Funktionsfähiger Wettbewerb ist eine nützliche Einrichtung. Die soziale Marktwirtschaft basiert auf der Idee, dass die freiwillige Koordination der wirtschaftlichen Pläne der Konsumenten und Produzenten über Märkte in der Regel die beste Lösung des Knappheitsproblems bedeutet. Wettbewerb kanalisiert das eigennützige Verhalten der wirtschaftlichen Akteure und sorgt für eine Orientierung der Produktion an den Wünschen der Konsumenten.
Allerdings funktioniert der Wettbewerb auch auf privaten Märkten nicht voraussetzungslos. Die Güter müssen Individualgüter sein, bei denen die Zuteilung exklusiver Nutzungsrechte an zahlungswillige Nachfrager über den Preismechanismus möglich ist. Zudem muss der Wettbewerb durch verbindliche Spielregeln, durch eine vom Staat gesetzte Wettbewerbsordnung gesichert werden. Andernfalls besteht die Gefahr, dass der Wettbewerb durch monopolistische Elemente erodiert und zunehmend außer Kraft gesetzt wird.
Lässt sich das Prinzip des freien Wettbewerbs innerhalb eines von den Teilnehmern zu respektierenden Ordnungsrahmens auf den Staat übertragen? Der Gedanke hat einen gewissen Charme. Warum sollte man nicht versuchen, die Effizienz des staatlichen Sektors durch Wettbewerb der Anbieter staatlicher Leistungen zu verbessern? Warum sollte der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren nicht auch bei der Enthüllung der Bürgerpräferenzen und der kostengünstigen Bereitstellung öffentlicher Güter hilfreich sein?
Fiskalischer Wettbewerb kann nützlich sein
Die Idee des fiskalischen Wettbewerbs ist ein wichtiges Element föderativer Staaten. Die dezentrale Bereitstellung staatlicher Leistungen verspricht eine größere Bürgernähe und eine bessere Beachtung der Bürgerwünsche. Auch hier sind aber bestimmte Funktionsbedingungen zu beachten. Die Vorteilhaftigkeit einer Aufteilung staatlicher Kompetenzen auf verschiedene Ebenen hängt insbesondere davon ab, dass die Nutznießer staatlicher Leistungen, die politischen Entscheidungsträger und die Steuerzahler auf jeder Ebene weitgehend übereinstimmen. Nur in diesem Fall sind die finanzwissenschaftlichen Prinzipien der Konnexität und der fiskalischen Äquivalenz erfüllt.
Das Konnexitätsprinzip verknüpft die Aufgaben- mit der Ausgabenkompetenz und sichert damit die Identität der Entscheidungs- und Kostenträger staatlicher Leistungen. Andernfalls würden Beschlüsse ohne hinreichende Berücksichtigung ihrer finanziellen Folgen getroffen. Nach dem Grundsatz der fiskalischen Äquivalenz sollen die Nutznießer der Staatsleistungen zudem die mit der Bereitstellung verbundenen Kosten tragen. Wenn die Nutznießer Zuschüsse aus anderen Regionen erhalten, besteht die Gefahr einer zu hohen Nachfrage nach öffentlichen Gütern.
Konnexität und fiskalische Äquivalenz dienen der ökonomisch sinnvollen Begrenzung der Staatstätigkeit. Sie intensivieren das Abwägen zwischen den positiven Wirkungen der öffentlichen Ausgaben und den Belastungseffekten der Besteuerung. Die Entscheidungsträger werden angehalten, alle relevanten Kosten und Nutzen zu berücksichtigen und keine Ausdehnung der Staatsleistungen zu Lasten Dritter zu beschließen. Konnexität und fiskalische Äquivalenz implizieren mithin auch die Finanzierung einer Gebietskörperschaft aus eigenen Steuermitteln.
Der Föderalismus ist ein Entdeckungsverfahren für institutionelle Neuerungen. Regional differenzierte Angebote an staatlichen Leistungen, verbunden mit unterschiedlichen Finanzierungssystemen, liefern Informationen und Erfahrungen, die für die Weiterentwicklung und Verbesserung der öffentlichen Einrichtungen nützlich sein können. Der fiskalische Wettbewerb zwischen den Gebietskörperschaften hat demnach einige Vorzüge, die im Wesentlichen auf dem Gebiet der allokativen Effizienz liegen.
Die Staatstätigkeit erschöpft sich allerdings nicht in der kostengünstigen und präferenzgerechten Bereitstellung öffentlicher Güter. Der Staat muss bei der Finanzierung seiner Aufgaben auch auf die Steuergerechtigkeit achten. Die Bürger einer Gebietskörperschaft sollen zwar die öffentlichen Leistungen bezahlen, die ihnen zugute kommen. Innerhalb der Gruppe der Nutzer von Kollektivgütern lässt sich aber keine individuelle Äquivalenz herstellen. Deshalb besteht weitgehender Konsens darüber, dass die Verteilung der Steuerlasten nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip zu erfolgen hat.
Das Leistungsfähigkeitsprinzip beinhaltet eine Heranziehung der einzelnen Bürger zur Finanzierung der Staatstätigkeit nach Maßgabe ihres persönlichen Einkommens. Hauptsächlich soll das Steueraufkommen deshalb aus einer alle Einkommensarten gleichmäßig belastenden progressiven Einkommensteuer aufgebracht werden. Ob fiskalischer Wettbewerb per Saldo nützlich ist, hängt auch davon ab, dass eine Gesellschaft nicht ungebührlich daran gehindert wird, ihre Gerechtigkeitsvorstellungen im Rahmen ihres Steuersystems umzusetzen.
Internationaler Steuerwettbewerb funktioniert nicht
Die geschilderten Bedingungen und Grenzen des fiskalischen Wettbewerbs sind auf nationaler Ebene zu gewährleisten. Die Finanzverfassung stellt einen Ordnungsrahmen dar, der die Finanzautonomie der einzelnen Staatsebenen mit dem Bedarf an einheitlichen Regelungen ausbalancieren soll. Insbesondere im Bereich der Steuergesetzgebung können so Lücken und Überschneidungen der Steuerkompetenzen vermieden werden. Auf der internationalen Ebene fehlt ein solcher Rahmen für fairen fiskalischen Wettbewerb. Daher sollte es eigentlich nicht überraschen, dass der internationale Steuerwettbewerb nicht funktioniert und eine Reihe schädlicher Nebenwirkungen entfaltet.
Schon der Begriff „Steuerwettbewerb“ ist erhellend. Es geht nämlich in der Praxis gar nicht darum, die Staatsleistungen mit den Steuerbelastungen der Bürger und insbesondere der Unternehmen in Einklang zu bringen, wie es die fiskalische Äquivalenz verlangt. Dann müssten die Nationalstaaten mit einem Paket an Leistungen und Gegenleistungen konkurrieren, das unterschiedlich zusammengestellt, aber nicht zulasten Dritter geschnürt werden darf.
Die Realität sieht aber ganz anders aus. Die Nationalstaaten bemühen sich mit attraktiven Steuerbedingungen um die Ansiedlung von Unternehmen und Finanzkapital. Attraktiv sind die Steuerkonditionen aber nicht, weil diese Länder gute Leistungen besonders kostengünstig anbieten, sondern weil die Steuerzahler ihre Leistungen weiterhin woanders abrufen und sich die faire Gegenleistung hierfür ersparen können.
International agierende Unternehmen können beispielsweise ihre Gewinne an Niedrigsteuerstandorte verschieben, ohne dass sie ihre Produktionsaktivitäten dorthin verlagern müssen. Sie nutzen dann weiterhin die staatliche Infrastruktur ihrer Produktionsstandorte, eventuell auch die dort erhältlichen Subventionen, ohne sich hinreichend an der Finanzierung zu beteiligen. Die Folge ist eine Erosion der staatlichen Finanzierungsbasis verbunden mit einer Verschiebung der Steuerlasten auf die weniger mobilen Produktionsfaktoren, insbesondere auf die Arbeitnehmer.
Das Bemühen, in diesem Steuersenkungswettlauf (race to the bottom) mitzuhalten, gefährdet zwangsläufig zentrale Prinzipien der Besteuerung. Der Grundsatz der Besteue-rung nach der Leistungsfähigkeit wird zunehmend missachtet. Auch in Deutschland haben wir uns von der Idee einer gleichmäßigen Besteuerung aller Einkommen faktisch verabschiedet. Gewinne werden anders besteuert als Löhne, Zinsen werden anders besteuert als Dividenden. Da kein Effizienzgewinn durch den Steuerwettbewerb in Sicht ist, wird die Steuergerechtigkeit auch noch völlig umsonst aufs Spiel gesetzt.
Hinzu kommt, dass relativ große Staaten den Steuerwettbewerb gar nicht gewinnen können. Kleine Länder profitieren fiskalisch von Steuersenkungen, weil sie bei der Bemessungsgrundlage mehr Steueraufkommen gewinnen als sie durch niedrige Steuersätze verlieren. Große Länder, die ihr Steuersystem „wettbewerbsfähig“ halten wollen, müssen die Steuersätze für international mobile Unternehmen und Kapital senken, aus Gerechtigkeitsgründen aber allen Unternehmen dieselben Steuergeschenke gewähren.
Schon der legale Steuerwettbewerb erweist sich somit als kollektiv irrational. Alle Länder würden sich besserstellen, wenn sie eine faire Standortkonkurrenz mit gemeinsamen Spielregeln organisieren würden. Vorschläge für eine gemeinsame Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage in der EU und eine Mindestbesteuerung der Gewinne gehen in die richtige Richtung. Eine Zusammenarbeit der Finanzbehörden zur Gewährleistung einer effektiven Kapitaleinkommensbesteuerung müsste hinzukommen.
Die von einigen Ländern betriebene massive Begünstigung der privaten Steuerhinterziehung hat eine noch weiter reichende Dimension. Hierbei handelt es sich nicht einmal ansatzweise um fiskalischen Wettbewerb, sondern um den Versuch, die Steuerkraft anderer Länder ohne Gegenleistung abzuschöpfen und deren Steuerhoheit zu unterlaufen. Das entbehrt nicht nur jeder ökonomischen Rechtfertigung, sondern untergräbt auch die Steuermoral der Bürger und Unternehmer, denen ihre Staatsleistungen etwas wert sind.
Hinweis: Dieser Beitrag ist in der Fachzeitschrift WiSt (06/2010) erschienen.
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