wir für Klaas Knot, der seit Juli 2011 der Niederländischen Notenbank vorsteht und damit gleichzeitig das dienstälteste EZB-Ratsmitglied ist, Reden, Interviews, Kommentare etc. über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren. Wir wollen hinsichtlich der Geldpolitik sozusagen die DNA eines jeden Ratsmitglieds bestimmen. Daher gibt es im Vergleich zu unserem Hawkometer vom Januar 2022 nur wenige, aber nicht minder wichtige Änderungen:

Lagarde und Kazaks etwas „kantiger“ als bisher

EZB-Präsidentin Lagarde ordnen wir als moderate Taube ein (zuvor: Taube), da sie sich unseres Erachtens mittlerweile von den reinen Tauben abhebt. Beispielsweise unterstrich sie erst diese Woche, dass die Zinsen noch deutlich und stetig steigen müssten, um ein ausreichend restriktives Niveau zu erreichen. Damit wiederholt Lagarde die Aussage im Protokoll der EZB-Sitzung vom Dezember. Demgegenüber äußern sich reine Tauben wie der Italiener Panetta merklich zurückhaltender, wenn es um Zinserhöhungen in den kommenden Monaten geht. Auch Lagardes Einschätzung, es sei von entscheidender Bedeutung, dass sich die Inflationsraten nicht über dem 2%-Ziel der EZB verfestigten, hat einen offensiveren Zungenschlag als reine Tauben, die auf die nach wie vor fest verankerten Inflationserwartungen verweisen und darauf, dass keine Lohn-Preis-Spirale zu erkennen sei.

Martins Kazaks, den Gouverneur der Lettischen Zentralbank, sehen wir mittlerweile als moderaten Falken an (zuvor: „neutral“), da er seit einiger Zeit mit ausgesprochen klaren Worten einen deutlich restriktiveren Ton anschlägt. In einem Interview in Washington Mitte Oktober befürwortete er Zinsschritte bis Jahresende von 75 Basispunkten – war also gegen die Aufweichung des Tempos – und sprach sich deutlich für weitere Zinserhöhungen im neuen Jahr aus. Anfang November verlieh er dem Nachdruck: „… die Reaktion der Geldpolitik ist absolut klar und simpel – die Zinsen zu erhöhen, um das Risiko zu verringern, dass sich die Inflation festsetzt…“ Zu diesem Zweck müsse die Geldpolitik auf ein restriktives Niveau gebracht werden und nicht bloß ihre stimulierende Wirkung beendet werden. Im Zuge dessen sprach sich Kazaks auch für eine Verringerung des Anleihenbestandes auf der EZB-Bilanz aus, „… dass alle Instrumente in die gleiche Richtung zeigen.“

Knot: Allein im Falkenhorst

Klaas Knot, den Chef der Niederländischen Notenbank und dienstältestes EZB-Ratsmitglied, stufen wir jetzt als Falken ein (zuvor: moderater Falke). Unserer Ansicht nach tritt keiner der anderen Ratsmitglieder so klar und nachhaltig für eine deutliche Straffung der Geldpolitik ein wie der Niederländer. In einem Interview am 26. Dezember stellte er fest, dass die EZB, die den Einlagensatz eben auf 2% erhöht hatte, gerade einmal den halben Weg des Zinserhöhungszyklus gegangen sei. Und er stellte in Aussicht, dass mit Zinserhöhungen um jeweils 50 Basispunkten auf den folgenden fünf Sitzungen bis Juli 2023 dann wohl die Zinsspitze erreicht sei – zumal aus seiner Sicht das Risiko, zu wenig zu tun, größer sei, als über das Ziel hinauszuschießen. Seine Einschätzung bekräftigte er am 19. Januar, wohl auch um ersten Gerüchten hinsichtlich eines langsameren Zinserhöhungstempos der EZB entgegenzuwirken.

Die Deutschen: Nagel und Schnabel bleiben bei ihren Positionen

Keine Änderungen hingegen gibt es bei den beiden deutschen Vertretern Isabel Schnabel und Bundesbankpräsident Joachim Nagel, den wir wegen seines ersten Amtsjahres als ordentliches Mitglied des EZB-Rats besonders unter die Lupe nehmen:

  • In unserer letzten Ausgabe des Hawkometers im Januar 2022 verorteten wir den damals frisch angetretenen Bundesbankpräsidenten Joachim Nagel als moderaten Falken. Aus unserer Sicht hat er im Laufe des vergangenen Jahres unsere Einschätzung bestätigt. Bereits kurz nach seinem Amtsantritt warnte Nagel deutlich vor den Risiken, „die wir eingehen, wenn wir zu lange mit der geldpolitischen Normalisierung warten.“ In einem Interview Anfang August stelle er unmissverständlich klar: „Ich sage es mal so: Wenn es zehn Prozent Inflation, aber nur 1,25 Prozent Zinsen gibt, dann ist für mich der Handlungsbedarf klar. Ja, die Zinsen müssen weiter steigen – und zwar deutlich.“ Diese Position bekräftigte er in einem Interview Anfang November und forderte die Reduzierung des Anleihenportfolios der EZB. In einem Interview kurz vor Weihnachten forderte er weitere „robuste“ Zinsschritte.
  • Isabel Schnabel gehört zu den Ratsmitgliedern, die als eine der ersten im Frühjahr 2022 die Rhetorik hinsichtlich der Geldpolitik verschärft hat. Dennoch sind wir nach wie vor der Ansicht, dass sie nicht wie Bundesbankpräsident Nagel dem Falken-Lager zuzuordnen ist. Denn sie hat noch im Herbst 2021, als die Inflation schon deutlich gestiegen war und Medien sowie Experten vor deutlichen Preissteigerungen warnten, die aufkommenden Inflationsängste relativiert und auf die zeitlich befristeten Sondereffekte verwiesen. Nichtsdestotrotz zählen zu ihren Stärken ihre analytischen Fertigkeiten, die sie in den Augen vieler mittlerweile als Schatten-Chefvolkswirtin der EZB avancieren ließen.

Der Neue: Ein „neutraler“ Pragmatiker

Mit der Euro-Einführung in Kroatien zum 1. Januar 2023 wurde der Chef der hiesigen Notenbank, Boris Vujcic, Mitglied im EZB-Rat. Aufgrund der turnusmäßigen Rotation im EZB-Rat wird er zur Mai-Sitzung zum ersten Mal sein Stimmrecht ausüben können. Zwar wird er von manchen als Falke wahrgenommen, uns erinnert er aber sehr an EZB-Ratsmitglied Schnabel, weswegen wir ihn als „neutral“ einstufen. In seinen Reden und Interviews macht er einen analytisch versierten Eindruck, seine Beurteilung der ökonomischen Situation ist stets gut fundiert und ausgewogen. Tatsächlich bringt der promovierte Ökonom einen umfassenden Sachverstand mit in den EZB-Vorstand. Als außerordentlicher Professor an der Wirtschaftsfakultät in Zagreb lehrt er unter anderem die monetäre Analyse und internationale Finanzen. In Sachen praktischer Geldpolitik ist Vujcic ein alter Hase: Nach der Leitung der Research-Abteilung (ab 1996) der Kroatischen Nationalbank (CNB), war er ab 2000 der Vize-Gouverneur der CNB, bevor er 2012 als dessen Gouverneur bestellt und 2018 im Amt bestätigt wurde.

Während seines Studiums und seiner Promotion erlebte er hautnah Phasen der Hyperinflation, die Ende der 1980er und nochmals Anfang der 1990er Raten von bis zu 1.500% (sic!) erreichte. In einem CNBC-Interview vom 28. Juni 2022 äußerte er sich denn auch, entschieden gegen die hohe Inflation vorzugehen: „Wenn die Inflation zweistellige Raten erreicht, geraten wir in eine Situation – das zeigt uns die Vergangenheit -, in der sie ein Eigenleben entwickelt… Deshalb ist es wichtig, rechtzeitig zu reagieren und jeden davon zu überzeugen, dass die Notenbank da ist, die Inflation zu stoppen.“ Tatsächlich scheut sich Vujcic nicht vor deutlichen Zinsschritten – weder in die eine, noch in die andere Richtung. So hat dieser als Vize-Gouverneur nach dem Lehman-Schock einen beherzten Zinsschritt mitgetragen, weil die Inflation aus dem Ruder zu laufen drohte. Infolge der Zinsanhebung um 450 BP konnte die CNB die Inflation einfangen. Als Gouverneur der Notenbank hat Vujcic 2015 die Zinsen um 400 Basispunkte gesenkt, um die Deflation zu bekämpfen. In der Folge kehrte die Inflation rasch in den positiven Bereich zurück.

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