Markt und Moral (2)Warum wir doch fliegen können

Den Ausführungen von Herrn Polk liegen meines Erachtens einige grundlegende Missverständnisse zugrunde, die ich gerne erläutern möchte:

Das umweltpolitische Kernproblem, mit dem wir es bei der Klimapolitik zu tun haben, besteht darin, dass sich die Menschen bei der Bereitstellung von Klimaschutz in einem sozialen Dilemma befinden. Damit ist gemeint, dass es einen nicht suspendierbaren Widerspruch zwischen individuell rationalem Verhalten und kollektiv rationaler Lösung gibt. Aus der Sicht eines Individuums ist es nicht rational einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, weil mit diesem kein Einfluss auf die Erderwärmung möglich ist, die Kosten dafür aber in vollem Umfang vom Individuum getragen werden müssten. Es ist schlicht nicht vernünftig, etwas zu tun, was keinen Ertrag aber hohe Kosten erzeugt. Gleichzeitig wäre es aber kollektiv rational, wenn alle einen Beitrag leisteten, weil sich damit alle besserstellen würden (trotz der dann zu tragenden individuellen Kosten). Dieser Widerspruch begründet eine Legitimation für kollektives Handeln, weil es das soziale Dilemma beseitigt und zu einer Pareto-Verbesserung führt.

Herr Polk argumentiert dagegen, dass es eine moralische Verpflichtung für jeden Einzelnen gibt, in einem sozialen Dilemma einen kooperativen Beitrag zu leisten. Dem kann man nur widersprechen, denn es kann keine moralische Verpflichtung geben, gegen sein eigenes Interesse zu handeln, wenn dadurch keine Beseitigung der Dilemma Struktur, sondern allein ein moralisch begründetes „Opfer“ gebracht wird. Ich würde so weit gehen, zu behaupten, dass es moralisch verwerflich wäre, Menschen dazu aufzufordern, so etwas zu tun. Es bedeutet doch, dass man Menschen einredet, dass sie nur dann moralisch korrekt handeln, wenn sie etwas tun, was gegen ihr Interesse ist und für niemanden irgendeinen messbaren Nutzen verschafft. Nein, soziale Dilemmata kann man nur durch kollektive Entscheidungen beseitigen.

Allerdings kommt es auch darauf an, die richtigen kollektiven Entscheidungen zu treffen. In der Klimapolitik läuft das auf die Forderung nach Kosteneffizienz hinaus und damit nach einem einheitlichen CO2-Preis. Nun präsentiert Herr Polk mit dem Flugverkehr ein geschickt gewähltes Beispiel, denn es ist der einzige Fall (soweit ich das sehe) in dem ein CO2-Preis allein das Problem nicht löst, weil bei Fliegen eben auch nicht CO2-Emissionen entstehen, die klimaschädlich sind. Das bedeutet aber nicht, dass der Emissionshandel hier nicht helfen könnte. Bodo Sturm und ich haben dazu einen Vorschlag unterbreitet: Auf den ersten Blick ist eine Integration auch anderer Emissionen als die von CO2 in den ETS kein Problem. Eine einfache Umrechnung in CO2-Äquivalente wäre ausreichend. Beim Flugverkehr wird die Sache allerdings dadurch erschwert, dass die Emissionen von flugspezifischen Parametern abhängen (Höhe, Flugzeugtyp usw.), aber dennoch ist eine Integration in den ETS möglich.

Eine solche Integration ist die richtige Entscheidung, denn sie enthebt die Menschen von der „Pflicht“ auf einen Flug zu verzichten, weil man ihnen ein schlechtes Gewissen eingeredet hat. Wenn man bedenkt, welch gewaltiger Fortschritt es ist, dass wir in der Lage sind, weite Strecken mit dem Flugzeug zu überbrücken, dann ist klar, dass der Verzicht darauf sehr, sehr teuer wäre. Deshalb wird auch bei Beachtung und Bepreisung aller Emissionen der Flugverkehr nicht nennenswert zurückgehen. Das ist kein Fehler des Emissionshandels, sondern Ausdruck der enormen Vorteile, die Menschen durch das Fliegen gewinnen und die sie sehr hoch schätzen. Angesichts des sehr kleinen Anteils, den das Fliegen an der Erderwärmung hat, dürfte das zu verschmerzen sein.

Das allgemeine Märkte Bashing, das Herr Polk betreibt, ist nicht nachzuvollziehen. Die Behauptung, dass Märkte zu nicht moralischem Verhalten führen, steht im Widerspruch zur empirischen und experimentellen Evidenz. Da Herr Polk die Arbeit von Friedrich Breyer und mir kennt, wundert es mich, dass er sich immer noch bedenkenlos auf Falk & Szech beruft. Darüber hinaus haben vergleichende experimentelle Studien zwischen Ost- und Westdeutschen gezeigt, dass die Sozialisation in einem Marktsystem zu deutlich mehr Solidarität und Kooperation führt, als die in einer Planwirtschaft: Ockenfels und Weimann 1999 und Brosig et al. 2011. Kürzlich konnten Biermann et al. (2023) zeigen, dass sich der Ost-West Unterschied auch mit SOEP-Daten nachweisen lässt.

Die historischen Erfahrungen in Osteuropa und insbesondere in der DDR zeigen, dass die Planwirtschaft im Umweltschutz grauenhaft versagt hat. Beispielsweise war in der DDR die Lebenserwartung an der Ostsee um acht Jahre höher als in Halle Bitterfeld. Dass die Umweltsituation 1990 im kapitalistischen Westdeutschland um Längen besser war als in den neuen Bundesländern ist ebenfalls ein gesicherter empirischer Befund.  Der europäische Emissionshandel – ein Marktsystem – kann für sich in Anspruch nehmen, das weltweit erfolgreichste Klimaschutzinstrument zu sein – jedenfalls, wenn man die eingesparte Menge CO2 und die Kosten der Vermeidung als Bewertungsmaßstab zugrunde legt. Während das planwirtschaftliche Vorgehen in Deutschland seit 2000 (EEG, Atomausstieg, Einspeisevorrang und vieles mehr) bis 2017 nicht zur Folge hatte, dass im deutschen Energiesektor die CO2-Emissionen gesunken wären, hat der Emissionshandel von 2013 bis 2017 570 Mio. Jahrestonnen eingespart zu Kosten zwischen 6 und 12 Euro die Tonne. Der deutsche Energiesektor hat dazu keinen Beitrag geleistet. 

Literatur:

Biermann, Philipp, Jeannette Brosig, Joachim Weimann: Cooperation and Solidarity after the reunification of Germany: Do behavioral differences between East and West Germans converge? Discussion paper 2023.

Brosig, Jeannette, Christoph Helbach, Axel Ockenfels, Joachim Weimann: Still different after all these years: Solidarity behavior in East and West Germany, Journal of Public Economics, 95 (2011), 1373-1376.

Ockenfels Axel, Joachim Weimann: Types and Patterns: An Experimental East-West Comparison of Cooperation and Solidarity, Journal of Public Economics, 71, 1999, 275-287. 

Sturm, Bodo, und Joachim Weimann. „Fliegen verbieten oder verbietet sich das Verbieten von Flügen?.“ ifo Schnelldienst 74.06 (2021): 53-56.

Blog-Beitrag zum Thema:

Andreas Polk: Markt und Moral (1). Warum wir nicht fliegen sollten

3 Antworten auf „Markt und Moral (2)Warum wir doch fliegen können“

  1. Ein umfassender, weltweiter CO2-Preis würde keine Pareto-Verbesserung bewirken. Senioren in einer unwetterarmen, eher kalten Gegend würden dabei nämlich drauflegen.

    Der Staat müsste also z. B. bei der Bildung sparen, um die Belastung der Rentner auszugleichen. Ebenso müssten die Bewohner einer untergehenden Insel z. B. den Kanadiern Geld bieten, damit diese mehr Klimaschutz betreiben als ihre eigene Gefährdung rechtfertigen würde.

    Ob die junge Generation unter dem Strich von CO2-Einsparungen profitiert ist fraglich, weil diese das Wirtschaftswachstum bremsen.

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