Gastbeitrag
20 Jahre Euro-Bargeldeinführung
Ist das Experiment Euro geglückt?

Vor 20 Jahren, am 1.1.2002, wurde mit der Einführung des Euro-Bargeldes in den zu diesem Zeitpunkt beteiligten zwölf Ländern der Eurozone der Übergang von den jeweiligen nationalen Währungen zur Gemeinschaftswährung endgültig abgeschlossen. Mittlerweile bilden sogar neunzehn EU-Staaten den Euroraum – trotz vieler Warnungen scheint sich der Euro also als attraktive Währung etabliert zu haben.

Betrachtet man das Eurobarometer, die von der EU-Kommission durchgeführte regelmäßige Befragung von EU-Bürgern zu verschiedensten Themen, so zeigt sich in den letzten 20 Jahren eine wachsende Zustimmung bei der Frage, ob der Euro eine gute Sache für das eigene Land sei. Im Durchschnitt des (jeweiligen) Euroraums stimmten 2002 rund 54 Prozent der Befragten zu, 2021 waren es dagegen rund 69 Prozent – allerdings in beiden Fällen mit großen Unterschieden zwischen den einzelnen Mitgliedsländern. Und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Generation der unter 40-jährigen mittlerweile kaum noch bewusst die Vergleichsmöglichkeit mit der früheren eigenen Währung einbeziehen kann, ist der Zuwachs der Zustimmung doch eher moderat.

Bei den Diskussionen im Vorfeld der Europäischen Währungsunion wurde von den Kritikern einer (zu) schnellen Einführung einer Währungsunion unter anderem die Gefahren mangelnder Preisstabilität, einer nicht zu verhindernden Transferunion und starker wirtschaftlicher und politischer Spannungen im doch noch ökonomisch sehr heterogenen Integrationsraum betont. So finden sich im von Wolf Schäfer und Renate Ohr initiierten Manifest gegen den Vertrag von Maastricht („Die währungspolitischen Beschlüsse von Maastricht: Eine Gefahr für Europa”), das 1992 veröffentlicht wurde und von 60 weiteren Kollegen unterzeichnet war, unter anderem folgende Aussagen:

„Einen Konsens, Preisstabilität als Priorität zu betrachten, wie er traditionell in Deutschland vorliegt, gibt es in Gesamteuropa bisher noch nicht. Nur mit einem solchen Konsens, den Notenbank, Regierung und Bevölkerung gemeinsam tragen, kann jedoch eine konsequente Stabilitätspolitik verfolgt werden, da diese unter anderem der Unterstützung der Lohnpolitik und der Finanzpolitik des Staates bedarf.“ Und „Die ökonomisch schwächeren europäischen Partnerländer werden bei einer gemeinsamen Währung einem verstärkten Konkurrenzdruck ausgesetzt, wodurch sie aufgrund ihrer geringeren Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit wachsende Arbeitslosigkeit erfahren werden. Hohe Transferzahlungen im Sinne eines ,Finanzausgleichs‘ werden damit notwendig.“

Und im weiteren Manifest der Initiatoren Manfred M. Neumann, Renate Ohr und Roland Vaubel („Der Euro kommt zu früh“, 1998) mit mehr als 160 weiteren Kollegen als Unterzeichner finden sich unter anderem folgende Warnungen:

„…wurde zwar der sogenannte „Stabilitätspakt“ erfunden. Er kann jedoch dauerhafte Haushaltsdisziplin nicht gewährleisten. Seine Sanktionsdrohung ist allenfalls glaubwürdig, wenn nur ein einzelnes Land oder sehr wenige Länder betroffen sind. Da Sanktionen nicht automatisch eintreten, dürfte es aber kaum eine qualifizierte Mehrheit für die Anwendung des Paktes geben, wenn eine größere Zahl von Ländern gleichzeitig die Defizitgrenze verletzt.“ Und „Wer die Konvergenzkriterien nicht ernst nimmt, untergräbt das Vertrauen in die faktische Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank und die Stabilität des Euro.“

Betrachtet man nun die Inflationsentwicklung in der Eurozone in den letzten 20 Jahren, so haben sich anscheinend – mit Ausnahme der letzten Monate – zumindest die in den beiden Manifesten befürchteten negativen Folgen für die Preisstabilität im Euroraum nicht bestätigt. Auch der Außenwert des Euro hat – etwa gegenüber dem Dollar – zwar durchaus temporär kräftige Ausschläge gezeigt, aber das war auch bei der D-Mark der Fall gewesen. Insgesamt bewegt sich der Trend aber in der Nähe des Außenwertes, den der Euro zum Zeitpunkt der Einführung der Gemeinschaftswährung 1999 hatte. Ist das Experiment Euro also doch geglückt?

Tatsächlich ist das hier gezeichnete Bild einer äußerlich im Großen und Ganzen funktionierenden Währungsgemeinschaft etwas zu oberflächlich. Nach wie vor vorhanden ist die Grundproblematik einer einheitlichen Geldpolitik für Länder mit sehr unterschiedlichen wirtschaftlichen Strukturen, Problemen, Herausforderungen und politischen Wünschen. Eine für mehrere Länder gemeinsam und zentral gesteuerte Geldversorgung kann nur dann für alle Länder gleichermaßen sinnvoll sein, wenn diese ähnlichen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und Präferenzen unterliegen und keine Anreize für fiskalpolitischen moral hazard bestehen. Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank aber hat sich zunehmend an den Problemen der – ungeachtet der Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspaktes – stark verschuldeten Länder orientiert, wobei die hohe Verschuldung selbst zum großen Teil Folge der Mitgliedschaft in der Währungsgemeinschaft war: Der Wegfall wechselkursbedingter Risikoprämien in den nationalen Zinsniveaus hatte vor allem in den südlichen Mitgliedsländern eine höhere Verschuldung ermöglicht, zumal auch keine signifikanten Sanktionen durch den Stabilitäts- und Wachstumspakt erfolgten. Die daraus entstandenen Krisen in einigen Euroländern haben zwar bisher nicht die innere Stabilität des Euro beeinträchtigt, aber durch die „Rettungs“-Maßnahmen der EZB wurden die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen für den Euroraum bis heute entscheidend beeinflusst.

Die (Schulden-)Krisen im Euroraum wurden von der EZB durch neue geldpolitische Instrumente wie den Outright Monetary Transactions, später dem Quantitative Easing abgefedert. Hinzu kam jüngst das Pandemic Emergency Purchase Programme und die temporäre Aussetzung der Fiskalregeln im Zuge der Corona-Pandemie. Der damit verbundene seit vielen Jahren anhaltende massive Ankauf von Staatsschuldtiteln, überwiegend aus den höher verschuldeten Ländern, hat im Endeffekt in den letzten 20 Jahren zu einer mehr als Verfünffachung der Geldmenge M1 und zu einer mehr als Verdreifachung der Geldmenge M3 geführt – eine Liquiditätsschwemme, die um ein Vielfaches über den entsprechenden Zuwachs des nominalen BIP im Euroraum hinausgeht. Das damit verbundene Inflationspotential zeigt sich unter anderem in der rasanten Vermögenspreisentwicklung. Bei einem anhaltenden Leitzins der EZB von Null Prozent werden Anleger zudem vermehrt dazu verleitet, in riskante Anlagen zu investieren. Ein entscheidendes Marktsignal ist damit verloren gegangen, und ein Platzen von Vermögenspreisblasen nicht ausgeschlossen. Trotzdem besteht die Gefahr, dass die EZB an einer Nullzinspolitik festhält, damit die hochverschuldeten Mitgliedsländer ihre Schulden auch nach Abflauen der Pandemie weiterhin günstig finanzieren können – eine gefährliche Verquickung geldpolitischer und fiskalischer Ziele, die zudem moral hazard Verhalten im Fiskalgebaren der nationalen Regierungen unterstützt.

Fazit: Der Euro wurde vor 23 Jahren in 11 Ländern der EU eingeführt, seit 20 Jahren nicht nur als Buchgeld, sondern auch als alleiniges gesetzliches Zahlungsmittel. Mittlerweile umfasst der Euroraum 19 Länder, wobei allerdings vor allem sehr kleine EU-Länder sich nun noch angeschlossen haben. Oberflächlich betrachtet „funktioniert“ diese Währungsgemeinschaft. Doch unterschwellig sind viele der vor Beginn des „Experiments Euro“ befürchteten Entwicklungen eingetreten, die die wirtschaftliche Stabilität der Währungsgemeinschaft gefährden. Nach mehr als 20 Jahren Euro sollte ein „Exit“ allerdings möglichst keine Option werden. So muss es daher vordringliches Ziel sein, die Währungsgemeinschaft nicht zu starken ökonomischen Spannungen auszusetzen, die sich aus einer einseitig und an fiskalischen Problemen einzelner Mitglieder orientierten Geldpolitik in Verbindung mit mangelnden Anreizen für Fiskaldisziplin ergeben. Nach wie vor gibt die EZB aber nur sehr zögerliche Signale des Ausstiegs aus ihrer extrem expansiven Geldpolitik, die Trennung von Geldpolitik und Staatsfinanzierung ist nicht so klar wie gewünscht, und auch die aktuell von den Südländern – wieder einmal – geforderte Aufweichung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes zeigt, dass das „Experiment Euro“ nach wie vor noch nicht auf nachhaltig stabilen Pfeilern ruht…

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