Gastbeitrag
Behutsam mit der Schuldenbremse umgehen!

Zwar gibt es nicht die optimale Schuldenregel. Aber eine wirksame institutionelle Selbstbindung von Regierungen sichert Bürgerinnen und Bürger gegen die Folgen einer zu hohen Staatsverschuldung ab. Daher sollte behutsam mit der Schuldenbremse umgegangen werden.

Fiskalregeln sollen garantieren, dass die öffentlichen Haushalte dauerhaft tragfähig sind und der Staat gerade in Krisensituationen ausreichenden Verschuldungsspielraum hat. In Deutschland sieht die grundgesetzlich verankerte Schuldenbremse für Bund und Länder grundsätzlich strukturell ausgeglichene Haushalte vor. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November 2023 hat die Diskussion um eine Reform der Schuldenbremse weiter angefacht. Zudem wirft die Reform der europäischen Fiskalregeln Fragen für die nationale Umsetzung mit Hilfe der Schuldenbremse auf. Ob und inwieweit angesichts der hohen Finanzbedarfe für die Verteidigung, die grüne und digitale Transformation und die Auflösung des Investitionstaus eine Reform der Schuldenbremse notwendig ist, sollte sorgfältig abgewogen werden. Dabei ist auch das neue EU-Fiskalregelwerk zu beachten. Ganz grundsätzlich sollten staatliche Ausgaben stärker priorisiert und die Mittel effizienter eingesetzt werden.

Staatsverschuldung kann sinnvoll sein, um die wirtschaftliche Entwicklung zu stabilisieren, außergewöhnlich hohe, kurzfristige Finanzbedarfe zu bewältigen und Finanzierungslasten zwischen den Generationen zu verteilen. So kann der Staat in wirtschaftlichen Krisensituationen durch kreditfinanzierte Ausgaben die Nachfrage und damit das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht stützen, um längerfristige Schäden an der Volkswirtschaft zu verhindern. Zudem kann es sinnvoll sein, außergewöhnliche, einmalige Ausgaben über Schulden statt über Steuererhöhungen zu finanzieren. Denn für Bürgerinnen und Bürger sind konstante Steuersätze wichtig, da sie ihnen Planungssicherheit für private Investitionen geben. Und schließlich kann es sinnvoll sein, öffentliche Investitionen, von denen vor allem zukünftige Generationen profitieren, über Staatsschulden zu finanzieren, um die künftigen Nutzer an den Kosten zu beteiligen.

Auch wenn eine optimale bzw. maximale Verschuldung theoretisch nicht eindeutig bestimmbar ist, liegt umfangreiche empirische Evidenz vor, dass ein hoher Schuldenstand das Risiko von Schuldenkrisen erhöht und den Investitionsspielraum einschränkt. Zudem haben Regierungen Anreize, staatliche Ausgaben durch Schulden zu finanzieren und die Lasten in die Zukunft zu verschieben, um sich Wählerstimmen zu sichern. Fiskalregeln dienen dazu, die Staatsverschuldung zu begrenzen und zwingen zu einer transparenten Priorisierung von Staatsausgaben. So haben etwa die Mitglieder der EU im Vertrag von Maastricht im Jahr 1992 Fiskalregeln auf europäischer Ebene vereinbart, die solide Haushalte gewährleisten sollen. In einer Währungsunion wie der Eurozone dient eine Begrenzung der staatlichen Verschuldung nicht nur dazu, die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen zu sichern, sondern auch, Trittbrettfahrerverhalten zu verhindern. Denn bei gemeinsamer Währung besteht der Anreiz, die staatliche Verschuldung auszuweiten und die Kosten in Form von inflationären Entwicklungen auf die Gemeinschaft abzuwälzen.

In Deutschland wurde in Folge der globalen Finanzkrise und angesichts des politischen Konsenses, dass eine stetig steigende Schuldenstandsquote nicht tragfähig ist, im Jahr 2009 die Schuldenbremse im Grundgesetz verankert. Sie dient auch dazu, die europäischen Fiskalregeln auf nationaler Ebene abzusichern. Während der Corona-Pandemie haben Bund und Länder die Notfallklausel der Schuldenbremse genutzt, um umfangreiche kreditfinanzierte Unterstützungsmaßnahmen für Bevölkerung und Wirtschaft zu finanzieren. Anfang 2022 hat die Bundesregierung einen zweiten Nachtragshaushalt für das Jahr 2021 beschlossen und darin vorgesehen, 60 Mrd. Euro nicht genutzter Kreditermächtigungen im Rahmen der Notfallklausel in den Energie- und Klimafonds (EKF) zu übertragen, um Transformationsaufgaben zu finanzieren. Das Bundesverfassungsgericht hat im November 2023 zu einer von der CDU-/CSU-Fraktion des Deutschen Bunddestages angestrengten Verfassungsklage gegen die Übertragung der Notlagenkredite an den EKF ein weit reichendes Ur teil gefällt. Demnach können Notlagenkredite nicht mehr angespart werden und Defizite in Sondervermögen müssen sachgerecht verbucht werden. Die Bundesregierung musste die Haushalte für die Jahre 2023 und 2024 entsprechend anpassen.

Angesichts der hohen Finanzbedarfe für die Verteidigung, die grüne und digitale Transformation sowie die Auflösung des jahrelangen Investitionsstaus wird über mögliche Anpassungen der Schuldenbremse diskutiert. Die Vorschläge reichen von kleineren technischen Änderungen über eine generelle Erhöhung des Kreditspielraums bis hin zur Einführung einer so genannten „goldenen Regel“, die eine Kreditfinanzierung von Nettoinvestitionsausgaben erlauben würde. Die Reformoptionen sollten in ihren Vor- und Nachteilen sorgfältig abgewogen werden. Zudem gilt es, das deutsche Regelwerk kompatibel mit den auf europäischer Ebene vereinbarten neuen Regelungen zu machen. Das neue EU-System sieht vor, künftig primär auf das Wachstum der Staatsausgaben abzustellen und nicht mehr auf das staatliche Defizit. Eine gesamtstaatliche Ausgabenregel in einem föderalen Staat wie Deutschland institutionell umzusetzen, wirft viele Fragen auf. Auch dürften die auf europäischer Ebene vereinbarten Safeguards für staatliche Defizite politisch eher als Zielwerte, denn als Maximalwerte interpretiert werden und die Diskussion um eine Ausweitung des Verschuldungsspielraums der deutschen Schuldenbremse anheizen.

Zwar gibt es nicht die optimale Schuldenregel. Aber eine wirksame institutionelle Selbstbindung von Regierungen sichert Bürgerinnen und Bürger gegen die Folgen einer zu hohen Staatsverschuldung ab. Daher sollte behutsam mit der Schuldenbremse umgegangen werden.

Hinweis: Dieser Policy Brief entstand auf Grundlage des ECONWATCH-Meetings „Nach dem Karlsruher Urteil: Wie weiter mit der Schuldenbremse?“ mit Prof. Dr. Thiess Büttner (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Beirat des Stabilitätsrats, Wissenschaftlicher Beirat beim BMF)

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