„Es muss aber auch Aufgabe der Politik sein, für das Klima schlechte Entscheidungen, wie die unsere, zu verhindern und in gute zu lenken.“ (Luisa und Yannick, #LetzteGeneration in TAZ online vom 2.2.2023 zum Vorwurf, sie seien in den Urlaub nach Asien geflogen.)
Die Klimadebatte ist von heftigen Auseinandersetzungen geprägt: Während sich Menschen aller Altersgruppen besorgt um das Klima und die Entwicklung der Menschheit zeigen und zum Protest durch zivilen Ungehorsam aufrufen, zeigen sich andere von der Klimaproblematik gänzlich unberührt und emittieren weiter, als gäbe es kein Morgen: Urlaubsflüge und tonnenschwere Autos gehören ebenso zum Lifestyle wie ein unbesorgter Fleischkonsum ohne Reue. Dabei wird der Klimawandel zwar auch uns, aber vermutlich deutlich härter die Bevölkerung in ärmeren Teilen der Welt treffen: Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Anpassungskosten immens sein werden. Die Potentiale sie zu schultern sind ungleich verteilt. Die Flut in Pakistan 2022 gibt einen Hinweis darauf, was uns (und andere) erwartet.
Die Fronten zwischen Besorgten und Unbesorgten sind oft klar gezogen. Wer sich nicht vor schlechter Laune fürchtet, kann das auf Twitter täglich nachvollziehen. Aber es geht auch anders. In dem Buch „Klima muss sich lohnen“ scheut sich der Präsident des ZEW, Achim Wambach, nicht die aktuelle Debatte aufzunehmen und klare Stellung zu beziehen (Wambach 2022). Dabei ist er nicht von der Frage geleitet, OB wir mehr Klimaschutz brauchen (er unterstellt hier Konsens; hoffen wir, dass er in Bezug auf die Umsetzung Recht behält), sondern WIE dieses Mehr an Klimaschutz am besten zu erreichen ist. Die Ökonomik kann hierzu einiges beitragen.
Ist Flugverkehr ein Problem?
Ich möchte mich in diesem Beitrag auf das Thema Flugverkehr konzentrieren. Der Frage, ob wir bedenkenlos in den Urlaub fliegen können (und wohin), ist heutzutage fast jeder ausgesetzt. Das Engagement, sich mit dieser Frage ernsthaft zu beschäftigen, ist unterschiedlich stark ausgeprägt. Gewohnheiten ändern sich nicht so einfach. Auch gebildete und liberal denkende Menschen sind davor natürlich nicht gefeit, vielleicht auch besonders sie, weil sie es gewohnt sind auf die Stärke von Märkten zu vertrauen (und oft über ein hohes Einkommen verfügen, so dass sie die Kosten der steigenden Preissignale auffangen können). Aber ist der Luftverkehr überhaupt ein Thema für den Klimaschutz?
Global gesehen sind die Emissionen durch den Luftverkehr eher wenig bedeutend, und das gilt auch in Hinblick auf Deutschland. Der Anteil der CO2-Emissionen im Luftverkehr am gesamten Verkehr in Deutschland beträgt weniger als 1 % (Umweltbundesamt 2022). Der überwiegende Anteil wird vom Straßenverkehr erzeugt (98%), und dabei sind die Verkehrsemissionen nur ein Teil der gesamten Emissionen in Deutschland. Der Klimawandel ist allerdings ein globales Problem, und letztendlich ist es für die Erderwärmung egal, ob CO2 hierzulande oder anderswo emittiert wird. Global ist das Bild jedoch ähnlich: Der Luftverkehr hat insgesamt einen recht geringen Anteil an den globalen CO2-Emissionen (ca 2-3%; Wambach 2022, S. 37). Ist er also irrelevant und damit höchstens ein Fall für Symbolpolitik?
Perspektivwechsel
Für das Erreichen von Klimazielen ist es wünschenswert, wenn wir einen effektiven politischen Rahmen haben, der individuelle Anreize zur Klimaneutralität setzt. So wird der einzelne Bürger von der Last befreit, sich permanent über die Konsequenzen seiner Konsumgewohnheiten Gedanken zu machen (was ihn häufig überfordert). Auch können Klimaziele mit einem geeigneten Rahmen effektiv erreicht und ökonomische effizient umgesetzt werden. Das ist klassisches ordoliberales Denken.
Ein Problem dieses klassischen ordoliberalen Denkansatzes besteht aber darin, dass wir von „der Politik“ nicht Lösungen erwarten können, die wir selber nicht einfordern (und dafür die Kosten zu tragen bereit sind), denn „die Politik“ ist in einer repräsentativen Demokratie nichts anderes als wir, die Bürgerinnen und Bürger, die als zoon politicon aufgefordert sind, mitzumachen und sich einzubringen. Wir hoch dieser Wert ist zeigt sich erst, wenn er fehlt. Ein Blick nach Russland, Iran, Afghanistan, Weißrussland, aber auch zu manchem unserer europäischen Nachbarn ist warnendes Signal. Nun könnte man argumentieren, dass es für einen geeigneten Ordnungsrahmen (bspw. einen effektiven globalen Emissionshandel) keine Mehrheiten gibt, das müssen dann auch Ordoliberale anerkennen. Das ist richtig, allerdings ist damit auch die zwingende Einsicht verbunden, dass Märkte in diesem Falle nicht gut funktionieren und keine effizienten Lösungen hervorbringen.
Das bedeutet: Gerade wenn das Regelwerk unvollständig ist, dürfen wir uns nicht auf Märkte verlassen.
Und: Wir können nicht nicht handeln.
Jeder von uns steht damit in der individuellen Verantwortung zu reflektieren, welches Verhalten richtig oder falsch ist. Und diese Sichtweise ergibt in Bezug auf den Luftverkehr ein interessantes Bild: Es zeigt sich, dass die Fokussierung auf Durchschnittswerte verschleiert, was vermutlich viele von uns ohnehin ahnen: Die Verteilung des Energieverbrauchs ist höchst ungleich verteilt: Menschen mit hohem Einkommen bzw. Vermögen verbrauchen ungleich mehr Energie als alle anderen, sie sind überproportional für den Klimawandel verantwortlich (vgl. Oswald et al. 2020; Chancel 2022; Sager 2022). Dies gilt natürlich nicht nur, aber auch in Bezug auf den Luftverkehr. Und mit hohen Einkommen sind nicht nur die „oberen 10.000“ gemeint, also die Nutzer von Privatjachten und Businessjets. Betroffen ist die gehobene Mittelschicht, also die, die im Prenzlauer Berg grün wählt und im Urlaub nach Japan fliegt, oder diejenigen, die aus den Vororten im Süden Deutschlands täglich mit dem Auto an die Arbeit pendeln, um sich dann im Urlaub auf Kreuzfahrtschiffen zu erholen.
Es ist also notwendig, anstatt auf andere zu zeigen kritisch zu hinterfragen, was der eigene Einflussbereich ist und was das individuelle, das persönliche Verhalten für das Klima bedeutet.
Mit dieser Sichtweise zeigt sich, welche Bedeutung der Luftverkehr in Bezug auf die individuellen CO2-Emissionen hat: Legt man die durchschnittlichen CO2-Emissionen pro-Kopf in Deutschland (ohne Luftverkehr) zugrunde (ca. 10 t/Jahr; Quelle: Umweltbundesamt 2023), lernen wir, dass ein einzelner Hin- und Rückflug nach beispielsweise Griechenland die individuellen Jahresemissionen um ca. 7 % anhebt. Zum Vergleich: Beim Verzicht auf Fleischkonsum – etwas, was vermutlich vielen deutlich schwerer fällt und wobei sich die Kosten übers ganze Jahr verteilen – ist die die individuelle Wirkung auf das Klima etwa halb so groß (ca. 4 %). Noch deutlicher wird es, wenn wir einen Flug nach New York City (25%) ansetzen, oder nach Asien (35%). Das bedeutet: Eine einzelne unserer Handlungen ist geeignet, sämtliche anderen Bemühungen um Einsparungen zunichte zu machen, weil sie die individuelle CO2-Billanz überproportional belastet. Allein das sollte uns kritisch sein lassen, ob Fliegen nicht vielleicht doch ein Problem darstellt.
Der Emissionshandel
Hier ist die Diskussion aber nicht zu Ende, denn der Luftverkehr des EWR ist seit 2010 in das europäische Emissionshandelssystem (ETS) eingebunden. Kurz gesprochen funktioniert der Emissionshandel so: Politisch wird eine Menge an CO2 festgelegt, die insgesamt emittiert werden darf. Diese gesamte Kappung der CO2-Emissionen (engl. „cap“) ist das Umweltziel, das mit dem Politikinstrument realisiert wird. Das Ziel wird erreicht, indem das Preissignal von Märkten genutzt wird. Jeder, der CO2 emittieren möchte, muss ein Zertifikat nachweisen (das vernichtet wird). Gegenwärtige Emissionen reduzieren also die im Abrechnungszeitraum noch erlaubte Menge an Schadstoffen. Das Zertifikat erhält der Emittent am Markt, auf dem Anbieter ihre Emissionserlaubnisse anbieten. Je höher die Nachfrage (bzw. je geringer das Angebot), desto höher ist der Preis. Ein Überschussangebot lässt den Preis sinken, damit steigen die Anreize zur Emissionsvermeidung. Eine Überschussnachfrage erhöht den Preis, die Anreize zur Vermeidung steigen.
Der Preis ist kein Selbstzweck, er dient als Signal dafür, wo Emissionen kosteneffizient vermieden werden sollten. Wichtig ist, dass durch dieses Instrument das eigentliche Ziel der Maßnahme – der Umweltschutz – vom Preis entkoppelt ist. Es gibt nicht mehr Umweltschutz bei einem höheren Preis und weniger bei einem niedrigeren. Der Preis ist lediglich Mittel zum Zweck um Knappheitssignale zu senden. Das Umweltziel wird alleine durch den Cap festgelegt, es wird immer erreicht. (Natürlich kann das Umweltziel zu (un)ambitioniert gewählt werden; dies ist aber kein Defizit des Emissionshandels an sich, sondern ein Fehler in der umweltpolitischen Zielsetzung.)
CO2-Neutralität des europäischen Luftverkehrs
Da der europäische Luftverkehr in den Emissionshandel eingebunden ist, ist die individuelle Nutzung von Flugreisen CO2-neutral. Denn wenn die individuelle Nachfrage nach Flugverkehr die Nachfrage nach CO2-Zertifikaten (über die Fluglinie) steigen lässt, steigt lediglich der CO2-Preis, nicht aber die emittierte Menge. Diese wird alleine durch das Cap bestimmt, das umweltpolitische Ziel ist fixiert. Die gesteigerte Nachfrage nach Flugverkehr und der dadurch induzierte Preiseffekt verdrängt lediglich CO2-Emissionen an anderer Stelle: Weil also ich verbrauche, verbraucht ein anderer in gleichen Mengen nicht. Die individuelle Handlung ist alleine mit einem Verdrängungseffekt verbunden. Der Preiseffekt hat lediglich verteilungspolitische Konsequenzen in Hinblick auf die Frage, wer CO2 emittieren darf.
Diese Idee bezeichnet man auch als „Wasserbett-Effekt“: So wie bei einem Wasserbett die Menge an Wasser insgesamt gegeben ist (hier: CO2), entscheide ich mich durch meine Sitzposition, ob an dieser Stelle weniger Wasser vorhanden ist. Der Pegel steigt dafür aber an anderer Stelle, die Menge an Wasser insgesamt bleibt immer gleich.
Nach dieser Lesart spielt die individuelle Entscheidung zu fliegen keine klimapolitische Rolle. So richtig das genannte Argument in Hinblick auf die CO2-Emissionen ist, so falsch ist jedoch die daraus gezogene Schlussfolgerung, es als Freifahrtschein fürs Fliegen zu verwenden, solange der Preis stimmt. Denn die durch das Fliegen emittierten CO2-Emissionen sind im Vergleich zu anderen keineswegs klimaneutral. Ein weiterer möglicher negativer Effekt: Die Einführung des Emissionshandels könnte ein Beispiel dafür sein, dass die Etablierung von Märkten das ethische Abwägen eigener Entscheidungen verdrängt oder zumindest negativ beeinflusst (bspw. Sandel 2013, Falk und Szech 2013).
Fehlende Klimaneutralität des Luftverkehrs
Gegen die Klimaneutralität des Luftverkehrs sprechen mehrere Argumente: CO2 ist nicht der einzige klimawirksame Stoff, der beim Fliegen emittiert wird. Der CO2-Handel erfasst diese anderen Stoffe aber nicht. Somit entsteht trotz Emissionshandels ein externer Effekt in der Nutzung des Luftverkehrs: CO2 wird zwar in gleichen Mengen woanders eingespart, die negativen externen Effekte der anderen Emissionen aber nicht. Zwar könnte – rein theoretisch – dieser Effekt auch positiv ausfallen (wenn die woanders vermiedene Handlung noch stärkere negative Umweltwirkungen jenseits des CO2-Ausstosses entfaltet als das Fliegen), aufgrund der hohen Emissionen im Luftverkehr erscheint das aber zumindest ad hoc nicht überzeugend. Der Emissionshandel heilt also bestenfalls einen bestimmten Typ des ökologischen Marktversagens, er lässt andere Aspekte außen vor. Und diese sind klimapolitisch nicht neutral.
Zudem entfaltet Fliegen negative Klimaeffekte durch die damit verbundenen Kondensstreifen. Diese können erdkühlende oder erderwärmende Wirkung entfalten, dies hängt von den Flugrouten und Flugzeiten ab. Damit haben CO2-Emissionen unterschiedliche klimatische Auswirkungen, je nachdem, wann und wo sie emittiert werden.
Die Forschung deutet darauf hin, dass die Emissionen durch das Fliegen eine um den Faktor drei höhere Auswirkung auf die Erderwärmung haben, als es die reine Emissionsmenge an CO2 suggeriert (vgl. dazu DLR 2020, SCNAT 2021). Damit ist die emittierte Tonne CO2 ein schlechtes Signal über die Klimawirkung des Fliegens. Selbst wenn man also die Neutralitätswirkung des ETS in Hinblick auf die Menge CO2 zur Kenntnis nimmt: Die Klimawirkung des Fliegens ist nicht neutral, selbst wenn man den Emissionshandel berücksichtigt.
Märkte und ethisches Verhalten
Der Emissionshandel hat zur Steuerung der CO2-Emissionen ein ganz bedeutende Rolle, er weist gegenüber anderen Politikinstrumenten große Stärken auf. Gleichzeitig befreit er den Einzelnen bei der derzeitigen Ausgestaltung aber nicht davor nachzudenken, was individuell richtiges Handeln in Bezug auf den Klimawandel ist.
An dieser Stelle sei auf einen interessanten Aspekt verwiesen: Es besteht die Gefahr, dass mit der Etablierung von Märkten (hier: der Emissionshandel) die Fähigkeit oder Bereitschaft zum moralischen Abwägen unseres Verhaltens verdrängt wird. Hierfür kann es mehrere Gründe geben: Die Anerkennung (und Dominanz) materieller Aspekte in der sozialen Interaktion kann ethische Erwägungen in den Hintergrund treten lassen. Auch können Märkte soziale Akzeptanz von eigentlich eher nicht-akzeptablem Verhalten signalisieren, woran sich Individuen dann anpassen. Als weiterer Aspekt könnte eine Rolle spielen, dass sich Individuen auf Märkten nicht als kritische Person bei schädlichem Verhalten sehen. Man ist einer von vielen, und „sonst tun es ja andere“. Auch können Märkte darin bestärken, das ethisches Abwägen zu externalisieren und dem (vermeintlich neutralen) Marktgeschehen zu überlassen (eine Diskussion hierzu vgl. Falk und Szech 2013; kritisch Breyer und Weimann 2015; den Zusammenhang von Märkten und pro-sozialem Verhalten diskutieren bspw. Henrich et al. 2001, 2010).
Die Gefahr des moralischen Crowding Outs ist also durchaus vorhanden. Sie macht deutlich wie wichtig es ist, moralische und ethische Aspekte unseres Konsumverhaltens stärker zu diskutieren. Dies könnte die Debattenkultur zwar kräftig befeuern und (klimaneutral) erhitzen, aber die Basis unseres ethisch-moralischen Handelns im Diskurs offenzulegen kann auch helfen Brücken zu überwinden und unseren Blick zu stärken auf das, was wir sind: Individuen als Teil einer Gemeinschaft, die sozial eingebettet sind und ihr Verhalten auch am Wohle der Gesellschaft ausrichten wollen und müssen.
Internationaler Luftverkehr
Ein weiteres Argument ist wichtig: Der Emissionshandel erfasst im Luftverkehr nur Flüge im Europäischen Wirtschaftsraum (EU-Staaten zzgl. Island, Norwegen, Liechtenstein). Interkontinalflüge oder bspw. Flüge in die Türkei werden nicht erfasst. Damit ist offensichtlich, dass die oben genannten Argumente zum Wasserbett für diese Art von Flügen nicht gelten, sie entfalten also auch schon in Hinblick auf die CO2-Emissionsmengen negative Gesamteffekte. Spätestens hier ist es also notwendig über die Klimawirkung des eigenen Verhaltens kritisch zu reflektieren, denn der Verweis auf das ETS zieht an dieser Stelle nicht.
Natürlich wäre es besser, wenn ein Emissionshandel global auch für den Luftverkehr (und am besten gleich sektorübergreifend) etabliert würde. Solange diese first-best Lösung aber politisch noch in weiter Ferne liegt, sind wir gezwungen uns zu verhalten. Und zwar im Hier und Jetzt.
Kompensation
Flüge können kompensiert werden. Abgesehen davon, dass die Wahl des Kompensierers kritisch in Hinblick auf die Qualität der Kompensation ist (vgl. Stiftung Warentest 2021) und bei steigenden Preisen Flugpassagiere die freiwillige Kompensation durch anderen Konsum oder günstigere und ineffektivere Anbieter substituieren (es bleibt der „warm glow“ der eigenen Ökohaftigkeit), es bleibt das Problem, dass die Kompensation nur unvollständig sein kann.
So positioniert sich selbst der Anbieter Atmosfair mit dem Gebot, dass Vermeiden vor Kompensation stehen soll. Auch sollte zu denken geben, dass eine Kompensation mitunter erst zeitverzögert Klimawirkung entfaltet, der negative Emissionseffekt durch den Flug aber unmittelbar anfällt. Da in Hinblick auf Erderwärmung und mögliche Kipppunkte die Zeit eine kritische Rolle spielt, gleich auch eine bestmöglich Kompensation den negativen Effekt des Fliegens nicht notwendigerweise voll aus. Ganz zu schweigen von den globalen wachstumspolitischen Implikationen dieser Kompensationsmaßnahmen: Während die reichen Industriestaaten ihren Wohlstand aufrecht erhalten, werden andere Staaten zum Wächter des Klimas degradiert, obwohl wirtschaftliches Wachstum und eine nachhaltige Entwicklung im Vordergrund stehen sollte. Die 60/70er Jahre mit ihrer klaren (und zum Teil desaströsen) Rollenverteilung für einzelne Länder als Rohstofflieferanten lassen grüßen.
Fazit
Meine Argumente richten sich nicht gegen den Emissionshandel an sich. Ganz im Gegenteil: er ist wichtig und die vermutlich stärkste Waffe gegen den Klimawandel, er sollte ausgeweitet werden. Auch halte ich es für falsch, die Maßstäbe zu streng anzusetzen und zu fordern, dass man überhaupt nicht mehr fliegen darf. Es macht aber einen großen Unterschied, ob ich wohlüberlegt und vielleicht alle drei Jahre in den Urlaub fliege, oder ob ich mir über die ökologischen Folgen meines regelmäßigen Flugverhaltens überhaupt keine Gedanken mache.
Auch zeigen die Überlegungen wie wichtig es ist, das eigene Verhalten unter Einbezug der ethischen Überzeugungen kritisch zu hinterfragen, anstatt sich unüberlegt mit dem Verweis auf „die Märkte“ zu verhalten, die „das dann regeln“ müssen. Und wenn sie das nicht tun, dann ist halt „die Politik“ gefragt. Gerade, wenn es keinen zielführenden Ordnungsrahmen gibt oder dieser nicht gut funktioniert, lenkt ein solcher Verweis nur von dem eigentlichen Problem ab. Auch spielt das Crowding-Out vermutlich eine unrühmliche Rolle, wenn nämlich in der Annahme, „der Luftverkehr“ unterliege „dem ETS“ und sei damit klimaneutral, die Bereitschaft nimmt, selbst über das eigene Verhalten und den damit verbundenen Klimawirkungen zu reflektieren. Wir sollten uns nicht hinter Märkten verstecken, wenn diese in keinen guten Ordnungsrahmen eingebettet sind.
Ich danke Prof. Dr. Achim Wambach (ZEW Berlin) und Prof. Dr. Tobias Börger (HWR Berlin) für kritische und hilfreiche Anmerkungen. Die hier dargelegten Argumente spiegeln alleine die Meinung des Autors wider.
Literatur:
Breyer, Friedrich und Joachim Weimann (2015). Of morals, markets and mice: Be careful drawing policy conclusions from experimental findings! European Journal of Political Economy, Vol. 40, 387-390.
Chancel, Lucas (2022). Global carbon inequality over 1990–2019. Nature Sustainability, Vol. 5, 931-938.
DLR (2020). Der globale Luftverkehr trägt 3,5 Prozent zur Klimaerwärmung bei.
Online: https://dlr.de/content/de/artikel/news/2020/03/20200903_der-globale-luftverkehr-traegt-3-5-prozent-zur-klimaerwaermung-bei.html (Zugriff: 28.3.2023)
Falk, Armin und Nora Szech (2013). Morals and Markets. Science, Vol. 340, 707-711.
Henrich, Joseph et al. (2011). In Search of Homo Economicus: Behavioral Experiments in 15 Small-Scale Societies, American Economy Review Papers and Proceedings, Vol. 91(2), 73-78.
Henrich, Joseph et al. (2010). Markets, Religion, Community Size, and the Evolution of Fairness and Punishment. Science, Vol. 327, 1480-1484.
Oswald, Yannick Anne Owen??und Julia K. Steinberger? (2020). Large inequality in international and intranational energy footprints between income groups and across consumption categories. Nature Energy, Vol 5, 231-239.
Sager, Lutz (2022). Highly unequal carbon footprints. Nature Sustainability, Vol. 5, 912-913.
Sandel, Michael J. (2013). What Money Can‘t Buy. Farrar, Straus and Giroux.
SCNAT (2021). So wirkt sich der Flugverkehr auf das Klima aus.
Online: https://scnat.ch/de/uuid/i/8f5d913d-a4ac-5e57-968f-469b1815170c-So_wirkt_sich_der_Flugverkehr_auf_das_Klima_aus (Zugriff: 28.3.2023)
Stiftung Warentest (2021). CO2-Kompensation. Erschienen in Finanztest 11/2022.
Online: https://www.test.de/CO2-Kompensation-Diese-Anbieter-tun-am-meisten-fuer-den-Klimaschutz-5282502-0/ (Zugriff 28.3.2023).
Umweltbundesamt (2022). Berechnung der Treibhausgasemissionsdaten für das Jahr 2021 gemäß Bundesklimaschutzgesetz. Begleitender Bericht. Kurzfassung vom 10. März 2022.
Umweltbundesamt (2023). CO2-Rechner. Online unter https://uba.co2-rechner.de/de_DE/.
Wambach, Achim (2022). Klima muss sich lohnen. Ökonomische Vernunft für ein gutes Gewissen. Herder Verlag.
Blog-Beitrag zum Thema;
Joachim Weimann (OVGU): „Markt und Moral (2). Warum wir doch fliegen können.“
- Markt und Moral (3)Warum wir nicht nicht handeln könnenEine Replik - 19. Mai 2023
- Markt und Moral (1)Warum wir nicht fliegen sollten - 11. Mai 2023
2 Antworten auf „Markt und Moral (1)Warum wir nicht fliegen sollten“